FITUG e.V.Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft |
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Dieser Text soll eine Hilfestellung bieten, wie auch Sie sich in die erfolgreichen Reihen von Journalisten und Reportern eingliedern koennen, die mit dem Thema Sex im Internet einen so grossen Erfolg hatten. Schliesslich wollen Sie nicht das Rad von vorne erfinden, und ausserdem haben sich inzwischen unter Kollegen gewisse Konventionen gebildet, die auch Sie einhalten sollten.
Sie werden staunen, wie einfach es ist.
Fuer Sie als Reporter ist dieses Thema einfach zu verlockend, um nicht aufgegriffen zu werden: Man muss keinen grossen Aufwand fuer Recherchen treiben (falls man es ueberhaupt fuer noetig haelt, welche zu machen), es umfasst drei Reizthemen auf einmal (Hochtechnologie, Steuerverschwendung und natuerlich Sex), und die Messsage ist so einfach, dass selbst der bloedeste Ruhrpottler sie verstehen kann. Fangen wir mit dem letzten Teil an:
Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der Steuerzahler jedem Hochschulangehoerigen auf elektronischem Weg Pornographie zugaenglich zu machen.
Machen Sie sich ueber die Details keine Sorgen. Wie wir unten sehen werden, werden Sie diese Message fuer Ihre jeweilige Zielgruppe etwas anpassen muessen. Aber da Ihr durchschnittler Zuschauer zB. den Unterschied zwischen dem Internet und dem FidoNet nicht erkennen wuerde, wenn er darauf sitzen wuerde, brauchen Sie weder sorgfaelltig zu arbeiten, noch sich alle Feinheiten merken. Verallgemeinern Sie also, um bei unserem Beispiel zu bleiben, im Zweifelsfall einfach ueber _alle_ Computernetze. Die Message aendert sich nicht, und schliesslich geht es - nach den Quoten - beim Journalismus immer um die Message. Wenn die durchkommt, egal wie, sind Sie ein guter Reporter.
Das Internet eignet sich, wie alle Computernetze, hervorragend zu diesem Zweck. Schliesslich hat der Zuschauer keine Ahnung, wie ein Pornobild auf einem Computerschirm aussieht - Sie haben also die journalistische Pflicht, es ihm zu zeigen. Moeglichst mehrfach, damit er sich ein abgrundetes Bild machen kann. Die Moralapostel werden entsetzt sein, wie frei das zugaenglich ist, die visuell veranlagten werden sich ueberlegen, warum sie nicht damals doch Informatik studiert haben, und der ganz normale Zuschauer wird einfach nur auf die Bilder gucken. Sex verkauft sich immer, und Sex ist immer noch der Quotenbringer Nummero Uno.
Machen Sie Sex zu Ihrem Hauptthema. Um es fuer Sie einfacher zu machen, haben die Internet-Leute netterweise alle wichtigen Gruppen unter alt.sex.* eingeordnet, also am Anfang an dieser langen Liste von Newsgruppen. Auch wenn es diese weiteren Gruppen gibt, viele davon sogar, sollten Sie der Versuchung widerstehen, zu viel Zeit mit ihnen zu verschwenden. Erstens sind die alle sowieso auf Englisch - und wir wissen ja alle, dass das mit Ihrem Schul-Englisch nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte, nicht wahr - und zweitens wird da eh nur technischer Krimskrams besprochen. Also: konzentieren Sie sich auf das Wesentliche, auf das, was die Quoten bringt, und ignorieren Sie den Rest. Konzentrieren Sie sich auf den Sex.
Ein Amerikaner, ein Japaner und ein Deutscher bekommen eine neue Technologie erklaert. Der Amerikaner sagt: "Wow, damit koennen wir die Commies besser in schach halten - kann man das nicht auch fuer Kinofilme verwenden?" Der Japaner sagt: "Interessant, damit koennen wir viel Geld machen - aber geht das Gehaeuse wirklich nicht kleiner?" Der Deutsche sagt: "Oh mein Gott, das wird uns alle umbringen - warum ist es noch nicht verboten worden?"
Als Journalist folgen sie also einfach weiter dem ersten Journalistischen Technologie-Axiom fuer deutsche Zuschauer - jede neue Technologie ist boese - und es kann eigentlich gar nichts schiefgehen.
Zur Untermauerung dieser These sollten Sie noch andere selbsternannte Experten hinzuziehen. Die richtigen Paedagogen ("Nur Holzspielzeug kann vermeiden, dass ihr Kind zu einem Axtmoerder wird"), Psychologen ("Der dauernde Kontakt mit einer Maschine fuehrt zu einer inneren Vereinsammung. Daher ist die heute Kontaktarmut eine dirkete Folge der Erfindung des Telephons"), und Aesthetiker - was das auch immer ist - geben dem ganzen Bericht noch eine zusaetzliche Dimension. Bemerken Sie, dass sie selbst eigentlich nicht verstehen muessen, um was es da eigentlich geht, denn Ihr Zuschauern weiss es ja auch nicht. Und falls doch, ist er auch ein Internetler, und sowieso weder objektiv noch als Zielgruppe fuer Sie interessant.
Auf dem ersten Blick scheint es schwierig zu sein zu erklaeren, wie genau die Steuern verschwendet werden. Schliesslich weiss Ihr Publikum etwa soviel ueber Computer wie Sie. Aber das muss es auch nicht sein: erwaehnen Sie nur, dass die Computer ueber Leitungen (vereinfachen Sie und sagen Sie einfach "Telephonleitungen", wer wird das schon merken) miteinander verbunden sind, und dass der ganze Schweinkram darueber verschickt wird. Dank der Preispolitik der Telekom wird jeder Zuschauer sofort wissen, dass hier Millionen, wenn nicht sogar Milliarden verschwendet werden. Der Umzug nach Berlin ist im Vergleich dazu bestimmt nur Peanuts. Und peng!, schon haben Sie Millionen von empoerten Zuschauern. Empoerte Zuschauer schreiben empoerte Briefe, die Sie dann Ihrem Chef zeigen koennen. Und das ist das Beste, was Ihrer Karriere passieren kann.
Eigentlich muessen Sie nur bei dem Bericht ueber die Kosten ein bestimmtes Wort vermeiden: "Standleitung". Dazu unten mehr. Sonst koennen Sie auch hier nicht verlieren.
Aber was wirklich schoen an dem Thema ist: Ihre Kollegen haben schon
so viel Vorarbeit geleistet, dass der Zuschauer schon eine Erwartungshaltung
hat. Wenn ein Deutscher das Wort Internet hoert, weiss er, worum es gehen
wird:
Gefaehrliche Technik, Steuerverschwendung, und Sex. Und wenn er sonst
nichts anderes behalten hat, wird der Zuschauer immer wissen, dass es um Sex
geht. Denn bisher hat kein einziger populaerer Artikel ueber Computernetze
das Thema Sex ausgelassen. Inzwischen erwartet Ihr Zuschauer oder Leser also,
dass es in einem Artikel ueber Computernetze frueher oder spaeter ueber Sex gehen
wird. Alles, was Sie tun muessen, ist diese Erwartungshalten erneut zu befriedigen.
Haben wir nicht gesagt, dass es einfach sein wuerde?
Ihre Leser werden sowieso nichts gutes vom Internet halten - schaut euch doch das Studentenpack vor den Uni-Terminals an, diese langhaarigen, schmalbruestigen Cyberhippies. Jeder Rechte weiss, dass Unis sowieso nur Steuerverschwendung sind, Sie brauchen also nicht zu lange auf diesem Teil herumzureiten. Aber dafuer koennen Sie mit dem normalen Sexthema nicht so viel reissen. Ein echter Rechter hat nichts gegen einen guten Fick, solange die Frau vorher das Haus sauber gemacht hat und sie dabei das Essen nicht anbrennen laesst. Hier sollten Sie vielleicht ein paar wertvolle Minuten mit der Sprache der Netzler verschwenden, um so herauszufinden, was sich fuer Kreaturen in der alt.sex.motss herumtreibt. In diesem Fall lautet die Message naemlich besser:
Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der anstaendigen Steuerzahler unseres schoenen Landes jedem schwulen Hochschulsozi auf elektronischem Weg den Kontakt zu anderen perversen Verfassungsfeinden zu ermoeglichen.
Wenn Ihren Lesern erstmal klar wird, dass das Internet fuer Schwule und Lesben weit offen ist, und dass die sich da auch frei ueber alles (also, oh mein Gott, _alles_) reden duerfen, ist der Artikel ein garantierter Erfolg.
Konzentrieren Sie sich auf Sex, und erwaehnen Sie immer und so oft es geht, dass im Internet mehr Maenner sind als Frauen. Schon allein deswegen ist jedes Problem, dass durch das Internet entstanden ist, besteht, entstehen wird, oder entstehen koennte, offensichtlich auf die Maenner zurueckzufuehren. Ihre Message sieht also so aus:
Das Internet ist eine auf Maenner zugeschnittene Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der Frauen jedem Mitglied Ihres emotional verkrueppelten Geschlechtes auf elektronischem Weg Schweinebilder zugaenglich zu machen. Dazu kommt noch eine Erweiterung:
Frauen sollen so aus allen wichtigen Stellen vertrieben -, und die Anzahl der Vergewaltigungen gesteigert werden.
Bemerken Sie, dass dank des unter radikalen Feministen ueblichen Dogmas einige Zusammenhaenge immer implizit in Ihrem Bericht enthalten sein werden, auch wenn Sie es selbst vielleicht gar nicht gewusst haben. So zum Beispiel:
Weiter: Zeigen Sie moeglichst viele Bilder. Eine der Kameraeinstellungen, die inzwischen Pflicht sind, ist die eines Bildschirms mit einer Liste der alt.sex.* Gruppen. Suchen Sie sich eine, besser, mehrere Frauen als Interviewpartner. Und auch einen maennlichen Boesewicht brauchen Sie mindestens, als lebendiges Beispiel fuer die Tiefen, zu denen ich das primitivere Geschlecht herablassen kann. Und man kann es nicht oft genug sagen: betonen Sie immer wieder, dass das Netz so gut wie rein maennlich ist.
Daneben sollte man noch einige formale Details beachten, um optimal die Message herueberbringen zu koennen:
Dummerweise sinkt der Maenneranteil im Internet stetig, was Ihnen als Reporter auf lange Sicht die Tour vermiesen koennte. Inzwischen haben sich zwei grundsaetzliche Methoden herausgebildet, um diesem Trend entgegenzusteuern:
Und diese Gruppe ist auch die einzige, die Sie nicht mit Sex schocken koennen, egal in welcher Form. Zum intellektuellen Selbstverstaendnis gehoert es, alle Spielarten als "interessant", und jedes Bild eines nackten Menschen als hoechstens "erotisch", nie aber als pornographisch einzustufen. Was nuetzt ihnen das Bild einer nackten nimm-mich Frau, wenn so ein Typ aus dem Fachbereich Kunst das einfach als eine gelungene neo-dadaistische Interpretation von Gustave Moreau's "Galatea" intellektualisiert und die transformatorische Uebertragung in den Bereich der postmodernen Sozialkritik lobt? Selbst wenn sie einen von diesen Leuten dazu bringen koennen, etwas als Pornographie einzustufen, gibt es diese entsetzliche intellektuelle Tradition der Meinungsfreiheit. Sex koennen Sie also auch vergessen.
Ihnen bleibt nur die Hochtechnologie. Zum Glueck funktioniert das blendend. Intellektuelle sind die Leute, die ueber Jahrhunderte hinweg tapfer versucht haben, jede Ausbreitung oder Aenderung von Medien zu verhindern. Die Kirchengelehrten haben ihr bestes getarn, um Buecher und Buchdruck in "verantwortungsvollen" Haenden zu halten, und ein gewisser Rousseau war der felsenfesten Meinung, dass man dem gemeinen Poebel nicht Lesen oder Schreiben beibringen sollten, weil es ihre "natuerliche Kultur" zerstoeren wuerde. Wenn man die heutigen Intellektuellen reden hoert, wird einem schnell klar, dass sie noch nicht einmal mit dem Schock des Fernsehens zurecht gekommen sind, geschweige denn sich mit Computern angefreundet haben. Wenn es nach ihnen ginge, wuerden alle nach der Arbeit nach Hause gehen und artig Gedichte lesen oder mit der ganzen Familie ueber die Besetzung des Schweizers in der neusten Inszenierung von "Die Raeuber" diskutieren. Und wie die Nacktszene die immerwaehrende Verletzbarkeit des menschlichen Geistes aufzeigte. Das koennen Sie ausnutzen.
Reden Sie davon, dass Computernetze mit Elektronik zu tun haben. Erste Faustregel: Nichts, was Strom verbraucht, kann etwas mit Kultur zu tun haben. Also weder Fernsehen noch Telephon noch Radio, und schon gar keine Computerspiele. Nicht mal Myst. Reden Sie zudem davon, dass potentiell jeder Buerger eines Tages Zugang zum Internet haben koennte. Zweite Faustregel: wenn mehr als zwanzig Leute in der ganzen Republik etwas machen, kann es keine Kultur sein. Kultur ist nur von und fuer Eliten, und wird auch nur von ihnen wirklich verstanden.
Reden Sie davon, dass Computernetze von Amerikanern aufgebaut wurden. Dritte Faustregel: Amerikaner haben keine Kultur, und daher kann nichts Amerikanisches irgendeine kulturelle Bedeutung haben. Das weiss aber sowieso jeder.
Reden Sie davon, dass in Computernetzen auch lustige und spassige Dinge passieren. Vierte Faustregel: Intellektuell hassen Spass, weil es zeigt, dass man sich nicht der sehr ernsten Probleme unsere Welt hinreichend bewusst ist. Deswegen sehen Dichter und Denker immer so aus, als haetten sie schlimme Haemorrhoiden.
Zusammengefasst haben wir also:
Das Internet ist eine neue ueberfluessige Hochtechnologie,
dessen Ziel es ist, auf Kosten des menschlichen Geistes beim
einfachen Buerger auf elektronischem Weg durch niveaulose
Unterhaltung den kulturellen Untergang der westlichen Welt zu
beschleunigen.
Eine besondere Herausforderung bei Intellektuellen ist, dass diese Jungs und Maedels meist leider ziemlich gut Englisch koennen. Sie muessen also bei den Kameraeinstellungen aufpassen, sonst fragt sich einer von den Besserwissern, ob alt.sex.abuse.recovery vielleicht etwas mit der Behandlung und Betreuung von Vergewaltigungsopfern zu tun habe?
Inzwischen hat c't seine Meinung offenbar geaendert, aber als Deutschlands fuehrende Computerzeitschrift hat man gewisse Verpflichtungen gegenueber den Moeglichkeiten der modernen Technologie. Sie nicht. Also schauen Sie sich im Netz um, schreiben Sie darueber Ihren Bericht, und loggen Sie sich dann aus. Aber schnell. Bis die Post sich bequemt hat, die Snailmail-Leserbriefe bei Ihnen abzuliefern, sollten Sie schon am naechsten Artikel arbeiten. Wenn Sie echtes Feedback haben wollten, wuerden Sie schliesslich nicht fuer ein Massenmedium arbeiten.
Daher: bitte nicht mehr Informationen als noetig. Alles, was ueber die Message und den drei Reizthemen hinausgeht, koennte den Leser oder Zuschauer nur neugierig machen und ihm die Illusion geben, es koennte mehr im Netz geben ausser Sex und schlimmeren Perversionen. Das kann keiner von uns wollen. Seien Sie vorsichtig, wen und wieviel Sie zitieren. So sollten die pfui-bah Worte "Standleitung" und "Eigenbezahlung" niemals zu hoeren oder sehen sein.
Das Internet ist ein wunderbares Gebilde und bietet dem gehetzten und unter Quotendruck stehenden Journalisten alles, was er fuer eine schnelle Geschichte ohne viel Aufwand braucht - solange er verantwortungsvoll und vorsichtig mit dieser gemeinsamen Quelle umgeht. Fuer ihn ist es dann, wie wir schon gesagt haben, wirklich wunderbar einfach.
Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der ganzen Wahrheit jedem Journalisten auf elektronischem Weg eine quotentraechtige Scheinreportage ohne viel Arbeit moeglich zu machen.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Tips einen leichten Einstieg gegeben zu haben. Viel Glueck und uns allen weiterhin ein gutes Gelingen. Scot W. Stevenson scot@catzen.gun.de Essen, Germany