FITUG e.V.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft

SEX UND DAS INTERNET - Version 1.0 Febuar 1995

Eine kurze Anleitung fuer Reporter und Journalisten

Author was Scot W. Stevenson

Der WDR tut es, ZAK tut es, c't hat es getan, Und EMMA tut es immer wieder: Berichte ueber Sex im Internet bringen. Warum sie das tun, ist klar. Es ist eines der heissesten Themen der deutschen Presse, Menschen regen sich auf, Emotionen schlagen hoch - oder lassen sich zumindest damit hochschlagen. Kurz gesagt: Berichte ueber Sex, mitteln auf der Datenautobahn der schoenen neuen Computerwelt, sind in.

Dieser Text soll eine Hilfestellung bieten, wie auch Sie sich in die erfolgreichen Reihen von Journalisten und Reportern eingliedern koennen, die mit dem Thema Sex im Internet einen so grossen Erfolg hatten. Schliesslich wollen Sie nicht das Rad von vorne erfinden, und ausserdem haben sich inzwischen unter Kollegen gewisse Konventionen gebildet, die auch Sie einhalten sollten.

Sie werden staunen, wie einfach es ist.

WAS SO SCHOEN AN DEM THEMA IST

Fuer Sie als Reporter ist dieses Thema einfach zu verlockend, um nicht aufgegriffen zu werden: Man muss keinen grossen Aufwand fuer Recherchen treiben (falls man es ueberhaupt fuer noetig haelt, welche zu machen), es umfasst drei Reizthemen auf einmal (Hochtechnologie, Steuerverschwendung und natuerlich Sex), und die Messsage ist so einfach, dass selbst der bloedeste Ruhrpottler sie verstehen kann. Fangen wir mit dem letzten Teil an:

DIE MESSAGE

Alle erfolgreichen Berichte ueber das Internet basieren auf der folgenden Feststellung:
Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der Steuerzahler jedem Hochschulangehoerigen auf elektronischem Weg Pornographie zugaenglich zu machen.

Machen Sie sich ueber die Details keine Sorgen. Wie wir unten sehen werden, werden Sie diese Message fuer Ihre jeweilige Zielgruppe etwas anpassen muessen. Aber da Ihr durchschnittler Zuschauer zB. den Unterschied zwischen dem Internet und dem FidoNet nicht erkennen wuerde, wenn er darauf sitzen wuerde, brauchen Sie weder sorgfaelltig zu arbeiten, noch sich alle Feinheiten merken. Verallgemeinern Sie also, um bei unserem Beispiel zu bleiben, im Zweifelsfall einfach ueber _alle_ Computernetze. Die Message aendert sich nicht, und schliesslich geht es - nach den Quoten - beim Journalismus immer um die Message. Wenn die durchkommt, egal wie, sind Sie ein guter Reporter.

SEX

Schon auf der der Uni haben Sie gelernt, dass Sex sich gut verkauft. Sie haben auch gelernt, dass ein anspruchsvoller Journalist nicht mit dem Sex an sich die Zuschauer koedert, sondern mit einem Bericht ueber Leute, die diesen Sex konsumieren. Damit haben Sie Entschuldigung, Bilder von nackten Frauen zu zeigen (natuerlich nur zur Dokumentation), und behalten trotzdem Ihre moralische Ueberlegenheit. Auch das wissen Sie als guter Journalist.

Das Internet eignet sich, wie alle Computernetze, hervorragend zu diesem Zweck. Schliesslich hat der Zuschauer keine Ahnung, wie ein Pornobild auf einem Computerschirm aussieht - Sie haben also die journalistische Pflicht, es ihm zu zeigen. Moeglichst mehrfach, damit er sich ein abgrundetes Bild machen kann. Die Moralapostel werden entsetzt sein, wie frei das zugaenglich ist, die visuell veranlagten werden sich ueberlegen, warum sie nicht damals doch Informatik studiert haben, und der ganz normale Zuschauer wird einfach nur auf die Bilder gucken. Sex verkauft sich immer, und Sex ist immer noch der Quotenbringer Nummero Uno.

Machen Sie Sex zu Ihrem Hauptthema. Um es fuer Sie einfacher zu machen, haben die Internet-Leute netterweise alle wichtigen Gruppen unter alt.sex.* eingeordnet, also am Anfang an dieser langen Liste von Newsgruppen. Auch wenn es diese weiteren Gruppen gibt, viele davon sogar, sollten Sie der Versuchung widerstehen, zu viel Zeit mit ihnen zu verschwenden. Erstens sind die alle sowieso auf Englisch - und wir wissen ja alle, dass das mit Ihrem Schul-Englisch nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte, nicht wahr - und zweitens wird da eh nur technischer Krimskrams besprochen. Also: konzentieren Sie sich auf das Wesentliche, auf das, was die Quoten bringt, und ignorieren Sie den Rest. Konzentrieren Sie sich auf den Sex.

HOCHTECHNOLOGIE

Spaetestens seit der Diskussion ueber die andere Hochtechnologie, der Gen-"Manipulation", weiss jeder Journalist, wie der Hase laeuft: die Volksmeinung ist radikal technikfeindlich, und wer die Quote kriegen will, tut gut daran, dieser Einstellung brav zu folgen. Sie kennen doch sicherlich den Witz:

Ein Amerikaner, ein Japaner und ein Deutscher bekommen eine neue Technologie erklaert. Der Amerikaner sagt: "Wow, damit koennen wir die Commies besser in schach halten - kann man das nicht auch fuer Kinofilme verwenden?" Der Japaner sagt: "Interessant, damit koennen wir viel Geld machen - aber geht das Gehaeuse wirklich nicht kleiner?" Der Deutsche sagt: "Oh mein Gott, das wird uns alle umbringen - warum ist es noch nicht verboten worden?"

Als Journalist folgen sie also einfach weiter dem ersten Journalistischen Technologie-Axiom fuer deutsche Zuschauer - jede neue Technologie ist boese - und es kann eigentlich gar nichts schiefgehen.

Zur Untermauerung dieser These sollten Sie noch andere selbsternannte Experten hinzuziehen. Die richtigen Paedagogen ("Nur Holzspielzeug kann vermeiden, dass ihr Kind zu einem Axtmoerder wird"), Psychologen ("Der dauernde Kontakt mit einer Maschine fuehrt zu einer inneren Vereinsammung. Daher ist die heute Kontaktarmut eine dirkete Folge der Erfindung des Telephons"), und Aesthetiker - was das auch immer ist - geben dem ganzen Bericht noch eine zusaetzliche Dimension. Bemerken Sie, dass sie selbst eigentlich nicht verstehen muessen, um was es da eigentlich geht, denn Ihr Zuschauern weiss es ja auch nicht. Und falls doch, ist er auch ein Internetler, und sowieso weder objektiv noch als Zielgruppe fuer Sie interessant.

STEUERVERSCHWENDUNG

Nicht erst seit dem Solidaritaetsbeitrag hat der Buerger ein gutes Gespuer dafuer, was mit seinem Geld passiert. Werden Milliarden aus dem Fenster geworfen, gibt es da maechtig Aerger. Und diese selbsternannten Uni- Intellektuellen in ihren Elfenbeintuermen sind sowieso verdaechtig: jeder weiss, dass alle Stundenten faul sind, und auch die Professoren arbeiten nur dann, wenn es ihnen passt. Und das Internet existiert ja nur an den Unis, oder? Na also.

Auf dem ersten Blick scheint es schwierig zu sein zu erklaeren, wie genau die Steuern verschwendet werden. Schliesslich weiss Ihr Publikum etwa soviel ueber Computer wie Sie. Aber das muss es auch nicht sein: erwaehnen Sie nur, dass die Computer ueber Leitungen (vereinfachen Sie und sagen Sie einfach "Telephonleitungen", wer wird das schon merken) miteinander verbunden sind, und dass der ganze Schweinkram darueber verschickt wird. Dank der Preispolitik der Telekom wird jeder Zuschauer sofort wissen, dass hier Millionen, wenn nicht sogar Milliarden verschwendet werden. Der Umzug nach Berlin ist im Vergleich dazu bestimmt nur Peanuts. Und peng!, schon haben Sie Millionen von empoerten Zuschauern. Empoerte Zuschauer schreiben empoerte Briefe, die Sie dann Ihrem Chef zeigen koennen. Und das ist das Beste, was Ihrer Karriere passieren kann.

Eigentlich muessen Sie nur bei dem Bericht ueber die Kosten ein bestimmtes Wort vermeiden: "Standleitung". Dazu unten mehr. Sonst koennen Sie auch hier nicht verlieren.

Aber was wirklich schoen an dem Thema ist: Ihre Kollegen haben schon so viel Vorarbeit geleistet, dass der Zuschauer schon eine Erwartungshaltung hat. Wenn ein Deutscher das Wort Internet hoert, weiss er, worum es gehen wird:
Gefaehrliche Technik, Steuerverschwendung, und Sex. Und wenn er sonst nichts anderes behalten hat, wird der Zuschauer immer wissen, dass es um Sex geht. Denn bisher hat kein einziger populaerer Artikel ueber Computernetze das Thema Sex ausgelassen. Inzwischen erwartet Ihr Zuschauer oder Leser also, dass es in einem Artikel ueber Computernetze frueher oder spaeter ueber Sex gehen wird. Alles, was Sie tun muessen, ist diese Erwartungshalten erneut zu befriedigen.

Haben wir nicht gesagt, dass es einfach sein wuerde?

WIE SIE ARTIKEL SCHREIBEN, GEORDNET NACH ZIELGRUPPEN

Journalisten sind wie Angler, sie waehlen den Koeder nach dem Fisch. Obwohl Sie mit der Message und den drei Themen alleine schon problemlos Ihrem Verlag oder Sender eine Freude machen koennen, koennen Sie Ihrem Artikel den letzten Schliff geben, wenn Sie etwas auf die Zielgruppe achten. Hier einige unserer Tips:

Wenn Sie fuer ein rechtes Publikum schreiben:

Ihre Leser werden sowieso nichts gutes vom Internet halten - schaut euch doch das Studentenpack vor den Uni-Terminals an, diese langhaarigen, schmalbruestigen Cyberhippies. Jeder Rechte weiss, dass Unis sowieso nur Steuerverschwendung sind, Sie brauchen also nicht zu lange auf diesem Teil herumzureiten. Aber dafuer koennen Sie mit dem normalen Sexthema nicht so viel reissen. Ein echter Rechter hat nichts gegen einen guten Fick, solange die Frau vorher das Haus sauber gemacht hat und sie dabei das Essen nicht anbrennen laesst. Hier sollten Sie vielleicht ein paar wertvolle Minuten mit der Sprache der Netzler verschwenden, um so herauszufinden, was sich fuer Kreaturen in der alt.sex.motss herumtreibt. In diesem Fall lautet die Message naemlich besser:

Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der anstaendigen Steuerzahler unseres schoenen Landes jedem schwulen Hochschulsozi auf elektronischem Weg den Kontakt zu anderen perversen Verfassungsfeinden zu ermoeglichen.

Wenn Ihren Lesern erstmal klar wird, dass das Internet fuer Schwule und Lesben weit offen ist, und dass die sich da auch frei ueber alles (also, oh mein Gott, _alles_) reden duerfen, ist der Artikel ein garantierter Erfolg.

Wenn Sie fuer ein linkes Publikum schreiben:

Auch hier haben Sie schon einen Bonus: Ein echter Linker mag das Internet eh nicht, weil es von Amerikanern erfunden wurde. Und die Amis sind bekanntlich an allem Schuld, von dem Untergang des wahren Sozialismus in Nicaragua bis zu der Tatsache, dass die roten Gummibaeren einfach nicht mehr so gut schmecken wie frueher. Das Internet ist fuer ihn nichts anderes als ein Brueckenkopf des fortgesetzten Kulturimperialismus der kontrarevolutionaeren Kraefte. Da sich jeder Linke fuer einen Intellektuellen haelt, sollten Sie sich besonders gut die Empfehlungen zu Intellektuellen durchlesen - auch wenn die meisten Linken auch nur der bundesweiten Tendenz zum Zweitbuch hinterherlaufen.

Wenn Sie fuer radikale Feministinnen schreiben:

Das ist Ihre ideale Zielgruppe. Ehrlich. Sie brauchen hier nicht ueber Steuerverschwendungen zu erzaehlen: Steuern werden von Maennern verteilt, und wandern schon deswegen immer in die falschen Kanaele. Auch das mit der Hochtechnologie wird Ihnen geschenkt: Fuehrende Radikalfeministinnen haben schon die Gentechnologie zum Werkzeug der Maenner deklariert, mit denen sie die Frauen machtlos machen wollten. Warum sollte das mit einer anderen Hochtechnologie anders sein?

Konzentrieren Sie sich auf Sex, und erwaehnen Sie immer und so oft es geht, dass im Internet mehr Maenner sind als Frauen. Schon allein deswegen ist jedes Problem, dass durch das Internet entstanden ist, besteht, entstehen wird, oder entstehen koennte, offensichtlich auf die Maenner zurueckzufuehren. Ihre Message sieht also so aus:

Das Internet ist eine auf Maenner zugeschnittene Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der Frauen jedem Mitglied Ihres emotional verkrueppelten Geschlechtes auf elektronischem Weg Schweinebilder zugaenglich zu machen. Dazu kommt noch eine Erweiterung:

Frauen sollen so aus allen wichtigen Stellen vertrieben -, und die Anzahl der Vergewaltigungen gesteigert werden.

Bemerken Sie, dass dank des unter radikalen Feministen ueblichen Dogmas einige Zusammenhaenge immer implizit in Ihrem Bericht enthalten sein werden, auch wenn Sie es selbst vielleicht gar nicht gewusst haben. So zum Beispiel:

Zwar muessen Sie diese Dogmata wie gesagt nicht erwaehnen, aber wenn Sie wissen, wie Ihre Leserinnen denken, koennen Sie natuerlich einen viel besseren Artikel schreiben.

Weiter: Zeigen Sie moeglichst viele Bilder. Eine der Kameraeinstellungen, die inzwischen Pflicht sind, ist die eines Bildschirms mit einer Liste der alt.sex.* Gruppen. Suchen Sie sich eine, besser, mehrere Frauen als Interviewpartner. Und auch einen maennlichen Boesewicht brauchen Sie mindestens, als lebendiges Beispiel fuer die Tiefen, zu denen ich das primitivere Geschlecht herablassen kann. Und man kann es nicht oft genug sagen: betonen Sie immer wieder, dass das Netz so gut wie rein maennlich ist.

Daneben sollte man noch einige formale Details beachten, um optimal die Message herueberbringen zu koennen:

Dummerweise sinkt der Maenneranteil im Internet stetig, was Ihnen als Reporter auf lange Sicht die Tour vermiesen koennte. Inzwischen haben sich zwei grundsaetzliche Methoden herausgebildet, um diesem Trend entgegenzusteuern:

Trotz der Vielzahl von Details, die man bei einem Bericht fuer radikale Feministinnen beachten muss, gibt es keine Gruppe, die Berichte ueber Sex im Internet mit mehr Begeisterung und weniger kritischem Nachdenken aufnimmt. Sie muessten sich schon ziemlich anstrengen, um einen Bericht fuer diese Zielgruppe zu vermasseln.

Wenn sie fuer die Kirche arbeiten:

Hier ist erstaunlich viel Fingerspitzengefuehl noetig, denn Kirchenmitglieder sind zwar meist ueber Sex entsetzt, aber zuviel Sex in einem Bericht stoesst sie eher ab. Also: reden Sie davon, aber keine expliziten Bilder, und nur dezente Texte. Die meisten Radikalchristen werden eher Bedenken gegen den ungefilterten Kontakt der Internetbenutzer mit den Mitgliedern anderer Religionen (wie in der talk.religion.buddhism) haben, wie auch gegen die Moeglichkeit der New Ager, sich hier breit zu machen. Verglichen damit fallen Faktoren wie die Verschwendung von Steuermitteln und die Gefahren der Hochtechnologie nicht richtig ins Gewicht. Die Kirche hat, wie Ihnen jedes Land mit Ueberbevoelkerung gerne bestaetigen wird, eben ihre eigenen Prioritaeten. Hier laesst sich die normale Message nicht uebertragen. Weil man als Reporter hier selbsttaetig arbeiten muesste, gibt es auch kaum Texte zum Thema Internet und Kirche.

Wenn Sie fuer Intellektuelle (oder Linke) schreiben:

Auch Intellektuelle muss man gesondert behandeln. Sie koennen bei dieser Gruppe nicht ueber die Unis herziehen, da die meisten von ihnen entweder an einer Universitaet sind oder von einer kommen. Und auch mit der Steuerverschwendung muessen Sie etwas aufpassen. Zu leicht kann es passieren, dass jemand von diesem Pazifistenpack aufsteht und Sie darauf aufmerksam macht, dass das ganze Geld fuer das deutsche Internet nicht die kleinste Schraube am Hoehenruder eines EuroFighters bezahlen wuerde. Intellektuelle sind entweder Besserwisser oder Klugscheisser, und meistens beides.

Und diese Gruppe ist auch die einzige, die Sie nicht mit Sex schocken koennen, egal in welcher Form. Zum intellektuellen Selbstverstaendnis gehoert es, alle Spielarten als "interessant", und jedes Bild eines nackten Menschen als hoechstens "erotisch", nie aber als pornographisch einzustufen. Was nuetzt ihnen das Bild einer nackten nimm-mich Frau, wenn so ein Typ aus dem Fachbereich Kunst das einfach als eine gelungene neo-dadaistische Interpretation von Gustave Moreau's "Galatea" intellektualisiert und die transformatorische Uebertragung in den Bereich der postmodernen Sozialkritik lobt? Selbst wenn sie einen von diesen Leuten dazu bringen koennen, etwas als Pornographie einzustufen, gibt es diese entsetzliche intellektuelle Tradition der Meinungsfreiheit. Sex koennen Sie also auch vergessen.

Ihnen bleibt nur die Hochtechnologie. Zum Glueck funktioniert das blendend. Intellektuelle sind die Leute, die ueber Jahrhunderte hinweg tapfer versucht haben, jede Ausbreitung oder Aenderung von Medien zu verhindern. Die Kirchengelehrten haben ihr bestes getarn, um Buecher und Buchdruck in "verantwortungsvollen" Haenden zu halten, und ein gewisser Rousseau war der felsenfesten Meinung, dass man dem gemeinen Poebel nicht Lesen oder Schreiben beibringen sollten, weil es ihre "natuerliche Kultur" zerstoeren wuerde. Wenn man die heutigen Intellektuellen reden hoert, wird einem schnell klar, dass sie noch nicht einmal mit dem Schock des Fernsehens zurecht gekommen sind, geschweige denn sich mit Computern angefreundet haben. Wenn es nach ihnen ginge, wuerden alle nach der Arbeit nach Hause gehen und artig Gedichte lesen oder mit der ganzen Familie ueber die Besetzung des Schweizers in der neusten Inszenierung von "Die Raeuber" diskutieren. Und wie die Nacktszene die immerwaehrende Verletzbarkeit des menschlichen Geistes aufzeigte. Das koennen Sie ausnutzen.

Reden Sie davon, dass Computernetze mit Elektronik zu tun haben. Erste Faustregel: Nichts, was Strom verbraucht, kann etwas mit Kultur zu tun haben. Also weder Fernsehen noch Telephon noch Radio, und schon gar keine Computerspiele. Nicht mal Myst. Reden Sie zudem davon, dass potentiell jeder Buerger eines Tages Zugang zum Internet haben koennte. Zweite Faustregel: wenn mehr als zwanzig Leute in der ganzen Republik etwas machen, kann es keine Kultur sein. Kultur ist nur von und fuer Eliten, und wird auch nur von ihnen wirklich verstanden.

Reden Sie davon, dass Computernetze von Amerikanern aufgebaut wurden. Dritte Faustregel: Amerikaner haben keine Kultur, und daher kann nichts Amerikanisches irgendeine kulturelle Bedeutung haben. Das weiss aber sowieso jeder.

Reden Sie davon, dass in Computernetzen auch lustige und spassige Dinge passieren. Vierte Faustregel: Intellektuell hassen Spass, weil es zeigt, dass man sich nicht der sehr ernsten Probleme unsere Welt hinreichend bewusst ist. Deswegen sehen Dichter und Denker immer so aus, als haetten sie schlimme Haemorrhoiden.

Zusammengefasst haben wir also:
Das Internet ist eine neue ueberfluessige Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten des menschlichen Geistes beim einfachen Buerger auf elektronischem Weg durch niveaulose Unterhaltung den kulturellen Untergang der westlichen Welt zu beschleunigen.

Eine besondere Herausforderung bei Intellektuellen ist, dass diese Jungs und Maedels meist leider ziemlich gut Englisch koennen. Sie muessen also bei den Kameraeinstellungen aufpassen, sonst fragt sich einer von den Besserwissern, ob alt.sex.abuse.recovery vielleicht etwas mit der Behandlung und Betreuung von Vergewaltigungsopfern zu tun habe?

WARNUNGEN

Bei jedem Bericht gibt es einige Fallgruben, die Sie unbedingt vermeiden sollten:

WAS NICHT WICHTIG IST

ZU IHRER SICHERHEIT

Als Reporter sind Sie gewoehnt in einem System zu arbeiten, wo einer (Sie) redet, und alle anderen (die Leser oder Zuschauer) nur passiv aufnehmen. Im Internet ist das anders. Wenn Sie den katastrophalen Fehler machen, selbst eine Internetadresse zu haben, und die dann auch noch bekannt zu geben, werden sich auf einmal mehr Leute per Mail melden, als Sie jemals von hoeren wollten. Das Internet erlaubt hemmungslosen Feedback an den Autor. Das sollten Sie direkt unterbinden: geben Sie _niemals_ Ihre Emailadresse mit dem Artikel bekannt. Sie werden nicht fuer Feedback bezahlt, sondern fuer neue Berichte. Als Vorbild sollte Ihnen der Autor von "Nur aus technischem Interesse" aus c't 11/1991, Martin Fischer, dienen. Fischer schreib damals einen Bericht ueber Pornographie in Computernetzen, der Schule machte, mit Bildern von nackten Frauen und allem, was dazugehoert - und dachte gar nicht daran, seine Emailadresse anzugeben. Als bei c't nachgefragt wurde, warum das so sei, antwortete die Zeitschrift (Heft 12/1991), dass sie Email nicht fuer so geeignet hielten wie normale Leserbriefe.

Inzwischen hat c't seine Meinung offenbar geaendert, aber als Deutschlands fuehrende Computerzeitschrift hat man gewisse Verpflichtungen gegenueber den Moeglichkeiten der modernen Technologie. Sie nicht. Also schauen Sie sich im Netz um, schreiben Sie darueber Ihren Bericht, und loggen Sie sich dann aus. Aber schnell. Bis die Post sich bequemt hat, die Snailmail-Leserbriefe bei Ihnen abzuliefern, sollten Sie schon am naechsten Artikel arbeiten. Wenn Sie echtes Feedback haben wollten, wuerden Sie schliesslich nicht fuer ein Massenmedium arbeiten.

EINE LETZTE BITTE AUS JOURNALISTISCHER FAIRNESS

Sex im Internet hat schon Hunderte von Ihren Kollegen ueber Perioden hinweggeholfen, in denen man sonst nur ueber sauere Gurken berichten konnte. Helfen Sie mit, dieses Thema fuer zukuenftige Generationen von Reportern nuetzlich zu halten - schliesslich kann man nicht erwarten, dass Charles und Di immer zur rechten Zeit in die Bresche springen. Schlachten Sie nicht die Gans, die uns alle mit solch goldenen Eiern versorgt.

Daher: bitte nicht mehr Informationen als noetig. Alles, was ueber die Message und den drei Reizthemen hinausgeht, koennte den Leser oder Zuschauer nur neugierig machen und ihm die Illusion geben, es koennte mehr im Netz geben ausser Sex und schlimmeren Perversionen. Das kann keiner von uns wollen. Seien Sie vorsichtig, wen und wieviel Sie zitieren. So sollten die pfui-bah Worte "Standleitung" und "Eigenbezahlung" niemals zu hoeren oder sehen sein.

Das Internet ist ein wunderbares Gebilde und bietet dem gehetzten und unter Quotendruck stehenden Journalisten alles, was er fuer eine schnelle Geschichte ohne viel Aufwand braucht - solange er verantwortungsvoll und vorsichtig mit dieser gemeinsamen Quelle umgeht. Fuer ihn ist es dann, wie wir schon gesagt haben, wirklich wunderbar einfach.

Das Internet ist eine neue Hochtechnologie, dessen Ziel es ist, auf Kosten der ganzen Wahrheit jedem Journalisten auf elektronischem Weg eine quotentraechtige Scheinreportage ohne viel Arbeit moeglich zu machen.

Wir hoffen, Ihnen mit diesen Tips einen leichten Einstieg gegeben zu haben. Viel Glueck und uns allen weiterhin ein gutes Gelingen. Scot W. Stevenson scot@catzen.gun.de Essen, Germany

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft, JPL, 06.06.97
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