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Re: [FYI] "What if somebody patentened a legal argument"?



Ich quotete:
>http://www.oreillynet.com/pub/a/patents/2000/05/24/PizzoFiles.html

>Tim: How would you feel if a lawyer was able to patent an
>argument? 

>Dickinson: If it was new and non-obvious, I wouldn't have a
>problem with it at all. 

>Tim: And the ability to basically extract a royalty from other
>lawyers for using that same legal argument? 

>Dickinson: As I say, if it's new, and if it met the statutory
>standards for patentability (and that's the key question here), and
>it was incorporated into software in some form, that wouldn't be a
>problem. 

>Tim: No, not in software. Just in actual, in court. 

>Dickinson: Well, I don't want to deal in hypotheticals. The courts
>haven't dealt with that question. 

Ich glaube, dieser Ausschnitt der Argumentation zwischen den
beiden geht direkt ins Zentrum der Sache. 

Wir kennen aus vielen Fachgebieten, dass die beteiligten
Parteien sich einer spezialisierten Sprache bedienen, um ihre
fachliche Argumentation praeziser zu machen. 

In der Juristerei verwendet man zu diesem Zweck oft Worte aus
dem allgemeinen Sprachgebrauch, die im Kontext des Fachgebietes
jedoch eine genau definierte, vom allgemeien Sprachgebrauch
subtil verschiedene Bedeutung erhalten. Laien glauben oft, zu
verstehen, was gesagt wird, aber da ihnen diese speziellen
Definitionen nicht gelaeufig sind, missverstehen sie das Gesagte
und laufen am Kern der Sache vorbei.

In der Mathematik ist die Verwendung einer besonderen Sprache
besonders augenfaellig: Waehrend Laien etwa einen mathematischen
Beweis wegen der vielen Sonderzeichen manchmal noch nicht einmal
vorlesen koennen, koennen Mathematiker mit einem solchen
Dokument nicht nur etwas anfangen, sondern mit Mehrarbeit sogar
dann, wenn der begleitende Text in einer Sprache geschrieben
ist, die sie nicht verstehen.

Auch in der Softwareentwicklung ist es so, dass eine
spezialisierte Sprache, ja sogar eine ganze Familie von
besonderen Sprachen - Programmiersprachen naemlich - verwendet
wird, um Argumentationen aufzuschreiben. Programmierer, die
einander gegenueberstehen und um eine Sache argumentieren,
ertappen sich oft dabei, wie sie Code oder Pseudocode schreiben
oder gar reden, weil normale Sprache nicht exakt genug ist, um
die Nuancen dessen zu erfassen, was sie sagen wollen.

   Seitennotiz:

   Die Beherrschung der Sprache ist natuerlich Voraussetzung.
   Mir persoenlich ist das so sehr in Fleisch und Blut
   uebergegangen, dass ich oftmals sage: "Wenn Ihnen das nicht
   gefaellt, und sie lesen und schreiben koennen, ich meine,
   <Programmiersprache> lesen und schreiben koennen, dann
   koennen Sie das leicht aendern." Genau darum sollte man an
   einer Schule programmieren lehren, in welcher Sprache und
   womit auch immer, egal ob die betreffenden Kinder oder
   Jugendlichen spaeter in dieser Branche arbeiten wollen/sollen
   oder nicht.


Open Source Software ist eigentlich nur eine logische
Fortsetzung dieser Beobachtung: Argumente haben nur dann eine
Wirkung, wenn man sie mitteilt und sie werden nur dann besser,
wenn man sie gebraucht. Die Open Source-Bewegung ist die Folge
der Behauptung, dass Software eben nicht ein Produkt ist, das
man fertigstellt und dann einsetzt. Die Open Source-Bewegung
behauptet stattdessen, dass Software ein Prozess ist, der einen
Dialog zwischen den Leuten darstellt, die die betreffende
Sprache beherrschen. Zwar kommt in regelmaessigen Abstaenden
eine Art Produkt dabei heraus, aber dies ist nur ein
Zwischenstand - ein Snapshot.

Seltsamerweise wird bei den einschlaegigen Open Source
Evangelistas der Gedanke des Prozesses, der Dialog zwischen den
beteiligten Parteien gegenueber der Moeglichkeit des blossen
Zugangs zu den Quelltexten in den Hintergrund gestellt, dabei
ist dieser Punkt genauso wichtig: Was nuetzt es mir, den Source
von x lesen zu duerfen, wenn ich nichts dran aendern darf oder
nichts daraus verwenden darf? In Richard Stallmans GNU Manifesto
ist dieser Gedanke noch fest verankert, aber wenn man Eric
Raymond und andere modernere Open Source Advokaten reden hoert,
dann geht dieser Aspekt argumentativ oft unter - dafuer findet
man diesen Gedanken ohne ihn spezifisch an "Software" zu finden
in einer sehr ausgepraegten Form bei http://www.cluetrain.com/
("The Cluetrain Manifesto: 1. Markets are conversations")

Weil Open Source Software aber ein Dialog ist, weil
jede funktionierende Softwarentwicklung immer ein Dialog ist,
darum sind Softwarepatente genausowenig schutzwuerdige
Innovationen und der Foerderung von Forschung und Technik
dienlich, wie es die Patentierung juristischer Argumente zum
Gebrauch vor Gericht waere. Softwarepatente nehmen derjenigen Seite
des Dialoges, die nicht Lizenzhalter des Patentes ist, die
Sprache. Sie verdammen sie zu einer Anwenderrolle und machen sie
stumm im Dialog der Weiterentwicklung. 

Man stelle sich die Eingangssituation doch bitte einmal bildlich
vor: Sie werden, warum auch immer, angeklagt und finden sich vor
Gericht wieder. Ihr Anwalt, gut ausgestattet mit einer Reihe von
Argumenten, die er brav von grossen Anwaltsbueros lizensiert hat
und von denen er einige sogar selbst entwickelt hat, vertritt
sie vor Gericht - muss er, denn sie selber koennten sich die
Lizenzen fuer Argumente fuer den privaten Gebrauch gar nicht
leisten. In der Vorbesprechung dann der Streit: Sie schlagen
diese oder jene Taktik vor, doch: "Leider ist diese
Argumentation schon patentrechtlich geschuetzt und der Inhaber
lizensiert uns nicht. Wir haben das schon oefter angefragt."
Und: "Wenn es uns jedoch gelingt, den Prozess bis nach dem
Ablauf dieses Patentes zu verzoegern, koennten wir jene
Argumentation verwenden und haetten so eine Chance."

Ihnen kommt diese Situation unrealistisch vor?
Verfassungswidrig? Dies ist genau die Situation, in der sich
Ihre Softwareentwickler bald befinden werden.

Kristian