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Re: Hydraulische Gesellschaften....



> Ein kurzer, sonst nicht so interessanter Text in nettime bringt mich zu
> der Frage, was unterscheidet den Cyberspace eigentlich von den sogenannten
> "hydraulischen Gesellschaften" ? Das waren nach Wittvogel die
> Gesellschaften, die von einer komplizierten technischen Infrastruktur
> abhaengig waren, Wasser, was mehr oder weniger "faschistische" Strukturen
> nach sich zog... Ist der Cyberspace einfach weniger anfaellig fuer
> Manipulationen, die Infrastruktur, Kriegstechnik, dem Normalbuerger
> entzogener ? Vom Regen in die Traufe...  

Wittvogel spricht von "hydraulischer Despotie" oder auch "orientalischer
Despotie".  Er erklaert die extreme Verhaertung und Korruption der
Machtstrukturen von Mesopotamien bis China damit, dass sehr viele
Kleinbauern von einer Hydraulik-Infrastruktur abhingen, die auf einer
hohen Ebene von einem Grossreich verwaltet werden mussten.

Das Internet ist zwar keine solche Infrastruktur, aber die Tendenz zum
globalen Grossreich ist nicht zu uebersehen und wir m.E. viel zu
unkritisch bejubelt.  Die WIPO ist z.B. der demokratischen Kontrolle fast
ebenso fern wie der Kaiserpalast dem Kleinbauern.  Und es gibt eine starke
Juristenlobby, die sich einig ist, dass sie alle Entscheidungen auf
WIPO-Ebene treffen moechte.  Das hat nicht so sehr etwas mit angeblichen
Globalisierungszwaengen zu tun wie mit dem Machtwillen einer Schicht, die
so ihre Oligarchie zementieren kann.

Ein Grund, warum hydraulische Despotien sich verhaerteten war der, dass es
in ihrem Bereich keine Konkurrenz mehrerer kleiner Gemeinwesen gab.  Das
Glueck Europas lag darin, dass es ein geographisch zerspaltener Kontinent
war.  Insbesondere die Skandinavier lebten in kleinen Gruppen.  Z.T. waren
das vielleicht raeuberische Vikinger, aber es waren Leute, die wussten,
dass man Aerger kriegen kann, wenn man andere Individuen nicht achtet.  
Der chinesische Kleinbauer hat hingegen von Klein auf den Bueckling
gelernt.  Das faengt an mit der religioesen Ueberhoehung des Wertes der
"kindlichen Pietaet", die der Despotie als Vorwand diente, despotische
Strukturen in die Familie zu tragen und den Patriarchen mit eigentlich
unnatuerlichen Autoritaeten zu versehen --- wer gegen den Familienvater
rebellierte, wurde danach vom Staat mit Zerschnipselung in 10000 Stuecke
bestraft, weil das als das schlimmste Verbrechen des Menschengeschlechts
angesehen und propagiert wurde.  So wurden Ostasiaten von Grund auf zur
Unterwuerfigkeit und Kritiklosigkeit erzogen.  Die Folgen spuert man heute
noch.  Wittvogel spuert auch diesen Folgen nach.  Fuer ihn ist
insbesondere der Stalinismus die moderne Form der hydraulischen Despotie
und ihr direkter historischer Nachfolger.

In gewissem Umfang eignet sich auch der Globalismus, historischer
Nachfolger der hydraulischen Despotie zu werden.

China hat uebrigens die US/WTO-Forderungen nach moeglichst weitgehendem
Patentschutz schon uebererfuellt, um nur in die WTO aufgenommen zu werden.

-phm