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[FYI] [HEISE] ICANN: Wahlkampf hat begonnen



Hintergrund: Der ICANN-Wahlkampf läuft an
[21.09.2000 19:11 ]

Vielleicht bereuen manche Kandidaten für einen Sitz im Direktorium der 
Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) ihre 
Kandidaturen schon wieder ­ der erste europäische Internet-Wahlkampf der 
fünf von ICANN nominierten und der zwei von den Usern gewählten Kandidaten 
fordert auf jeden Fall eine Menge "Aufmerksamkeits"-Arbeit. Das von ICANN 
eingerichtete Frage-Antwort-Forum[1] ist nur eine Adresse, unter der die 
Kandidaten den Wählern Rede und Antwort stehen sollen. Morgen abend 
zwischen 18 und 20 Uhr können Wähler fünf der sieben europäischen 
Kandidaten beim Chat auf den ICANN-Europe-Seiten[2] des Fördervereins 
Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG e.V.) treffen. Am Montag 
zwischen 15 und 16 Uhr sind die drei deutschen Kandidaten auf dem 
Tagesspiegel-Podium[3] zu beobachten, das per Live-Stream auch im Internet 
verfolgt werden kann. Alle Europa-Kandidaten hätte man leider nicht dazu 
bitten können, bedauerten die Berliner Redakteure, das wäre babylonisch 
geworden.

Ohnehin werden den drei deutschen Kandidaten die besten Chancen bei der 
Wahl vom 1. bis 10. Oktober eingeräumt. Im Wahlkampf gehören sie zu den 
Aktivsten, allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. Die Berliner 
Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann, neben 
Chaos-Computer-Club-Sprecher Andy Müller-Maguhn von den Mitgliedern auf die 
Kandidatenliste gehievt, läßt kaum eine Frage auf einer Mailing-Liste 
unbeantwortet. 250 bis 300 Mails erhält sie täglich, mindestens 50 
substantielle Antworten pro Tag kann sie bewältigen. Wie der norwegische 
Kandidat Alf Hansen, ebenfalls zu Antworten auf alle Fragen der User 
bereit, beantwortet sie grundsätzliche ICANN-Fragen in einer FAQ. Trotzdem 
bedeutet der Wahlkampf für sie zur Zeit sieben Tage Arbeit in der Woche. 
Ein bisschen zusätzliche Werbung für Hofmann kommt vom US-Kandidaten 
Lawrence Lessig, der ihre Wahl empfiehlt.

Top-Favorit Müller-Maguhn, der mit mehr Stimmen als jeder andere Kandidat 
weltweit nominiert wurde, ist der Medienliebling ­ über ihn berichtet nun 
auch der deutsch-französische Kulturkanal Arte Anfang Oktober in einer 
Info-Sendung. Dem Medieninteresse nicht nur zum Thema ICANN muss der 
Berliner allerdings so viel Zeit widmen, dass er wenig an den Diskussionen 
über Mailing-Listen teilnehmen kann.

Für die perfekte eigene Wahlkampf-Website[4] samt allwöchentlichem Chat 
jeden Donnerstag um 17 Uhr, wie sie Winfried Schüller hat, reicht es da 
nicht mehr. Schüller, der wochenlang Anfragen an die Telekom-Pressestelle 
weitergeleitet hatte, verfügt eindeutig über das stärkste Back-Office. 
Obwohl er inzwischen betont, er kandidiere als Privatmann, kann man davon 
ausgehen, dass er seine Seiten nicht privat pflegt. Als Eigentümer der 
Domain winfriedschueller.de ist jedenfalls die Telekom-Tochter Te De Nova 
Berkom ausgewiesen. Auf eine ähnliche Unterstützung hätten wohl allenfalls 
die von verschiedenen Industrieverbänden favorisierten Kandidaten verfügen 
können, die allerdings nicht die notwendigen Nominierungsstimmen erhalten 
hatten. Letztlich bleibt die "private" Telekom-Kandidatur problematisch und 
die Aussage Schüllers, dass es keine Konfliktsituationen für den 
At-Large-Vertreter und Telekom-Mitarbeiter geben wird, wirkt naiv. Mit 
ähnlichen Vorbehalten hat übrigens auch der ebenfalls nominierte 
France-Telecom-Mitarbeiter Olivier Muron zu kämpfen.

Welche Wahlkampfstrategie aufgeht und ob die Faktoren Nationalität, 
professioneller Hintergrund, Web-Präsenz oder Medienbekanntheit den 
Ausschlag geben werden, bleibt abzuwarten. "Wir können die Faktoren nicht 
gewichten, weil wir die Wählerschaft nicht kennen," sagt Thomas Roessler 
von FITUG. Trotz vieler Bemühungen[5] um die statistische Auswertung der 
At-Large-Bewegung, ist derzeit noch nicht einmal klar, wie sich die 
Europa-Wählerschaft genau zusammensetzt. "Wir wissen auch nicht, wer der 
User eigentlich ist", sagt Roessler. Obwohl nach der umständlichen Prozedur 
der Wählerregistrierung nur noch die Hälfte der ursprünglich interessierten 
Mitglieder verblieben ist, stellt die Zusammensetzung der 76.504 Wähler den 
Unsicherheitsfaktor Nummer eins dar. Die ICANN-Europe-Liste, einziges 
europäisches Forum, das Kandidaten und Wähler aus den verschiedensten 
Ländern zusammengebracht hat, könnte so etwas wie eine Keimzelle für 
Europas ICANN-Öffentlichkeit werden. Darauf hoffen die ehrenamtlichen 
Organisatoren. In den USA wird ICANN-Europe bereits als Modell gehandelt.

Die Nordamerika-Kandidaten wurden indessen vom Berkman Center für den 2. 
Oktober eingeladen[6]. In den anderen drei Regionen Afrika, Asien/Pazifik 
und Lateinamerika/Karibik dümpelt der Wahlkampf demgegenüber nur müde vor 
sich hin: Auf dem Frage-und-Antwort-Forum für die Lateinamerika-Kandidaten 
hat sich noch gar niemand gerührt. Auf der Asien-Seite wird vor allem über 
Nicht-ICANN-Themen wie beispielsweise die Haltung der Kandidaten zu Chinas 
Ein-Land-Zwei-Systeme-Problem diskutiert. (Monika Ermert) (chr[7]/c't)



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URL dieses Artikels:
   http://www.heise.de/newsticker/data/chr-21.09.00-004/
Links in diesem Artikel:
   [1] http://members.icann.org/qa.html
   [2] http://www.fitug.de/icann-europe/index.html
   [3] http://www.tagesspiegel.de/Pubs/sonderthema7/pageviewer.asp?TextID=2009
   [4] http://www.winfriedschueller.de
   [5] http://www.icannnot.org/icannel.cgi?s=e&r=EU&l=d
   [6] http://cyber.law.harvard.edu/icann/candidateforum/
   [7] mailto:chr@ct.heise.de