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Vorschlag zur Praezisierung von Art 52 EPUe
- To: swpat@ffii.org
- Subject: Vorschlag zur Praezisierung von Art 52 EPUe
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Sun, 29 Oct 2000 23:05:03 +0100 (CET)
- cc: neues@ffii.org, debate@fitug.de
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Bitte um Diskussion auf swpat@ffii.org und um unterstuetzende Erwaehnung
bei den aktuellen EU-Konsultationen, an denen man etwa ueber
http://petition.eurolinux.org/consultation/
teilnehmen kann.
http://swpat.ffii.org/stidi/epue52/
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Vorschlag zur Präzisierung von Art 52 des Europäischen Patentübereinkommens
Die im Europäischen Patentübereinkommen 1973 festgelegten Grenzen des
Patentwesens im Laufe der Jahre verwischt worden. Die Patentämter
nutzten jede vermeintliche Unklarheit im Buchstaben des Artikel 52, um
ihren Einflussbereich auszuweiten. Die hier vorgeschlagene
Neuformulierung soll eine klare Grenzziehung wiederherstellen helfen.
1. Leitgedanken
Wir schlagen vor, der Liste der Einschränkungen ein explizites
theoretisches Fundament zu geben, um allen Missverständnissen[1]
jegliche Grundlage zu entziehen. Eine solche Explizierung des Art. 52
könnte durch folgende Gedanken gekennzeichnet sein:
1.1. Technizität
Der Begriff "technisch" wird im Sinne der klassischen Definition des
Bundesgerichtshofs (BGH) erklärt: planmäßiges Handeln unter Einsatz
beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren
Erfolges, der ohne Zwischenschaltung menschlicher Verstandestätigkeit
die unmittelbare Folge beherrschbarer Naturkräfte ist.
Innovative Computerprogramme sind immaterielle Informationsgebilde,
die für sich genommen nichts bewirken und folglich niemals technisch
sein können.
Innovative Computerprozesse sind zwar technischer Natur, aber ihr
innovativer Kern liegt meistens im untechnischen Bereich des Rechnens
mit gedanklichen Modellen (BGH-Kerntheorie).
Ein innovativer chemischer Prozess ist technisch, das
Computerprogramm, welches ihn vielleicht steuert, jedoch nicht. Eine
auf neuartigen Apparaturen und/oder neuer empirischer Erkenntnis über
Naturkräfte beruhende Problemlösung ist patentierbar, aber die
Veröffentlichung eines Programms zu ihrer Steuerung stellt weder eine
unmittelbare noch eine mittelbare Patentverletzung dar.[2]
1.2. Industrialität
Der Begriff "gewerblich" (engl. industrial, frz. industriel,
jap. sangyou = produzierendes Gewerbe) wird ebenfalls präzisiert, und
zwar im Sinne des traditionellen Verständnisses von "Industrie =
gewerbliche Gütererzeugung". Dieser Begriff ist mit dem klassischen
Technikbegriff fast identisch. Er fordert, dass es um automatisierte
Prozesse zur Fertigung materieller Güter unter unmittelbarem Einsatz
von Naturkräften gehen muss.[3]
Damit ist folgendem Szenario ein Riegel vorzuschieben, welches der
Software-Referent der Union der Europäischen Patentberater,
Patentanwalt Jürgen Betten, in einem Rundschreiben an seine Mandanten
ausmalt:
Durch die ... Entwicklung der Rechtsprechung ... hat sich das
Patentrecht von der traditionellen Beschränkung auf die
verarbeitende Industrie gelöst und ist heute auch für
Dienstleistungsunternehmen in den Bereichen Handel, Banken,
Versicherungen, Telekommunikation usw. von essentieller Bedeutung.
Ohne Aufbau eines entsprechenden Patentportfolios ist zu
befürchten, dass die deutschen Dienstleistungsunternehmen in diesen
Sektoren insbesondere gegenüber der US-amerikanischen Konkurrenz
ins Hintertreffen geraten.
Dies könnte bedeuteten, dass das Wort "gewerblich" in der deutschen
Fassung zu "industriell" geändert wird. Ferner sollte der Ausschluss
therapeutischer und chirurgischer Verfahren in Art. 52 verbleiben und
nicht nach Art. 53 transferiert werden, damit klar bleibt, dass diesem
Ausschluss die Forderung nach "industrieller Anwendbarkeit" zugrunde
liegt. Analog zur ärztlichen Therapiefreiheit ist auch die Freiheit
der Handwerker, Bauern und diverser freiberuflicher Dienstleister bei
der Ausübung ihrer Tätigkeit explizit vor dem Zugriff des Patentwesens
zu schützen. Das Steuerrecht ermutigt Programmierer, als Freiberufler
"nicht gewerblich" zu arbeiten, und die meisten von ihnen gehen heute
tatsächlich einer nominell oder de facto freiberuflichen Tätigkeit
nach.
1.3. Erfindung
Schließlich ließe sich auch der Erfindungsbegriff im Lichte der obigen
Überlegungen sinnvoll definieren. Der Begriff lässt sich am besten von
mehreren Seiten gleichzeitig beleuchten. Die vom EPA erarbeitete
zirkuläre Definition "technischen Lösung eines technischen Problems"
ist ebenso treffend wie die Rote-Taube-Formel des BGH und die [43]1977
von Gert Kolle herausgeschälte ballastfreie Version dieser Formel, bei
der es nur noch auf den Einsatz von Naturkräften und das
Unmittelbarkeitsprinzip ankommt. Ferner ist die u.a. [44]von einer
französischen Studie vorgeschlagene Trennung der Erfindung in Problem,
immaterielle Anweisung (Algorithmus) und materielle Basis erhellend.
Das Problem darf nicht patentiert werden, auch dann nicht, wenn seine
richtige Formulierung beträchtliche kreative Intelligenz erfordert.
Ähnliches gilt für den Algorithmus. Die Erfindungsleistung muss im
Bereich der materiellen Basis liegen. Diese besteht aus "Ausrüstung
und Wissen", was wiederum den Kreis zur "Technik-Definition der
Vereinten Nationen" schließt. Es bleibt zu diskutieren, ob sowohl eine
neue Ausrüstungsbasis als auch eine neue Wissensbasis oder nur eines
von beiden gefordert werden soll. Indem man eine neue Ausrüstungsbasis
fordert, kann man Antiblockiersystem-Patente ausschließen, bei denen
die Neuerung in der Gebrauchsanweisung oder dem Steuerungsprogramm
liegt, welche beide nicht als solche beansprucht werden können, so
dass die praktische Durchsetzbarkeit solcher Patente ohnehin fraglich
ist. Indem man eine neue Wissensbasis fordert, stellt man wiederum
sicher, dass die Problemlösung eine erfinderische Tätigkeit erfordert
und nicht etwa mithilfe künstlicher Intelligenz durch Simulation
ermittelt werden kann.
2. Unser Novellierungsvorschlag
Artikel 52: Erfindungen
1. Europäische Patente werden für Erfindungen erteilt. Eine Erfindung
ist
+ eine technische Lösung eines technischen Problems
+ eine Lehre, wie beherrschbare Naturkräfte unmittelbar zur
Erzielung eines bestimmten materiellen Ergebnisses eingesetzt
werden sollen
+ eine industrielle Anwendung einer neuen Ausrüstungs- und
Wissensbasis
Jede Erfindung besteht aus einer materiellen Basis, einer
immateriellen Handlungsanweisung (Algorithmus) und einem
materiellen Ergebnis. Zur materiellen Basis jeder technischen
Lösung gehört eine Anordnung von materiellen Gegenständen
(Ausrüstungsbasis) und ein Modell beherrschbarer Naturkräfte
(Wissensbasis). Eine technische Problemlösung ist nur und genau
dann eine Erfindung, wenn ihre materielle Basis neu ist und nur
durch eine beträchtliche menschliche Anstrengung (erfinderische
Tätigkeit) geschaffen werden konnte.
2. Als Erfindungen werden insbesondere nicht angesehen:
1. Entdeckungen sowie wissenschaftliche und mathematische
Theorien und Methoden
2. ästhetische Formschöpfungen
3. Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für
Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für
Datenverarbeitungsanlagen
4. Informationsstrukturen und Datenanordnungen aller Art sowie
Verfahren zu ihrer Erzeugung
5. von Ärzten, Handwerkern, Bauern und freiberuflichen
Dienstleistern aller Art in Hand- oder Kopfarbeit ausgeübte
Verfahren
3. Bisherige Version des §52
Artikel 52: Patentfähige Erfindungen
1. Europäische Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der
Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
2. Als Erfindungen im Sinn des Absatzes 1 werden insbesondere nicht
angesehen:
1. Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und
mathematische Methoden;
2. ästhetische Formschöpfungen;
3. Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für
Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für
Datenverarbeitungsanlagen;
4. die Wiedergabe von Informationen.
3. Absatz 2 steht der Patentfähigkeit der in dieser Vorschrift
genannten Gegenstände oder Tätigkeiten nur insoweit entgegen, als
sich die europäische Patentanmeldung oder das europäische Patent
auf die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche bezieht.
4. Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des
menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren,
die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden,
gelten nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen im Sinn des
Absatzes 1. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe
oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem der vorstehend
genannten Verfahren.
4. Neue Version des Art 52 laut EPA-Basisvorschlag
Das EPA möchte auf der [45]Diplomatischen Konferenz im November 2000
alle Reste einer Defintion der Begriffe Erfindung, Technizität,
industrielle Anwendbarkeit usw. aus dem Gesetz tilgen und stattdessen
die universelle Anwendbarkeit des Patentwesens postulieren. Das hat es
dem EPA ermöglicht, seinen Vorschlag sehr kurz zu halten:
Artikel 52: Patentfähige Erfindungen
Europäische Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der
Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
5. Weiterer Klärungsbedarf
In obigem Vorschlag fehlt eine Abgrenzung für den umstrittenen Bereich
der Gentechnologie. Es läge aber nahe, die Vervielfältigbarkeit zum
Ausscheidungskriterium zu erheben. Sowohl Information als auch bei
Leben kann ohne industriellen Aufwand vervielfältigt werden.
Patentansprüche sollten sich demnach nur auf Gegenstände erstrecken
können, deren Reproduktion über das beanspruchte Verfahren erfolgen
muss.
Durch eine Eingrenzung würde das Patentwesen auf den Bereich
zurückgestutzt, in dem es gut funktioniert. Dies kann in einigen
Gebieten dazu führen, dass Bedarf nach neuen
[46]Sui-Generis-Schutzsystemen oder sonstigen sachgerechten Systemen
zur Belohnung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit entsteht.
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Anmerkungen
[1] insbesondere den [48]gewollten Missverständnissen sowie dem
[49]TRIPS-Scheinargument
[2] Hier liegt manchmal eine schwierige Grenze, s. BGH-Urteile
"Antiblockiersystem" (1980) und "Flugkostenminimierung" (1981). Der
Antiblockiersystem-Patentantrag wurde 1976 vom BPatG abgelehnt, weil
die Erfindung im Bereich der programmierten Steuerung lag, aber 1980
vom BGH mit einem verengten Anspruchsbereich für zulässig erklärt,
weil sie einen unmittelbaren Einsatz von Naturkräften zum Gegenstand
hatte. Im Fall "Flugkostenminimierung" ging es zwar auch um einen
Einsatz von Naturkräften, aber der BGH wies den Antrag zurück, da die
Erfindungsleistung im Bereich des Rechnens mit bekannten Größen lag.
Diese Differenzierung ist weiter zu verfeinern.
[3] Vgl die Motive zum Bundesrats-Entwurf eines Patentgesetzes,
Reichstagsdrucksache, 3. Legislatur-Periode, 1. Session 1877, Nr. 8:
Der Entwurf beschränkt die Patentfähigkeit auf solche Erfindungen,
welche eine gewerbliche Verwertung gestatten. Eine derartige
Verwendung kann bestehen in der gewerbsmäßigen Herstellung des
erfundenen Gegenstandes oder in seinem Gebrauch innerhalb eines
gewerblichen Betriebes. Auf diese Weise sind rein wissenschaftliche
Entdeckungen, die Auffindung unbekannter Naturprodukte, die
Entdeckung unbekannter Produktivkräfte, die Aufstellung neuer
Methoden des Ackerbaues oder Bergbaues usw, die Kombination neuer
Pläne für Unternehmungen auf dem Gebiete des Handels von dem
Patentschutze ausgenommen. Der Entwurf folgt in dieser Hinsicht den
in allen Staaten ausdrücklich oder durch die Praxis anerkannten
Grundsätzen.
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Verweise
43. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77de.html
44. http://www.pro-innovation.org/rapport_brevet/brevets_plan.pdf
45. http://swpat.ffii.org/penmi/epue-2000/indexde.html
46. http://swpat.ffii.org/stidi/basti/indexde.html
47. http://swpat.ffii.org/stidi/epue52/#tem1
48. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/lamy98fr.html
49. http://swpat.ffii.org/stidi/trips/indexde.html