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Softwarepatente hau-ruck per EU-Richtlinie? Offener Brief fordert5 Gesetzesinitiativen



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  Patentjuristen wollen Softwarepatente im Eilverfahren per EU-Richtlinie
                                 einführen
                                      
           IT-Fachleute halten mit 5 Gesetzesinitiativen dagegen
                                      
   
   VERTRAULICH
   
   Die Patentreferenten der Europäischen Kommission haben für Donnerstag,
   den 21. Dezember 2000, einen nicht im einzelnen bekannten Kreis von
   Patentjuristen und Patentreferenten der europäischen Regierungen zu
   einem Sondierungsgespräch über die geplante EU-Richtlinie zur
   Patentierbarkeit von "computer-implementierten Erfindungen"
   eingeladen. Innerhalb der Europäischen Kommission ist die
   Generaldirektion Binnenmarkt (GDBM) unter Kommissar Frits Bolkestein
   für das Thema zuständig. Bisherige Verlautbarungen deuten darauf hin,
   dass die Generaldirektion bis spätestens Anfang Februar die
   umstrittene Softwarepatentierungspraxis des Europäischen Patentamtes
   legalisieren und für alle eurpäischen Gerichte als verbindlich
   vorschreiben will.
   
   Wer zu der Sitzung in Brüssel eingeladen wurde, ist nicht öffentlich
   bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass im wesentlichen die
   Generaldirektion Binnenmarkt (GDBM) ihre Pläne präsentieren und
   ausgewählten Zuhörern das Rederecht einräumen wird, um einen Konsens
   für ihre Position zu erzielen. Von Seiten der Bundesregierung werden
   Patentreferenten des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) erwartet.
   Derweil hat das Bundesministerium für Wirtschaft mehrere Studien über
   die wirtschaftlichen Wirkungen von Softwarepatenten ausgeschrieben.
   Eine Ende November abgeschlossene bisher unveröffentlichte Studie
   kommt zu einem patentkritischen Ergebnis. Bei einer zweiten Studie ist
   erst Mitte 2001 mit Ergebnissen zu rechnen. Dies deutet darauf hin,
   dass man auf Seiten der Bundesregierung an einer allzu schnellen
   Brüsseler Beschlussfassung nicht interessiert sein kann. Demgegenüber
   drängt die GDBM auf schnelle Klärung der Rechtslage. Ob die
   Bundesregierung sich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
   
   Auf den Webseiten der Generaldirektion Binnenmarkt (GDBM) steht gleich
   eingangs zu lesen, die Wichtigkeit des Patentwesens als Motor der
   Innovation könne gar nicht überschätzt werden. In ähnlichem schlichtem
   Geiste sind alle Dokumente der GDBM geschrieben, die sich mit der
   Patentierbarkeit von Software befassen, angefangen vom "Grünbuch".
   Ebenso wie das Europäische Patentamt (EPA), das BMJ-Patentreferat und
   andere Mitglieder des "Europäischen Patentkonzerns" glaubt die GDBM an
   die segensreiche Wirkung aller Formen des "Eigentums". Auf diesem
   einfachen Glauben beruht ihre Arbeitsweise. Doch in den letzten Jahren
   haben zunehmend leidvolle Erfahrungen und wissenschaftliche Studien
   gezeigt, dass dieser Glaube falsch ist. Wachsender Kritik begegnete
   die GDBM 1999 zunächst, indem sie eine "unabhängige Studie" vom
   Londoner "Intellectual Property Institute" (IPI) anfertigen ließ.
   
   Das IPI versteht sich als Sprachrohr des Patentwesens. Sein Vorstand
   besteht vor allem aus Patentanwälten, Patentrichtern und Großkonzernen
   mit großem Patentportfolio. Laut Satzung hat es sich zur Aufgabe
   gesetzt, "Forschung zu fördern, deren Ergebnisse den Anteilseignern
   des Institutes zugute kommen werden". Einer der Autoren des
   IPI-Berichts, Robert Hart, ist überdies ein bekannter Verfechter der
   Softwarepatentierung, der schon 1997 durch besonders
   unwissenschaftliche Methoden den Boden für das Grünbuch bereitete.
   
   So verwundert es nicht, dass das IPI seiner Studie nur die Praxis des
   EPA zugrunde legte und keine Handlungsoption in Betracht zog, die zu
   weniger Patenten führen könnte. Dennoch wiesen die Autoren darauf hin,
   dass es keine fundierten wirtschaftspolitischen Argumente für eine
   Ausweitung des Patentwesens gebe. Die GDBM hielt diese Studie von März
   bis Oktober 2000 unter Verschluss.
   
   Angesichts wachsender Kritik von Kollegen innerhalb der Europäischen
   Kommission veröffentlichte die GDBM schließlich am 19. Oktober die
   IPI-Studie zusammen mit einem eigenen "Konsultationspapier", welches
   bis ins Detail den Standpunkt des Europäischen Patentamtes vertritt.
   Die Öffentlichkeit wurde aufgefordert, zu diesen beiden Papieren
   Stellung zu nehmen. Daraufhin gingen viele Schreiben von
   Patentjuristen diverser Gewerbeverbände in Brüssel ein. Der
   Europäische Patentkonzern wurde mobilisiert. Aber auch die Gegenseite
   veröffentlichte hunderte von Eingaben. Eine offizielle Stellungnahme
   der Eurolinux-Allianz wurde mit über 1000 Seiten Anhang nach Brüssel
   übersandt.
   
   Auch ein interdisziplinäres Forscherteam bräuchte einige Wochen, um
   diese Unterlagen auszuwerten und zu würdigen. Bei der GDBM arbeiten
   jedoch nur eine handvoll Patentjuristen, die nur das tun, was sie
   gelernt haben: die dominierenden Rechtsmeinungen des Europäischen
   Patentkonzerns wortgetreu wiedergeben und in Gesetzesregeln umsetzen.
   Bei der Europäischen Kommission braucht man hierfür noch nicht einmal
   ein Parlament. Es genügt, sich mit den Patentreferenten der nationalen
   Regierungen kurz zu schließen und innerhalb des Europäischen
   Patentkonzerns einen einstimmigen Beschluss zu fassen.
   
   Angesichts dieser Umstände haben namhafte IT-Firmen und Verbände in
   einem Offenen Brief an zahlreiche Politiker ihr Schicksal in ihre
   eigene Hand genommen und fünf Gesetzesinitiativen formuliert:
   "Freiheit der Veröffentlichung selbstgeschaffener Informationswerke",
   "Freiheit des Zugangs zu Kommunikationsstandards", "Präzisierung der
   Patentierbarkeitsgrenzen", "maßgeschneidertes System zur Förderung
   geistiger Innovationen" und "Entbürokratisierung des Patentwesens".
   
   Der Offene Brief stützt sich auf zahlreiche kompakte Anhänge, durch
   die interessierte Leser schnell zu weiteren fundierten
   Informationsquellen geführt werden. Ein Vorgänger dieses Briefes vom
   August hatte mit dazu beigetragen, einen Konsens aller
   Bundestagsfraktionen gegen Softwarepatente herzustellen. Auch diesmal
   rechnen die Initiatoren mit breiter Unterstützung.
   
Verweise

     * Eurolinux Petition für ein softwarepatentfreies Europa -
       http://petition.eurolinux.org/index.de.html
     * Schutz der Informatischen Innovation vor dem Missbrauch
       des Patentwesens - http://swpat.ffii.org

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