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Leibeigenschaft und Geisteigenschaft



> http://heise.de/newsticker/data/jk-29.12.00-006/

berichtet von Kritik beim CCC-Kongress gegen die Arbeitsweise
neugegründeter Internet-Firmen und insbesondere gegen die von
Kapitalgebern aufgedrängten Verhaltensweisen.
 
> Einzelne CCCler hielten mit ihrer Kritik an der "New" Economy allerdings
> nicht hinterm Berg. Wau Holland, Alterspräsident des Clubs, gab eine ganz
> persönliche Stellungnahme in der Mailingliste "debate" von Fitug ab. Darin
> bezeichnete er so manchen "Schwitzjob" bei Startups als "neue Form der
> Sklaverei in der Tradition der Leibeigenschaft, der heutigen
> Geisteigenschaft". Da werde die Kraft eines ganzen Menschenlebens in
> wenigen Jahren ausgesaugt, und die Altersrente "für die mit Herzinfarkt
> und Magengeschwür schon unter 30" bestehe aus "abstürzenden
> Aktienoptionen".

Erst gerade argumentierte Axel Horns hier, man brauche zumindest für
gewisse Bereiche der Softwareentwicklung Patente, um zu verhindern, dass
ein Mitarbeiter sein Knowhow zur Konkurrenz mitnimmt.

Ein weiteres für Swpat häufig angeführtes Argument ist, dass
Risikokapitalgeber auf Patente Wert legten und solche etwa als
Sicherheiten akzeptierten.

Auch wenn die Mafia bestimmten Unternehmen handelbare Schutzzertifikate
ausstellen würde, würden Risikokapitalgeber solche Scheine wahrscheinlich
als Sicherheiten akzeptieren.  Solche Argumente sind lächerlich, s.
Diskussion zwischen Tauchert und Siepmann unter

	http://swpat.ffii.org/penmi/linuxtag-2000/

Das von Axel Horns angeführte Argument, die Abwanderung von Wissen müsse
durch Patente verhindert werden, greift ähnlich kurz.  Wäre das wirklich
ein vordringliches Anliegen, so müsste man als aller erstes den
Absolventen unserer Universitäten auferlegen, dass sie bis zum Rentenalter
im Lande zu bleiben haben.  Eine solche Freiheitseinschränkung geht auch
nicht weiter als die durch Swpat der Allgemeinheit auferlegte
Einschränkung.  Und eines bedingt das andere: wenn ein deutscher
Uni-Absolvent nach San Francisco geht und dort für ein amerikanisches
Unternehmen Patente erwirbt, die wiederum den Aktionsradius aller Leute in
Deutschland einengen, während die USA an der Bildung im eigenen Lande
sparen, stimmt etwas nicht.

Reglementierungen erzeugen häufig eine Kettenreaktion:  eine ruft die
andere.  Am Ende der Geisteigenschaft kann dann tatsächlich die
Leibeigenschaft stehen.

Risikokapital wirkt auf IT-Unternehmen häufig nachteilhaft.  Die
Kapitaleigner denken anders als die Unternehmer.  Sie wollen schneller
Gewinne sehen und brauchen oberflächlichere Leistungsnachweise.  
Zertifikate aller Art können helfen, die Kommunikation zwischen Kapital
und Unternehmertum zu erleichtern.  ISO 9000 u.dgl. sind da sicherlich
besser als Patente, aber letztere können vielleicht auch beitragen.  Sie
erzeugen allerdings auch wieder eine Bürokratisierung, die Unternehmen
riskanter macht und stärker in den Bann des Risikokapitals zwingt.

Es ist für ein Tüftler-Unternehmen unbedingt vorzuziehen, sich nicht auf
Risikokapital einzulassen sondern eher Schritt für Schritt voranzugehen.
Viele Unternehmen konnten auf diese Weise groß werden.  Darin liegt z.B.
auch eine Stärke der SuSE AG im Vergleich zu Redhat, das viel stärker von
Kapitalgebern abhängt.  Zahlreiche Softwareunternehmen konnten nur durch
Verkauf von Softwarelizenzen in einer einigermaßen berechenbaren Umgebung
groß werden, und solche sind m.E. gesünder als diejenigen, die sich mit
Risikokapital kraftvoll auf eine Marktnische stürzen, in der ein
Monopolpotential vermutet wird.  Jede Wirtschaftspolitik sollte sich
fragen, welchen Unternehmenstyp sie für fördernswürdig erachtet, und
danach die Rahmenbedingungen setzen.

-phm