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Re: Werthebach: wer blamiert sich?



> >So z.B. bei Filtern, Leitungen (pipes), Schutzwaelle
> >(firewalls) u.dgl. in der EDV.  Ueberall, wo der Bedarf nach
> >Ableitung neuer Begriffe entsteht, wuenscht man sich ein
> >kompaktes und leistungsfaehiges Worterzeugungssystem.
>
> Interessant, dass Du gerade diese Begriffe ansprichst. Ich habe
> naemlich im Unterricht (lernend und lehrend) die Erfahrung
> gemacht, dass deutsche Begriffe hier eher schaden als nuetzen.

Leider ging der Beitrag von Klaus Daessler gerade nur an
logsys-de@ffii.org nicht mit an debate@fitug.de.  Herr Daessler war lange
Jahre bei Siemens fuer Lisp-Projekte zustaendig und hat auch viel gelernt
und gelehrt.  Er erklaerte ziemlich ausfuehrlich den gegenteiligen
Standpunkt. Man kann da viele Erfahrungen machen.  Vielleicht sollten wir
diese Debatte, sofern sie interessiert, doch auf beiden Verteilern
fuehren.

> Zum einen existieren keine einheitlichen deutschen Begriffe
> (willst Du abstellen, aber dafuer ist es einige Jahrzehnte zu
> spaet),

Weiter untern schreibst du, dass es in ein paar Generationen vielleicht so
weit sein wird.  Ich meine, dass man das jetzt schaffen kann, wenn man
will.  In FR u.a. geht es auch.  Und gar nicht mal hauptsaechlich dank
irgendwelcher "Sprachpolizei".

> zum anderen sind die deutschen Begriffe mit oftmals
> wenig hilfreichen Bildern vorbelastet, die falsche Assoziationen
> erzeugen

Wiegesagt sind falsche Assoziationen fuer den Schueler hilfreicher als
gar keine.

> und zum Dritten sind es weitere Begriffe, die zu lernen
> sind, anstatt dieselben Begriffe fuer dieselben Dinge in allen
> Sprachen zu verwenden, mit denen man in Kontakt kommt.

Die beiden letzten Argumente scheinen mir auf eine gewisse Faulheit des
Lehrers zu deuten:

(1) Ich will nicht mit naseweisen Schuelern konfrontiert werden, die
    irgendwas assoziieren und meinen sie verstuenden schon was
(2) Ich will mein Gedaechtnis nicht mit mehreren Worterzeugungssystemen
    (Sprachen) belasten.  Wenn ich schon im Englischen tief drin sein
    muss, sollen alle, mit denen ich rede, das gefaelligst auch.

> Meine persoenliche Erfahrung ist die, dass man Fachbegriffe am
> besten so wenig wie moeglich eindeutscht, sondern sie
> ausschliesslich erklaert und dann verwendet.

Meine Regel ist umgekehrt: eindeutschen und nach Bedarf auf den
Quellbegriff verweisen.  Ich kann nicht viel Lehrerfahrung zu ihrer
Stuetzung anfuehren.  Aber immerhin ermoeglicht mir diese Regel, in
einigen Sprachen recht fit zu sein und mit schwierigen Situationen etwa
beim Simultandolmetschen fertig zu werden.  Alles, was die grauen Zellen
anregt, auch Pflege doppelten Wortschatzes und vager metaphorischer
Assoziationen (wie "Einbettung"), ist vermutlich gerade in einer
Lehr-Umgebung von Nutzen.  Aber das konnte ich noch nicht durch Erfahrung
beweisen.

> Die Eindeutschung wird schon von selbst passieren, wenn auch nicht
> mehr in unserer Generation. Bis dahin haben die Lernenden immerhin den
> Vorteil, dass sie mit einem Vokabular in deutscher wie fremdsprachiger
> Literatur auskommen, und dass einheitliche Nomenklatur verwendet wird.

> Und sie lernen neue Ideen, ohne alte Assoziationen zu haben. Das
> ist speziell in den Bereichen, die mich interessieren
> (Sicherheit etwa), sehr nuetzlich, denn dort kommt es eher auf
> Genauigkeit und Vollstaendigkeit als auf coole Metaphern an und
> bunte Bilder an.

Herr Daessler hat das hervorragend beantwortet.  Bei Interesse wuerde ich
das hier weiterreichen.

Kurz: die genaue Erfassung ist einem innerhalb des Wissensmeeres nur bei
einem geringen Teil der Sachverhalte vergoennt.  Meistens hangelt man sich
durch unvollstaendige Erkenntis von einem Problem zum naechsten und taucht
nur an wenigen Stellen tief ein.  Jeder Wissenssuchende weiss das und kaum
einer ueberschaetzt das Wissen, das sich ihm aus den blossen Abstraktionen
und Assoziationen erschliesst.   Du unterschaetzt es aber wohl, wie auch
zuvor Thomas J.

> >> Was z.B. ein "eingebettet System" oder "embedded system" ist, bleibt
> >> dem Laien unabhängig von der Sprache zunächst verschlossen.
>
> >Bei ersterem Begriff weiss er immerhin, dass es "ein System,
> >welches durch allerlei besonderes Geschick dazu gebraucht
> >wurde, innerhalb einer groesseren ihm wesensfremden Struktur zu
> >funktionieren, als waere es in ihr zu Hause."
>
> Das ist nicht der Punkt bei einem embedded system, jedenfalls
> nicht, wenn man darueber im Kontext der Informatik diskutieren
> will, und dort wird der Begriff verwendet.

Es ist immerhin eine wichtige defnierender Grundzug.  Natuerlich ist
"eingebettetes System" noch zu abstrakt.  Z.B. ist der latino-deutsche
Wortschatz vielleicht als "in die deutsche Sprache eingebettetes System"
zu begreifen.  Solche Vergleiche schaden nicht, helfen beim informatischen
Verstaendnis aber wohl auch nicht sehr viel weiter.

> Insofern ist der Begriff "embedded system" nur ein Handle fuer einen
> Begriffskomplex, der mit einer ganzen Reihe von Konzepten behaftet
> ist.

Man koennte sich ja bemuehen, auch diese Konzepte etwas expliziter zu
erklaeren.  Solche Begriffsarbeit ist recht anstrengend, bringt uns aber
auch sehr viel weiter.  Bessere Worte erschliessen mehr Leuten schneller
mehr Wissen.

> Konzepte uebrigens, die Du in Deiner deutschen Expansion da oben nicht
> gebraucht hast (Ich denke hier an Dinge wie Verlaesslichkeit,
> Proveability, Realtime, Spezialisierung, Nicht-GUIfizierung, und
> stripability, also die Option niemals benoetigte Komponenten aus dem
> System zu entfernen).

Letzteres scheinen mir nicht konstituierende Merkmale des E.S.  zu sein.
Es sind eher zu wuenschende Eigenschaften.  Auch ein System, welches sie
nicht bietet, kann ein E.S. sein.

> Der Begriff "eingebettetes System" gibt hier genauso wenig Hilfe
> wie der Begriff "embedded system", weckt noch dazu wenig
> hilfreiche Assoziationen, und ist nutzlos, wenn man an aktuelle
> Literatur zum Thema sucht, weil die ganzen Hits in der
> Searchengine und im Index nicht unter diesem Begriff sind
> (sondern sinnvollerweise unter "embedded system"). Fachbegriffe
> sind immer auch Bookmarks in die aktuelle Literatur, und hier
> liegt fuer den Lernenden der Hauptwert.

Ich bin ja auch dafuer, englische Woerter in erklaerenden Klammern
hinzuzufuegen.

> >mir naemlich ueberlegen:  "Halt mal, das ist bestimmt irgend
> >ein unverdauter Techie-Fachjargon, der ueberhaupt nicht von der
> >abstrakten Grundbedeutung her erschlossen werden kann.  Da war
> >jemand am Werk, der mir den Zugang nicht leicht machen und mich
> >vielleicht irrefuehren will."
>
> Oder der einfach neue Konzepte mit neuen Woerten markiert, und
> dafuer sorgt, dass diese Worte aus dem Kontext des Blafasel
> drumrum dann auch rotleuchtend und blinkend herausstehen. Etwa
> so wie Objective-C unter anderem deswegen leichter als C++ zu
> lernen ist, weil die Dinge, die im Gegensatz zu C neu sind, in
> Objective-C nicht einmal entfernt nach C aussehen. C++ dagegen
> fuehrt jede Menge Aenderungen ein, die nach C aussehen, es aber
> nicht einmal entfernt sind (Classes sind keine Structs und
> Konstruktoren und Destruktoren sollen schon ein wenig deutlicher
> markiert sein als durch nichts bzw. ein ~-Zeichen).

"Class" ist innerhalb von Java ein Zeichen.  "Struct" innerhalb von C. So
ein Zeichen benenne ich natuerlich nicht um, wenn ich ueber das Zeichen
rede.  Wenn ich ueber den dahinter stehenden Sachverhalt rede, fange ich
allerdings an, Gedanken weiterzuentwickeln und Begriffe zu bilden und
natuerlich auch innerhalb meines Worterzeugungssystems (Sprache) zu
benennen.  Tue ich das nicht, so entsteht leicht Konfusion.  Man weiss
nicht, auf welcher Ebene ich rede.  Rede ich ueber anderer Leute Zeichen
oder rede ich mit eigenen Zeichen ueber die dahinter stehenden
Sachverhalte?

Manche Leute schaffen diesen Schritt tatsaechlich nie.  Man weiss nicht,
ob sie ueber Zeichen oder ueber Sachen referieren.  Es fehlt ihnen oft das
Selbstbewusstsein, um eigene Gedanken zu fassen und zu vertreten.  Das hat
auch mit Verantwortungsbewusstsein / intellektueller Redlichkeit zu tun.
Es sind ethiche Einstellungen, die oft in frueher Kindheit entwickelt
werden und den Lernerfolg fast mehr als die von Psychologen gemessene
Intelligenz beeinflussen.

Natuerlich weiss ich darueber nicht alles, und ich will nicht behaupten,
dass jemand, der hier andere Einstellungen hat, alles falsch und ich alles
richtig mache.

> Der Unterschied zwischen "rotleuchend markieren" und "Zugang
> nicht leicht machen" besteht einfach darin, dass im ersten Fall
> die Erklaerung mundgerecht mitgeliefert wird, und im zweiten
> Fall nicht. Man kommt leicht vom zweiten auf den ersten Fall,
> indem man die Sesamstrasse macht ("Wer nicht fragt, bleibt
> dumm").
>
> Man kommt nicht vom zweiten auf den ersten Fall, indem man sich
> eine plausible Erklaerung fuer den pseudodeutschen Begriff
> selbst zusammenschustert und glaubt, man wisse dann Bescheid.

Es gibt immer Leute, die sich ueberschaetzen.  In Grenzen ist das auch
eine gute Lernmethode.  Zunaechst einen Begriff zusammenschustern und dann
sehen, wie weit man kommt.  Der Lehrer sollte das vielleicht eher
ermutigen.

> Bestes Beispiel hierfuer sind Uebersetzungen aus dem
> Juristischen in das Deutsche, etwa von Begriffen wie
> "geschaeftsmaessig" vs "gewerblich" vs "beruflich". Das sind
> keine deutschen Worte, sie sehen nur so aus wie die
> gleichlautenden deutschen Worte. In Wirklichkeit sind es
> Darmokros (*1), die erst mit einigen Vorlesungen hinterfuettert
> werden muessen.

Es sind Kunstbegriffe, die mit deutschen Worten benannt wurden.
Wenn der Begriff sich allzu sehr spezialisiert, waere es manchmal besser,
das durch eine entsprechende Benennung sichtbar zu machen.
Siehe den Begriff "Technik" im Patentwesen.
Wer es mit dem Technik-Begriff ernst meint, wird heute gezwungen, das
durch gelegentliche eindeutigere Synonyme zu zeigen, z.B.
"direkte Naturkraefteanwendung (Technik)".

> >gefunden haette, um die entsprechenden Ausdrucksluecken zu
> >fuellen. Meistens bessere Wege, vermute ich.  Wiederum tue ich
> >das aus meiner Begeisterung fuer die chinesische Sprache
> >heraus.  Die konnte sich nur deshalb so praechtig entwickeln,
> >weil diverse bequeme Wege nicht existierten.  Bei allen
> >Kunstsprachen werden diese Wege auch bewusst versperrt.

> Weisst Du, das klingt ganz schoen nach "Es war fuer mich hart,
> das zu lernen und warum solltet Ihr das nun einfacher haben."

Umgekehrt.  Erstens war es nicht hart, zweitens verlange ich nicht, dass
irgend jemand Chinesisch lernen soll.  Ich fuehrte das nur als Beispiel
einer Sprache an, deren Worterzeugungssystem sehr kompakt und maechtig und
deren technischer Wortschatz sehr transparent ist, und zwar deshalb, weil
ihm die sonst so haeufigen "Bereicherungen" erspart geblieben sind.

> Die Frage nach Deutsch als Wissenschaftssprache ist jedenfalls
> jetzt nicht zu entscheiden, diese Diskussion ist seit ueber 30
> Jahren irreversibel gelaufen. Vielleicht solltest Du Dich
> stattdessen darauf konzentrieren, Chinesisch weiter auszubauen.
> Das hat sowieso mehr Sprecher, insofern haettest Du da den
> weitaus groesseren Wirkungskreis.

Auch in deutscher Sprache wird heute noch viel ueber wissenschaftliche
Themen kommuniziert.  Und da Sprechen eine Art des Handelns ist, welches
zu mehr oder weniger guten Normen fuehrt, entstehen daraus nun mal
ethische Konflikte, die man nicht einfach mit naturalistischen Argumenten
abtun kann.

> >Das Englische saugt heute fast nichts auf.  Es ist in einer
> >Phase der Erholung und Erstarkung. Frueher einmal war es sehr
> >eklektisch und nahm zahllose ziemlich ueberfluessige und
> >schwierige franzoesische Ausdruecke auf:
>
> >	sheep	mutton
> >	pig	pork
> >	ox,cow	beef
> >	calf	veal
>
> >...
>
> >Das wuerde ich eher als Ballast sehen, und es traegt auch heute
> >nicht zur Staerke des Englischen bei. Der englischer
> >Fachwortschatz der Mechanik u.a. ist aehnlich und aus
> >aehnlichen Gruenden sehr unuebersichtlich und auch recht
> >unproduktiv.  Nur ein kompaktes System ist produktiv.
>
> Genau, und darum spricht heute auch kaum noch jemand Englisch.

Das Englische nimmt heute so gut wie keine Fremdwoerter auf und entwickelt
sich eher in Richtung auf Kompaktheit.  Es hat sich wieder gefangen.  Der
Ballast stammt aus einer Zeit, in der das Englische auf dem Rueckzug war.

> Oder meinst Du, das sei der Grund dafuer, dass die englische
> Kueche weltweit als eher nicht so prall angesehen wird? (Dann
> solltest Du mal kalifornische Kueche probieren :-).
>
> Andere Sprachen sind weitaus regelmaessiger und leichter
> erweiterbar - Esperanto zum Beispiel, oder Klingonisch. Das hat
> diesen Sprachen maechtig geholen, sie sind tatsaechlich so
> universell, dass sie genau niemand spricht, der wichtig ist. Ein
> gutes Vorbild fuer die systematische Erweiterung des Deutschen?

Selbst die Millionen Sprecher (darunter auch zahlreiche Nobelpreistraeger,
nicht nur "unwichtige" Leute), die Esperanto anziehen konnte, haben Eo nur
zum Teil wegen seiner sprachsystematischen Qualitaeten gelernt.  Wenn die
Verbreitung eines Systems eng mit seinen inneren Qualitaeten
zusammenhinge, muessten haeufige Systemabstuerze das Geheimrezept fuer den
endgueltigen Durchbruch von Linux sein.

-phm