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Re: Werthebach: wer blamiert sich?



Markus Schaaf antwortete auf Holger Veit:

> > Der Inhalt erschliesst sich erst dann vollstaendig, wenn das
> > Wort auch in dem Kontext verwendet wird, den der Sprecher
> > gemeint hat. Als vorlaeufige Definition reicht obiges beim
> > ersten Hoeren/Lesen (ausserhalb jedes Kontextes!) erstmal
> > vollkommen aus.
>
> Sprache verliert so immer mehr an Redundanz. Ich empfinde das
> als Nachteil. Redundanz erleichtert das Verstehen, da unser
> Lernen hauptsächlich auf Wiederholung beruht. Gute Lehrbücher
> z.B. wiederholen den Stoff geschickt in verschiedenen Abständen,
> schlechte unterlassen das; die können fachlich noch so korrekt
> sein, ich mag sie nicht.

Niemand will Eric Raymond seinen Jargon und die Freude daran nehmen. Kein
Werthebach will Kristian davon abhalten, "zielzugruppen". Allerdings ist
nicht alles Kauderwelsch tauglich, um Teil des Sprachsystems zu werden.
Kommunikation, ob zielgruppend oder nicht, funktioniert aber dank dieses
Systems.  Auch diejenigen, die damit besonders freie und kreativ umzugehen
glauben, finden das Sprachsystem als hart vorgegebene Realitaet vor. Und
sie tragen ein Stueckchen zu dessen Umbau bei.  Das Ergebnis dieses Umbaus
ist wiederum eine harte und einschraenkende Wirklichkeit.  Wenn Kristian
fordert, das deutsche Sprachsystem muesse so umgebaut werden, dass es
Anglizismen sofort integrieren kann, fordert er die Ersetzung der
deutschen Sprache durch die Englische.  Denn eine Sprache definiert sich
durch das Erzeugungssystem und nicht etwa durch die Summe der Aeusserungen
ihrer Sprecher.  Einige der Leute, die in der Werthebach-Debatte den Mund
besonders voll nehmen, blamieren sich, denn sie geben zu erkennen, dass
sie das Erzeugungssystem noch gar nicht wahrgenommen haben.  Sie
verwechseln staendig die Ebenen und wissen offenbar gar nicht, worum es
geht.  Oder wollen es nicht wissen.

> > Wenn das Wort dann wirklich in Gebrauch ist, dann verfeinert man
> > automatisch sein Bild dessen. Was meinst Du, bei wievielen selteneren
> > Begriffen Du und jeder von uns sich so ein Halbwissen zurecht-
> > gezimmert hat?
>
> Das ist ein normaler Mechanismus, durch den wir Neues lernen:
> durch Nachahmung. Wenn ein neues Wort keine Beziehung zu bereits
> Gelerntem hat, wird es natürlich schwerer, seine Bedeutung
> richtig zu erfassen.
>
> > Dass dem so ist, faellt erst dann auf, wenn man
> > so ein vermeintlich bekanntes Wort mal gegenueber anderen in
> > einem unpassenden Zusammenhang verwendet und ggf. korrigiert
> > wird. Und letzteres passiert u.U. noch nicht mal - die Sprachredundanz
> > sorgt dazu, dass das Gegenueber trotzdem versteht, was man ausdruecken
> > will.
>
> Hier magst Du sie plötzlich auch, die Redundanz der Sprache.
> Diese geht nach und nach immer mehr verloren. Das hat nichts mit
> "Film um 11" zu tun, sondern ist eine bekannte Gesetzmäßigkeit.
> Wenn man das möchte, kann man diesem Prozeß aber durch gezielte
> Regulierung entgegenwirken.
>
> > (Aufgefallen? Da stand "dazu", wo korrekt "dafuer" haette stehen sollen -
> > ueberliest man leicht. Hier mal bewusst angewandt, in vielen anderen
> > Faellen ehre (sic!) ein Fluechtigkeitsfehler).
>
> Ist mir sofort aufgefallen. Ich lese etwas langsamer als manch
> Anderer, aber dafür bewußt aufmerksam.
>
> > Im uebrigen lassen sich Worthuelsen auch hervorragend ohne
> > Wortneuschoepfungen und Pseudo-Anglizismen produzieren.
>
> Stimmt. Worthülsen funktionieren am besten mit Worten, deren
> Bedeutung dem Zuhörer etwas unklar ist. Davon gibt es schon mehr
> als genug. Hängt aber vom "Zuhörer" ab, vor allem seinem
> Bildungsniveau. Das ist ja auch der Trick: Weil der Zuhörer nicht
> zugeben möchte, daß er einen bestmmten Begriff nicht (richtig)
> kennt, fragt er nicht nach, wenn's ihm "spanisch" vorkommt.
>
> > Aha, gruppenspezifische Terminologie, oder auch Fachsprache. Genau
> > das ist der Knackpunkt bei der Debatte: die krampfhaften Sprach-
> > zerdeutscher, die den Anspruch durchpruegeln wollen, dass jeder
> > denselben Einheitsbrei - nach *ihren* Regeln - sprechen soll
> > (auf dass ihre Grammatik schoen formalisiert sei - genau die
> > Falschschreibreform-Krankheit).
>
> Ich glaube, hier wirfst Du etwas durcheinander. Die "Erfinder"
> der letzten Rechtschreibreform waren wohl gerade nicht vom
> Gedanken beseelt, die Systematik der Sprache zu fördern. Statt-
> dessen macht sie es IMO denen, die sowieso keine Systematik in
> der Sprache erkennen, leichter, stur Regeln auswendig zu lernen,
> weil sie die Systematik der Regeln vereinfachen wollte; wobei
> nicht einmal das gelungen ist.
>
> (BTW: Wenn Du jemanden wie Hartmut mit "den Rechtschreibreformern"
> oder irgendwelchen "Teutschtümlern" gleichsetzt, greifst Du
> mächtig daneben. Ich empfand Deine Ausführungen dazu als etwas
> unpassend.)

Ich habe schon desoefteren fuer die RSR argumentiert.  Besser gesagt:
gegen eine gewisse allzu haeufig gehoerte Leier der RSR-Gegner.
Allerdings finde ich, dass deine Kritik an der RSR zumindest teilweise
zutrifft.  Allerdings ist das m.E. auch wiederum eher eine Kritik an
der allzu oft gehoerten Leier der RSR-Befuerworter, sie wollten es den
Kindern leicht machen.  All diese Scheinargumente beider Seiten verdunkeln
den Blick.

Unter http://www.europa-dokumentaro.de war allerdings zuletzt ein Artikel
von Otto Back fuer die RSR zu finden, der vieles aufklaert.

> > "Windoofen" mag etwas ueber mich aussagen, ich kann es aber auch
> > bewusst einsetzen, um Leute, die glauben, mich so einfachst in
> > ihr Schablonenschema stecken zu koennen, wunderhuebsch ins
> > offene Messer laufen zu lassen. Vielleicht denke ich ja gar nicht
> > so, sondern will lediglich, dass andere denken, dass ich so denken
> > wuerde.
>
> Und dann?
>
> > Man kann diese Metaebenen beliebig tief rekursiv schachteln.
> > Wer bereits bei der obersten Ebene sich den Beleidigungsschuh
> > anzieht, hat es nicht anders verdient.
>
> Das sagt dann evtl. mehr über Dich aus, als Du vielleicht wolltest;
> ist aber vor allem eine Frage der Höflichkeit. Primär demonstrierst
> Du damit eine gewisse Aggressivität und bekommst dadurch mit höherer Wahrscheinlichkeit auch aggressive Kommunikationspartner. (Das
> muß
> kein Nachteil sein, wenn man es mag.) Das erinnert mich an diese
> Anti-Netikette-Freaks, deren Besuch wir hier kurz erleben durften.
> Die haben sich auch einen solchen Aggressiv-Filter zugelegt. Hat nur
> den Nachteil, daß sich kaum jemand mit ihnen unterhalten möchte und
> sie so ihre (vielleicht vorhandenen) nützlichen Ideen auch nicht
> unterbreiten können.

Holger Veit und Helmut Poppenborg haben sich schon oefter hier
unterhalten.  Es kam dabei zu allerlei Verbalinjurien und
Klagedrohungen, die immerhin dafuer sorgen, dass das Anliegen, sofern man
sich seiner erinnert, etwas besser im Gedaechntis haften bleibt.

> > > Aus meiner Sicht läßt sich diese Sprachdiskussion darauf
> > > reduzieren, daß Sprache ein Mittel der Abgrenzung ist. Die
> > > Gruppen und Ziele sind dabei verschiedene.
> >
> > Und genau das ist die wesentliche Eigenschaft, welche von den
> > Sprachpuristen ignoriert wird.
>
> Wer auch immer das sei.
>
> > Denn sozio-psychologische Phaenomene
> > lassen sich nicht in Flexionsregeln, Wortkonstruktionsschemata und
> > Satzbauregelwerke giessen. Augen zumachen, dann existiert die Welt
> > nicht mehr! Habe ich schon als Kind fuer albern und sinnlos gehalten.
>
> Ok. Die Erkenntnis, daß die Welt auch ohne uns funktioniert, braucht
> uns jedoch nicht davon abzuhalten, sie dort zu verbessern, wo wir
> es können.

Ich diagnostiziere meinerseits Holger, Kristian u.a. Blindheit fuer die
harte Realitaet des Spracherzeugungssystems.  Das ist in der Tat ziemlich
versteckt und nicht bei jedem ins Bewusstsein vorgedrungen.  Viele koennen
nicht zwischen dem System und ihrer expressiven Verwendung dieses Systems
unterscheiden.  Oder sie verwechseln das System mit irgendwelchen
normativen Vorgaben aus dem Schulbuch oder einem Deutsch-Knigge. Deshalb
fuehrt jede Debatte ueber eine bewusstere Pflege der Sprache (d.h. des
Systems) zunaechst mal zu einem Aufschrei.

Leider komme ich derzeit nicht dazu, dieses Thema auf

	http://wortbasar.ffii.org/logsys/

richtig weiter zu verfolgen.  Auch Karl Mosler arbeitet im Moment nicht
mehr an seiner Antwortensammlung

	http://wortbasar.ffii.org/logsys/kmosler/

und Helmut Poppenborg konnte noch nicht die Phase der "Kampfschriften"
ueberwinden.  Deshalb befuerchte ich, dass wir das nicht klaeren koennen
und allerlei Positionen im Raum stehen lassen muessen.

-phm