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Bruesseler und Berliner Indiskretionen



Sehr geehrte Frau Strasser,

Leider konnte ich Ihren Beitrag zu unserem Nachrichteverteiler erst
jetzt nach meiner Rückkehr von der CeBit freigeben.  Künftig können
Sie jederzeit Mitteilungen an diesen Verteiler schicken, ohne dass
jemand etwas freigeben muss.  Der jetzige Vorfall zeigt, wie dringend
notwendig es ist, gelegentlich vom BMJ im Originalton etwas zu hören.

> ohne mich in die Diskussion einklinken zu wollen, 

Schade!
Wo es an Diskussion mangelt, wuchern Missverständnisse.

> möchte ich nur eins 
> klarstellen: Offenbar bin ich von Herrn Pilch absichtlich

Woraus schließen Sie auf Absicht?

> missverstanden 
> worden. 

Ich glaube leider noch immer nicht, dass von meiner Seite ein
Missverständnis vorliegt, geschweige denn ein absichtliches.

> Die Financial Times Deutschland hat, wie sie es häufiger zu tun 
> pflegt, meine Äußerungen falsch wiedergegeben. 

Die FTD zitiert Äußerungen von Ihnen, die in ähnlicher Weise an
vielen Stellen gleichzeitig gefallen sind:

1. vom BMJ gegenüber dem VOV-Sprecher Arne Brand
2. vom BMJ mir gegenüber am Telefon
3. von der GDBM gegenüber der Presse und gegenüber privaten Kontaktpersonen

> Der Politik-Teil der FTD 
> zeichnet sich nicht erst seit gestern durch eigenwillige Deutungen aus. 

Das Problem m.E. ist eher, dass die FTD zu wenig zur Deutung
unternimmt und stattdessen einfach Zitatfetzen suggestiv nebeneinander
stellt.  Die FTD müsste kritischer / investigativer vorgehen als sie
es tut.  Es besteht aber m.E. wenig Anlass, an der Authentizität der
Zitatfetzen zu zweifeln, und es wäre ziemlich abwegig, der FTD
absichtliche Falschmeldungen oder Verdrehungen zuungunsten der
Patentbewegung vorwerfen zu wollen.

> Spekulationen über irgendwelche "Indiskretionen" aus der Kommission und 
> Verbindungen zu mir sind völlig aus der Luft gegriffen. Ich weiss von diesen 
> Brüssseler Spitzen nichts. 

Das glaube ich Ihnen.
Allerdings verbreitet sich Information indirekt über viele Wege.
Die aus dem BMJ verlautenden Wortfetzen decken sich mit denen aus
Brüssel.
Sollen wir ernsthaft glauben, es handele sich dabei um einen Zufall?

Gemeinsamer Tenor dieser Äußerungen ist

- Statt einer ordentlichen Konsultation mit kritischem Dialog wird
  lediglich ein zusammenfassender Bericht geschrieben.

- Noch vor Veröffentlichung der Konsultationseingaben (und des
  zusammenfassenden Berichtes) wird die Ausarbeitung einer
  Richtlinie in Angriff genommen.  Mit der Richtlinie hat man
  es eilig, mit der Veröffentlichung der Konsultationseingaben
  hingegen ist man nach 1/4 Jahr noch immer nicht so recht
  vorangekommen.  

- Grundlage dieser Richtlinie ist die Praxis des Europäischen
  Patentamtes.  Diese wird als Kompromiss zwischen einer angeblich
  restriktiven deutschen und einer angeblich patentfreundlicheren
  britischen Politik dargestellt.  Diese nicht naheliegende
  (weil unwahre) Darstellung wird zufällig etwa gleichzeitig
  in Brüssel und Berlin in die Presse lanciert.

- Alle Seiten beteuern, "keine amerikanischen Verhältnisse" und
  "nur enge Patentansprüche" auf echte "technische Erfindungen"
  zu wollen.  Jegliche Festlegung auf nachvollziehbare Kriterien
  wird jedoch vermieden.  Es wird nur nach einem verbalen Feigenblatt
  zur Absegnung der Praxis des Europäischen Patentamtes gesucht.
  Insbesondere die deutsche Seite gibt nicht den Ansatz eines eigenen
  Standpunktes zu erkennen, obwohl es doch gerade darum gehen soll, 
  verschiedene nationale Standpunkte zu "harmonisieren".  Unter dem
  Deckmantel der Vereinheitlichung wird eine Rechtsänderung
  vorangetrieben.  Initiator sind diejenigen Kreise, die zuvor im
  Vertrauen auf einen vermeintlich breiten Konsens eben diese
  Rechtsänderung gegen das Gesetz betrieben haben und nun
  entlastet werden möchten.  Hierzu gehören auch die federführenden
  Leute im BMJ.  Hierzu kritisch eingestellte Gerichte wie der
  17. Senat des BPatG werden bei allen öffentlichen Dialogen
  konsistent verschwiegen.  Einige bekannte britische Verfechter
  der Patentinflation hingegen werden von Brüssel regelmäßig mit
  "unabhängigen Studien" beauftragt und in GDBM-Posten gehievt.
  So diesen Monat auch wieder.  Daher kommt möglicherweise das
  Gerücht vom "Kompromiss zwischen britischem und deutschem
  Standpunkt", bei dem das BMJ schon Kompromissbereitschaft
  signalisiert, bevor es überhaupt einen Standpunkt bekannt gibt.

> Herr Pilch hat sich mit seinen Verschwörungstherien nicht gerade als 
> Gesprächspartner empfohlen. 

Wenn BMJ und GDBM zur gleichen Zeit die gleichen Falschaussagen an die
Presse lancieren, liegen gewisse Hypothesen nicht sehr fern.

Dass es eine Patentbewegung gibt, die auf zahlreichen Konferenzen eine
gemeinsame Marschrichtung entwickelt hat, und dass GDBM und
BMJ-Patentreferat dazugehören, weiß im übrigen jeder.

Selbst der

	Hintergrundartikel über Generaldirektion Binnenmarkt
	http://www.eurolinux.org/news/agenda/

von J.P. Smets beruht noch auf verifizierbaren Tatsachen.

Was ich dem nun noch hinzugefügt habe, beruht auf Zeitungsberichten
und ein paar wenigen internen Informationen aus Brüssel.  Uns ist
z.B. bekannt geworden, dass nur Frankreich und Italien vorsichtig auf
eine ordentliche Abwicklung der Konsultation gedrängt haben.  Der
Vertreter der Bundesregierung, BMWi-Staatssekretär Gerlach, verhielt
sich hingegen als gelehriger Schüler der Generaldirektion Binnenmarkt.
Ihr Interview verstärkte dieses Bild, und andere Stimmen gab es nicht.

> Gibt es in der Open-Source-Bewegung auch 
> Menschen mit funktionierenden sozialen Schnittstellen? Dann könnte der 
> Diskurs vielleicht noch produktiv werden. 

Welcher Diskurs?

Es findet seit geraumer Zeit ein recht produktiver Diskurs statt, bei
dem das BMJ auffällig abwesend ist.

Ich sehe mich i.ü. nicht als "Sprecher der Opensource-Bewegung"
sondern als jemanden, der sich mit dem Thema Softwarepatente intensiv
beschäftigt hat.  Mir liegt es am Herzen, die Ausplünderung meiner
Branche durch eine durch eine gut organisierte Interessengruppe zu
verhindern.  Ich möchte auch als Bürger der Informationsgesellschaft
in einem freien und produktiven Klima leben, in dem kommerzielle
Interessen sich nur so viel nehmen, wie sie auch geben.  Mir vertrauen
einige derer, denen gleiches am Herzen liegt.

Das ist weit mehr als eine "Opensource-Bewegung", wie Sie auch an der
Eurolinux-Petition erkennen können.  Firmen sind normalerweise
politisch zurückhaltend.  Wann hat es zuletzt ein politisches Anliegen
gegeben, das von über 200 Firmen aller Bereiche und Größen der
Softwarebranche offiziell unterstützt wurde?  

Die GDBM und das BMJ bemühen sich derzeit, die Stimme der
Softwareentwickler möglichst nicht zu Gehör kommen zu lassen oder
kleinzureden (etwa als "Open-Source-Bewegung").  Die GDBM hat die
Konsultationsergebnisse nicht veröffentlicht und behauptet
gleichzeitig, den 100 Pro-Swpat-Stellungnahmen käme mehr Gewicht zu
als den 1300 Anti-Swpat-Eingaben.  Diese Bekundungen wurden von der
deutschen Delegation in Brüssel stillschweigend unterstützt und durch
Ihre Äußerungen gegenüber der FTD u.a. noch weiterentwickelt.  Es gab
nirgends eine Aufforderung, die Konsultation würdig zu Ende zu führen,
von etwaigen kritischen Fragen zur seit langem unverändert
parteiischen Position der GDBM einmal ganz abgesehen.

So undiplomatisch das auch klingen mag: Ihre Regierung verstößt damit
gegen ihren Amtseid, gegen die Grundwerte unserer Verfassung und gegen
ihre eigenen Koalitionsvereinbarung.  Diese Regierung hat sich
vorgenommen, Reformstau und Politikverdruss abzubauen, die
Informationsgesellschaft zu gestalten, die Wissensdiffusion im
IT-Bereich zu fördern und vielen Menschen eine Chance auf unabhängige
Arbeit zu geben.  Niemand weiß genau, wie das geht.  Um die
Herausforderung zu bestehen, muss alle Intelligenz mobilisiert werden.
Kein Dialog kann breit genug und intensiv genug sein.  Sie sind von
Amts wegen Moderator dieses Dialoges.

> Zornig und enttäuscht, 

Eigentlich hatten wir ein ganz freundliches Telefongespräch geführt,
bei dem keiner von uns besonders zornig oder enttäuscht von dannen
ging.

Herr Brand (VOV) und ich sind offenbar beim Bemühung um Akkreditierung
als BMJ-Dialogpartner durchgefallen.  Macht nichts.  Es gibt noch
genügend Prüfungskandidaten.  Irgendjemanden wird ja vielleicht bald
mal bestehen.  Hauptsache bald.  Der Dialog sollte jetzt endlich mal
in Gang kommen.

Viele Grüße

> Maritta Strasser 
> Stellvertretende Pressesprecherin 
> Bundesministerium der Justiz 
> Jerusalemer Str. 27 

-phm