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Re: Gesetzesauslegung vs "Rechtsfortbildung"



Florian Weimer zitierte:

> PILCH Hartmut <phm@a2e.de> writes:
>
> [und zitierte irgendjemanden, der in Ermangelung geeigneter Daten
> nicht zu ermitteln war]
>
> > > Nein. Der Unterschied zwischen "Programme für
> > > Datenverarbeitungsanlagen" und "Programme für
> > > Datenverarbeitungsanlagen ... als solche" ist, daß ersteres im Zweifel
> > > weiter, letzteres im Zweifel enger ist. Kein belangloses Gelaber im
> > > Gesetzestext, sondern Bedeutungsgewinn.
> >
> > Eine "softwareimplementierbare" Rechenregel ist Ihrer Auffassung nach kein
> > "Programm als solches" und daher patentierbar.
>
> Das ist wohl eine gängige Auffassung.
>
> > D.h.  Sie koennen in die Liste von Art 52.2 auch Chemikalien oder
> > Gartenschlaeuche (Ihr Lieblingsbeispiel) oder was Sie wollen
> > hineinschreiben, und trotzdem bliebe alles patentierbar, was heute
> > patentierbar ist.
>
> Gemeint ist wohl, daß ausgeschlossen wird, daß ein Gartenschlauch
> physisch Teil einer Patentanmeldung wird. Bei Computerprogrammen
> wäre es durchaus möglich, eine typische physische Realisierung einer
> Anmeldung beizugeben, d.h. einen Ausdruck des Programmquelltextes.

Ja, das waere die perfekte Uebertragung der Tauchertschen Rechtsauffassung
auf Gartenschlaeuche:

Angenommen Gartenschlaeuche waeren in Art 52.2 unter den
nicht-patentierbaren Gegenstaenden aufgelistet, dann koennte ich trotzdem
ein Patent auf den Gartenschlauch (oder eine besondere Art davon)
erhalten, sofern ich es vermeide, einen solchen Gartenschlauch direkt als
Teil eines Patentanspruches auf Papier geklebt beim Patentamt abzuliefern.

Um der Melullisschen Rechtsauffassung Genuege zu tun, muesste ich es
ferner vermeiden, das gedankliche Konzept hinter dem Gartenschlauch
zu beanspruchen.  D.h. ich muesste meinen Anspruch so formulieren, dass
er nicht anderen das Nachdenken ueber den Gartenschlauch verbietet.

Sowohl die Tauchertsche als auch die Melullissche Einschraenkung sind
sicherlich fuer den werdenden Besitzer der Gartenschlauch-Idee ohne
weiteres zu verschmerzen.

D.h. nach beiden Rechtsauffassungen ist heute alles und nichts
zugleich patentierbar.

...
> RSA läßt sich natürlich nicht nur in Software realisieren. Es gibt
> zahlreiche Beispiele von in den Handel gelangten Realisierungen, die
> nicht auf Software basieren.
....
> > Zugleich ist jedes wiederholbare Verfahren auch
> > "software-implementierbar",
>
> Mit der Folge, daß der gewünschte Effekt nur simuliert eintritt, was
> i.a. dazu führt, daß man wenig davon hat. Das ist ein wesentlicher
> Unterschied zu gänzlich implementationsunabhängigen Patenten.

Wenn ich ueber die entsprechende Hardware verfuege (z.B. vollautomatisches
chemisches Labor + Chemikalien), kann nich natuerlich das Verfahren "in
Software implementieren".

Alle Verfahren sind "in Software implementierbar", wobei der Begriff
"implementieren" vor allem deshalb unklar bleibt, weil die
"fortschrittlichen Kraefte" unter unseren Patentjuristen bereits der
Differenzbetrachtung ("Kerntheorie") abgeschworen haben.  Nach jener
rueckstaendigen Denkweise wuerde man naemlich fragen, ob der neue und
erfinderische Teil des Ganzen (die Differenz zum Stand der Technik) in der
Logik (Simulation, implementationsunabhaengiges Rechnen) oder in
materiellen Wirkungszusammenhaengen (Chemikalien und deren Verhalten)
liegt.

Durch Abschaffung dieser Differenzbetrachtung gelangt man zu wunderbaren
Formeln wie "softwareimplementierbare Erfindungen" oder
"computerimplementierbare Erfindungen", die wiederum fuer alles und nichts
zugleich stehen.

> > > >  Aber manche neuen Ideen enthalten neue naturwissenschaftliche
> > > >  Erkenntnisse und sind and materielle Verkoerperungen gebunden.
> > > >  Andere sind wiederum rein abstrakt logisch/mathematisch.
> >
> > > Spätestens wenn jemand damit Knete verdienen will, wird's materiell,
>
> Warum sollte hier ein Zusammenhang bestehen?

Vielleicht der umgekehrte Zusammenhang:  sobald ein Gegenstand ohne Knete
(ohne Reproduktionskosten, mit Grenzwert = 0) verbreitet werden kann
(wie dies fuer Informationswerke einschliesslich Software gilt), haben wir
es mit Immateriellem zu tun.

Fuer immaterielle Dinge kann "Knete" nicht das Leitbild sein.  Selbst
dort, wo Knete gegen materielle Waren mit fixen Grenzkosten ueber 0
getauscht wird, ist das Patentwesen ein hoechst umstrittenes
Regulierungsinstrument.  Ganz anders als das Urheberrecht im immateriellen
Bereich.

Um 1970 konnte man noch verstehen, dass es einige Leute gab, die an der
Eignung des Urheberrechts fuer Computerprogramme zweifelten.  Seitdem
wurden ein paar ergaenzende Begriffe wie "Nutzungsrecht" (zusaetzlich zu
"Kopierrecht") eingefuehrt, und es zeigte sich, dass das UrhR sehr zur
Zufriedenheit der Softwareschaffenden funktioniert und flexibel an seinen
Gegenstand angepasst werden kann.  Die Vorstellung, in diesem Kreis
ausgerechnet das Patentrecht etablieren zu wollen, erscheint heute
abwegiger als 1980.  Kein angesehener Programmierer vertritt diese Idee.
Sie ist m.E. nur historisch als der verspaetete Durchbruch einer ausser
Kontrolle geratenen Patentbewegung zu erklaeren, die staendig neue Felder
fuer ihr Prozessiergeschaeft sucht und ihre Grenzen nicht kennt.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Pflege statt Pluenderung der Informationsallmende: http://www.ffii.org/
77800 Unterschriften gegen Logikpatente: http://petition.eurolinux.org/