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Erhellende PA-Ratschlaege an Sw-Unternehmen



Unter

        http://www.patent.de/swp_d.htm

berät eine PA-Kanzlei Softwareunternehmen über den Stand der
Rechtsprechung und die Praxis der Patentämter.  Die Ausführungen sind
recht erhellend.  Weit erhellender als alles, was Patentanwälte jemals
zu uns oder zur Europäischen Kommission zum Thema "Hohe
Patentierbarkeitsstandards" sagen.

Der Text wurde 1998 von Dr. Claus Dendorfer geschrieben.

Hier ein paar Kostproben:

  Ferner können Computerprogramme in der Regel durch Patente geschützt
  werden. Ein Patent bietet Schutz für eine technische Idee. Diese Idee
  wird in einer Patentanmeldung formuliert und vom Patentamt
  geprüft. Zur Definition des Schutzbereichs eines Patents dienen
  Patentansprüche, in denen nur die wesentlichen Merkmale der Erfindung
  angegeben sind. Dadurch kann von Implementierungsdetails oder anderen
  Einzelheiten abstrahiert werden. Bei Erfindungen, die grundlegende
  Konzepte betreffen, können die Ansprüche sehr umfassend formuliert
  werden. Hierdurch erhält das Patent einen großen Schutzbereich, der
  Ausgestaltungen oder Weiterentwicklungen der Erfindung umfassen kann,
  die der Erfinder zum Anmeldezeitpunkt selbst noch nicht erkannt hat.

... wobei eigentlich laut PatG eine befähigende Offenbarung notwendig
ist.  Diesen Widerspruch zeigt u.a. der Patentprüfer Dr. Swen
Kiesewetter-Köbinger in 

        http://swpat.ffii.org/vreji/papri/patpruef/

auf.  Der Artikel erschien übrigens im März in GRUR.


  Patente werden für technische Lehren erteilt, die neu sind, auf erfinderischer          
  Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Die fettgedruckten Begriffe werden im  
  folgenden erläutert.                                                                    

Sehr richtig.  Patente werden nicht für Patentansprüche sondern für
darin erhaltene Erfindungen, d.h. technische Lehren, erteilt.   

  Bei softwarebezogenen Erfindungen kann dies ein problematischer Punkt                   
  sein. Ursprünglich hat die Rechtsprechung viele Softwareverfahren als bloße             
  "Anweisungen an den menschlichen Geist" und damit als nicht technisch angesehen. Diese  
  restriktive Linie hat sich jedoch in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Inzwischen 
  sind Patente für eine Vielzahl von programmbasierten Verfahren erteilt worden,          
  beispielsweise für Komprimierverfahren, Fehlerkorrekturverfahren,                       
  Verschlüsselungsverfahren, Benutzerschnittstellen, Verfahren zum Übersetzen             
  fremdsprachiger Texte und so weiter.                                                    

  In der täglichen Praxis ist es heute die Ausnahme, daß seitens des Patentamtes die      
  Beanstandung mangelnder Technizität erhoben wird. Voraussetzung für ein in dieser       
  Hinsicht problemloses Erteilungsverfahren ist natürlich, daß schon beim Formulieren der 
  Patentanmeldung der technische Charakter der Erfindung geeignet in den Vordergrund      
  gestellt wurde.                                                                         

D.h. heute kommt es darauf an, dass man durch geeignete
Anspruchsformulierung einer nicht-technischen Lehre eine technische
Einkleidung gibt, z.B. für die computer-implementierte Addition:

  Verfahren zur Erzeugung von Signalen, welches die Einspeicherung
  zweier Summanden in jeweils ihnen zugewiesen Speicherbereich und
  die Darstellung des durch Überlagerung der Speicherbereiche
  erzeugten Summanden-Signals auf dem Eingabegerät ermöglicht
    
Natürlich können die Patentanwälte das noch viel besser.  Und der
Autor zieht noch nicht die neuen Vereinfachungsmöglichkeiten in
Betracht, die durch die BGH-Urteile "Sprachanalyse" und
"Logikverifikation" im Jahr 2000 geschaffen wurden.

Nun zum "hohen Standard des Patentrechts bezüglich erfinderischer Tätigkeit":

   Die patentrechtliche Bedeutung des Begriffs "erfinderische Tätigkeit" weicht vom        
   normalen Sprachgebrauch ab. Klarer ist hier die entsprechende US-amerikanische          
   Bezeichnung "non-obviousness". Unter diesen beiden Begriffen wird nicht der geniale     
   Geistesblitz verstanden, sondern nur die Tatsache, daß die Erfindung für den            
   Durchschnittsfachmann bei einer Betrachtung des bisherigen Standes der Technik nicht    
   offensichtlich ist. Dabei werden dem Fachmann praktisch keine eigenen Ideen             
   zugestanden, sondern nur die Fähigkeit, den Inhalt bekannter Dokumente auszuwerten und  
   zu kombinieren.                                                                         

   Als Konsequenz dieser Vorgehensweise werden oft Patente für Erfindungen erteilt, die im 
   nachhinein "trivial" erscheinen. Dies ist insbesondere bei Erfindungen auf neuen        
   technischen Gebieten der Fall, weil hier der bekannte Stand der Technik noch nicht so   
   umfangreich ist.                                                                        

...

   3.4 Gewerbliche Anwendbarkeit                                                           

   Dieses Patentierungserfordernis ist für softwarebezogene Erfindungen immer erfüllt.     

M.a.W. alle Organisations- und Rechenregeln haben automatisch
industriellen Charakter, egal ob es sich um Regeln zur Ermittlung
eines Horoskops oder zur Teilung von Walzstäben handelt.  Allein die
bestimmungsgemäße Verwendung des Zivilisationswerkzeugs Rechenmaschine
verleiht all diesen Gebieten auf einmal technischen Charakter.

Unter "gewerbliche Awendbarkeit" (industrial application, application
industrielle) verstand man traditionell den "industriellen Charakter",
wie es in FR noch heute häufig heißt.  Art 52(4) schoss etwa bisher
Methoden der medizinischen Behandlung aus, weil ihnen diese
"gewerbliche Anwendbarkeit" fehlte.  Mit dieser Begrenzung des
Patentwesens hat allerdings die Diplomatische Konferenz vom November
2000 unter Federführung des EPA und seiner Freunde in unserem BMJ
gründlich Schluss gemacht, wofür sie den Applaus der
Patentanwaltskammer erhielten.  Ich berichtete.

Zum Schluss erteilt Dr. Dendorfer seinen Mandanten wichtigen Rat:

   ...

   Eine durch ein Patent geschützte Idee sollte möglichst große Vorteile bieten, die sich  
   anderweitig nur schwer erzielen lassen. Es hat wenig Sinn, Patentschutz für eine        
   bestimmte technische Lösung zu erhalten, wenn offensichtliche Umgehungsmöglichkeiten    
   existieren. Durch abstrakt formulierte Ansprüche läßt sich jedoch ein sehr großer (und  
   damit schwer umgehbarer) Schutzbereich definieren. Das setzt voraus, daß die            
   zugrundeliegende Idee einen entsprechend großen Abstand zum Stand der Technik           
   aufweist. Gerade auf dem Gebiet der Computersoftware ist dies aber noch viel einfacher  
   möglich als in anderen technischen Disziplinen, die teilweise eine jahrhundertelange    
   Geschichte haben.                                                                       

   Schließlich sollte eine eventuelle Patentverletzung möglichst leicht erkennbar          
   sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Patent eine "sichtbare" Funktion eines   
   Programms oder eine Schnittstelle (etwa ein Dateiformat oder eine                       
   Benutzerschnittstelle) betrifft. Auch die Wirkungsweise eines internen Algorithmus kann 
   von außen erkennbar sein. Natürlich ist es ideal, wenn sich eine patentgeschützte Idee  
   zu einem offiziellen oder faktischen Standard entwickelt.

M.a.W. sollten ideale Patentansprüche auf von außen erkennbare
Programmfunktionalitäten zielen, aufgabenhaft formuliert sein und zur
Monopolisierung der öffentlichen Kommunikation führen.  Gut gesagt.

Ein wesentlicher Grund, warum sich sperrige Funktionsansprüche der von
PA Dr. Dendorfer empfohlenen Art im Bereich der Informatik leichter
als in "anderen" technischen Disziplinen erzielen lassen, liegt
natürlich darin, dass es sich nicht um eine technische Disziplin
handelt.  

Solange "Organisations- und Rechenregeln" nicht als technische
Erfindungen gelten konnten, konnte man nicht uferlos abstrahieren, und
Funktionsansprüche waren eher die Ausnahme.  Eine erste Aufweichung
kam in dieser Hinsicht mit dem 

        BGH-Beschluss Antiblockiersystem 1980
        http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-abs80/

Das war zwar noch immer in gewisser Weise eine technische Erfindung,
jedoch spielte sich die Problemlösung innerhalb eines rechnerischen
Näherungsmodells der Naturkräfte ab.  Bei dieser Gelegenheit schaffte
der BGH zwar noch keine Möglichkeit, von Naturkräften unabhängige
Abstraktionen (z.B. Problelösungen innerhalb der Turing-Maschine) zu
patentieren.  Aber aus der Zulassung von Rechenregeln ergab sich ganz
von selbst die Notwendigkeit, Funktionsansprüche zu erlauben.  Dies
wurde mit dem ABS-Urteil klargestellt.  Der Kommentator in obigem
Text, PA Eisenführ, applaudiert der expliziten Legalisierung des
"circuit-by-function-claim" und meint, er und seine Kollegen würden
sich diese BGH-Worte auf den Schreibtisch legen und künftig immer
wieder darauf zurückkommen.

Indem der BGH damals behauptete: "dieser Erfindung kann der technische
Charakter nicht abgesprochen werden", begab er sich auch erstmals auf
den Weg des unwissenschaftlichen Bluffens, wie wir ihn von
"Logikverifikation" etc nur allzu gut kennen.  Intellektuell redlich
wäre gewesen: "dieser Erfindung kann u.U. ein technischer Charakter
zugesprochen werden."  Welche Umstände das sind und was dabei im
einzelnen auf dem Spiel steht, versuchen wir auf unserem Seminar

        http://swpat.ffii.org/penmi/linuxtag-2001/

und Folgeveranstaltungen systematisch zu ergründen.


--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/ 
80000 Unterschriften gegen Logikpatente:     http://www.noepatents.org/