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Re: Moderation



Johann Bizer schrieb:

> (Einige Beiträge in diesem fitug-Forum mit dem Tenor "Ich bin das Volk- 
> sollen die doch zu mir kommen") lassen erkennen, dass selbst jüngere 
> Nutzerkulturen lieber konservativ innerhalb ihres Jägerzauns mit den 
> Pantoffeln an den Füssen sitzen bleiben. So genau will man es dann doch 
> nicht wissen. Überspitzt formuliert könnte man diese Haltung auch als 
> "virtuelles Privatisieren" bezeichnen.
(...)
> Im übrigen bin ich gespannt, wann ich Ihre ersten Beiträge im Forum finde.
> Manchmal muss man einfach den Punkt finden, zu dem man aufhört über die 
> Sache formal zu reden, man muss sie inhaltlich voran bringen.

Mit solchen Sätzen läßt sich trefflich Kritik unterdrücken, weil sie
den Kritikern -- und zwar jedem einzelnen -- einen Schwarzen Peter zu-
schieben, welcher sich nur schwer auf glaubwürdige Weise wieder los-
werden läßt. Das ist freilich auch schon alles, denn am Problem geht
das haarscharf vorbei.

Zur Erinnerung: Am Anfang dieser Debatte, die inzwischen weitgehend
auf einen Nebenschauplatz abgedriftet ist, stand eine Beobachtung sta-
tistischer Natur -- kein Schwein beteiligt sich an dem, was eine "neue
Ära der Transparenz einläuten" [1] sollte. Wer daran ernstlich etwas
ändern möchte, kommt mit rhetorischen Aufforderungen an Diskussionsgeg-
ner nicht weiter; Ursachenforschung ist angesagt. Schließlich ist der
Souverän zu einigen Millionen online, so daß ein paar pantoffelfüßige
Verweigerer kaum für die mangelnde Resonanz ausschlaggebend sein können.
Zumal von einem generellen Desinteresse des Netzvolkes am Diskutieren
schlechthin wie auch am speziellen Thema keine Rede sein kann.

Daß ausgerechnet die Newsgroups des Usenet als Gegenentwurf angeführt
wurden, kommt nicht von ungefähr und ist auch nicht in erster Linie man-
gelndem Verständnis für das Zeitbudget unserer Abgeordneten geschuldet.
Das Usenet ist vielmehr eines der prominentesten funktionsfähigen Kommu-
nikationskonzepte im Netz, funktionsfähig nicht nur in technischer Hin-
sicht. Dort diskutieren tatsächlich Menschen miteinander, Tag für Tag,
seit vielen Jahren schon. Weitere Beispiele lassen sich anführen, etwa
die Diskussionsforen des Heise-Verlags [2] oder die amerikanische Site
Slashdot [3], beide aus Sicht eines Usenet-Puristen "böse", aber den-
noch gut besucht und intensiv genutzt.

Was also unterscheidet die amtliche elektronische Demokratie der Bun-
desrepublik Deutschland von all diesen erfolgreichen Kommunikations-
medien? Zunächst einmal, wie bereits von anderen angeführt, technische
Unzulänglichkeiten. Die Site wirkt wie von Praktikanten gebaut, oder
jedenfalls von Leuten, in deren Wissensschatz der Name Nielsen [4]
noch keinen festen Platz einnimmt. Das allein genügt eigentlich schon
für eine handfeste Bauchlandung, ist doch die Konkurrenz unsagbar groß
und genau einen Mausklick entfernt. Kommentare und Meinungen an den
Mann bringen kann ich im Netz an jeder Ecke. Wer in dieser Liga vorne
mitspielen will, muß sich richtig anstrengen -- oder sich der vorhan-
denen, augenscheinlich funktionierenden Mittel bedienen, wenn die ei-
genen Ressourcen nur für eine Praktikantenhomepage reichen. So unbe-
rechtigt ist die Frage also nicht, warum es denn so ein seltsames Web-
forum sein muß.

Doch nicht nur an der Oberfläche hat die hier diskutierte Ausprägung
der elektronischen Demokratie ein Problem. Das Konzept insgesamt er-
scheint als Überbleibsel längst vergangener Startup-Euphorie, als alles
mit dem Label "Internet" mit einer Erfolgsgarantie ausgestattet schien.
Diese Träume haben sich nicht erfüllt, wie wir wissen. Es reicht nicht,
Kringel um Buchstaben zu malen und das Ganze ins Web zu tun. Wer ein
erfolgreiches Medium für die Many-to-many-Kommunikation bereitstellen
möchte, begibt sich auf ein Gebiet, welches ungleich schwieriger ist
als die Entwicklung von 0815-Anwendungen oder -Websites. Hier geht es
nicht einfach darum, eine Maschine bedienbar zu machen oder Informa-
tionen bereitszustellen, sondern darum, die Interaktion zwischen meh-
reren Benutzern zu erleichtern und zu fördern.

Unter der Überschrift "Computerunterstützte Gruppenarbeit", kurz Group-
ware oder CSCW, beschäftigen sich Forschung und Wirtschaft seit vielen
Jahren damit. Fehlschläge gab es dabei zuhauf und einen weiteren hinzu-
zufügen ist nicht unbedingt tragisch -- aber eben auch keine Glanzleistung,
wenn kein wirklich neues Konzept getestet wird. Da hätte man vielleicht
doch besser auf bereits gemachte Erfahrungen zurückgreifen sollen. Auf
Grudin's Law zum Beispiel:

  "When those who benefit are not those who do the work, then the
  technology is likely to fail or, at least, be subverted." [5]

Heißt übersetzt und angewandt: Wenn Bürgerbeteiligung gewünscht ist,
sind die Bürger der Maßstab und nur sie. Insofern treffen die oben
zitierten Sätze denn doch den Kern des Problems. Von Einzelnen ausge-
sprochen und auf sich selbst bezogen mag die Forderung unverschämt
erscheinen, aber wenn man erfolgreich sein will statt nur Kritik mit
rhetorischen Kunstgriffen abzuwehren, kommt man um sie nicht herum.

Mag sein, daß "man sich als Bürger auch ein Stück weit auf die Arbeit
des Parlaments einlassen muss", aber zentraler Ansatz für solch ein
Projekt taugt diese Forderung kaum. Sicher ist auch die Anbindung an
die Strukturen des Bundestages und die Arbeitsweise der Abgeordneten
wichtig, aber die Rollen sind doch durchaus klar verteilt. Es ist die
verdammte Pflicht eines Volksvertreters, sich ein Bild von den Mei-
nungen und Ansichten der Vertretenen zu machen. Oder vertritt das Volk
neuerdings die Interessen der Abgeordneten? Das wäre in der Tat eine
neue und unerfreuliche Entwicklung. 

Es genügt eben nicht als "Benefit", als Vorteil oder Nutzen, daß da
irgendwie der Bundestag mitmacht. Dies ist ein schwacher, ein sehr
schwacher Motivator, dessen alleinige Wirkung selbst bei technischer
Perfektion äußerst beschränkt bliebe. An Abgeordnete schreiben kann
man schließlich auch ganz ohne Internet; "elektronische Demokratie",
die ihren Namen verdient, muß also mehr oder wenigstens etwas anderes
bieten. Über Erfolg oder Mißerfolg entscheiden nicht abstrakte Größen
und Fakten oder das Label, sondern unmittelbar Wahrnehmbares sowie die
weniger offensichtlichen subtilen Unterschiede im Hintergrund, die das
Wahrnehmbare beeinflussen. 

So ist etwa den erfolgreichen Many-to-many-Kommunikationsmedien im Netz
gemein, daß sie fortwährend neue Anregungen und Anknüpfungspunkte bie-
ten. Ob Usenet, Heise oder Slashdot, wer jeden Tag reinschaut findet
jeden Tag Neues, und dieses Neue springt ihn förmlich an, gleich auf
der Einstiegsseite bzw. nach dem Start der Software. Damit werden re-
gelmäßige Besuche attraktiv, denn wer täglich reinschaut, wird nie
enttäuscht und muß auch nicht viel Zeit aufwenden, um sich zumindest
einen groben Überblick zu verschaffen. Und wer etwas gelesen hat, kann
darauf dann unmitelbar re- agieren, was die Hemmschwelle verringert und
das Äußern von Gedanken insgesamt einfacher macht, weil ein klarer Be-
zug gegeben ist. Zudem verstärkt jede Reaktion die anfängliche Anregung,
weil sie ihrerseits Reaktionen provozieren kann. Das bedeutet abger kei-
neswegs, daß man mit ein wenig Text einen Selbstläufer generieren kann,
denn irgendwann werden Threads uninteressant oder auch einfach unüber-
sichtlich.  Spätestens dann ist eine neue Anregung nötig. Im Usenet
funktioniert das aufgrund der Nutzerzahl und wegen der Regel, daß Fo-
ren nur für bereits stattfindende Diskussionen eingerichtet werden. Bei
Heise und Slashdot werden aktuelle Nachrichten und Artikel als Aufhänger
und Anregung benutzt.

Im Projekt E-Demokratie hingegen finden sich verstaubte Grußworte der
Bundestagsfraktionen und direkt beantworten kann man sie ebensowenig
wie jene Texte, die als Diskussionsanregung gedacht sind. Warum sollte
sich das jemand antun wollen? Etwa um den Herrschenden ein guter Unter-
tan zu sein? :-P Nicht Jägerzaun und Pantoffeln der Bürger sind das
Problem dieses Projekts, sondern das Konzept und die Umsetzung der
elektronischen Demokratie. Der aktive Part wird einseitig den Bürgern
zugewiesen, die man gleichzeitig aber in ihren Handlungsmöglichkeiten
auf die Nutzung einer bestimmten Website beschränkt, und die bereitge-
stellten Werkzeuge taugen nichts.


Links:

[1] http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,150406,00.html
[2] http://www.heise.de
[3] http://slashdot.org
[4] http://www.useit.com
[5] zitiert nach: Donald A. Norman: Things that make us smart.

Gruß
	Sven

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