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[jwieckmann@arcus-hh.de: Wau Nachruf]



jwi ist einer von Waus alten Freunden.

Es ist so traurig. Veröffentlichungen bitte vorher mit jwi abstimmen.
(fixed version)

----- Forwarded message from Jürgen Wieckmann <jwieckmann@arcus-hh.de> -----

Gefahren wie ein Raumschiff

Nachruf über Wau


Nachrufe sind bekanntlich Reflektionen der Lebenden über Tote.  Entsprechend
ist dies ein Nachruf über und nicht für Wau Holland.

Die Gründerseele des legendären Chaos Computer Clubs befasste sich viele
Jahre mit dem Unterschied zwischen "Bit" und "Deut". Für ihn war das Bit
eine quantitativ messbare Informationsmenge, die sich mit Computern zwar
verwalten lasse, ohne das menschliche Deut aber nicht erschließbar ist. Der
Gedanke ist nicht neu. Doch für Wau wurde daraus keine kulturpessimistische
Grundhaltung, die sich in letzter Konsequenz führende Eliten wünschen kann.

Wau Holland dachte politisch. Im Wissen um die Bedeutung des "Deut"
fokussierte er seinen Blick auf jene, die die Definitionsmacht haben.
"Misstraue Autoritäten" war sein Credo und mit der ihm eigenen emotionalen
Intelligenz -- die für die unmittelbare soziale Umgebung nicht immer leicht
verdaulich war -- sezierte er jeden gerne, der zumindest begriffen hat was
Definitionsmacht ist.

Von Heiner Geißler soll der Satz stammen, dass künftig nicht mehr Häuser,
sondern Begriffe besetzt werden. Anno 1984, im sogenannten Orwell-Jahr,
platzte Wau Holland zusammen mit Steffen Wernery als "CCC-Hacker" in die
veröffentlichte Meinung hinein. Es folgte ein kometenhafter Medienaufstieg,
weil der CCC zum Leidwesen einer Hamburger Sparkasse erhebliche
Sicherheitsmängel im damaligen BTX der Post nachweisen konnte.

Damit waren aber auch die Zwiespältigkeiten aufgerissen, die den CCC fortan
begleiteten. Waren die CCC-Hacker nun die "Trüffelschweine der Computer- und
Sicherheitsbranche" oder erfrischend witzig-intelligente Nasen mit groove,
die zeigten, dass die Intelligenz nicht im Chip, sondern vor der Tastatur
sitzt?

Zu den absonderlichen medialen Deuts um die Person Wau Holland gehört das
Gerücht, dass er ein technisches Genie gewesen sei. Insider behaupteten, der
Mann habe nie programmieren können. Das ist nachweislich falsch. Allerdings
programmierte er so, wie er bisweilen zu kochen gedachte. Extrem
gewöhnungsbedürftig.

Als jemand, der um die Wirkungen der "Schwarzen Kunst" (wie man im
Mittelalter die Buchdruck-Kunst bösartig bezeichnete) wusste, hat er in
Pionierzeiten an Fotosatz-Systemen für ein Hamburger Unternehmen gebaut. Das
war seine Herzensangelegenheit. In allen seinen späteren Veröffentlichungen
verglich er die Erfindung des Buchdrucks facettenreich mit heutigen
Entwicklungen der Informationstechnik, samt der gesellschaftlichen Umbrüche,
die ein so revolutionäres Medium nach sich zieht. Doch in erster Linie war
er nicht der Techniker oder gar ein neuzeitlicher Johannes Gutenberg.  Seine
Faszination galt eher Denis Diderot und der Arbeit der Enzyklopädisten, die
in seinen Gedanken immer präsent war.

Aber er war auch kein Denis Diderot. Es hätte von ihm systematische
Strukturierung und ein positives Verhältnis zur Ordnung abgefordert, was ihm
im Grunde seines Herzens eher als bedrohlich erschien -- ein erster Schritt
zur "Verkirchung der Strukturen".  Das war nicht seine Baustelle. Ganz dem
Chaos verpflichtet, verabscheute er geistige Trampelpfade, die so oft den
Blick für die Blumen am Wegesrand verschließen. Sein Weg ging aus
Überzeugung nicht auf ordentlichen Wegen.

Im medial gedeuteten Sinne war Wau Holland auch kein Hacker. Dem "Hacker
sein" hat er hierzulande ein anderes Deut gegeben. Gutenberg war für ihn ein
Hacker -- genauso wie die Oma, die es schafft einen Videorekorder zu
programmieren. So dachte und fühlte er. Sein Menschenbild kannte keine
Hierarchien. Es war geprägt von Menschliebe und Freiheit und einem darin
tief wurzelnden Respekt vor dem Anderen -- auch wenn "das Andere" ihm selbst
höchst befremdlich erschien. Er selbst wirkte oft befremdlich auf andere,
doch seine Überzeugungen übertrugen sich bisweilen auf wundersame Weise zum
Gegenüber. Selbst in seinen scharfen Polemiken konnte man seine
Menschenliebe spüren und nie wirklich nachtragend sein. Nur ein sensibler
und wachsamer Mensch kann so polemisch-grob poltern wie es Wau konnte.

Wau war eher ein Diogenes. Jemand wie er hätte Millionen verdienen können,
aber er wählte die Armut auf dem Marktplatz -- auf dem er mit seinen
bitgeschmiedeten Deuts bisweilen brillant zu onanieren wusste.

Zentral kannte er das Deut zwischen Finanz- und Lebenskraft, wie die Macht
der Finanzen die wesentliche Lebenskraft der Menschen beschneiden kann. Das
war auch oft sein persönliches Leiden.

Das Geld eine soziale Erfindung ist, war Wau bewusst. Hart konnte er werden,
wenn er sah, wie sich Wertmaßstäbe nur noch an den Schuldscheinen der
Bundesbank und dem Münzrecht des Staates orientieren.

Als öffentliches Gut hat uns Wau Holland eine Vielzahl von Gedanken-Bits
hinterlassen, die in diesem Nachruf nur schemenhaft angedeutet sein können.
Es mag zynisch klingen, doch sein Tod könnte dazu beitragen, dass seine
Gedanken nun jene Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen im Leben bisweilen
versagt blieben oder nur unter dem Blickwinkel einer medial präsentierten
Hackerlegende wahrgenommen wurden. Wer immer sich den Texten zu nähern
gedenkt, wird mit Bits und Deuts zu tun bekommen, die in kein Schema zu
pressen sind, die verwirren können und manchmal auch nur in die Tonne zu
legen wären. Aber Vorsicht. Manch scheinbar publizistischen Müll von Wau --
mitsamt schräger Syntax -- sollte man einige Jahre gären lassen.

In den letzten Wochen lag Wau im Koma -- verkabelt mit medizinischen
Apparaten. Am Kopfende der Monitor, in den der Kabelsalat mündete. Angezeigt
wurde ein Logfile über seine Lebensfunktionen. Ein guter Freund verbrachte
mit ihm die letzten Wochen intensiv. Er massierte und streichelte Wau so oft
es ging und gut war.

Waus Körper reagierte empfindsam auf diese Massagen und Berührungen,
signalisierte Wohlbefinden oder Gestörtsein. Doch nicht nur das. Auf dem
Monitor änderten sich, je nach Art der Massage, die in Zahlen und Kurven
dargestellten Lebensfunktionen. Hätte Wau derartiges bewusst und aktiv mit
sich selbst betreiben können, er hätte sich auf der Intensivstation
eingenistet und sich selbst gehackt -- und wir hätten noch fantastische
Texte über Maschinen und Menschen lesen können.

Ein Satz dieses Freundes wird mir wohl immer im Gedächtnis bleiben. Anfangs,
so sagte er, habe er mit den Maschinen Wau wie ein Raumschiff gefahren.

Da war es wieder, dass "Deut" und das "Bit".

"Intensivstation" ... damit verbinden die meisten kalte und entmenschlichte
Apparatemedizin, mit einer Technik, vor der sich viele fürchten.

Waus Leben endete auf dieser Intensivstation dank seiner Freunde so, wie es
seinem Leben entsprach.  Er stellte den Menschen in den Mittelpunkt seines
Denkens und nicht die Apparate. Das waren für ihn intelligent
zusammengelötete Siliziumscheiben -- eine Technik, die im Kern mit Sand
gebaut ist.

Die Intensität, mit der er Menschen begegnen konnte, seine oft auch
anstrengend emotionale Intelligenz und schrägen Metaphern machten sein
Wirken intensiv. Das war oft bedeutsamer als die Zwänge der Technik oder
genauer -- Zwänge, die Menschen mit den Mitteln der Technik auszuüben
versuchen.

Wenn ich abschließend mit dem Wort vom Raumschiff gedanklich herumspiele,
kommt mir in den Sinn, dass Wau für viele Menschen wie ein liebenswerter
Alien wirken konnte. Bisweilen kurvte er wie ein Raumschiff an den Grenzen
der Unkenntlichkeit herum.

Der christlichen Mythologie mag ich schon aus Überzeugung nicht folgen. Aber
als Geprägter dieser Kultur ist man in sensiblen Momenten nicht völlig frei
von mächtigen Deuts.

Sei's drum.

Wau hat auch gelebt wie ein Raumschiff. In welchen Welten sich dieses
Raumschiff nun auch immer aufhalten mag. Mir bleibt schlussendlich nur zu
sagen:

Sir, Sie gaben Gedankenfreiheit und ich wünsche verdammt gute Landung!


Hamburg 01.08.2001
Jürgen Wieckmann (jwi)

----- End forwarded message -----