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EPA: weitere rechtsdogmatische Gewaltakte



---------- Forwarded message ----------
Date: Mon, 15 Oct 2001 17:16:35 +0200 (CEST)
From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
To: swpat@ffii.org
Subject: EPA schlittert weiter

In der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.5.2 von 2000-03-15
"Datenstrukturprodukt/Philips" wird ein Anspruch auf eine Datenstruktur
mit folgenden Leitsätzen gerechtfertigt:

1. Bei einem Aufzeichnungsträger, der dadurch gekennzeichnet ist, dass
darauf funktionelle Daten aufgezeichnet sind, geht es nicht um eine
Wiedergabe von Informationen als solche; er fällt deshalb nicht unter den
Patentierungsausschluss nach Art 52.(2)d und (3) EPÜ.
2. Der Begriff funktionelle Daten schließt in diesem Zusammenhang eine
Datenstruktur ein, die so definiert ist (hier: Informationen für die
Synchronisation codierter Bildzeilen, Zeilennummern und Adressen), dass
sie inhärent die technischen Merkmale des Systems aufweist (hier:
Lesevorrichtung samt Aufzeichnungsträger), in dem der Aufzeichnungsträger
verwendet wird (in Weiterführung von T 163/85, Farbfehrnsehsignal/BBC,
Amtsbl. EPA 1990, 379 = GRUR Int 1990, 977)

Der Anspruch dieses Patentes enthält eine Rechenregel mit sehr aufwendiger
sprachlicher Einkleidung:

"Bildwiederauffindungssystem mit einem Aufzeichnungsträger und einer
Lesevorrichtung, wobei ein codiertes Bild, bestehend aus
aufeinanderfolgenden codierten Bildzeilen, auf einer mit Adressen
versehenen angrenzenden Spur des Aufzeichnungsträgers aufgezeichnet ist
und die Lesevorreichtung einen Lesekopf zum Lesen der aufgezeichneten
codierten Bildzeilen mittels Scannen der Spur sowie Mittel umfasst, mit
denen der Lesekopf zu einem Spurabschnitt mit einer ausgewählten Adresse
hin bewegt werden kann, dadurch gekennzeichnet dass ..."

Hieraus wurde der Anspruch 4 auf eine Datenstruktur abgeleitet, der 1997
von den EPA-Prüfern unter Hinweis auf Art 52.2c-d abgelehnt worden war:

"Aufzeichnungsträger zur Anwendung in dem System nach Anspruch 1, wobei
ein codiertes Bild, bestehend aus aufeinanderfolgenden codierten
Bildzeilen variabler Länge, auf einer mit Adressen versehenen angrenzenden
Spur des Aufzeichnungsträgers aufgezeichnet ist, dadurch gekennzeichnet,
dass ..."

Wie man sieht, ließ sich die Technische Beschwerdekammer jetzt durch
Ausdrücke wie "codiert", "Spur", "Scannen" etc davon überzeugen, dass es
sich bei dieser Datenstruktur um etwas technisches und daher nicht um eine
Datenstruktur als solche handelt.

In einem ähnlich gelagerten Fall beschloss nun eine andere Technische
Beschwerdekammer, dass es sich bei der Struktur zur Speicherung
medizinischer Daten in einem diagnostischen Verfahren nicht um eine
Informationswiedergabe als solche oder ein Programm als solches handele:

http://www.european-patent-office.org/dg3/biblio/t970446eu1.htm

http://www.european-patent-office.org/dg3/pdf/t970446eu1.pdf

"The invention concerns capturing, processing and producing
information but there is a technical result and the invention is not
merely a presentation of information (Article 52(2)(d) EPC) as such
(Article 52(3) EPC). The claims specify the technical means needed to
arrive at the final presentation to the person wishing to emulate or
consider advice on the physical movement or technique. Although
computer programs are used at least on the computer at the second
location, the invention involves more than just a computer program
(Article 52(2)(c) EPC) as such."

In einer weiteren Entscheidung von 2000-09-08 rückt das EPA von seiner
Forderung nach einem "technischen Beitrag" ab und erklärt, dass die
geforderten "technischen Merkmale" nicht neu sein müssen:

Leitsätze:

  An apparatus constituting a physical entity or concrete product,
  suitable for performing or supporting an economic activity, is an
  invention within the meaning of Art 52(1) EPC.

  There is no basis in the EPC for distinguishing between "new features"
  of an invention and features of that invention which are known from the
  prior art when examining whether the invention concerned may be
  considered to be an invention within the meaning of Article 52(1) EPC.
  Thus there is no basis in the EPC for applying this so-called
  contribution approach for this purpose (following decisions T 1173/97
  and T 935/97).

Die Forderung, dass das Technische neu sein müsse, ergibt sich
selbstverständlich nur indirekt aus diversen Überlegungen.  Sie steht
ebenso wenig wörtlich im EPÜ (EPC) wie dort das Wort "Technik" wörtlich
steht.  Die EPA-Richter verneinen hier etwas, was niemand je auf die Idee
käme zu behaupten.

Ein Apparat kann eigentlich keine Erfindung sein.  Nur die Lehre zum Bau
eines Apparates kann eine Erfindung (technische Lehre) sein.

Aus Kobers neuem Artikel

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kober01/

u.a. kann man entnehmen, dass die rechtsdogmatische Scheinwelt des EPA auf
bewusste politische Weichenstellungen des Präsidenten zurückgeht und
anders gar nicht denkbar wäre.  Unter der vielzitierten Entscheidung
T1173/97 steht z.B. "Das Amt gedenkt, seine Erteilungspraxis künftig an
dieser Entscheidung auszurichten".  Eigentlich erwartet man einen solchen
Satz nicht unter einer Entscheidung einer niedrigen Beschwerdekammer.
T1173/97 redet aber immer noch von einem "technischen Beitrag" und
begründet damit den Unterschied zwischen "technischem Effekt" und
"weiterem technischen Effekt".  Die vorliegende Entscheidung von
2000-09-08 (pension benefit system) weicht nun auch diese Forderung auf,
hält aber an den "Errungenschaften" von T1173/97 fest.  Überraschend an
der Entscheidung ist, dass sie im Ergebnis zwar in einem Fall eine
Geschäftsmethode als nicht patentfähig zurückweist, aber zugleich weitere
Weichenstellungen unternimmt, die eine massenhaften Patentierung von
Geschäftsmethoden begünstigen.  Offensichtlich scheiterte der Antrag auf
die Pensions-Rechenregel nur deshalb, weil die Ansprüche nicht wasserdicht
formuliert waren und zu einem späten Zeitpunkt innerhalb des Verfahrens
keine geeigneten Hilfsanträge mehr zulässig waren.

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
90000 Stimmen gegen Logikpatente:            http://www.noepatents.org/

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