[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Einladung nach Berlin, Kobers Putsch



[EN summary:]

(1) The Fraunhofer/MPI study will be a major subject this Friday at a
    congress on knowledge economy in Berlin, see

    http://swpat.ffii.org/penmi/wos-2001/indexen.html

(2) FFII will be present at SYSTEMS in Munich next week.

    http://swpat.ffii.org/penmi/systems-2001/

(3) EPO president Kober has legalised claims to computer programs
    by writing into the Examination Guidelines what had so far been
    only decisions of medium-level courts at the EPO.  These Guidelines
    and an accompanying article by Mr. Kober express deep contempt
    for the Law and the Lawmakers.

    http://swpat.ffii.org/cnino/epgl01A/        
 
Sehr geehrte Damen und Herren,

In drei Tagen, am Freitag, den 12. Oktober 16.00-22.00 werden wir im
Haus der Kulturen in Berlin die Diskussion um die Regierungsstudien
über die Begrenzung der Patentierbarkeit im Hinblick auf
Computerprogramme wieder aufnehmen.

In der darauffolgenden Woche präsentieren wir im Linuxpark auf der
Systems das "Gruselkabinett der Europäischen Softwarepatente" sowie
unsere Recherchearbeiten und einige Geschenkartikel.  

Die Regierungsstudien verlaufen weiterhin weitgehend nach dem
altbekannten Muster:  "Softwarepatente sind schlecht, also lasst sie
uns einführen".

Derweil hat auch in Frankreich eine "intraministerielle Gruppe"
Akteure befragt und Texte geschrieben.  

Besondere Erwähnung verdienen die Antworten des geschäftsführenden
Direktors von ILOG, Pierre Haren, auf die Umfragen der französischen
Regierungsfunktionäre.  Man merke: ILOG ist ein in FR und US basiertes
Großunternehmen im Bereich hochkomplexer industriemathematischer
Software, dessen Bibliotheken und Programmierwerkzeuge zur linearen
Optimierung weithin eingesetzt und als "Standard" gepriesen werden.
ILOG hat mit freier Software bisher soweit erkennbar nichts im Sinn.

Haren antwortete u.a. folgendes:

- Le logiciel se rapproche plus des maths (non brevetables) que de la
  chimie (souvent utilisée comme démonstration que le logiciel doit
  passer aux brevets);

  [ Software ist eher Mathematik als Technik ] 

- L'expérience américaine des brevets logiciels est désastreuse, il
  faut d'abord tenter de voir si ils ne veulent pas changer de système
  avant de les imiter;

  [ Softwarepatente waren in den USA ein Fiasko, werden vielleicht
    wieder abgeschafft. ]

- Pour ce faire, il sera nécessaire de créer un lobby avec les grands
  éditeurs américains;

  [ Europa sollte auf USA Druck gegen Swpat ausüben. ] 

- Les éditeurs de logiciel préfèrent devoir faire progresser leurs
  logiciels en permanence pour rester compétitifs que de déposer des
  brevets, attaquer d'autres éditeurs, et courir le risque d'enfreindre
  le brevet de quelqu'un d'autre;

  [ Softwarefirmen investieren ihre Ressourcen lieber in
    kontinuierliche Verbesserung ihrer Programme als in Streit um Ideenbesitz. ]

- Le logiciel libre est un problème orthogonal. On peut imaginer poser
  des brevets avant de mettre un logiciel libre sur le Net, et créer
  lentement des situations inextricables au niveau juridique;

  [ Swpat sind für proprietäre Software ebenso schädlich wie für
    freie.  Patentstrategien lassen sich auch im Zusammenhang mit
    freier Software verwenden. ]

- L'argument que les start-ups du logiciel ne lèvent pas d'argent sans
  brevet est fallacieux, je n'ai jamais rencontré ce cas de figure.

  [ Die Behauptung, dass Software-Startups zur Kapitalbeschaffung
    Patente bräuchten, ist erlogen.  Ich habe noch nie solche Fälle
    zu Gesicht bekommen. ]

Während auch diese französischen Studien nicht umhinkommen, die
Wirkung von Patenten im Bereich der Software skeptisch zu beurteilen,
lehnt man sich in rechtlicher Hinsicht an die EPA-Rhetorik vom
"technischen Effekt" an und empfiehlt damit die grenzenlose
Patentierbarkeit von logischen Funktionalitäten (Software,
Geschäftsmethoden etc) in Europa.

Derweil hat der Präsident des EPA, Dr. Ingo Kober, einen aggressiven
Kurs eingeschlagen, um die Regierungen durch Schaffung vollendeter
Tatsachen unter Druck zu setzen.  

Bis vor wenigen Wochen stützte sich die Praxis des EPA,
Patentansprüche unmittelbar auf Programme (statt indirekt auf
Prozesse) zu gewähren, lediglich auf zwei Entscheidungen der
Technischen Beschwerdekammern von 1997.  In diesen Entscheidungen war
zwar vermerkt, dass das Amt "künftig seine Erteilungspraxis daran
ausrichten" werde.  Aber sie hatten offiziell weder die Weihe der
Großen Beschwerdekammer noch das Siegel des Verwaltungsrates oder des
EPA-Präsidenten auf ihrer Seite.  Zudem hatte das EPA im Sommer 2000
selber darauf hin gewiesen, dass es diesen beiden Entscheidungen kein
tragfähiges Fundament für die Erteilungspraxis bilden konnten sondern
lediglich als Notkonstrukt vor einer erwarteten Revision des Art 52
EPÜ gedacht waren:

  http://www.epo.co.at/tws/appendix6.pdf
        
  This scheme makes no mention of the "further technical effect"
  discussed in T1173/97.  There is no need to consider this concept in
  examination, and it is preferred not to do so for the following
  reasons: firstly, it is confusing to both examiners and applicants;
  secondly, the only apparent reason for distinguishing "technical
  effect" from "further technical effect" in the decision was
  because of the presence of "programs for computers" in the list
  of exclusions under Article 52(2) EPC.  If, as is to be
  anticipated, this element is dropped by the Diplomatic Conference,
  there will no longer be any basis for such a distinction.  It is to
  be inferred that the Board of Appeal would have preferred to be able
  to say that no computer-implemented invention is excluded from
  patentability by the provisions of Articles 52(2) and (3)
  EPC.

Inzwischen hat die Diplomatische Konferenz nicht "wie antizipiert"
entschieden, und es zeichnet sich auch nicht ab, dass sie dies im Juni
2002 nachholen wird.  Ferner brütet der BGH gerade über einem
Beschluss des BPatG/17, welches erklärt hatte, dass es sich bei
"Computerprogrammprodukten" und "Computerprogrammen" um nichts anderes
als Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche handelt und das
folglich derartige Ansprüche, wie das EPA sie seit 1997 gewährt, in
Deutschland nicht anerkannt werden können.  Zahlreiche Artikel

        http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-koenig01/
        http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-schoelch01/
        http://swpat.ffii.org/penmi/bundestag/kiesew/

haben mit großer Überzeugungskraft argumentiert, dass "das EPA dem
Gesetz Gewalt angetan" hat (König s.o.).
 
Auch in der EU-Kommission wird dieses Thema heftig diskutiert, und es
sieht so aus, als werde der erste kommende Richtlinienvorschlag im
Sinne des BPatG argumentieren.

Angesichts dieser Sachlage hätte es nahe gelegen, die Beschlüsse von
1997 in Frage zu stellen und nicht weiter zu forcieren.

Aber der EPA-Präsident wollte sich damit wohl nicht abfinden.  Kurz
vor der Veröffentlichung des ersten Vorschlags der EU-Kommission und
des BGH-Urteils hat er die Doktrin T1173/97 in die Prüfungsrichtlinien
des Europäischen Patentamtes übernommen und damit für alle Prüfer
verbindlich gemacht.  Dort steht jetzt dem Sinn nach folgende
Argumentationskette zu lesen.

(1) Art 52(2) EPÜ stellt eine Liste von Nicht-Erfindungen dar.
(2) Programme für Datenverarbeitungsanlagen sind
    computer-implementierbare Erfindungen.
(3) Programme mit einem weiteren technischen Effekt sind nicht
    Programme als solche.
(4) Unter einem "weiteren technischen Effekt" ist jede Verbesserung
    eines Rechenvorgangs zu verstehen.

S. genaueres unter

        http://swpat.ffii.org/cnino/epgl01A/

Mit diesem argumentatorischen Gewaltakt schafft das EPA massenweise (+
30% diese Jahr!) geistiges Eigentum auf einer fraglichen gesetzlichen
Grundlage und stellt die Gesetzgeber in Berlin, Brüssel etc vor die
Wahl, ob sie dieses Eigentum nachträglich anerkennen oder aberkennen
wollen.

Dass hierin Herrn Kobers persönlicher Ehrgeiz liegt, lassen auch seine
Ausführungen in einem neuen GRUR-Artikel vom Juni 2001 

        Die Rolle des Europäischen Patentamts im Spannungsfeld
        globaler Wirtschaftsentwicklungen

erkennen, die in einem ähnlichen aggressiven, nicht nur dem Gesetz
Gewalt antuenden Ton gehalten sind:

  Steigende Anmeldezahlen und zunehmendes Patentbewußtsein auf
  nationaler, regionaler und globaler Ebene zeigen, daß der effektive
  Schutz von Erfindung und Innovation in unserer vernetzten Welt für
  immer wichtiger erachtet wird.  Fachleute überrascht dies nicht.  Als
  Instrument des Wettbewerbs- und Wirtschaftsrechts haben sie das
  Patentwesen schon immer zu den Faktoren gerechnet, die für den Ausbau
  und die Sicherung von Marktpositionen von grundlegender Bedeutung
  sind.  Das Patent macht die Erfindung verkehrsfähig und wirtschaftlich
  verwertbar.  Dies ist besonders wichtig für eine wissensbasierte
  Wirtschaft, wie die sogenannte Neue Ökonomie.  Wirksamer Patentschutz
  ist hier die zentrale Voraussetzung für Investitionen und die
  Bereitstellung von Risikokapital.

  Dies wird inzwischen auch von den Entscheidungsträgern in Politik und
  Wirtschaft so gesehen. Förderung und Schutz von Innovationen gehören
  zu den Top-Prioritäten der modernen Wirtschaftspolitik.  Die
  europäische Kommission, nationale Regierungen und Parlamente
  befassen sich heute mit Detailfragen des Patentrechts, die über
  Jahre nur in Expertenkreisen behandelt worden sind.  Auch die
  allgemeine Öffentlichkeit hat inzwischen das Patentrecht entdeckt.
  Die technologische Revolution im Bereich der Bio-Techniken und der
  Informationstechnologie ist im Alltag zunehmend wahrnehmbar und wird
  nicht zuletzt durhc die patentamtlichen Veröffentlichungen zum
  Gegenstand breiter Diskussion.

  ...

  Revision des EPÜ

  ...

  Zunächst möchte ich einen Punkt hervorheben, bei dem vorerst alles
  beim alten bleiben wird.  Er betrifft die Schutzfähigkeit von
  softwarebezogenen Erfindungen.  Die Konferenz hat sich gegen die vom
  Verwaltungsrat vorgeschlagene Streichung der Computerprogramme aus der
  Liste der nicht patentfähigen Gegenstände in Art. 52(2) EPÜ
  ausgesprochen.  Damit bleibt die bestehende Rechtslage vorerst
  unverändert.  Mit ihrer Entscheidung hat die Konferenz dem von der
  Europäischen Kommission kürzlich eingeleiteten Konsultationsprozess
  über die zukünftige Rechtsordnung auf diesem Gebiet Rechnung
  getragen.  Die bisherige Praxis des Amts und seiner Beschwerdekammern,
  der nationalen Patentbehörden und Gerichte wird damit jedoch in keiner
  Weise in Frage gestellt.  Wie bisher können computer-implementierte
  Erfindungen patentiert werden, wenn damit ein neuer und erfinderischer
  technischer Beitrag zum vorbekannten Stand der Technik verbunden ist.
  Patentierbar sind also weiterhin technische Verfahren auf dem Gebiet
  der Datenverarbeitung oder zur computergestützten Durchführung
  geschäftlicher Methoden.  Dies ergibt sich aus dem der europäischen
  Patentpraxis zu Grunde liegenden Erfindungsbegriff, der zwischen
  technischen Lösuingen und nichttechnischen Methoden klar
  unterscheidet.  Die Richtlinien für die Prüfung im EPA werden derzeit
  überarbeitet, um der neueren Rechtsprechung der Beschwerdekammern auf
  diesem Gebiet Rechnung zu tragen. 

Im wesentlichen sagt Kober hiermit:

(1) Die Patentinflation beweist, dass heute Patente mehr denn je 
    notwendig sind.
(2) Insbesondere im Softwarebereich (Neue Ökonomie) würde ohne Patente
    nichts laufen.
(3) Die Kontroverse um Software- und Genpatente zeigt, dass die
    Förderung des Patentwesens heute eine Top-Priorität ist. 
(4) Die Weigerung der Regierungen, dem EPA-Basisvorschlag folgend 
    Softwarepatente zu legalisieren, zeigt, dass diese Regierungen
    mit der "antizipierenden" EPA-Praxis einverstanden sind.
(5) "technische Verfahren auf dem Gebiete der Datenverarbeitung"
    (==> Daten sind Naturkräfte) und Geschäftsmethoden sollen
    weiterhin patentierbar sein.  Der europäische Erfindungsbegriff 
    unterscheidet klar zwischen Technik (= Naturkräfte + Daten) 
    einerseits und ??? andererseits.
(6) Obige Klarheiten müssen schleunigst in die Prüfungsrichtlinien
    eingetragen werden, bevor "europäische Kommission, nationale
    Regierungen und Parlamente" sich an diesen "Detailfragen"
    versuchen.

Nachdem das EPA im letzten September die Regierungen der europäischen
Flächenstaaten durch Zypern, Malta etc überstimmen ließ, versucht
Kober ihnen nun mithilfe von voreilig verabschiedeten
Verwaltungsvorschriften zuvor zu kommen.   Es stellt sich die Frage,
was der EPA-Verwaltungsrat während dieser Monate tat.  Hat er
geschlafen?  Oder besteht er nur aus Kobers Freunden? 

Unter diesen Vorzeichen drohen das Treffen in Berlin und die nächsten
Wochen spannend zu werden.

Viele Grüße

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/ 
90000 Stimmen gegen Logikpatente:            http://www.noepatents.org/