[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Hoffman-Riem in der ZEIT "Geistespolizei"



DIE ZEIT

Politik 50/2001

Wider die Geistespolizei


--------------------------------------------------------------------------------

In den Wirren des neuen Informationszeitalters bietet der Staat Schutz. Doch nach den Anschlägen des 11. September zeigt er auch, wie er unsere Freiheit gefährden kann

von Wolfgang Hoffmann-Riem


Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung steht nicht wortwörtlich in der Verfassung. Es 1983, in der Zeit der Volkszählung, herauszuarbeiten war überfällig und eine große Leistung des Bundesverfassungsgerichts. Doch fast zwanzig Jahre später ist ein neuer Blick auf dieses Grundrecht nötig. Die Ansicht, mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützten wir uns vor dem orwellschen Überwachungsstaat, ist zu eng geworden. Heute wissen wir mehr als damals, dass Datenerhebungen zwar Gefahren für jeden Bürger in sich bergen, doch Informationen gewissermaßen das Blut einer jeden Gemeinschaft sind. Der richtige Informationsfluss - das ist heute deutlicher denn je - ist die Voraussetzung einer lebensfähigen Gesellschaft. Deshalb dürfen wir unser Augenmerk nicht mehr allein auf den Staat und seine Datenverarbeitung richten. Heute geht es vielmehr darum, die Funktionsfähigkeit von informationsgestützten Sozialbereichen insgesamt zu schützen und die Funktionsfähigkeit einer freiheitlichen Informationsgesellschaft in einer bestimmten Qualität zu wahren, gleich ob der Staat oder Private die Daten erheben und verarbeiten. Es geht darum, diese Freiheitlichkeit für möglichst viele Menschen, also nicht nur für Macht- und Informationsstarke, zu gewährleisten - und zwar im Sinne einer das reale Leben prägenden Freiheit.

Der Austausch von Informationen, die Kommunikation ist nur frei, wenn es eine Freiheit auf Gegenseitigkeit gibt. Die Kommunikationsgesellschaft braucht Chancengleichheit, also Freiheit, die nicht durch Machtballung auf der einen oder anderen Seite gestört wird. Es ist schon schwer genug, gelingende Kommunikation in der zwischenmenschlichen Beziehung, also zwischen nur zwei Menschen zu sichern. Noch schwerer ist dies aber im Bereich der Massenkommunikation. Trotz vieler Versuche, etwa in Presse- und Rundfunkgesetzen, ist es nur teilweise geglückt, hier Kommunikations-Chancengleichheit zu schaffen. Das gilt ebenso für die Individual- und Massenkommunikation im Internet. Hier - aber auch darüber hinaus - stellt sich die Frage, ob und wie Chancengleichheit in den vernetzten und von Macht geprägten Welten der Informationsgesellschaft gewährleistet werden kann.

Unsere bisherige Rechtsordnung war weitgehend auf der Vorstellung klarer Beziehungen, insbesondere Zweierbeziehungen, aufgebaut. Auch beruht ein Großteil des öffentlichen Rechts weiterhin auf der Annahme, Staat und Gesellschaft seien getrennte und rechtlich trennbare Bereiche. Die Folge: Nach dem traditionellen Grundrechtsdenken ist allein der Staat ein Gegner gesellschaftlicher Freiheit. Das kann er zwar nach wie vor sein, wie wir gerade in der Debatte um die neuen Sicherheitspakete sehen und wie in diesem Beitrag noch ausgeführt wird. Doch ist der Staat heute auch Schützer der Freiheit, gewissenmaßen ihr Garant.

Diese Garantenstellung stützt sich auf die Einsicht, dass es neben dem Staat andere Mächtige gibt, die die Freiheit gefährden können. Gerade in Zeiten der Privatisierung und Deregulierung stellt sich das Problem der Freiheitssicherung neu. Gibt der Staat eine Aufgabe ab und handeln stattdessen Private, so sind diese Privaten nicht, jedenfalls nicht in der gleichen Weise wie der Staat, an die Grundrechte der Bürger gebunden. Diese Bindung kann nur hergestellt werden, wenn die Rechtsordnung dafür Vorsorge trifft. Anders formuliert: Soll der Grundrechtsschutz infolge der Verlagerung von Aufgaben auf Private auf seinem bisherigen Niveau erhalten bleiben oder gar ausgebaut werden, bedarf es dafür rechtlicher Vorkehrungen. Das gilt ebenso für das Recht auf chancengleichen Zugang zu Informationen und damit auf chancengleiche Mitwirkung an Informationsprozessen. Aber auch das Recht auf Schutz vor Datenmissbrauch bedarf entsprechender Absicherung gegenüber Privaten. Bisher ist dieses Problem, wie Datenschützer immer wieder kritisieren, noch nicht angemessen gelöst.

D ie Zukunft liegt also darin, das traditionelle Datenschutzrecht durch ein Recht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit von informationsgestützten Sozialbereichen abzulösen. Informationsrecht als Management von Abhängigkeiten ist dabei notwendig auch Datenschutzrecht. So gesehen heißt Datenschutz nicht mehr allein, dem mächtigen Staat Schranken zu setzen. Der Datenschutz wird vielmehr zur Voraussetzung dafür, dass die Informationsordnung überhaupt funktionieren kann, kurz: er wird zu einem konstitutiven Element des Rechts der Informationsgesellschaft.

Zu diesem Recht gehört auch, sicherzustellen, dass alle Bürger Zugang zu Daten erhalten, denn sonst werden zu viele Menschen aus der Informationsgesellschaft ausgeschlossen. Chancengerechtigkeit bedeutet aber darüber hinaus, dass die Bürger sich im Datennetz frei bewegen und kommunizieren können. Faire Interaktionschance heißt das - und dabei helfen zum Beispiel Kommunikationsberatung und Informationshilfe wie auch Vorkehrungen gegen Manipulationen im Internet.

Selbstverständlich müssen die Nutzer davor geschützt werden, dass Private die Informationen eigenmächtig filtern. Wenn der Staat dies tut, nennt man das Zensur. Der historische Kampf um die Informationsfreiheit war in erster Linie ein Kampf gegen die Zensur von Staat und Kirche. Heute gibt es andere Zensoren, andere Türwächter, zum Beispiel die Provider im Internet. Konkret: Angesichts seiner Schwierigkeiten, das Recht im Internet durchzusetzen, vertraut der Staat zunehmend auf private Kontrolleure wie die Provider. Er erwartet (in den von ihm geschaffenen Haftungsregeln), dass Provider unter bestimmten Voraussetzungen gewisse Inhalte - etwa pornografische oder sonstwie strafbare - aus dem Internet herausfiltern. Das Haftungsrecht ermuntert also gewissermaßen zum Aufbau privater "Zensur". Die aber unterliegt nicht den gleichen rechtsstaatlichen Vorkehrungen gegen Missbrauch wie die staatliche "Zensur". Deshalb ist es wichtg, rechtzeitig neue Manipulationen oder gar eine Art Geistespolizei zu verhindern. Denn wer hier schläft, wird die privaten Filter-Zauberlehrlinge nicht wieder los.

Der Staat ist in den Wirren des neuen Informationszeitalters aber nicht nur eine schützende Hand. Er verfügt nach wie vor über die Kraft und auch die Macht, die Freiheit zu gefährden. Gerade die Gesetzeshektik nach den Anschlägen vom 11. September zeigt, dass vom Staat einerseits Schutz erwartet wird, dass aber andererseits Anlass zur Sorge besteht, von ihm könnten neue Gefahren ausgehen. Die terroristische Bedrohung führt den Staat in Versuchung, jetzt das zu tun, was er schon immer tun wollte, aber aus rechtsstaatlichen Gründen bisher nicht tun durfte. Konkret: Es gibt viele neue Ideen zu neuen Gesetzen über den Zugriff auf die Daten der Bürger. Vor kurzem hätte das in der Öffentlichkeit noch einen Sturm der Entrüstung ausgelöst - doch jetzt bleibt dieser aus.

Natürlich muss der Rechtsstaat Antworten auf neue Gefahren wie den Terrorismus ermöglichen. Doch der Rechtsstaat gilt auch in diesen Krisenzeiten, ja er bewährt sich erst in ihnen. Er muss deshalb seinen Prämissen der Freiheitssicherung treu bleiben; sie stehen nicht zur Disposition. Meint der Staat, Anlass zu haben, seinen Bürgern oder bestimmten Teilen der Bürgerschaft zu misstrauen, besteht das Risiko, dass auch die Bürger ihm misstrauen. Das Risiko wechselseitigen Misstrauens wächst in Zeiten der Bedrohung besonders. Und besonders fatal ist es, wenn darüber, weil weltweit Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus eingefordert wird, nicht gesprochen werden kann.

Solidarität ist eine wichtige Waffe im Kampf gegen große Bedrohungen. Doch Solidarität muss konstruktiv bleiben, sie darf nicht blind machen und erst recht nicht bedingungslos sein. Einen kritikfreien Raum darf es für Solidarität nicht geben. Doch derzeit wird diese Solidarität nicht nur in politischer und militärischer, sondern sogar in symbolischer Hinsicht erwartet. Das geht bis zur sprachlichen Disziplinierung, wie über die Art der terroristischen Bedrohung und ihre Beantwortung geredet werden darf. Im Augenblick gibt es ein Wächtertum über Political Correctness mit der Folge: Es ist ein Klima der sprachlichen Vorsicht entstanden. Das macht es fast unmöglich, über ein wirklich großes Risiko zu sprechen: dass wir dem Menschenleben verachtenden Terrorismus dadurch in die Falle gehen, dass wir, gelähmt durch die Angst vor der neuen Bedrohung, gar nicht mehr fragen, ob wir unsere freiheitliche Ordnung mit unbedachten Antworten und immer neuen Gesetzen vielleicht in einem größeren Maße bedrohen.

Natürlich erwarten die Menschen Antworten auf die neuen Sicherheitsgefahren. Sie wollen zu Recht, dass der Staat sein allgemeines Schutzversprechen konkret einlöst. Wir sollten von einem verantwortungsbewussten Staat aber erwarten, dass er nicht mehr verspricht, als er einlösen kann, und dass er sorgfältig prüft, welche Folgen seine geplanten Maßnahmen nach sich ziehen könnten. Dazu gehört das Eingeständnis, dass der Staat in Wirklichkeit viel weniger Schutz bieten kann, als er gegenwärtig verheißt. Der Erlass von Gesetzen reicht für sich allein zur Gefahrenabwehr niemals. Das gilt ganz besonders für Gesetze, die (nur) auf Informationen - also auf Datenerhebung - zielen. Denn es muss dafür gesorgt werden, dass die erhobenen Daten der Bürger auch bewältigt, also sinnvoll ausgewertet und in rechtsstaatlicher Weise verwendet werden können. In einem Rechtsstaat muss ferner dafür gesorgt werden, dass die Erhebung von Daten auf das Erforderliche begrenzt bleibt und möglichst nicht unbeteiligte Dritte trifft. 

Außerdem: Wenn gesagt wird, die vorhandenen Gesetze reichten nicht, muss gefragt werden: Warum denn nicht? Denn schon der Erlass der vorhandenen Gesetze war mit dem Versprechen verbunden, so könnten die Gefahren endlich erfolgreich abgewehrt werden. Das Risiko terroristischer Anschläge ist ja nicht neu, auch wenn der 11. September eine neue Dimension aufgezeigt hat. Wo aber bleibt die nachvollziehbare Auswertung des Erfolgs oder Misserfolgs bisheriger Datenerhebungen? Warum wird darüber nicht öffentlich diskutiert?

Sollte es im Augenblick unvermeidlich sein, vermehrt Daten von Bürgern zu sammeln, wird es umso wichtiger, diese Datenverarbeitung streng zu kontrollieren. Selbstverständlich müssen Daten geheim bleiben, wenn der Erfolg einer Maßnahme gerade auf der Geheimhaltung beruht. Selbstverständlich muss der Staat auch Strategien der Gefahrenbekämpfung wählen dürfen, die den Verursachern der Gefahren verborgen bleiben. Das aber darf die öffentliche Kontrolle dieser Art von Datenverarbeitung ebenso wenig verhindern wie die breite Diskussion darüber, welche Risiken der freien Kommunikation die Gesellschaft tragen will. Vertrauen birgt Risiken, aber ebenso das Misstrauen. Eine Gesellschaft ohne Risiken gibt es in der Moderne nicht. Das aber schließt den Willen nicht aus, diese Risiken abzuwägen und am Ende zu entscheiden, welche wir zu tragen bereit sind. Auf dieser Maxime sollte die Informationsgesellschaft gründen.

 
 


--
To unsubscribe, e-mail: debate-unsubscribe@lists.fitug.de
For additional commands, e-mail: debate-help@lists.fitug.de