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Berichte der EPÜ-Konferenz 1973 (fwd)



Noch mehr und genaueres hierzu findet man jetzt ueber die Neuigkeitenseite
von http://swpat.ffii.org.

---------- Forwarded message ----------
Date: Fri, 11 Jan 2002 18:56:53 +0100
From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
To: swpat@ffii.org
Subject: Berichte der EPÜ-Konferenz 1973

Im neuesten BGH-Beschluss "Fehlersuche"

   http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bgh-suche01/

wird ein Dokumentationsband der Bundesregierung zitiert, um wenigstens
auf dem Wege der historischen Rechtsauslegung zu behaupten, der Ausschluss
der "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" sei eigentlich gar nicht
so gemeint:

  Bei der Entstehung des Europäischen Patentübereinkommens herrschte
  zwar im Hinblick auf die Patentierung von computerbezogenen Lehren
  keine klare Vorstellung darüber, welche Definition gewählt werden
  soll.  Während der diplomatischen Konferenz zum Abschluss des
  Übereinkommens wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
  vergeblich versucht worden sei, die Begrifflichkeiten auszufüllen;
  die Auslegung müsse der Rechtspraxis überlassen bleiben (Dokument
  M/PR/I S.28 Tz. 18, Berichte der Münchener Diplomatischen Konferenz
  über die Einführung eines Europäischen Patenterteilungsverfahrens,
  herausgegeben von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, in:
  Materialien zum Europäischen Patentübereinkommen: Anl Bd. 3).

Wir haben uns inzwischen den Band per Fernleihe besorgt und geschaut,
wer da ausdrücklich auf was hinwies.  Ich zitiere hier mal alles, was
zu dem Thema dort steht.  Man lese und staune:

  Artikel 50(52) -- Patentfähige Erfindungen

  ...

  17. Die Delegation der FICPI äußert die Befürchtung, in Absatz 2
      Buchstabe c könne der Begriff "Programme für
      Datenverarbeitungsanlagen" in Zukunft extensiv ausgelegt werden.

Bem: FICPI ist der Interessenverband der Patentanwälte
http://www.ficpi.org/, der auch heute auf extensive Patentierbarkeit
drängt.  Einem anderen Bericht zufolge kam der Druck auf einen
expliziten Ausschluss von Computerprogrammen vor allem von der
französischen Delegation und wurde von ihr mit solchem Nachdruck
vertreten, dass viele Teilnehmer der Konferenz beunruhigt waren.
Insbesondere die Briten wollten keine klare Beschränkung und die
deutschen machten einen Kompromissvorschlag.  FICPI gibt weiter zu
bedenken:

	Es bestehe die Gefahr, dass auch die solchen Programmen
	zugrunde liegenden Strukturen oder Algorithmen nicht als
	Erfindung angesehen werden.

Hier interpretiert FICPI tatsächlich "Programm f D" im Sinne eines
ohnehin nicht patentierbaren komplexen Werkes, wie PA Pfeiffer und
Horns dies heute tun.  Allerdings ist auch klar, dass man andererseits
in der Zeit um 1973 ebenso wie übrigens heute (nicht zuletzt im
BGH-Beschluss Fehlersuche) unter "Prog f DV-Anlagen" etwas zu "Pläne
und Regeln für geistige Tätigkeit" analoges patentierbares verstand,
also Algorithmen, vom BGH auch gerne "Rechenregeln zum Betrieb einer
DV-Anlage" o.ä. genannt.

        Dies könne Probleme für große Industriezweige aufwerfen, die
        auf dem Gebiet der Datenverarbeitung speziell oder auch der
        Nachrichtentechnik im allgemeinen tätig seien.  Man sollte
        sich jedenfalls hüten, bestimmte Techniken, an die heute noch
        gar nicht gedacht werde, von der Patentierbarkeit
        auszuschließen.

M.a.W. FICPI war gegen den Ausschluss von Programmen von der
Patentierbarkeit und drückte dies durch zweierlei Taktiken aus

  (1) Stiftung von Verwirrung um "Programm vs Algorithmus"
  (2) Weckung von Sorge um unvorhersehbare Auswirkungen auf
      Bereiche der Technik.

Diese Taktik ist auch als "FUD" bekannt und weiter verbreitet, als man
denkt.  Voraussetzung für ihr Entstehen ist eine allgemeine
Unsicherheit.  Diese existiert bekanntlich heute noch immer.

   18. Zu dieser Bemerkung ruft der Vorsitzende in Erinnerung, dass
       bereits die Luxemburger Regierungskonferenz vergeblich versucht
       habe, den Begriff "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" zu
       definieren.

       Man müsse hier einfach darauf vertrauen, dass das Europäische
       Patentamt diesen Begriff später eindeutig auslegen werde.

Der letzte Satz kann als Ermächtigung des EPA zur freimütigen
Gesetzesauslegung verstanden werden und wird wohl von
Swpat-Befürwortern gerne so verstanden.  Dagegen spricht allerdings:

  - das EPA wird zu einer "eindeutigen Auslegung" aufgefordert

  - der Vorsitzende geht davon aus, dass diese wohl möglich ist

  - Offenbar wurde "Programm f D" recht einhellig wie an
    Elementarbegriff verstanden, der zwar beim Definieren
    Schwierigkeiten bereitet aber in der Praxis eindeutig verstanden
    wird.

Es folgen einige Debatten um die unterschiedlichen Nuancen der Wörter
"computer", "Datenverarbeitungsanlage" und "ordinateur":

  19.  Die italienische Delegation ist der Ansicht, der englische
       Ausdruck "computer" bezeichne ein viel komplexeres System al
       der deutsche Ausdruck "Datenverarbeitungsanlage" und der
       französische Ausdruck "ordinateur".  Es sei daher vielleicht
       angezeigt, in der englischen Fassung den Ausdruck "data
       handling systems" zu wählen.
  20.  Die britische Delegation führt hierzu aus, ihrer Ansicht nach
       solle im Englischen der Ausdruck "computer" beibehalte werden,
       wenn er auch mehr als eine bloße Rechenanlage bedeuten könne.
       Die Auslegung derartiger Begriffe möge der künftigen Praxis der
       Organe des Europäischen Patentamtes vorbehalten bleiben.
  21.  Die österreichische Delegation regt an, die deutsche Fassung
       daraufhin zu überprüfen, ob der Ausdruck
       "Datenverarbeitungsanlage" im Vergleich mit dem englischen
       Ausdruck "computer" und dem französischen Ausdruck "ordiatuer"
       nicht zu weit gefasst ist.  Es bestehe sonst vielleicht die
       Gefahr, dass diese Bestimmung anhand der deutschen Fassung zu
       weit ausgelegt werde.

Es zeigt sich hier wohl eine leise Tendenz der einzelnen nationalen
Patentexperten-Delegationen: Italiener wollen einen deutlichen
Ausschluss der Programme f D und sind besorgt, der Begriff "computer"
könnte in enger Anlehnung an umgamgssprachliche Konventionen zu
einschränkend ausgelegt werden (etwa nur für handelsübliche Rechner
und nicht für andere Geräte mit integriertem Prozessor).  Briten und
Österreicher sind gegenteiliger Auffassung.  Übrigens scheinen sich
diese nationalen Tendenzen bis heute fortzusetzen.  Insbesondere die
Österreicher Patentexperten erwecken den Eindruck, als seien sie noch
nie mit Zweifeln an der Legitimität von Patenten konfrontiert worden.
Sie leben, wie viele Österreicher Fachgemeinden, etwas abgeschottet.
Die Briten zeigen m.E. wiederum eine Abneigung gegen abstrakte
Begriffe und eine Tendenz, möglichst wenig gesetzlich zu regeln,
s. auch unten.

  22.  Der Hauptausschuss kommt überein, den englischen Ausdruck
       "computer" als zutreffend im Text zu belassen.  Er beauftragt
       ferner den Redaktionsausschuss, zu prüfen, ob sich für den
       deutschen Ausdruck "Datenverarbeitungsanlagen" vielleicht ein
       engerer Ausdruck finden läßt.

Vermutlich wirkte der englische Ausdruck schon deshalb überzeugend,
weil er in Wirklichkeit sehr gebräuchlich ist und deshalb weniger als
bei "DV-Anlage" die Versuchung besteht, die Fantasie zu bemühen und
alles mögliche, was auf keinem Prozessor läuft, auch irgendwie unter
"Datenverarbeitungsanlage" zu subsumieren.  Andererseits war das
Ergebnis bekanntlich, dass DV-Anlagen (und nicht etwa "Rechenner" oder
"Rechenanlagen" oder "Computer") für zutreffend gehalten wurde.  Man
meinte also durchaus den Universalrechner in allen Formen und fand
schließlich, dass dies sich in einer mehrsprachigen Version, die
unterschiedliche Nuancen vereinigt, gut ausdrücken lässt.

Es folgen einige Absätze, bei denen es um Art 52(4) geht.  Darin kommt
zum Ausdruck, dass therapeutische Verfahren zwar Erfindung aber nicht
"gewerblich anwendbar" sind.  D.h. der zugrunde liegende Begriff der
"Gewerblichen Anwendung" (application industrielle) ist enger als das
EPA es heute wahr haben möchte.

  ...

  27.  Die Delegation der CNIPA, unterstützt von der britischen und
       irischen Delegation, tritt dafür ein, die Buchstaben c, d, und
       e in die Ausführungsordnung zu übernehmen, damit
       derwissenschaftlichen und technologischen Entwicklung besser
       Rechnung getragen werden könne (vgl Dok. M/20 Nr.10).

       Die britische Delegation macht hierzu geltend, dass es sich bei
       den hier geregelten Fragen auch und in erster Linie um
       rechtspolitische Fragen handele, deren Lösung dem
       Verwaltungsrat als dem politischen Organ der Patentorganisation
       zukomme.

  31.  Die niederländische Organisation gibt, ohne zu dem Problem
       hinsichtlich des Grundes Stellung nehmen zu wollen, zu
       bedenken, dass sich ein derartiges Ergebnis auch erreichen
       lasse, indem man Artikel 31 (33) ergänze, durch den der
       Verwaltungsrat befugt wird, gewisse Bestimmungen des
       Übereinkommens zu ändern.

  32.  Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland hält es aus
       dogmatischen Gründen nicht für zulässig, die Frage der
       Patentierbarkeit dieser Gegenstände oder Tätigkeiten dem
       Verwaltungsrat zur Regelung zu überlassen.

  33.  Ebenso wenig glaubt die jugoslawische Delegation, dass eine
       solche Lösung -- und zwar auch aus Gründen der Rechtssicherheit
       -- in Frage kommen könne.

  31.  Die schwedische und portugiesische Delegation teilen ebenfalls
       die Auffassung der deutschen Delegation.

  32.  Die französische Delegation weist im übrigen darauf hin, dass
       Artikel 50(52) ein grundlegender Artikel des Übereinkommens
       sei.  Die in ihm geregelten Probleme der Patentierbarkeit
       dürften nicht dem Verwaltungsrat überlassen werden; dieser
       dürfte die einzelnen Bestimmungen -- auf welchem
       rechtstechnischen Wege auch immer -- nicht von sich aus ändern
       können.

  33.  Die schweizerische Delegation spricht sich ebenfalls gegen eine
       Übernahme der drei genannten Bestimmungen in die
       Ausführungsordnung aus.  Sie hebt dabei hervor, das, wollte man
       der Anregung des CNIPA folgen, der Verwaltungsrat auch die
       unerwünschte Möglichkeit hätte, sowohl neue
       Patentierungstatbestände in die Übereinkommen einzufügen, als
       auch die an Artikel 50 gebundenen Nichtigkeitsgründe
       abzuändern.


  34.  Im Anschluss hieran verzichtet die britische Delegation auf
       eine Übernahme der Buchstaben c, d und e in die
       Ausführungsordnung.

Es zeigt sich hier deutlich, dass, abgesehen von den Briten/Iren mit
ihrer traditionellen Abneigung gegen geschriebenes Recht und abstrakte
Begrifflichkeit, die meisten Delegationen der Auffassung waren, dass
es sich bei den geplanten Patentierbarkeitsausschlüssen um besonders
hohe, möglicherweise in der Verfassungsordnung verankerte Rechtsgüter
handele, die das EPA "auf welchem rechtstechnischen Wege auch immer"
(!) nicht ändern dürfe.

Es folgen einige Abschnitte über Fragen aus Bereichen wie Chemie und
Medizin, bei denen wiederum die patentfreundlicheren Delegationen
Probleme aufwerfen und explizite Beschränkungen der Beschränkungen
verlangen.  Schließlich meldet sich die deutsche Delegation mit dem
Vorschlag des berühmten "als solche".  Man merke:  dieser Vorschlag
schließt keineswegs an eine Diskussion über DV-Programme an, sondern
umfasst gleichermaßen alle Ausschlüsse des heutigen Art 52(2):

   ...

   42.  Auf Vorschlag der Delegation der Bundesrepublik Deutschland
        (Dok. M/11 Nr. 21) kommt der Hauptausschuss überein, dass die
        Patentierbarkeit der in Absatz 2 aufgeführten Gegenstände und
        Tätigkeiten nur insoweit ausgeschlossen ist, als sich die
        Anmeldung oder das Patent auf diese Gegenstände bzw
        Tätigkeiten bezieht.

Insgesamt lässt sich wohl folgendes festhalten:

 - Unter den Konferenzteilnehmern und -dokumentatoren
   herrschte eine gewisse Unsicherheit/Uneinheitlichkeit bezüglich des
   Verständnisses von "Programme für Datenverarbeitungsanlagen".  Dies
   ist nicht verwunderlich: es wäre heute genau so, da nicht alle
   Teilnehmer die Hintergründe jeder Einzelheit eines vorliegenden
   Gesetzesvorschlages verstehen können.  Aus diesm Grunde sollte man
   bei einer historischen Gesetzesauslegung nicht bei der
   Konferenzakte stehen bleiben sondern sollte sich Hintergründe
   dieser Akte anschauen, so z.B. damalige Gerichtsurteile und
   Meinungen von Rechtsgelehrten in der Patentrechtsliteratur (z.B.
   Kolle 1973, der darüber ausführlich berichtet, der Text liegt mir vor).

 - Unter den Konferenzteilnehmern und -dokumentatoren herrscht
   keinerlei Unsicherheit über die Bedeutung von "... als solche ..",
   und es gibt weder eine feste Wortgruppe "DV-Programme als solche"
   noch ergibt sich aus der Dokumentation ein Anlass, eine solche zu
   konstruieren geschweige denn ihre eine gesonderte Bedeutung
   zuzuweisen.

 - Unter den Konferenzteilnehmern herrscht eine gewisse Uneinigkeit
   über die Richtung.  Die einen drängen auf klare Ausschlüsse und
   Beschränkung der Vollmachten des EPA, die anderen wollen das
   Gegenteil und werben für ihre Meinung, indem sie Angst vor
   angeblich drohenden allzu ausufernder Auslegungen von
   Ausschlussgegenständen schüren.  Dieser Angst nimmt die deutsche
   Delegation mit der beruhigenden (aber sachlich nichts ändernden)
   Formel in Art 52(3) den Wind aus den Segeln.  Alles ganz normale
   politische Dynamik.

 - Die meisten Delegationen, allen voran die Franzosen und Italiener, etwas
   Deutschen und Niederländer, wollen einen deutlichen Ausschluss der
   Programme f. D. in dem Sinne, wie es damals von Gerichten und
   Schrifttum bekannt war.  Es werden zwar Definitionsfragen
   aufgeworfen, diese hält man aber allgemein nicht für allzu
   problematisch und vertraut daher der Fähigkeit des EPA zu einer
   "eindeutigen Auslegung", möchte diesem aber bewusst jede
   "rechtstechnische Möglichkeit" einer Ausweitung der
   Patentierbarkeit versagen.

Vielleicht habe ich ja den Text durch meine Brille gelesen.  Dennoch
wundert es mich, wie der BGH und viele andere Patentjuristen diesen
Text zur Begründung einer laxistischen Haltung heranziehen können.
Offenbar nur deshalb, weil es ihnen an besseren Argumenten fehlt.
Mangels Rechtfertigung durch andere Auslegungsmethoden
(grammatisch-syntaktische, systematische, verfassungskonforme,
teleologische Auslegung) suchen sie ihren Rettungsanker in gewagten
Behauptungen über obskure historische Dokumentationen.  Obskur, weil
sie (a) bislang tief in Bibliotheken vergraben sind (b) nur einen sehr
knappen Einblick in eine Diplomaten-Gesprächsrunde geben, die auf
Grundlage von anderswo erarbeiteten und natürlicherweise nicht immer
in jedem Punkt voll verstandenen Vorgaben in diplomatischer Manier
sich zu einigen versuchte und deshalb nur begrenzt Schlüsse erlaubt
(die zudem gegen Swpat sprechen).

Wir sollten die Recherchen fortsetzen.  In kürze erscheint eine
Webseite und eine Nachricht darüber.

-- 
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
100000 Stimmen gegen Logikpatente:           http://www.noepatents.org/
















































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