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tauss interview....




http://www.de-bug.de/news/645.html



KOMPROMISSE BASTELN
Ein Gespräch mit dem SPD-Abgeordneten Jörg Tauss zur 
Linux-im-Bundestag-Entscheidung am Donnerstag.

Am Donnerstag fällt die IuK-Kommisson (Kommission für Informations- 
und Kommunikationstechnik) des Bundestages die Entscheidung über das 
zukünftige Betriebssystem von 5000 Bundestagsrechnern. Einer, der 
sich in der langen Vorfelddebatte mit Statements wenig zurückhielt, 
ist Jörg Tauss, der Beauftragte für Neue Medien der SPD-Fraktion.
De:Bug sprach am Freitag mit dem Linux-Freund.

DEBUG: Herr Tauss, welche Anwendungen benutzt ein 
Bundestagsabgeordneter? Würden die auch mit Linux laufen?

TAUSS: Natürlich. Wir benötigen hier alle normalen Büro- und 
Kommunikationsanwendungen. Das beginnt beim Internetverkehr und hört 
beim Office-Paket nicht auf. Die Ausstattung mit Grafiksoftware und 
verschieden Tools etc. seitens der Verwaltung ist in den letzten 
Jahren auch ganz ansehnlich geworden. Sicherlich würde all das auch 
problemlos auf Linux- Basis funktionieren! Die Zeit, in der 
Open-Source-Software auf Freaks und Fachleute begrenzt war, ist 
vorbei. Wer Windows NT vernünftig anwenden kann, der kann auch 
innerhalb kürzester Zeit ein Star Office bedienen.

DEBUG: Anwenderseitig würde Linux also keine Probleme bringen - wie 
sehr wissen die Entscheider in der IuK-Kommision darüber Bescheid?

TAUSS: Ich sehe keinen Anlass, an den Kollegen dort zu zweifeln. 
Einige Mitglieder der IuK-Kommission sind sogar Informatiker oder 
Ingenieure, also echte Fachleute.

DEBUG: Wenn alle Bescheid wissen - warum ist es dann für Linux so 
schwer, Microsoft einfach abzulösen?

TAUSS: In der Vergangenheit gab es ein starkes Misstrauen. Das hat 
sich in den letzten Jahren, auch mit der Zusammensetzung der neuen 
Kommission, sehr stark abgebaut. Man hat auch neue Erfahrungen 
sammeln können - unsere SPD- Fraktions-Server laufen zum Beispiel mit 
Linux. Dass bisher nicht mehr geschehen ist, lag an den Verträgen mit 
Microsoft. Da die jetzt auslaufen, bietet es sich für den Bundestag 
an, andere Angebote und Optionen ausgiebig zu prüfen.

DEBUG: Wie sieht es in der IuK-Kommission aus; gibt es mehr 
Befürworter oder Gegner von Linux?

TAUSS: Die Grenze geht sicherlich quer durch die Parteien. Wir haben 
im CDU-Bereich ausgesprochene 'XP-Lobbyisten', was mich sehr 
überrascht, weil Windows XP, was die Sicherheit anbelangt, ein 
wirklich nicht unumstrittenes Produkt ist. Wir haben bei der CDU 
durchaus auch Befürworter. Die FDP hat sich demgegenüber zu meinem 
Erstaunen auf die Microsoft-Seite geschlagen, die Grünen und die SPD 
sind wohl bei Linux, soweit ich das heute überschaue. Es gibt dafür 
also durchaus auch eine Koalitionsmehrheit.

DEBUG: Kann man sagen, die Entscheidung steht schon fest?

TAUSS: Es wird am Donnerstag sicher noch kräftige Diskussionen geben. 
Aber ich höre von verschiedenen Seiten, dass innerhalb der Kommission 
und auch zwischen den Fraktionen an einem Kompromiss gebastelt wird: 
Die Server beispielsweise auf Linux-Basis, und in den 
Abgeordnetenbüros eine Wahlfreiheit zwischen Linux und Microsoft. 
Damit könnte ich sehr gut leben.

DEBUG: Wie kommt es überhaupt zu einem Kompromiss, wenn SPD und die 
Grünen eine eigene Mehrheit haben?

TAUSS: Aufgezwungene Mehrheitsentscheidungen waren bei den 
Beschaffungsfragen in den letzten Jahren eher ungewöhnlich. Wir 
hätten sonst möglicherweise das Problem, dass sich bei 
Mehrheitsänderungen in diesem Ausschuss jedes Mal wieder Technik 
ändern würde. Und wenn mein FDP-Kollege Otto partout ein 
Microsoft-Produkt haben will, dann finde ich es nicht legitim, ihm 
genauso verbissen etwas anderes aufzuzwingen. Weil die aktuelle 
Entscheidung keine ist, bei der sich notwendigerweise eine Mehrheit 
gegenüber einer Minderheit durchsetzen muss, versucht man also zu 
einem Kompromiss zu kommen, zumal wir Befürworter und Gegner sowohl 
in Koalition als auch in der Opposition haben. Von dem Ausgangspunkt 
meiner ehemaligen Aussage gesehen, dass ich den Bundestag gerne zur 
Microsoft-freien Zone machen würde, bin ich zwar nicht 
hundertprozentig zufrieden, aber es wäre trotzdem ein ganz deutlicher 
Fortschritt zu dem, was wir heute haben.

DEBUG: Bei einer Wahlfreiheit - wie viele Büros werden dann überhaupt 
freiwillig Linux wählen?

TAUSS: Ich könnte mir vorstellen, dass es bei uns in der SPD eine 
Mehrheit sein wird.

DEBUG: Man spricht von einem Startschuss für Linux, wenn es im 
Bundestag eingesetzt wird. Würde er mit einer freiwilligen Option der 
Anwender auf Linux ebenso laut ausfallen?

TAUSS: Von großem Interesse ist für mich vor allem der Serverbereich, 
und ich glaube, wenn eine so große öffentliche Verwaltung wie der 
Bundestag auf Linux setzt, wäre das ein sehr, sehr interessantes 
Signal, mit dem Linux gut leben könnte. Und es ist ja kein Zufall, 
dass Microsoft dieses Signal nun wirklich zu fürchten scheint!

DEBUG: Sie haben in der Vergangenheit von 'massivem Lobbying' seitens 
Microsoft gesprochen.

TAUSS: Was ich bei Microsoft etwas ungewöhnlich fand, war die Art, in 
der man an die Abgeordneten herangegangen ist: zum Teil nicht unter 
Microsoft-Adresse, sondern versteckt unter Tarnadressen. Das ging 
soweit, dass uns eine Dame, die mir nicht bekannt war, einen Brief 
schrieb und sagte, man müsse unter den Eindrücken des 11. September 
ganz deutlich sehen, dass Linux-Produkte unsicher und 
Microsoft-Produkte sicher seien und man deshalb keine 
unverantwortliche Entscheidung treffen dürfe. Die Dame war wohl von 
der PR-Agentur Hunzinger und arbeitete so im Auftrag Microsofts. Ich 
habe den Brief in Karlsruhe ein paar Informatikern gezeigt und die 
wollten ihn im Karneval für eine Büttenrede verwenden. Im Ernst: Es 
ist legitim, dass Microsoft für seine Interessen kämpft, aber diese 
zum Teil wirklich diffamierenden Vorgehensweise - bis hin zu falschen 
Behauptungen - verstimmt mich. Man sollte auch Leute Briefe schreiben 
lassen, die etwas von der Sache verstehen, genauso wie man Quellcode 
nicht jedem Laien zur Sicherheitsüberprüfung vorlegen kann! Die 
Bereitschaft von Microsoft, uns den Windows-Quellcode offenzulegen, 
habe ich ja prinzipiell begrüßt, weil sich damit eine Änderung in der 
MS-Politik zumindest zart andeutete. Aber die Lösung des Problems ist 
es weiß Gott nicht, weil ich mit ein paar Millionen Zeilen nichts 
anfangen kann. Und wenn Microsoft dann Vorschriften machen will, dass 
nur der Bundestag und nicht das Bundesamt für Sicherheit und 
Informationstechnik den Quellcode einsehen darf, ist das ein wenig 
seriöses Angebot.

http://www.tauss.de

25.02.2002 - 13.07 Uhr
Moritz Metz | moritz@metznetz.net