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SPIEGEL ONLINE - Icann: Wozu Wahlen? Wozu Icann?



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Icann: Wozu Wahlen? Wozu Icann?
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Die Idee, die weltweite Öffentlichkeit an der Verwaltung des Internet
zu beteiligen, war eine Schnapsidee. Meint Icann-Chef Stuart Lynn -
und schlägt vor, der "Regierung" maßgebliche Kontrollautorität zu
geben. Aber welche Regierung meint der Mann - und wer braucht dann
noch Icann?

 Von Frank Patalong 


Die Clinton-Administration erkannte seinerzeit, dass das Internet ein
weltweites Medium ist. Und sie war feinfühlig genug, den wachsenden
Unmut darüber zu spüren, dass sie,die US-Regierung, es war, die wie
eine Spinne im Netz die Kontrolle über die Datenflüsse hatte. Und so
kam sie zu dem Schluss: Sollte sich die so viel versprechende neue
E-Wirtschaft frei und erfolgreich entfalten, dann war es nötig,
Vertrauen zu bilden.

Nicht zuletzt sprach auch die Web-Demografie zunehmend dafür. Amerika
schien auf dem Wege, zu einer von vielen Nationen im Internet zu
werden - und die Datennetze nicht viel länger zahlenmäßig zu
dominieren. Wirtschaftsunternehmen und Regierungen in aller Welt
murrten zunehmend darüber, dass die US-Regierung die Weichen stellte,
ohne viel auf Wünsche und Meinungen anderer zu geben.

Clinton reagierte darauf mit einem mutigen Plan, der auf einen
Vorschlag des Web-Gurus John Postel zurückging: Künftig solle sich
die US-Regierung aus der Verwaltung des Internet zurückziehen und
diese in die Hände einer privatwirtschaftlich organisierten Firma
legen: Icann.

 Icann: Gewollte Geburtsfehler? 

Diese "Internet Association for Assigned Names and Numbers" wurde
1998 in Kalifornien gegründet - und schon damit begann die Kritik am
neu entstandenen "Straßenverkehrsamt des Internet", das im Herbst
2000 die Kontrolle über die Pflege und Weiterentwicklung der
Netzinfrastrukturen übernehmen sollte.

Formell geschah dies auch, doch bis zum heutigen Tag versagen
zahlreiche nationale Registrare der Icann die Gefolgschaft - was die
permanent klaffenden Finanzierungslücken der Organisation nicht
gerade verkleinert.

Doch finanzielle Probleme waren seit der Gründung für Icann Peanuts
im Vergleich zu dem, was innerhalb und außerhalb der Organisation an
Widerständen auflief. Die Grundidee der Clinton-Regierung, Icann von
einem Direktorium regieren zu lassen, das aus von
Web-Standard-Organisationen und Wirtschaftsunternehmen auf der einen
und frei gewählten User-Vertretern auf der anderen Seite paritätisch
besetzt sein sollte, wurde bis heute nicht verwirklicht.

Stattdessen eiert Icann herum und macht immer wieder Versuche, die
Regeln für die Bildung des Direktoriums, dem bisher nur fünf statt
der avisierten neun Uservertreter angehören, nachträglich neu zu
gestalten. Von Anfang an stand der Verdacht im Raum, dass die Icann
dominierenden Lobbyvertreter keinerlei Interesse an der Beteiligung
von "Nutzervertretern" hätten: Ein Eindruck, der ein ums andere Mal
bestätigt wird.

Wie weit die Unabhängigkeit von Icann derweil wirklich geht,
dokumentierte der US-Kongress nun bereits mehrere Male, indem er
Icann-Vertreter vorlud, um nach deren Anhörung darüber zu beraten, ob
man Icann die Kontrolle teils wieder entziehen sollte.

Im Direktorium stieße so etwas wohl auf eher verhaltenen bis
symbolischen Widerstand. Denn die neueste Kapriole zeigt, wie weit
die von vielen bejubelte "Demokratisierung des Internet" wirklich
geht: Fragte man die Fädenzieher, dann pfiffen die wohl nur allzu
gern auf die Plebs.

So legte Icann-Chef Stuart Lynn in dieser Woche einen Vorschlag für
eine "weitgehende Umstrukturierung" von Icann vor. Der Vorschlag
lässt sich äußerst knapp zusammenfassen:

1. Werft die "Volksvertreter" raus 2. Lasst die Regierung das Ganze
kontrollieren 

Der Icann-Chef sprach im Plural: Das privatwirtschaftliche Modell
habe sich als inoperabel erwiesen, weil es "Icann von den
Institutionen der wirklichen Welt isoliert, von den Regierungen,
deren Unterstützung aber notwendig wäre".

Der ganze Versuch, die Verwaltungsstruktur des Internet zu
demokratisieren, sei eine "Überreaktion" gewesen auf die
ursprüngliche Absicht, eine "totale Regierungskontrolle zu
verhindern".

Dabei gebe es sanftere Wege, wie beispielsweise ein bisschen
Kontrolle - ein Drittel vielleicht?

So nämlich sähe das künftige Direktorium nach Stuarts Vorstellungen
aus: ein Drittel Regierungsvertreter (insgesamt fünf), ein Drittel
Vertreter von technischen Standard-Organisationen und - aufgemerkt -
ein Drittel Direktoren, die durch Komitees nominiert würden.

Das klingt würdevoll, ist bei Icann aber ein altbekannter Hut: Hinter
der blümeranten Umschreibung verstecken sich Industrie-Lobbyisten.
Wie und warum jemand von einem Icann-Komitee für einen Posten
nominiert wird, war öffentlich immer schwer zu vermitteln.

Im Rahmen der ersten Icann-Wahl im Jahr 2000 etwa nominierte die
Icann als Direktoriums-Kandidaten für die "Region Europa" einen
Telekom-Manager. Obwohl für den Job offensichtlich hoch qualifiziert,
fiel dieser durch - nicht zuletzt, weil klar war, dass die Telekom
durch ihr Engagement in den Supporting Organizations und in
Arbeitsgruppen bei Icann schon ganz gehörig "engagiert" war. Die
Vertretung von Verbraucherinteressen wollten die hiesigen Wähler
einem Telekom-Manager aber nicht zutrauen.

Kavallerie, übernehmen Sie! 

Insgesamt sollte das Direktorium, meint Stuart, aus nur 15 Personen
bestehen. Da darf man gespannt sein, welche Regierungen denn
stimmberechtigt sein werden im künftigen erlauchten Kreise: Plural
hin oder her, der ist wohl eher royal gemeint. Zeitgeist, man hört
Dir trapsen: Unterm Strich ruft Stuart nach der Kavallerie, geführt
von Captain Bush.

Denn auch Stuart weiß natürlich, dass es zur Gründung von Icann in
seiner jetzigen Form nur deshalb kam, weil sich die USA (und das
unter Clinton) vehement dagegen wehrten, die Internet-Kontrolle
beispielsweise an eine Unterorganisation der Uno wie die
International Telecommunication Union ITU abzutreten. Das hätte dem
Willen vieler Regierungen, inklusive der meisten EU-Staaten,
entsprochen. Doch kein internationales Gremium, hieß es damals, wird
je amerikanische Infrastruktur kontrollieren.

Denn, obwohl das Web ein weltweites Medium sein mag, hat es doch so
etwas wie einen Ort: Der lässt sich auf die Standorte der so
genannten Root-Server zurückführen, die einzigen Rechner, die zu
jedem gegebenen Zeitpunkt die Adressen jedes Web-Servers in der Welt
kennen. Wer die Root-Server kontrolliert, entscheidet, wer im Web
existiert, und wer im virtuellen Nirvana unsichtbar bleibt, wer dort
kommunizieren kann und wer nicht. Die US-Regierung kontrolliert die
Root-Server teils direkt, teils mittelbar.

Die Kontrolle über eine derart "kritische Infrastruktur", über die
auch der sicherheitsrelevante Internet-Verkehr der Vereinigten
Staaten läuft, wird Bush niemals internationalisieren.

Die Argumente dagegen liefert ihm stante pede die informierte
amerikanische Öffentlichkeit. Michael Froomkin, Jura-Professor an der
Universität Miami, wird von "Wired" mit den Worten zitiert, ihm sei
"unwohl" bei dem Gedanken, "dass totalitäre Regierungen" durch einen
solchen Plan die Macht bekämen, "Regeln einzuführen, die einen
direkten Effekt in den Vereinigten Staaten" hätten.

Ein an Niedlichkeit grenzendes, gewolltes Missverständnis: Genau so
gut hätte er Einspruch dagegen erheben können, dass die Klingonen die
Root-Server entführen.

Stuart Lynn hat keineswegs angeregt, die Kontrolle über die
Root-Server an ein totalitäres Regime abzutreten. Bis jetzt haben die
Amerikaner sich noch immer vorbehalten, das letzte Wort darüber zu
sprechen, wer im Direktorium sitzen darf oder nicht. Vertreter von
Sadam Hussein werden wohl kaum dabei sein.

Reif für den Hohlspiegel: "Lieber Regierungs- als frei gewählte
Volksvertreter" 

Regierungsvertreter, sagt Icann-Präsident Stuart Lynn, könnten die
Interessen ihrer Bürger weit besser vertreten, als die frei gewählten
Vertreter. Das klingt schon deshalb seltsam, weil man zumindest in
den Ländern der westlichen Welt davon ausgehen können sollte, dass
auch die Regierungsvertreter von irgendjemandem gewählt wurden.
Gemeint ist aber etwas anderes: Ein klarer politischer Wille sei dem
Hickhack um jeden Kompromiss und Konsens vorzuziehen. Autokratie
statt Demokratie.

Doch man muss vorstellen, wie das in der Praxis aussehen würde:
Natürlich würden Regierungen politisch gebriefte "Fachleute"
entsenden, die entweder wirklich etwas wüssten oder aber auf diese
Weise in den politischen Vorruhestand beförderte Marionetten ihrer
Referenten wären. Gewählt hätte die wahrhaft niemand.

Unterm Strich bliebe das aber auch gleich: Man schmorte im eigenen
Saft, wäre unter sich - und sicher vor all diesen Indiskretionen über
Lächerlichkeiten und Kungeleien, die die irritierten
Netzuser-Vertreter immer wieder nach außen tragen.

Wie in diesem Fall: Stuart Lynn machte seine Äußerungen natürlich
hinter verschlossenen Türen. Dort protestierten allein die frei
gewählten Direktoren Karl Auerbach ("Das ist, als würde Bush den
Kongress auflösen") und Andy Müller-Maguhn ("Niemand im Direktorium
hatte eine Frage") - zwei "Kollegen", die Lynn wohl nur zu gern los
würde.

In diesem einen Fall aber ist es klar, wer die Zitate nach außen
trug: Daran haben die Industrie-Lobbyisten und US-Regierungsnahen
Direktoren mindestens so viel Interesse wie die anderen. Lynns
vollständige Rede findet sich zum Download auf der Icann-Website. Die
"würzenden" Zitate aus dem eigentlich vertraulichen Meeting trugen
dann wohl alle in die Öffentlichkeit.

März: Schlagabtausch in Ghana 

Am 10. März trifft sich die Icann in Accra (Ghana), um auch die
Umstrukturierungs-Vorschläge zu diskutieren. Das Ergebnis ist
vorhersehbar: Das Direktorium wird gute Gründe finden, die
User-Vertreter werden Zeter und Mordio schreien - im Übrigen
unterstützt durch viele in den so genannten "Supporting
Organizations", den auch an der Zusammensetzung des Direktoriums
beteiligten Web-Standard-Organisationen. Noch eine Sackgasse für die
Icann, die sich schon bisher selten mit dem Ruhm bekleckerte,
kreative, nachvollziehbare und schnelle Entscheidungen getroffen zu
haben.

Doch dass sich Icann derart selbst auf den Füßen steht, von
Direktoren geleitet wird, die offenbar selbst nicht an ihre
Organisation glauben, ist wohl ein schon in der Gründungsphase
angelegter systemimmanenter und möglicherweise gewollter Fehler. Bei
Icann wird ein alter Konflikt zwischen den Vertretern zweier
Denkkulturen fortgeführt. Auf dem Holzweg sind möglicherweise beide.
Auf der einen Seite die User-Vertreter, die vielleicht zu
hoffnungsvoll daran glaubten, in Icann die Keimzelle neuer
demokratischer, post-nationaler Strukturen zu entdecken.

Auf der anderen Seite Lobbyvertreter wie Lynn. Der glaubt fälschlich,
er werde noch gebraucht, wenn "Regierungen" wieder mehr offenen
Einfluss nähmen. Doch das ist kein Modell für eine alternative
Gestaltung von Icann, sondern eine Alternative zu Icann.

Absolut treffend brachte das Rob Courtney vom Center for Democracy
and Technology auf den Punkt: "Wenn die Regierung mit im Boot ist, wo
liegt dann die Notwendigkeit, Icann überhaupt fort zu führen?" Nicht
"Wie-Sein", sondern Sein oder Nichtsein, genau das ist hier die
Frage.

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Zum Thema
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Im Internet:

 - Icann
   http://www.icann.org/
 - Stuart Lynn: Vorschlag zur Umstrukturierung von Icann
   http://www.icann.org/general/lynn-reform-proposal-24feb02.htm
 - Center for Democracy and Technology
   http://www.cdt.org
 - Icannwatch
   http://www.icannwatch.org/
 - Icann-Studienkreis
   http://www.icann-studienkreis.net/



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