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[ffii] Brief von Tauss an Däubler-Gmelin (fwd)



---------- Forwarded message ----------
Date: Wed, 13 Mar 2002 18:32:48 +0100
From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
To: neues@ffii.org
Cc: swpat@ffii.org
Subject: [ffii] Brief von Tauss an Däubler-Gmelin

http://swpat.ffii.org/papiere/eubsa-swpat0202/tauss020312/index.de.html
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    Tauss 2002-03-12: Deutschland muss EUK/BSA-Vorschlag und EPA-Praxis
                                zurückweisen

   Der Vorsitzende des Bundestagsunterausschusses Neue Medien bittet
   seine Parteikollegin Bundesjustitzministerin Däubler-Gmelin, dem
   Brüsseler Vorschlag, Programmlogik patentierbar zu machen, eine ähnlich
   klare Absage zu erteilen wie Frau Däubler-Gmelin es im November 2000
   gegenüber den Plänen der Patentlobby tat, die "Programme für
   Datenverarbeitungsanlagen" von der Liste der Nicht-Erfindungen im
   Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) zu streichen.  Tauss fordert
   eine Unterstützung der Position Frankreichs und zählt auch das BMWi
   zum Kreis derer, die dieser Position zuneigen.  Grundsätzlich hält
   Tauss eine Klärung der Grenzen der Patentierbarkeit auf EU-Ebene
   für sinnvoll.  Der vorliegende Entwurf ziele aber darauf ab,
   im Sinne des EPA "lästige Debatten zu beenden" und so die vom EPA
   verursachten Probleme weiter zu verschlimmern, statt sie zu lösen.

    A. Der Brief
    B. Weitere Lektüre

A. Der Brief

   JÖRG TAUSS

   MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES

   VORSITZENDER UNTERAUSSCHUSS NEUE MEDIEN

   Jörg Tauss, MdB * Unter den Linden 50 * 11011 Berlin

   An die
   Bundesministerin für Justiz
   Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin
   Bundesministerium für Justiz
   - Postaustausch -

   Berlin, den 12. März 2002

   Softwarepatente  Richtlinienentwurf der EU-Kommission

   Sehr geehrte Frau Ministerin,

   die EU-Kommission hat am 20. Februar 2002 den lange erwarteten
   Richtlinienentwurf zur Patentierbarkeit von Software beschlossen. Wie
   Sie wissen, ist diese Frage in den vergangenen Monaten und Jahren sehr
   kontrovers diskutiert worden. So hat auch der Unterausschuss Neue
   Medien gemeinsam mit dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am
   21. Juni 2001 ein öffentliches Expertengespräch durchgeführt, um sich
   hinsichtlich der Chancen und Risiken einer Erweiterung der
   Patentierbarkeit von Software zu informieren. Die kritischen
   Ergebnisse habe ich kursorisch zusammenfassen lassen und dem
   Vorsitzenden des Rechtsausschusses zur Verfügung gestellt (Anlage).
   Ebenso hat sich die Enquete-Kommission "Globalisierung der
   Weltwirtschaft  Herausforderungen und Antworten" mit dem Problem der
   zunehmenden Monopolisierung des Wissens befasst und ausdrücklich vor
   den negativen Auswirklungen  etwa einer zu engen Auslegung der
   TRIPS-Bestimmungen  gewarnt. Hier wurden als negatives Beispiel neben
   der Gesundheits-, Landwirtschafts- und der Ernährungspolitik
   insbesondere eben auch der Softwarebereich angeführt.

   In dieser Angelegenheit hatten Sie sich auf der Konferenz zum
   europäischen Patentübereinkommen im November 2000 zurecht gegen eine
   voreilige Änderung des Art. 52 EPÜ ausgesprochen. Mit dem von der
   EU-Kommission nach langem internen Streit zwischen den
   Generaldirektionen Binnenmarkt, Wettbewerb und
   Informationsgesellschaft beschlossenen Richtlinienvorschlag (KOM
   (2002) 92end.) gewinnt die Debatte nun wieder an Dynamik. Ohne den
   Vorschlag an dieser Stelle im Detail bewerten zu wollen, so lässt er
   doch zahlreiche Fragen offen. Zumindest irritierend ist es aber, dass
   der beschlossene Text in den entscheidenden Punkten wortgleich mit
   einem bereits länger kursierenden Entwurf ist, als dessen Autor ein
   Jurist der Business Software Alliance (BSA) gilt. Die BSA wiederum ist
   ein Interessenverband der großen Softwarehersteller allen voran
   Microsoft, der sich bisher weniger mit Patentrecht, als vielmehr mit
   der internationalen Durchsetzung eigener wirtschaftlicher Interessen
   beschäftigt hat. Wieso sich die EU-Kommission den Vorschlag eines
   Interessenverbandes zu eigen macht, sei dahingestellt. Politisch
   stehen für mich aber weiterhin folgende Fragen im Vordergrund:

     * Eine Übernahme des amerikanischen Softwarepatentsystems ist auch
       aufgrund der bisherigen negativen Erfahrungen in den USA
       abzulehnen. Ein europäischer Weg in der Softwarepatentpolitik
       erscheint nicht nur möglich, sondern auch angebracht und wird
       offensichtlich auch in Brüssel verfolgt.
     * Die bisherige, bereits rechtlich strittige Patentierungspolitik
       des EPA, ist zu evaluieren und unrechtmäßig erteilte Patente sind
       zu widerrufen. In diesem Zusammenhang von der "Herstellung der
       Rechtssicherheit auf Grundlage des Status Quo" zu sprechen, wie es
       der Richtlinienvorschlag tut, erscheint zumindest
       klärungsbedürftig. Um es klar zu sagen: Das EPA hat bereits eine
       Unmenge fraglicher Patente erteilt, die nicht ohne Prüfung mit
       einem Federstrich im Nachhinein legalisiert werden dürfen. Auf
       Basis einer Fehlentwicklung Rechtssicherheit herstellen zu wollen,
       nur um lästige Debatten zu beenden, erscheint mir nicht als ein
       angemessenes Vorgehen.
     * Eine freie Patentierbarkeit von Software entzieht alternativen
       Entwicklungskonzepten die Grundlage, insbesondere Open
       Source-Software  wie die wirtschaftlich erfolgreiche
       Serversoftware Apache oder das Betriebssystem Linux  wäre in der
       jetzigen Form nicht mehr möglich (offenbar ist der Umweg über
       Brüssel ein guter Weg, um sich als weltweiter Monopolist seiner
       ärgsten Widersacher zu entledigen). Wir können nicht einerseits
       den Einsatz von Open Source-Software fordern und fördern, die auch
       hinsichtlich der zunehmend wichtigen Sicherheits- wie
       Kostenaspekte gerade für den öffentlichen Bereich attraktiv sind,
       andererseits diese insbesondere europäische Entwicklung durch
       freie Patentierbarkeit unmöglich machen und amerikanischen
       Unternehmen das Feld überlassen.

   Die Patentierbarkeit von Software ist eine Kernfrage der künftigen
   Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaft, da die
   Bedeutung sowohl elektronischer Information und Kommunikation, als
   auch der IT-Infrastruktur weiter zunehmen wird. Lassen wir es weiter
   zu, dass entscheidende Schnittstellen dieser Infrastruktur zunehmend
   monopolisiert und der allgemeinen gesellschaftlichen Verfügbarkeit
   entzogen werden, müssen wir uns nicht wundern, wenn in weiten Teilen
   naturgemäß rendite-orientierte Entscheidungen amerikanischer
   Unternehmen die Möglichkeits- und Entwicklungsbedingungen auch der
   europäischen Wissens- und Informationsgesellschaft wie -industrie
   bestimmen. Erster Hinweise auf die Auswirkungen können bereits
   beobachtet werden, hier möchte ich nur drei Beispiele kurz anführen:
   so ist  natürlich  in den USA eine Klage anhängig, in der es um die
   Verwendung von Hyperlinks geht, dem beinahe wichtigsten
   Navigationsprinzip im Internet. Dieses verletze Patente, so die
   Klägerin, die sie an diesem Verfahren halte  Lizenzgebühren für jeden
   Mausklick im Netz an ein einziges Unternehmen? In einem zweiten
   Verfahren werden patentrechtliche Ansprüche an dem Prinzip erhoben,
   Kopien digitaler Güter aus dem Internet herunterzuladen. Bei jedem
   dieser Downloads, etwa eines Musikstücks oder Programms, wären
   Gebühren an ein einzelnes Unternehmen fällig, nur weil es als erstes
   ein Verfahren patentieren ließ, welches viele Personen parallel
   ersonnen haben und das bisher milliardenfach frei eingesetzt wurde.
   Und drittens schließlich ist erst in diesen Tagen ein Rechtstreit in
   den USA nach 3 Jahren außergerichtlich beigelegt worden, der 1999
   zwischen zwei Unternehmen um das sogenannte One-Click-Patent
   entbrannte. Hier wurde ein Verfahren patentiert, mit dem Kunden eines
   Online-Shops ein aktuell angezeigtes Produkt mit nur einem einzigen
   Mausklick bestellen konnten. Im Umkehrschluss verlangte die
   Patentinhaberin nunmehr, dass bei der Konkurrenz mindestens zwei
   Klicks notwendig sein müssen, um den Patentanspruch nicht zu verletzen
    wieder ist der innovative Fortschritt mehr als fragwürdig und der
   Kampf um geringste Wettbewerbsvorteile mehr als offensichtlich. Die
   Analogien zur Biopatentdebatte sind offenkundig, auch hier ist nämlich
   die Frage zu stellen, welchen außerordentlichen gesellschaftlichen
   Beitrag die Innovationen der Unternehmen geleistet haben, die ein
   derart folgenreiches und langfristiges Verwertungsmonopol
   rechtfertigen könnten. Die EU-Kommission drückt sich um eine Antwort
   auf diese im Grunde politische Frage: was soll eigentlich patentierbar
   sein und was geht aus welchen Gründen zu weit? Bis heute gibt es keine
   Antwort darauf, ob etwa die drei beschriebenen amerikanischen Patente
   nun auch in Europa möglich sein sollen, oder eben nicht. Das EPA,
   darauf möchte ich mit Nachdruck ein weiteres mal hinweisen, hat
   mittlerweile mehrere Tausend Patente erteilt, deren Erfindungshöhe
   sich kaum positiv von den zitierten Beispielen abhebt und daher mehr
   als fraglich ist.

   Die EU-Kommission geht der Kernfrage in der Debatte um die
   Patentierbarkeit von Software gegenwärtig aus dem Weg. Sie lautet
   nämlich, ob und inwiefern Software nach den allgemeinen
   patentrechtlichen Grundsätzen tatsächlich eine Erfindung darstellen
   kann und auch tatsächlich dem Bereich dem Technik, auf den das
   Patentrecht begrenzt ist, zuzuordnen ist. Erfindungen im Sinne einer
   signifikanten Erweiterung gesellschaftlichen Könnens resp. ihrer
   technischen Problemlösungskapazitäten sind nicht bereits durch die
   handwerklich auch noch so gelungene Anwendung bestehenden Wissens und
   bestehender Verfahren gegeben, sie dürfen vielmehr selbst für
   fachkundige Personen nicht naheliegend sein. Technik im Sinne einer
   Lehre zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte
   zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges (so der BGH) bedarf
   offenbar des physikalischen Bezuges. Dieser ist aber in der Dualität
   von Software/Hardware in der IT-Welt nicht ohne weiteres gegeben, war
   es doch gerade die Neumann'sche Universalmaschine (die wir heute
   Computer nennen), die beide Bereiche voneinander unabhängig machte und
   eigenständige Entwicklungslinien ermöglichte. Jedes Programm (als
   algorithmisierte Logik) läuft auf jedem Rechner (als physikalisches
   Substrat der logischen Manipulationen), gleich welche
   Programmiersprache verwendet wird oder welcher Prozessor die Befehle
   abarbeitet  es ist eben eine logikoffene universale Rechenmaschine.
   Software ist daher eher einer handwerklichen Tätigkeit vergleichbar
   und folgt als textbasiertes Medium eher logischen Regeln als
   naturgesetzlichen Verfahren. Die Richtlinie verlangt von den
   Mitgliedstaaten in Artikel 3 nun aber, so-genannte
   computerimplementierte Erfindungen als Teil der Technologie
   auszufassen und spricht sich damit grundsätzlich für ihre
   Patentierbarkeit aus, um die Rechtssicherheit zu erhöhen - die
   Beweggründe zu dieser weitreichenden Regelung sind nicht ersichtlich.

   Abgesehen davon, dass die rechtliche Frage der Patentierbarkeit von
   Logiken strittig ist und auch die innovationspolitische Notwendigkeit
   zumindest für den Bereich der Softwareentwicklung verneint werden
   kann, sollte auch ein weiteres Ziel nicht aus den Augen verloren
   werden: wir wollen den IT-Bereich wirklich internationalisieren und
   eine  vor allem amerikanisch dominierte  Monokultur in der
   Softwarelandschaft aufbrechen. Hier hat Europa eine einmalige Chance,
   gerade über Open Source-Projekte entscheidende Elemente der künftigen
   IT-Infrastruktur mitzubestimmen. Diese Chance darf nun nicht durch
   eine einseitige, an den Interessen (amerikanischer) Großkonzerne und
   deren patentjuristischer Abteilungen orientierte Richtlinie gefährdet
   werden. Oder, um sinngemäß die Worte von Prof. Plattner, dem
   Vorsitzenden des erfolgreichen deutschen Softwarehauses SAP,
   anzuführen: man brauche keine Softwarepatente, um auf den Märkten für
   Software erfolgreich zu sein. Sehr wohl braucht man diese Patente
   aber, wenn man sich mit den aggressiven amerikanischen Unternehmen vor
   amerikanischen Gerichten auseinandersetzen will oder gar muss. Auch
   dort wolle eigentlich keiner Softwarepatente, doch wird die bestehende
   rechtliche Möglichkeit zum Rent-Seeking oder Marktabschottung eben
   inflationär genutzt. Dieser Zwang besteht für Europa  anders als es
   oft kolportiert wird  keineswegs, weder verlangt das TRIPS noch der
   gegenwärtig neu verhandelte Patenvertrag der WIPO explizit eine
   Patentierbarkeit von Software. Niemand beabsichtigt die international
   anerkannten patentrechtlichen Grundsätze generell in Frage zu stellen.
   Ich bin nur dezidiert der Auffassung, dass Software diese
   Anforderungen nicht zu erfüllen vermag und Softwarepatente darüber
   hinaus nachweislich volks- wie betriebswirtschaftlich negative Effekte
   produzieren würde.

   Die Richtlinie ist daher keineswegs überflüssig, sie ist sogar
   sachlich notwendig und kann ein entscheidendes Signal in die richtige
   Richtung geben. Dies setzt allerdings voraus, dass es gelingt,
   erhebliche Änderungen am gegenwärtigen Entwurf durchzusetzen. Hier
   unterstütze ich in jeder Hinsicht die Kritik Frankreichs oder auch aus
   dem Bundeswirtschaftsministerium zum Richtlinienvorschlag und möchte
   Sie bitten, sich ebenfalls für eine solche Verbesserung und auch
   Klarstellung einzusetzen. Indem ich auf Ihre weitere Unterstützung in
   dieser Auseinandersetzung sowie in den bevorstehenden Diskussionen
   baue, verbleibe ich

   mit freundlichen Grüßen

B. Weitere Lektüre

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