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 Gibt es Auswege aus dem Patent- und Copyright-Regime?
 
 Stefan Krempl   09.11.2002 
 
 Weltweit wird eine Plünderung der Informationsumwelt befürchtet, aber 
vor allem Entwicklungsländer sind von der Ausweitung des Systems zur 
Sicherung des "intellektuellen Eigentums" bedroht 
 
 Über die World Trade Organization ( [1]WTO) und die World Organization 
for Intellectual Property ( [2]WIPO) ziehen die reichen nordwestlichen 
Länder unter der Führung der USA die Schraube des Patent- und 
Urheberschutzes immer fester. Nach Auffassung zahlreicher Experten und 
Kommissionen drücken sie damit - ganz im gegenteiligen Sinne der 
Erfinder der geistigen Eigentumsrechte - der informationellen Umwelt 
den Sauerstoff ab und schnüren die armen Südländer in ihrer Entwicklung 
ein. Eine Konferenz der Heinrich Böll Stiftung in Berlin erörterte nun 
die Frage, ob das System noch zu retten ist und wie eine Politik der 
nachhaltigen Förderung der Wissensgesellschaft aussehen könnte ( s. a.: 
[3]Strategien gegen die "digitale Landnahme" gesucht). 
 
 "Das Niveau, der Spielraum, die territoriale Ausdehnung und die Rolle 
des geistigen Eigentumsschutzes haben sich in den vergangenen 20 Jahren 
in beispielloser Geschwindigkeit verändert und erweitert", warnt der im 
September veröffentlichte Abschlussbericht einer britischen 
[4]Regierungskommission zur Integration geistiger Eigentumsrechte und 
Entwicklungspolitik. Die Zahl der Patentanmeldungen sei in diesem 
Zeitraum enorm gestiegen. Gleichzeitig, heißt es dort in britischem 
Understatement, entstehe "immer mehr der Eindruck, dass viele Patente 
von minderer Qualität und sehr breitem Umfang eingereicht werden." 
 
 Der Nutzen für die Gesellschaft, den die staatlichen Instrumente der 
Gewährung von geistigen Eigentumsrechten eigentlich beispielsweise in 
Form der Entwicklung neuer Medikamente oder Technologien sichern 
sollten, wird dabei im Verhältnis zu den volks- und 
betriebswirtschaftlichen Kosten und Zeitverlusten, die aufwändige 
Patentrecherchen vor dem Forschen, das Anmeldeverfahren und eventuelle 
Gerichtsklagen mit sich bringen, immer geringer. Diese Relation fällt 
in den Entwicklungsländern besonders schlecht aus, da diese bislang 
weder im geeigneten Umfang über eine systemimmanent "verwertbare" 
technologische Basis verfügen noch über das fundamentale Rechtssystem 
des geistigen Eigentums selbst. 
 
 Die britische Regierungskommission ist nun durchaus der Meinung, wie 
ein Co-Autor der Studie, Daniel Alexander, auf der Böll-Konferenz zur 
[5]Zukunft der globalen Güter in der Wissensgesellschaft in Berlin 
ausführte, "dass ein bestimmtes Eigentumsschutzrecht zu einem 
bestimmten Zeitpunkt sinnvoll für die Entwicklungsländer ist". Und zwar 
sollte es auf Kosten der davon profitierenden Konzerne, keinesfalls aus 
den überstrapazierten Budgets der Drittweltländer aufgebaut werden. 
 
 Kopierfreiheit für Entwicklungsländer 
 
 Der Rest des Berichts wimmelt aber nur so von Einschränkungen, und 
Verbesserungsvorschlägen in Zusammenhang mit dem verbreiteten Regime. 
"Weit reichende Ausnahmen" in den urheberrechtlichen Gesetzen schlagen 
die Autoren etwa für die Nutzung im Bildungs-, Forschungs- und 
Bibliothekswesen vor - zum Teil verbunden mit dem "Recht zum Hacken" 
eventuell eingesetzter "technischer Schutzvorrichtungen". Ähnliche 
Nutzerprivilegien lehnt beispielsweise die Bundesregierung im Rahmen 
der umstrittenen Urhebernovelle strikt ab ( [6]Privatkopie wird der 
Zahn gezogen). 
 
 Da gerade das Internet ein "konkurrenzloses Mittel für den 
kostengünstigen Zugang zu Wissen und Information" in den 
Entwicklungsländern sei, sollten den Surfern dort "Rechte auf freie 
Nutzung eingeräumt werden." Anders lautende vertragliche Bestimmungen, 
mit denen sich Verwerter international verstärkt ihre Pfründe sichern 
und vor allem öffentliche Bibliotheken in die Bredouille bringen, 
könnten "als nichtig behandelt werden." Verständnis äußern die Experten 
angesichts der Armut im Süden auch für die gängige "Verwendung von 
unrechtmäßigen Kopien". 
 
 Bezogen auf das Patentsystem haben die Briten einige 
Verbesserungsvorschläge parat, die auch in Europa - beispielsweise in 
der Diskussion um die umstrittene neue Patentrichtlinie der EU - und 
den USA gern ins Spiel gebracht werden. Gerade im Pharmasektor, wo sich 
der Patentschutz seit langem stark auf die Arzneimittelpreise auswirkt 
und Länder wie Südafrika daher bereits etwa im Kampf gegen AIDS mit 
einer vollkommenen Abkehr vom System liebäugelten, sollte der 
Mechanismus der Zwangslizenzen stärker angewendet werden. Ferner 
befürwortet die Kommission die Einführung eines differenzierenden 
Preissystems. 
 
 Ähnlich hatte jüngst auch die Enquete-Kommission des Bundestags zur 
[7]Globalisierung der Weltwirtschaft gefordert, dass die Bereitstellung 
von Wissen als ein globales öffentliches Gut anzusehen sei. Das 
TRIPS-Abkommen der WTO über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte des 
geistigen Eigentums und die Biopatent-Richtlinie der EU sollten daher 
einer Revision unterzogen werden. Generell plädieren Patentexperten 
weltweit auch seit langem dafür, die Anforderungsstufen an eine 
Gewährung des Rechtsschutzes deutlich zu erhöhen und die Prüfungen zu 
verbessern. 
 
 Keine Allheilmittel für die Renovierung des Patentsystems 
 
 Doch all die guten Vorschläge dürften selbst bei ihrer Umsetzung nur 
geringe Wirkungen entfalten. Auch die Sache mit den Zwangslizenzen sei 
trotz erster Erfolge im Gesundheitsmarkt in Großbritannien und in der 
EU "kein Allheilmittel", erklärte Alexander auf der Böll-Tagung. Um 
Wirkungen zu erzielen, müsste das ganze System zunächst "unglaublich in 
Form gebracht und beschleunigt werden." Auch eine genauere Untersuchung 
von Patentansprüchen stoße in der Realität rasch auf enge Grenzen. Nur 
Genies könnten da etwas bewirken. 
 
 Brian Kahin, Leiter des [8]Center for Information Policy an der 
University of Maryland, würde es dagegen schon begrüßen, wenn endlich 
zumindest "Erfinder und Techniker" selbst - und nicht irgendwelche 
Anwälte - die Ansprüche prüfen würden. Eine Verbesserung würde aber 
auch dann nur eintreten, wenn es "deutlich weniger Anträge von 
vornherein geben würde". Eine Verkürzung von Patentlaufzeiten auf zwei 
Jahre, wie sie etwa im Bereich des Softwareschutzes von Skeptikern wie 
dem Berliner Gesellschaftsinformatiker [9]Bernd Lutterbeck gefordert 
wird, hält Kahin dagegen nicht für einen geeigneten Weg: "Das würde die 
Vorteile eines Patents nur verringern, die hohen Kosten aber 
beibehalten." 
 
 Ein Argument für die Kommerzialisierung von Wissen steuerte auf der 
Berliner Konferenz schließlich noch Christian Kilger, Geschäftsführer 
der ipal Gesellschaft für Patentverwertung der Berliner Hochschulen, 
bei. Seit seine Firma vor etwa zwei Jahren im Vorfeld des Wegfalls des 
Professorenprivilegs aus dem Arbeitnehmerrecht, ihre Erfindungen selbst 
zu veröffentlichen beziehungsweise zu vermarkten, gegründet wurde, sind 
bei ihm rund 160 Anmeldungen eingegangen. Die würden dann keineswegs 
wie wild sofort ans Patentamt weitergereicht, sondern zunächst intern 
auf sinnvolle Verwertbarkeit geprüft. 
 
 "In weit weniger als der Hälfte der Fälle haben wir dann Patente 
angemeldet", erläuterte Kilger, "in einer handvoll Fälle sind wir bei 
der Lizenzierung." Durch dieses Verfahren und spätere Ausgründungen sei 
zum einen sicherzustellen, dass Innovationen aus den Unis wirklich 
geschützt und nicht etwa gleich direkt an die Industrie verramscht 
würden, zum anderen hofft der Diplom-Biologe im Blick auf Vorbilder wie 
das MIT in Boston auf die Schaffung "vieler Arbeitsplätze". 
 
 Im Umfeld der Konferenz, die sich allgemein für die Sicherung des 
gemeinsamen öffentlichen Gutes "Wissen" sowie die Bewahrung und 
Förderung der Vielfalt der Kultur- und Informationsgüter im Sinne einer 
nachhaltigen Wissensökologie aussprach, konnte sich Kilgers Argument 
aber nur schwer durchsetzen. Von der Tagung ging angesichts der vielen 
offenen Fragen rund um das Regime geistiger Eigentumsrechte vielmehr 
das Plädoyer aus, einer künstlichen Verknappung von Wissen durch dessen 
Umwandlung in eine beliebige Ware entgegenzuwirken und die 
Langzeitverfügbarkeit auch des elektronisch repräsentierten Wissens zu 
sichern. 
 
 Links 
 
 [1] http://www.wto.org/
 [2] http://www.wipo.org/
 [3] http://www.heise.de/newsticker/data/mw-09.11.02-005/
 [4] http://www.iprcommission.org/
 [5] 
http://www.wissensgesellschaft.org/veranstaltungen/veranstaltungen.html
 [6] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/copy/12136/1.html
 [7] http://www.bundestag.de/gremien/welt/
 [8] http://cip.umd.edu/
 [9] http://ig.cs.tu-berlin.de/
 
 Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/copy/13574/1.html 

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