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[rohrpost] SZ über Digital Rights Management und die Trusted Computing Platform (fwd)



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In den letzten Tagen der Freiheit

Das Internet (7): Eine stille Revolution steht bevor - Die Zukunft
des geistigen Eigentums wird dieser Tage entschieden

Die Ironie wurde uns zu spät bewusst: Es war der Traum von der
totalen Freiheit, von Wissen und Wohlstand für jedermann, der uns in
die Unmündigkeit lockte. Freiheit braucht Kontrolle. Und die
Verbreitung von Raubkopien, Viren und Schund im Internet war ja ein
reales Problem. Die Lösung, die kommendes Jahr, so wie es aussieht,
fast unbemerkt vollendet werden wird, besteht eigentlich nur aus
einer subtilen Abwandlung der juristischen Definition von "geistigem
Eigentum" und einer technischen Neuerung. So leicht wird es sein,
die mächtigsten Demokratien durch einen zentral gelenkten
Industrietrust - der TCP-Alliance - zu ersetzen. Bleibt die Frage,
ob sich dies noch verhindern lässt.

In einer Serie durchstreifen wir das Internet, erzählen, wie es
wurde, was es ist, und was aus ihm werden könnte. Heute geht es um
die Veränderung der - virtuellen und realen - Welt durch das neue
Urheberrecht.

SZ

Dabei wurde über den Wert von "geistigem Eigentum" immer gestritten,
nie formulierte ein Rechtsphilosoph eine logisch konsistente und
durchsetzbare Definition. Lange Zeit behalf man sich mit einem
Kompromiss: Der rechtliche Schutz sollte umfassend genug sein, damit
geistige Arbeit attraktiv bleibt und die Urheber nicht aus Angst vor
Plagiaten ihre Erfindungen geheim halten. Andererseits darf dieser
Rechtsschutz nicht die Weiterentwicklung von Gesellschaft und Geist
verhindern.

Wer mit dem geistigen Werk eines anderen Geld verdienen wollte,
musste es dem Urheber abkaufen. Nur für Wissenschaft, Bibliotheken
oder den privaten Tausch war es frei. Und die Marktforschung konnte
zeigen, dass den Urhebern durch die freien Kopien kein Schaden
entstand. Viele jugendliche Menschen wurden durch das freie Kopieren
später zu Käufern. Zudem blieb den Urhebern für die privaten und
wissenschaftlichen Kopien ein Entgelt - durch Pauschalabgaben auf
Kopierer und Speichermedien.

Dann kam das Internet. Anfangs schaffte es viele kleine
Verbesserungen, ersparte die Fahrt zur Bibliothek, digitale Kopien
ließen sich ohne Qualitätsverlust herstellen. Alle Grenzen, die den
freien Zugang zum öffentlichen Wissen verhindert hatten, schienen zu
fallen. Aber zugleich berichteten die Rechteverwerter der Popstars
und Hollywoodstudios von Umsatzeinbußen - die wahrscheinlich auch
durch Raubkopien entstanden waren. Außerdem waren die digitalen
Speichermedien nicht mit einer Schutzabgabe belegt, so dass die
Rechteverwerter nicht durch das Geschäft mit CD-Rohlingen
entschädigt wurden.

Die ersten Abwehrmaßnahmen wirkten eher lächerlich. Fast konnte man
Mitleid bekommen mit den Goliaths aus der Musikindustrie im Kampf
gegen Computerdavids, die alle Schutzmechanismen knackten. Mal ging
die Industrie gerichtlich gegen Tauschbörsen vor, doch kurz darauf
entstanden zehn neue. Mal versuchten sich die Konzerne selbst in der
Guerillataktik und mischten unter die raubkopierten Werke
Computerviren. Dies, immerhin, machte den Austausch von Raubkopien
überaus mühselig.

Trotzdem sahen viele schon das Ende der kommerziellen Verwertung von
geistigem Eigentum nahe. Mancher Philosoph phantasierte von einer
Zukunft, da Arbeit nicht mehr mit Geld bezahlt werde, sondern mit
der neuen Währung des Internets namens "Aufmerksamkeit". Aber hätte
es wirklich ernste Nachteile gehabt, wenn sich die Raubkopien als
unausrottbar erwiesen hätten? Wäre uns deshalb auch nur ein Song von
Madonna erspart geblieben? Das Popgewerbe wäre ein gutes Geschäft
geblieben, nicht nur durch den Verkauf von Konzertkarten und
Merchandising-Produkten.

Doch es kam anders. 1994 beschloss die Welthandelsorganisation,
"geistiges Eigentum" als gewöhnliche Handelsware zu definieren, mit
im Wesentlichen gleichen Rechten im kapitalistischen
Wirtschaftssystem wie beim materiellen Eigentum. Wo diese Gleichheit
nicht besteht, sollten technische Vorkehrungen sie künstlich
herstellen. Schrittweise wurden diese Grundsätze in nationales Recht
umgewandelt - mit dem "Digital Millenium Copyright Act" der USA von
1998 und anschließend mit der sperrigen "Richtlinie zur
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der
verwandten Rechte in der Informationsgesellschaft" der EU vom Sommer
2001. Bis zum 22. Dezember 2002, so war darin festgelegt, musste sie
in allen Mitgliedsstaaten zu gültigem Recht werden.

Allein Deutschland verspätete sich - aber nicht aus Einsicht in die
Tragweite der Gesetzesinitiative. Zwar beklagten einige Abgeordnete,
dass das neue Urheberrecht nichts zum Schutz öffentlicher
Bibliotheken und legaler Privatkopien unternähme. Aber der
wesentliche Punkt ist bisher allen Volksvertretern entgangen. Die
Radikalität der Neudefinition von "geistigem Eigentum" verblasst vor
der unscheinbaren Sonderregel zu einem Einzelfall, der im hinteren
Teil der EU-Richtlinie und aller anderen Gesetze behandelt wird. Sie
betrifft ein kleines, aber ungewöhnliches Produkt geistiger Arbeit,
nämlich eine elektronische Erfindung zum "Management digitaler
Rechte". Nie war eine rechtliche Revolutionierung subtiler
formuliert, nie war sie mächtiger.

Im Detail: Die Gesetze fordern den Rechteverwerter auf, zum Schutz
geistigen Eigentums eine weltweit einheitliche technische
Systemlösung zu entwickeln und bei jedem Nutzer zu installieren.
Diese Lösung soll geistigem Eigentum eben jene fehlenden
Eigenschaften verleihen, die notwendig ist, damit es dem materiellen
Eigentum gleichsteht. Insbesondere soll jede Kopie zu einem
"individuierbaren" Gegenstand gemacht werden, der jederzeit nur mit
Zustimmung des Eigentümers von ihm namentlich bekannten Kunden
verwendet werden kann. Die Betreiber dieses globalen
Schutzmechanismus werden ermächtigt, das System zu betreiben und zu
kontrollieren. Sie dürfen gerichtlich gegen jeden Versuch vorgehen,
den Schutzmechanismus zu umgehen, ja sie können den Delinquenten
sogar den Internetzugang verwehren und damit eben den Zugang zu
geistigem Eigentum. Alle Staaten werden verpflichtet, Polizei und
Justiz zur Bestrafung von Rechtsbrüchen einzusetzen.

Ein gigantischer Verwaltungsaufwand! Aber gibt es nicht Hacker, die
das System knacken? Ist es überhaupt realisierbar? Ja. Es bedarf nur
des festen Willens und des koordinierten Vorgehens aller größeren
Computer- und Softwarehersteller mit allen größeren
Entertainment-Konzernen - und genau diese haben sich Jahre vor dem
großen Coup unbemerkt in der "Trusted Computer Platform Alliance"
zusammengeschlossen. Die Technik wurde im Sommer 2002 fertig
entwickelt und besteht aus einer einfachen Kombination von bekannten
Verfahren der Verschlüsselung und "digitaler Wasserzeichen".

Mit diesem Wasserzeichen lässt sich bei jeder Kopie der rechtmäßige
Eigentümer und der letzte rechtmäßige Besitzer des Werkes ausfindig
machen. Die Verschlüsselung garantiert, dass jede Nutzung nur mit
Zustimmung des Schlüsselinhabers stattfindet. Die Schlüssel
verwaltet ein zentraler Computer. Der gewaltige Datenverkehr, wenn
gleichzeitig eine Milliarde Menschen den neuesten Hit von Madonna
hören will, ist technisch ein inzwischen gelöstes Problem. Eher hat
man Angst, dass die Einführung des Systems durch einen Boykott der
Kunden scheitern könnte, weshalb man behutsam vorgeht.

Erst 2001 hatte der Marktführer Microsoft eine erste Version des
Schutzmechanismus in seine Betriebssysteme eingebaut. Ab Herbst 2003
könnte man vermutlich praktisch alle Festplatten, Hauptplatinen, CD-
und DVD- Laufwerke mit dem Mikrochip ausstatten, der jeden
Datenfluss auf die digitalen Wasserzeichen hin kontrolliert, die
Schlüssel abfragt und bei fehlender Legitimation unterbindet. Dem
Etikett "TCPA approved" auf den Geräten dürfte kaum jemand Beachtung
schenken. Erst wenn die TCP-Alliance sich ihres Monopols sicher ist,
wird der Schlüsselverwaltungscomputer eingeschaltet und die Nutzung
aller Werke ohne die Einzellizensierung unterbunden werden.

Das "Trusted computing platform" bedeutete nicht, dass der Benutzer
seinem Computer vertrauen kann, sondern umgekehrt, dass der Konzern
dem Computer seines Kunden vertraut - weil er die Kontrolle über den
Datenverkehr besitzt. Aus den einst anarchistischen Heimcomputern
wird eine Jukebox mit Münzeinwurf vereint mit einem Orwellschen
"Televisor". Und alles wird so praktisch. Verbreitet etwa ein
Computerbesitzer unliebsame Satiren, könnte man ihn des
Copyrightverstoßes anklagen und ohne Gerichtsverhandlung von der
Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke ausschließen. So gelänge
es der TCP- Alliance binnen kurzem, konkurrierende Firmen zu
beseitigen. Bis diese Firmen vor Gericht den Vorwurf des
Copyright-Verstoßes entkräftet hätten, wären sie längst pleite. Das
Wissen und fast die gesamte Wirtschaftsleistung der Menschheit liegt
in den Händen eines Konzerns.

Vielleicht wird es im Jahr 2030 einer namenlosen Untergrundguerilla
von Hackern gelingen, in den bestgeschützten Computer der Welt
einzubrechen und seinen Datenbestand zu löschen: den
Schlüsselverwaltungscomputer. Auf einen Schlag wäre die größte
Macht, die das geistige Eigentum der Welt regierte, verschwunden -
und mit ihr das gesamte kulturelle und wissenschaftliche Erbe der
Menschheit mit Ausnahme einiger vergilbter Bücher in den wenigen
verbliebenen Bibliotheken. Wir wären frei. Um Gedanken
auszutauschen, wird es wieder Zeitungen geben, die wir, solange wir
noch ohne Elektrizität auskommen müssen, bei Kerzenschein lesen. Es
bleibt die Frage: Wird es sich verhindern lassen?

ULRICH KÜHNE
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