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SpOn: Wie sarkastisch darf Sarkasmus sein?



SPIEGEL ONLINE - 07. Januar 2003, 8:32
URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,229610,00.html

Gerichtsstreit
 
Wie sarkastisch darf Sarkasmus sein?

Von Christoph Seidler

Im schönen Münster beginnt am Mittwoch ein bemerkenswerter Strafprozess.
Ein Mann steht da vor Gericht, der in einem Internet-Forum einen -
seiner Meinung nach sarkastischen - Diskussionsbeitrag veröffentlicht
hat. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Billigung von Mord.

[M] AP; SPIEGEL ONLINE Es gibt Dinge, mit denen kann man nur schwer
umgehen; in der eigenen Gedankenwelt, aber auch in der Diskussion mit
anderen. Der Tod anderer Menschen gehört wohl für die meisten von uns zu
genau diesen Dingen. Als Schutzmantel vor der Realität müssen dann oft
Spott und Sarkasmus herhalten. Das ist im Gespräch unter Kollegen in der
Nachrichtenredaktion kaum anders als am Stammtisch. Und nur selten stört
sich jemand daran.

Jetzt schon. Und zwar die Staatsanwaltschaft Münster. Sie wirft einem
Mann die Billigung von Mord vor und hat deswegen ein Gerichtsverfahren
angestrengt, das am Mittwoch beginnen soll.

Der Fall:

Das Internet-Magazin "Telepolis" berichtete im Sommer vergangenen Jahres
unter dem Titel "Das Massaker, das nicht sein darf" über bis heute nicht
endgültig aufgeklärte Übergriffe der Nordallianz auf Taliban-Kämpfer in
der Nähe der afghanischen Stadt Masar-i-Scharif. Bei dem Vorfall sollen
Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen den Tod gefunden haben. In einem
Diskussionsforum hatten die Leser von "Telepolis" wie üblich Gelegenheit
sich zum Artikel zu äußern. Das tat auch ein Mensch mit dem
Phantasienamen "Engine_of_Aggression". Er schien erfreut über die Toten
am Hindukusch, die er als "Abschaum" bezeichnete und formulierte: "Warum
sollen Massaker immer nur an den Guten angerichtet werden?"

An einer Antwort auf diese Frage versuchte sich daraufhin der
Münsteraner Holger Voss. Er schrieb einen Beitrag unter dem Titel
"Gratulation! Das Böse wurde mit der Wurzel ausgerissen", der ihm viel
Ärger einhandeln sollte. Denn er lobte darin - sarkastisch, wie er
später erklärte - die Anschläge vom 11. September 2001. Die
Flugzeugentführer hätten am "wahren Abschaum" ein Massaker verübt. Und
so weiter...

Am Ende des Beitrages fand sich folgender Satz: "Wer Sarkasmus findet,
der/die möge ihn bitte weiterverwenden."

Doch die Staatsanwaltschaft in Münster fand etwas ganz anderes. Nach
einer anonymen Anzeige fand sie nämlich, dass Voss mit seinem
Diskussionsbeitrag die Morde von New York und Washington gebilligt habe.
Und das ist - ein flüchtiger Blick ins Strafgesetzbuch beweist das - nun
einmal strafbar. Grund genug, Voss ab Mittwoch im Raum 185 des
Landgerichtes in Münster den Prozess zu machen, nachdem dieser einen
ersten Strafbefehl über 1500 Euro nicht bezahlen wollte.

Voss, der sich selbst als überzeugten Kriegsgegner bezeichnet, ist sich
keiner Schuld bewusst. In einer öffentlichen Erklärung vom Wochenende
schreibt er, es sei ihm darum gegangen, die "Verherrlichung von Gewalt
gegenüber Kriegsgefangenen" sarkastisch anzugreifen und "mit
vertauschten Rollen und ironisch überspitzt zu erwidern". Ob die Justiz
dieser Argumentation folgt, wird sich zeigen - und nicht zuletzt davon
abhängen, ob es dem Gericht gelingt, Verständnis für den manchmal rüden
und ganz eigenen Ton in Netz-Diskussionsforen aufzubringen.

Datenschutz? Welcher Datenschutz?

Für Datenschützer bietet der Fall Voss indes noch eine andere
Pikanterie. Die Identifikation des Angeklagten wurde nämlich nur
möglich, weil die Staatsanwaltschaft Hannover den Heise-Verlag,
Betreiber des "Telepolis"-Diskussionsforums dazu zwang, die IP-Adresse
des Beklagten herauszugeben. Diese führte zu T-Online. Und beim
rosaroten Onlinedienst hatte man praktischerweise noch die
Verbindungsdaten des Kunden Voss gespeichert, aus denen sich die
Netz-Nutzung rekonstruieren ließ.

Doch ob diese Daten bei T-Online überhaupt vorliegen durften, ist höchst
umstritten. Schließlich erlaubt das Teledienstedatenschutzgesetz die
Speicherung der Verbindungsinformationen nur zum Zwecke der Abrechnung.
Weil Voss aber DSL-Flatrate-Kunde ist, ist bei ihm gar keine genaue
Abrechnung nötig - schließlich zahlt der Mann pauschal und kann surfen,
so viel er will.

Wegen der Datensammelwut von T-Online schlagen in diversen
Diskussionsforen die Wellen der Empörung inzwischen hoch. Doch Michael
Schlechtriem, Sprecher von T-Online, kann das im Gespräch mit SPIEGEL
ONLINE nicht verstehen: Die Nutzung der Daten erfolge "in Anlehnung" an
das Bundesdatenschutzgesetz und andere Vorschriften, sagt er. So sei es
für T-Online eben doch wichtig, auch die Verbindungsdaten der
DSL-Flatrate-Nutzer detailliert zu speichern. Schließlich gebe es
Services wie den Online-Zugang über ISDN, der auch für diese Kunden
nicht pauschal abgerechnet werde.

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