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Re: [FYI] Beck will Sperrungsverfuegungen gegen auslaendische Porno-Sites



Am So 26.Januar 2003 19:15 schrieb Axel H Horns:
> Da sind wir dann technologisch ungefaehr bei den digitalen RPS-
> Zollhaeuschen, wie sie die IFPI vor ungefaehr drei Jahren in die
> Debatte geworfen hatte:
>
> http://www.fitug.de/news/pes/012000-l.html
>
> Der Kreis schliesst sich.

Nein, es wird bloß langsam Zeit, die ganze Diskussion einmal auf die passende 
Metaebene zu heben.

Thema ist - nach all den Jahren - noch immer die mittlerfreie Kommunikation 
zwischen dem Autor und dem Rezipienten einer Information. Inzwischen haben 
wir aber schon eine lange Liste von Leuten und Interessengruppen, die ein 
handfestes Interesse daran haben, daß es keine mittlerfreie Kommunikation 
zwischen zwei beliebigen Netzteilnehmern geben darf.

Da wären neben den Jugendschützern die sogenannten Rechteinhaber, die gerne 
ihr Distributionsmonopol erhalten möchten und natürlich die werterhaltende 
Knappheit von Content beibehalten möchten, damit ihre Geschäftsmodelle nicht 
zusammenbrechen oder zumindest aus der revolutionären in die evolutionäre 
Modifikation über gehen können. Dann haben wir natürlich die üblichen 
sogenannten Bedarfsträger mit ihrem ungebrochenen Interesse an 
Kommunikationsverhalten und -inhalten. Und schließlich die Finanzämter, die 
ganz besonderes Interesse an Protokollen von Kommunikation von Waren haben, 
wie sie File- und Musikdownloads darstellen.

Es ist an der Zeit, daß sich die Gesellschaft fragt "Wollen wir mittlerfreie 
Kommunikation?", und für viele der oben genannten Interessengruppen muß die 
Frage wohl lauten "Können wir uns mittlerfreie Kommunikation überhaupt 
leisten?". _Dies_ muß der Gegenstand des öffentlichen Diskurses werden, denn 
solange man immer nur isolierte Teilaspekte betrachtet wie Terrorfahndung, 
"Raubkopien" oder Jugendschutz wird man nicht zu einer fairen und sozial 
akzeptierten Lösung der Kommunikationskontrolle kommen.

Es gibt in der heutigen Gesellschaft eine ganze Menge guter Gründe, gegen 
mittlerfreie Kommunikation zu sein, aber die Idee einer ständigen und totalen 
Kommunikationskontrolle ist zu negativ behaftet, als daß sie offen diskutiert 
werden könnte. Daher das taktieren und die Untergrund-Aktionen, wie wir sie 
aus Bayern und Bawüe beobachten.

Es ist auch an der Zeit, daß die Gesellschaft sich fragt "Können wir 
mittlerfreie Kommunikation überhaupt verhindern?". Es ist fraglos so, daß es 
technische Systeme gibt (Ian Clarke's Freenet zum Beispiel, 
http://freenet.sourceforge.net, oder der bekannte Java Anon Proxy), die 
Kommunikation so weitgehend anonymisieren, daß Transaktionen weder im System 
noch von außerhalb sinnvoll nachvollzogen werden können. Jede weitere 
Iteration im Kampf gegen die Filesharing-Systeme hat bisher nur besser 
organisierte, dezentral arbeitende und durch Hashes und Signaturen geschützte 
Sharing-Systeme hervorgebracht. Freenet stellt in gewisser Weise schon seit 
einigen Jahren den logischen Endpunkt einer solchen Entwicklung dar, es ist 
letztendlich nur eine Frage seiner "Entdeckung" durch die Anwender, bis es 
zum Standard wird (und es ist die verbleibende technische Frage, ob es sich 
skaliert).

Daher müssen sich alle beteiligten Parteien - egal ob sie für oder gegen die 
Idee der mittlerfreien Kommunikation sind - auch mit dem Gedanken vertraut 
machen, daß diese "einfach so" stattfinden wird und sich überlegen, wie sie 
sich eine Gesellschaft vorstellen, in der beliebige Parteien mit kompatiblen 
Interessen einander finden können, und unbeobachtet und nicht identifizierbar 
beliebige Daten und Werte tauschen können.

Schließlich konzentrieren sich die Angriffe der Gegner mittlerfreie 
Kommunikation mehr und mehr auf die wenigen identifizerbaren Endpunkte, also 
die Provider von Connectivity und die Betreiber von Katalogen wie zum 
Beispiel Google (aber auch Napster und Kazaa). Daher müssen sich die 
Befürworter mittlerfreie Kommunikation überlegen, wie sie bisher noch 
existierende zentrale Kataloge dezentralisieren und im Netz nicht verortbar 
machen können. Wie lassen sich Vertrauen und Qualitätskontrolle in einem 
System etablieren, in dem nur mit leicht wechselbaren Pseudonymen gearbeitet 
werden kann und in dem prinzipbedingt kein realweltlicher Bezug zu diesen 
Pseudonymen hergestellt werden kann und darf?

Kristian

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