[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[FYI] Ermessensfehlerhaftigkeit (FR zu Websperren in NRW)



URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/wissen/netzwerk/?cnt=239291


Ermessensfehlerhaftigkeit

Die Umsetzung der Websperren in Nordrhein-Westfalen gestaltet sich schwierig -
das könnte juristische Folgen haben

Die Verfügung der Düsseldorfer Bezirksregierung an Internetprovider, den
Zugriff auf zwei US-Angebote zu blockieren, könnte unrechtmäßig sein. Denn die
Umsetzung ist offenkundig technisch komplizierter als vorausgesetzt. So liest
sich eine Studie des Bonner Juristen Maximillian Dornseif. Bisher haben
Gerichte in den meisten Fällen den sofortigen Vollzug der Verfügung bestätigt;
das Hauptverfahren steht noch aus.

Von Michael Bayer


"Die Seite konnte nach 60 Sekunden nicht geöffnet werden", bekommen die einen
Surfer zu sehen. "Nicht gefunden", heißt es kurz und falsch an anderer Stelle,
und ein dritter Zugangsprovider behauptet gar: "Diese Domain ist bereits
vergeben. Die Website wird zurzeit erstellt." Vergeben ist die Adresse in der
Tat - und zwar schon längst. Erstellt werden müssen die Webseiten allerdings
nicht mehr. Auch sie gibt es längst. Eigentlich. Nur in Nordrhein-Westfalen
dürfen zwei umstrittene Angebote aus den USA nicht auf den Bildschirm kommen,
wenn Surfer sie abrufen. Die Provider gehen ganz unterschiedlich mit einer
entsprechenden Verfügung der Bezirksregierung aus dem Frühjahr 2002 um. Das
hat der Bonner Rechtswissenschaftler Maximillian Dornseif herausgefunden. Und
das gilt nicht nur hinsichtlich der Fehlermeldungen: Die Sperren reichen bei
den verschiedenen Anbietern auch unterschiedlich weit.

Maximillian Dornseif prüfte, wie genau es die Provider mit dem Blockieren
nehmen. Sein überraschendes Ergebnis: ungenau in jede Richtung. Manche gehen
zu weit. So stoppten im Untersuchungszeitraum sämtliche Provider quasi
nebenbei den E-Mail-Verkehr zu den betroffenen Adressen. "Dabei hat das die
Bezirksregierung gar nicht gefordert", sagt Dornseif. "Dafür wäre sie auch
nicht zuständig." Aus den umstrittenen Webangeboten blendeten zudem manche
Zugangsprovider Teile aus, in denen nach deutschem Recht keine illegalen
Inhalte liegen. Das machen 15 der 27 untersuchten Anbieter. Aber es geht auch
andersrum: Bei zwölf Anbietern genügt es nach Dornseifs Recherche, schlicht
das www am Beginn der Webadresse wegzulassen - und schon kommen die fraglichen
Seiten auf den Schirm.

Ob die Internetfirmen damit gegen die Verfügung der Bezirksregierung
verstoßen, ist für den Bonner Rechtswissenschaftler nicht einfach zu
beantworten. Er bezeichnet die Ausführungen in dem Papier als uneindeutig: "In
der Aufforderung werden die Adressen mit www genannt, in der Begründung ohne."
Auch sonst sei der Text geprägt von sprachlicher Verwirrung. Dornseif weist
darauf hin, dass die Verfügung nur von einer Webseite spreche, nicht aber von
einer Website. Die Begriffe bedeuten Unterschiedliches: Zu einer Website
zählen alle Angebote unter einer bestimmten Domain, eine Webseite ist dagegen
eine einzige, bestimmte Seite. Nach dieser Sprachregelung müsste also nur die
erste Seite der Angebote blockiert werden, nicht alle weiteren. "Die Verfügung
sagt nicht eindeutig, was gesperrt werden soll", fasst der Jurist zusammen.
Entsprechend schwierig sei es demnach festzustellen, was gegen das Papier
verstößt.

Maximillian Dornseif greift mit den Ergebnissen seiner Untersuchung auch die
rechtliche Argumentation der Bezirksregierung an. Er holt tief Luft und
spricht von "Ermessensfehlerhaftigkeit". Die Behörde beschreibt die Sperre als
für die Provider zumutbar, weil sie einfach zu bewerkstelligen sei. "Die
zahlreichen Fehler bei der Umsetzung zeigen aber, dass es wohl doch nicht so
einfach ist." Ein Blick in die technischen Details bestätigt das.

Viele Provider versuchen die Sperren mit einer Fälschung der Daten im so
genannten Domain Name System (DNS) aufzubauen. Diese weltweit verteilte
Datenbank übersetzt die für Surfer einfach einprägbaren alphabetischen
Domainadressen wie www.fr-aktuell.de in eine Ziffernfolge wie 213.187.75.204,
mit der das Internet intern arbeitet. Übertragen auf die Welt der Telefonie
würde das bedeuten, die Telekom streicht die betreffenden Einträge im
Telefonbuch. Wie Anrufer weiter durchkommen, die die umstrittenen Rufnummern
kennen, erreichen Surfer die zu sperrenden Websites, wenn ihnen die numerische
IP-Adresse bekannt ist. Der Bezirksregierung genügte das Vorgehen dennoch,
weil es immerhin Abrufe erschwere.

Die Umsetzung der DNS-Sperre ist knifflig. Zunächst erklären die Provider
ihren DNS-Zentralrechner als zuständig für die fraglichen Domains - sonst
ginge die Abfrage an andere, unverfälschte DNS-Datenbanken im Internet. Manche
Anbieter streichen dann die umstrittenen Domains komplett aus ihrer Liste -
und sperren damit mehr als gefordert. Denn so werden sämtliche
Internet-Dienste und Webseiten der Domains unauffindbar, auch E-Mail-Adressen.
Um so etwas zu verhindern, müssen Techniker etwa Bezeichnungen der zentralen
Mailrechner, die zu den Domains gehören, herausfinden und in ihre Datei
einfügen. Gleiches gilt für unproblematische Teile von Websites, die über so
genannte Subdomains ansprechbar sind - wenn also die Serviceabteilung von
firma-x.de über service.firma-x.de ins Netz geht.

Nur zwei der 27 Provider versuchten, so den Mailversand aufrecht zu erhalten -
und scheiterten, weil die Rechtsextremen in den USA mehrfach ihre
Konfiguration änderten. Das zeigt: Die Datengrundlage für DNS-Sperren muss
nicht nur umständlich recherchiert werden, sie muss auch ständig aktuell
gehalten werden. "Das ist fast Detektivarbeit", sagt Dornseif. Einfach zu
bewerkstelligen, wie es die Bezirksregierung behauptet, seien die Sperren
jedenfalls nicht. Damit, spricht der Jurist, seien sie möglicherweise
ermessensfehlerhaft oder unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Bleibt
abzuwarten, ob die Richter im Hauptverfahren dem folgen.

Etwas einfacher, als es tatsächlich ist, hat sich die Bezirksregierung wohl
auch ihre Prüfung vorgestellt, ob die Provider ihrer Anordnung nachkommen.
Nach Angaben des Branchenverbands Eco drohte die Behörde einigen Anbietern
Zwangsgeld an, die wie gefordert die fraglichen Seiten blockieren. Auf
Nachfrage räumt Jürgen Schütte, in der Bezirksregierung Dezernent für
ordnungsrechtliche Angelegenheiten, ein, man sei technisch falsch beraten
worden - und habe nur nach den DNS-Einträgen geschaut. Manche Provider
verwenden indes eine von zwei alternativen Sperrmethoden, die die Verfügung
ausdrücklich vorschlägt. Nun will sich die Behörde bei allen Providern einen
Zugang einrichten lassen, um genauer prüfen zu können.

• Verfügung: odem.org/material/verfuegung/


[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2003
Dokument erstellt am 26.06.2003 um 17:08:44 Uhr
Erscheinungsdatum 27.06.2003


--
To unsubscribe, e-mail: debate-unsubscribe@lists.fitug.de
For additional commands, e-mail: debate-help@lists.fitug.de