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Der Spiegel: "EU-Ministerrat kommt Microsoft zur Hilfe"



Der Artikel wird in der morgigen Printausgabe stehen.

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,312066,00.html

09. August 2004 	
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Lauf übers Minenfeld

Das unabhängige Betriebssystem Linux entwickelt sich zur echten Bedrohung
für Windows. Doch nun kommt der EU-Ministerrat dem Microsoft-Konzern zur
Hilfe.

In einem kühnen Akt löst sich die schöne Prinzessin aus dem Würgegriff des
Fürsten der Finsternis. Sie fügt sich nicht seinen Drohungen und erhört
nicht sein Betteln. Mutig geht sie den Weg in die Freiheit.

Doch dann keimt in ihr die Furcht vor den Waffen ihres Gegners - und sie
ersinnt eine List: Die Prinzessin tut so, als gäbe sie sich geschlagen.
Insgeheim aber bereitet sie weiter ihre Flucht vor.

Mit dieser Parabel lässt sich das Abenteuer zusammenfassen, in dem die Stadt
München derzeit versucht, den Fängen des übermächtigen Software-Konzerns
Microsoft zu entkommen.

Auf 14 000 Rechnern wollte die Stadt das Microsoft-Betriebssystem Windows
und alle darauf laufenden Programme entfernen und stattdessen das
vielseitige Betriebssystem Linux installieren. Noch nie ist ein so großer
Fisch aus dem Microsoft-Lager in die Linux-Welt gewechselt. Mit aller Macht
hatte Microsoft versucht, diesen Präzedenzfall zu verhindern; doch weder
Radikalrabatte noch ein Besuch von Microsoft-Chef Steve Ballmer bei
Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) konnten die Stadt zunächst von ihren
Plänen abbringen.

Weltweit wird der Kampf von Firmen, Verwaltungen und Regierungen mit
Spannung verfolgt; denn von Linux erhoffen sich viele eine bessere Zukunft:
Anders als bei Microsoft-Produkten liegt der Linux-Quellcode für alle offen
("open source"). Jeder Anwender darf diese Software nach Gelüsten kopieren,
verändern, verbessern, für seine Bedürfnisse erweitern und an alle anderen
weiterreichen. Linux gehört niemandem, gilt als sehr stabil und sicher und
ist die Frucht der wilden Zusammenarbeit Tausender namenloser Programmierer.

Doch vergangene Woche hat München einen Rückzieher gemacht: Bis auf weiteres
liege das Linux-Projekt auf Eis - wegen angeblich unkalkulierbarer Risiken.
Dennoch halte man an den Linux-Plänen fest.

München protestiert damit gegen eine drohende EU-Richtlinie über Patente auf
Software. Wenn diese verabschiedet werde, so die Befürchtung, könnten sich
gegen die Münchner Software Ansprüche aus bis zu 50 Patenten richten.
Geldschneider könnten die Stadt mit Prozessen überziehen und sogar alle
Computer lahm legen.

Risiken bestehen in der Tat. Auf der Branchenmesse Linuxworld in San
Francisco teilte das Unternehmen Open Source Risk Management (OSRM) vorige
Woche mit, dass es in den USA sogar 283 Patente gefunden habe, die sich
gegen Linux ins Feld führen ließen. Viele dieser Patente seien in Händen von
Firmen, die Linux wohlgesonnen seien, darunter IBM - 27 aber befänden sich
im Besitz von Microsoft.

Immerhin verkauft OSRM auch gleich die Lösung des Problems: Sie bietet
Linux-Anwendern Versicherungen an gegen mögliche Ansprüche aus
Patentprozessen.

In San Francisco wurde zugleich deutlich, wie stark der Rückhalt für die
Open- Source-Bewegung mittlerweile ist. Einstmals war Linux, 1991 ausgedacht
vom finnischen Studenten Linus Torvalds, ein randständiges Hobby von
Computer-Freaks. Jetzt geht es um ein Geschäft von jährlich 25 Milliarden
Dollar. Linux ist ins Computer-Establishment eingedrungen. IBM, Oracle oder
Intel unterstützen Linux mit Hardware oder Software-Dienstleistungen. Auf
der Linuxworld haben sie Stände aufgebaut; Microsoft ließ sich nicht
blicken.

Das Programm mit dem fröhlichen Pinguin-Logo läuft weltweit auf den
Großrechnern vieler Firmen, aber auch auf immer mehr privaten
Tischcomputern. Hewlett-Packard hat unter dem Jubel der Linux-Messebesucher
einen Laptop vorgestellt, auf dem Linux statt Windows installiert ist. Weil
Microsoft nicht mitverdient, ist der Rechner 50 Dollar billiger.

Linux ist für den Konzern aus Redmond ungefähr das, was James Bond für die
Bösewichte in den Kinofilmen ist: die einzige Barriere auf dem Weg zur
Weltherrschaft. Um diesen Anspruch kämpft der Konzern mit allen Raffinessen.
So soll Microsoft viele Millionen Dollar in eine Software-Firma namens SCO
hineingepumpt haben, die einen Klage-Kreuzzug gegen die Open-Source-Bewegung
angezettelt hat.

Das Beispiel illustriert drastisch, welche Gefahr von Software-Patenten
ausgeht. SCO behauptet, Rechte an Teilen des Linux-Systems zu besitzen.
SCO-Chef Darl McBride, ein frommer Mormone aus Utah, der auf Konferenzen im
Schutz von Leibwächtern auftaucht, hat Linux-Unterstützer IBM auf drei
Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt. Der Prozess läuft seit über einem
Jahr.

Für jeden Server, auf dem Linux läuft, will McBride zudem 699 Dollar
Lizenzgebühren kassieren. Käme er durch, wäre Linux am Ende. Mehr als 1500
Firmen hat McBride mit Klagen bedroht, obwohl die Anspruchsgrundlage von SCO
als höchst fraglich gilt. Mit einer Klage gegen DaimlerChrysler ist die
"meistgehasste Tech-Firma" ("Business Week") indes gerade gescheitert -
Hoffnungsschimmer für die Linux-Anwender.

Lizenzstreitigkeiten wie diese sind in Amerika längst Alltag. Das liegt an
der großen Reichweite von Software-Patenten: Sie räumen einer Firma
exklusive Rechte ein nicht nur für Codezeilen eines Programms, sondern für
seine Grundidee.

So hat sich die New Yorker Software-Firma E-Data das Herunterladen von
Musikdateien aus dem Internet patentieren lassen. In den vergangenen Jahren
erstritt sie viele Millionen Dollar an Lizenzgebühren von Betreibern von
Internet-Musikläden.

In einer Welt voller Software-Patente kann kein Programmierer mehr wissen,
ob er mit seinem eigenen Code fremde Patente verletzt. Er ist sogar dann
nicht vor Klagen gefeit, wenn er jede Zeile selbst geschrieben hat.
Programmieren sei deshalb "wie der Lauf über ein Minenfeld", klagt
Linux-Aktivist Richard Stallman.

Das amerikanische Modell könnte in Europa Schule machen, wenn die
Patentrichtlinie, wie sie der EU-Ministerrat beschlossen hat, tatsächlich in
Kraft tritt. Das Europäische Patentamt jedenfalls hat ohne eindeutige
Rechtsgrundlage bereits mehrere tausend Software-Patente anerkannt. Wenn die
EU ihre Richtlinie absegnet, dann erwarten Patentgegner auch in Europa eine
Flut von Lizenzklagen.

Profitieren würden die Großen. Microsoft-Gründer Bill Gates verkündete
bereits, seine Firma wolle eine Patentoffensive starten und in den nächsten
zwölf Monaten 3000 neue Software-Patente anmelden - dabei hatte Gates 1991
noch selbst gegen solche Patente wegen ihrer Innovationsfeindlichkeit
gewettert.

Bradley Kuhn von der Free Software Foundation appellierte in San Francisco
deshalb eindringlich an die Europäer, die Software-Patente abzuweisen: "Sie
haben nur zur Folge, dass die großen IT-Budgets über den großen Teich in die
Taschen von US-Konzernen wandern." Das schafft Arbeitsplätze - allerdings in
Redmond, und nicht in München.

MARCO EVERS, GERALD TRAUFETTER



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