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Schneider-Schrieb
- To: debate@fitug.de
- Subject: Schneider-Schrieb
- From: Thomas Roessler <roessler@sobolev.rhein.de>
- Date: Thu, 5 Sep 1996 00:34:46 +0200 (MET DST)
- Cc: roessler@sobolev.rhein.de (Thomas Roessler)
- Comment: This Message comes from the debate mailing list.
- Organization: Ibyxfsebag mhe Orservhat qrf Hfrargf.
- Sender: owner-debate@fitug.de
Von www.anwalt.de.
tlr
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Mitteilung der Internet Content Task Force (ICTF)
RA Michael Schneider, eco e.V.
Am 30.08. ist uns ein Telefax der Bundesanwaltschaft zugegangen, in
dem der [1]eco e.V. über ein laufendes Ermittlungsverfahren informiert
wird. Wir wurden in diesem Zusammenhang gebeten, allen an die [2]ICTF
(Internet Content Task Force) angeschlossenen
Internet-Service-Providern wörtlich folgendes mitzuteilen:
"Unter folgenden Adressen im Internet:
http://www.serve.com/spg/154/
http://www.xs4all.nl/~tank/radikal//154/
sowie unter Benutzung des Links auf der Seite
http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
ist die Gesamtausgabe der Druckschrift "radikal Nr. 154" abrufbar.
Teile des Inhalts dieser Druckschrift begründen den Anfangsverdacht
eines nach [3]§ 129a Abs.3 StGB strafbaren Werbens für eine
terroristische Vereinigung, einer nach [4]§ 140 Nr.2 StGB strafbaren
öffentlichen Billigung von Straftaten sowie den Anfangsverdacht eines
Vergehens der Anleitung zu Straftaten gemäß [5]§ 130a Abs.1 StGB. Der
Generalbundesanwalt hat daher ein Ermittlungsverfahren gegen die
Verbreiter dieser Druckschrift eingeleitet.
Sie werden darauf hingewiesen, daß Sie sich möglicherweise einer
Beihilfe zu diesen Straftaten strafbar machen, soweit Sie auch
weiterhin den Abruf dieser Seiten über Ihre Zugangs- und Netzknoten
ermöglichen sollten."
_________________________________________________________________
Namens der ICTF habe ich den Vorgang - einschließlich aller unter den
angegebenen URLs abrufbaren Dokumente - dokumentiert und das Schreiben
wie folgt beantwortet (Auszug):
I.
Die in Ihrem Schreiben enthaltene Mitteilung habe ich an die bei ECO
angeschlossenen Internet-Service-Provider (ISP) mit Post vom gleichen
Tage übermittelt. Die von Ihnen erbetene "Liste der Firmen, an welche
wir das Schreiben übermittelt haben", möchte ich Ihnen nicht ohne
vorherige telefonische Rücksprache zur Verfügung stellen.
Wie Sie wissen, versteht sich der ECO e.V. als Verband eines
wesentlichen Teils der deutschen Online-Wirtschaft; als solcher sind
wir jedoch in erster Linie verpflichtet, die Interessen unserer
Mitglieder zu wahren. Im Hinblick auf den in Ihrem Schreiben
vorbehaltenen Strafvorwurf wegen einer Beihilfe zu den Straftaten,
wegen derer das Ermittlungsverfahren geführt wird, bitte ich um
Verständnis für unsere augenblickliche Zurückhaltung.
Um Ihre Ermittlungen nicht zu behindern und Schaden von unseren
Mitgliedern abzuwenden, werde ich mich gleichwohl unverzüglich mit
Ihnen in Verbindung setzen. Die Mitarbeiter meiner Kanzlei sind im
übrigen angewiesen, Anrufe und Schreiben Ihrer Behörde mit Priorität
an mich weiterzuleiten.
II.
Materiellrechtlich vermag ich Ihrer Bewertung nicht zu folgen, ein ISP
sei gegebenenfalls wegen Beihilfe zu bestrafen, wenn er den Zugang zu
strafrechtswidrigen Dokumenten, die über das sogenannte "World Wide
Web" (WWW) abrufbar sind, nicht sperrt.
Strukturell betrachtet ist das WWW ein sogenanntes "Overlay-Netz", das
sich des eigentlichen Internets lediglich zur Übermittlung von Daten
bedient. Der ISP ist in einer solchen Konstellation nichts anderes,
als ein klassischer Daten-Carrier, der seinen Kunden als
Dienstleistung lediglich die Übermittlung von sogenannten "IP-Paketen"
anbietet. Die Nutzdaten, die als IP-Pakete über das Netz transportiert
werden, sind für ISPs de facto nicht identifizierbar. Die Provider
verfügen auch anderweitig über keinerlei Möglichkeiten, die Daten, die
als IP-Pakete über ihre Infrastruktur übermittelt werden, zur Kenntnis
zu nehmen, denn die auf der Applikationsebene verfüg- und auswertbaren
Daten befinden sich nicht in ihrem Herrschaftsbereich und sie werden
erst Recht nicht von den Providern im Internet verfügbar gemacht. In
diesem Zusammenhang habe ich mir erlaubt, zu überprüfen, auf welche
Weise die von Ihnen angegebenen URLs an das Internet angebunden sind.
Das Ergebnis gebe ich nachfolgend auszugsweise wieder: (es folgen
kommentierte Traceroutes) ...
III.
Hinzu kommt, daß auch bezweifelt werden muß, ob eine Auswertung der in
den IP-Paketen enthaltenen Nutzdaten-Elemente rechtlich zulässig wäre,
denn anhand der IP-Pakete läßt sich nicht eindeutig entscheiden, ob
die beförderten Daten im Rahmen einer individuellen
Kommunikationsbeziehung übermittelt wurden und daher gemäß § 85 Abs.3
des inzwischen in Kraft getretenen Telekommunikationsgesetzes dem
Zugriff durch Dritte entzogen sind.
IV.
Die Sperrung des Zugangs zu vermeintlich strafrechtswidrigen Seiten im
WWW begegnet darüber hinaus auch praktischen Bedenken.
Die von Ihnen begehrte Sperrung der URL oder gar einzelner Dokumente
ist aus meiner Sicht technisch nicht darstellbar. Um dies zu
erläutern, sind zunächst einige Ausführungen zu dem DNS (Domain Name
Service) erforderlich. Das dem Internet zugrundeliegende Protokoll
TCP/IP verwendet 4-Byte-Adressen (die beispielsweise die Form
193.155.84.22 haben), womit ein Netzelement vollständig adressiert
ist. Da sich der Umgang mit derartigen Adressen für den Anwender als
schwierig darstellt, wurde mit dem DNS ein Namenssystem eingerichtet,
welches alphanumerische Zeichenketten auf die technischen Netzadressen
abbildet. Die Auflösung NameAdresse wird aber in der Regel bereits von
den Clients der Internet-Teilnehmer durchgeführt, so daß der ISP nicht
mehr erkennen kann, auf welche Domain bzw. auf welche URL sein Kunde
zugreift. Als Alternative zur Sperrung der URL kommt daher lediglich
die Sperrung eines Hosts, eines ganzen Netzes oder die Sperrung des
WWW-Ports eines Hosts in Betracht. Mit einer derartigen Maßnahme läßt
sich jedoch weder gewährleisten, daß vermeintlich strafrechtswidrige
Dokumente nicht mehr abgerufen werden können (bei stark frequentierten
WWW-Servern ist es nicht unüblich, ein Load-Ballancing durch
Verwendung mehrerer Hosts durchzuführen), noch kann sichergestellt
werden, daß unkritische Datenbestände nicht von der Sperrung betroffen
werden. Letzteres wiederum stellt sich aber als Verletzung einer
Hauptpflicht des zwischen dem ISP und seinen Kunden geschlossenen
Provider-Vertrages dar.
Anhand des von Ihnen auf Seite 2 Ihres Schreibens dargestellten
Beispieles läßt sich die Problematik deutlich aufzeigen. Das
vermeintlich strafrechtswidrige Dokument, das Sie erwähnen, stellt
sich bei näherer Betrachtung als rechtlich kaum angreifbar dar. In der
Fassung, die ich soeben abgerufen und zu meiner Akte genommen habe,
schreibt der Autor ausdrücklich folgendes:
"Aus aktuellem Anlaß wird hier die Erklärung zu den Durchsuchungen und
dem Verbot der »radikal« wiedergegeben. Vor dem Betätigen des unten
aufgeführten Links nach Amsterdam sollte diese unbedingt gelesen
werden, um Mißverständnissen vorzubeugen. Der benannte Link ist als
Hinweis auf die Seiten der »radikal«, als Möglichkeit der
Meinungsbildung bezüglich gerade strittiger Texte in der Zeitschrift
und als Protest gegen den Versuch, eine komplette Redaktion für
abgedruckte Äußerungen einzelner verantwortlich zu machen, gedacht.
Jede Auslegung in Richtung Gewaltverherrlichung, Aufforderung zur
Militanz oder Vertrieb einer verbotenen Publikation ist nicht
gerechtfertigt. Der Querverweis auf die »radikal« stellt keine
inhaltliche Aussage zu einzelnen Passagen der publizierten Ausgabe
dar. Er ist ein Beitrag gegen die Zensur in der Bundesrepublik
Deutschland."
Diese Ausführungen mag man aus politischer Sicht mißbilligen,
strafrechtswidrig sind sie jedoch nicht. Auch der weitere Text ist aus
meiner Sicht rechtlich nicht angreifbar. Selbst aus der Tatsache, daß
ein Hyperlink zu der RADIKAL-Ausgabe gesetzt ist, die von Ihnen
angegriffen wird, vermag ich keine strafrechtliche Verantwortung
abzuleiten. Für einen ISP, dem Sie nicht mehr als eine Parallelwertung
in der Laiensphäre zumuten können, gilt dies erst Recht.
Selbst wenn man aber unterstellen wollte, daß das Dokument
strafrechtswidrig wäre und daß einem ISP die Pflicht obläge, den
Zugang zu diesem Dokument zu sperren, wäre das praktisch nicht
darstellbar. Die URL "http://ourworld.compuserve.com", die den
WWW-Server bezeichnet, auf dem das Dokument abgelegt ist, wird auf die
Netzadresse 149.174.213.39 abgebildet. Ein ISP müßte den Zugang zu dem
gesamten Host sperren, womit er im konkreten Fall zahlreiche andere
Dokumente - darunter auch solche von völlig anderen Urhebern -
erfassen würde. Es wäre sogar denkbar, daß der Zugang zu allen
Dokumenten, die der Online-Dienst CompuServe im Rahmen seines
Web-Housing-Angebotes im Internet verfügbar macht, für die Kunden des
so handelnden ISPs nicht mehr erreichbar wären.
Angesichts der nicht erkennbaren Strafrechtsrelevanz des Dokumentes
wäre ein solches Vorgehen unverhältnismäßig und es würde auch einen
Schadensersatzanspruch aus PFV gegen den ISP begründen.
V.
Nach alledem sehen wir uns nicht in der Lage, den ECO angeschlossenen
ISPs die Sperrung der von Ihnen genannten URLs zu empfehlen, bevor uns
nicht weitere Informationen vorliegen, welche die Vermutung einer
strafrechtlichen Mitverantwortung begründen und die oben dargestellten
Bedenken zerstreuen. In der Erwartung einer dazu geeigneten
rechtlichen Stellungnahme Ihrer Behörde haben wir den ECO
angeschlossenen ISPs jedoch nahegelegt, die für eine Sperrung der
maßgeblichen Hosts erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.
_________________________________________________________________
Die in dem Schreiben an die Bundesanwaltschaft erwähnte Empfehlung an
die bei ICTF angeschlossenen Provider enthielt folgenden Vorschlag:
1. Bitte prüfen Sie, ob Sie den Zugriff auf die angegebenen Hosts
"www.serve.com" und "www.xs4all.nl" oder auf den WWW-Port der
Hosts sperren können. Hinsichtlich der erwähnten Compuserve-Seite
sehe ich persönlich keine Möglichkeit, den Zugriff selektiv zu
sperren; ich bitte Sie jedoch, auch das noch einmal mit Ihren
Technikern zu überprüfen. Bereiten Sie sodann die erforderlichen
Maßnahmen vor, um eine Sperrung durchzuführen.
2. Ich selbst werde mich bemühen, mit dem Generalbundesanwalt
schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen. Bis dies erfolgt
ist, halte ich es für vertretbar, die Sperrung aufzuschieben. Um
eine Rücksprache habe ich mich noch am 30.08. bemüht, allerdings
konnte ich an diesem Tag keinen Kontakt mit dem zuständigen
Dezernenten herstellen.
3. Sobald ich detailliertere Informationen habe, werde ich mit
denjenigen ISPs, die den ECO-Dienst "ICTF" abonniert haben,
Kontakt aufnehmen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. ...
_________________________________________________________________
Zu einem Gespräch mit dem zuständigen Dezernenten kam es am Nachmittag
des 03.09. Man teilte mir mit, daß die Bundesanwaltschaft eine
grundlegend andere Rechtsauffassung vertritt, als die ICTF (eine kurze
Zusammenfassung unserer Rechtsansicht findet sich [6]hier). Ein
Internet-Service-Provider mache sich jedenfalls dann der Beilhilfe
schuldig, wenn er untätig bleibe, nachdem man ihn über die URL eines
strafrechtswidrigen Dokumentes informiert hat. Ermittlungsverfahren
gegen die Provider seien bislang noch nicht eingeleitet worden, weil
man sich darauf verlasse, daß die Provider eine Bestrafung abwenden,
indem sie dem Wunsch der Bundesanwaltschaft nach Sperrung der
maßgeblichen URLs nachkommen.
Die Bundesanwaltschaft habe im vorliegenden Fall das Angebot der ICTF
aufgegriffen, das Gespräch mit uns als Zentralstelle zu suchen,
anstatt den sonst üblichen Weg zu gehen. Der "sonst übliche Weg" sei,
die Landesjustizministerien zu kontaktieren und über diese zu
veranlassen, daß polizeiliche Maßnahmen (Zwangsgeld, Ersatzvornahme)
ergriffen werden. Auch weitergehende Maßnahmen seien in diesem
Zusammenhang denkbar.
_________________________________________________________________
Die ICTF spricht daraufhin gegenüber den angeschlossenen Providern
folgende Empfehlung aus:
1. Die von der Bundesanwaltschaft angegriffenen Ausgaben der
Zeitschrift "RADIKAL" sind nach einer gestern von uns
durchgeführten Plausibilitätskontrolle in Teilen offensichtlich
rechtswidrig. Aus diesem Grunde und aufgrund der nicht eindeutig
bestimmbaren Rechtslage können sich deutsche
Internet-Service-Provider einer Mitwirkung in dem laufenden
Ermittlungsverfahren nicht völlig entziehen.
2. Eine Sperrung der URL
[7]http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
ist aus unserer Sicht aber weder notwendig noch vertretbar. Wir
hatten den Eindruck, daß unsere diesbezügliche Argumentation von
der Bundesanwaltschaft verstanden wurde.
3. Die URLs http://www.serve.com/spg/154/ und
http://www.xs4all.nl/~tank/radikal//154/ bzw. die zugehörigen
Hosts sollten mit sofortiger Wirkung, aber zeitlich begrenzt für
die Dauer von 28 Tagen, gesperrt werden.
4. Eine Löschung der entsprechenden Einträge auf Proxy-Servern ist
erforderlich. Wir empfehlen, die Seiten dort - falls das im
Einzelfall möglich ist - durch den Inhalt von
[8]http://www.anwalt.de/ictf/p960901d.htm zu ersetzen.
Mit freundlichen Grüßen
- für den ECO e.V. -
Michael Schneider
(Rechtsanwalt)
[9][LINK] Zurück zur [10]ICTF-Leitseite.
_________________________________________________________________
Kommentare und Anregungen senden Sie bitte an: [11]webmaster@anwalt.de.
Copyright © 1996 Rechtsanwalt Michael Schneider
Letzte Änderung am 04. September 1996
References
1. http://www.eco.de/
2. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
3. http://www.anwalt.de/normen/stgb129a.htm
4. http://www.anwalt.de/normen/stgb_140.htm
5. http://www.anwalt.de/normen/stgb130a.htm
6. http://www.anwalt.de/ictf/ispwww27.htm
7. http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
8. http://www.anwalt.de/ictf/p960901d.htm
9. http://www.anwalt.de/ictf/index.html
10. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
11. mailto:webmaster@anwalt.de