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Schneider-Schrieb



Von www.anwalt.de.

tlr
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             Mitteilung der Internet Content Task Force (ICTF)
                                      
                       RA Michael Schneider, eco e.V.
                                      
   Am 30.08. ist uns ein Telefax der Bundesanwaltschaft zugegangen, in
   dem der [1]eco e.V. über ein laufendes Ermittlungsverfahren informiert
   wird. Wir wurden in diesem Zusammenhang gebeten, allen an die [2]ICTF
   (Internet Content Task Force) angeschlossenen
   Internet-Service-Providern wörtlich folgendes mitzuteilen:
   
   "Unter folgenden Adressen im Internet:
   
     http://www.serve.com/spg/154/
     http://www.xs4all.nl/~tank/radikal//154/
     
   sowie unter Benutzung des Links auf der Seite
   
     http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
     
   ist die Gesamtausgabe der Druckschrift "radikal Nr. 154" abrufbar.
   Teile des Inhalts dieser Druckschrift begründen den Anfangsverdacht
   eines nach [3]§ 129a Abs.3 StGB strafbaren Werbens für eine
   terroristische Vereinigung, einer nach [4]§ 140 Nr.2 StGB strafbaren
   öffentlichen Billigung von Straftaten sowie den Anfangsverdacht eines
   Vergehens der Anleitung zu Straftaten gemäß [5]§ 130a Abs.1 StGB. Der
   Generalbundesanwalt hat daher ein Ermittlungsverfahren gegen die
   Verbreiter dieser Druckschrift eingeleitet.
   
   Sie werden darauf hingewiesen, daß Sie sich möglicherweise einer
   Beihilfe zu diesen Straftaten strafbar machen, soweit Sie auch
   weiterhin den Abruf dieser Seiten über Ihre Zugangs- und Netzknoten
   ermöglichen sollten."
   
     _________________________________________________________________
                                      
   Namens der ICTF habe ich den Vorgang - einschließlich aller unter den
   angegebenen URLs abrufbaren Dokumente - dokumentiert und das Schreiben
   wie folgt beantwortet (Auszug):
   
                                     I.
                                      
   Die in Ihrem Schreiben enthaltene Mitteilung habe ich an die bei ECO
   angeschlossenen Internet-Service-Provider (ISP) mit Post vom gleichen
   Tage übermittelt. Die von Ihnen erbetene "Liste der Firmen, an welche
   wir das Schreiben übermittelt haben", möchte ich Ihnen nicht ohne
   vorherige telefonische Rücksprache zur Verfügung stellen.
   
   Wie Sie wissen, versteht sich der ECO e.V. als Verband eines
   wesentlichen Teils der deutschen Online-Wirtschaft; als solcher sind
   wir jedoch in erster Linie verpflichtet, die Interessen unserer
   Mitglieder zu wahren. Im Hinblick auf den in Ihrem Schreiben
   vorbehaltenen Strafvorwurf wegen einer Beihilfe zu den Straftaten,
   wegen derer das Ermittlungsverfahren geführt wird, bitte ich um
   Verständnis für unsere augenblickliche Zurückhaltung.
   
   Um Ihre Ermittlungen nicht zu behindern und Schaden von unseren
   Mitgliedern abzuwenden, werde ich mich gleichwohl unverzüglich mit
   Ihnen in Verbindung setzen. Die Mitarbeiter meiner Kanzlei sind im
   übrigen angewiesen, Anrufe und Schreiben Ihrer Behörde mit Priorität
   an mich weiterzuleiten.
   
                                    II.
                                      
   Materiellrechtlich vermag ich Ihrer Bewertung nicht zu folgen, ein ISP
   sei gegebenenfalls wegen Beihilfe zu bestrafen, wenn er den Zugang zu
   strafrechtswidrigen Dokumenten, die über das sogenannte "World Wide
   Web" (WWW) abrufbar sind, nicht sperrt.
   
   Strukturell betrachtet ist das WWW ein sogenanntes "Overlay-Netz", das
   sich des eigentlichen Internets lediglich zur Übermittlung von Daten
   bedient. Der ISP ist in einer solchen Konstellation nichts anderes,
   als ein klassischer Daten-Carrier, der seinen Kunden als
   Dienstleistung lediglich die Übermittlung von sogenannten "IP-Paketen"
   anbietet. Die Nutzdaten, die als IP-Pakete über das Netz transportiert
   werden, sind für ISPs de facto nicht identifizierbar. Die Provider
   verfügen auch anderweitig über keinerlei Möglichkeiten, die Daten, die
   als IP-Pakete über ihre Infrastruktur übermittelt werden, zur Kenntnis
   zu nehmen, denn die auf der Applikationsebene verfüg- und auswertbaren
   Daten befinden sich nicht in ihrem Herrschaftsbereich und sie werden
   erst Recht nicht von den Providern im Internet verfügbar gemacht. In
   diesem Zusammenhang habe ich mir erlaubt, zu überprüfen, auf welche
   Weise die von Ihnen angegebenen URLs an das Internet angebunden sind.
   Das Ergebnis gebe ich nachfolgend auszugsweise wieder: (es folgen
   kommentierte Traceroutes) ...
   
                                    III.
                                      
   Hinzu kommt, daß auch bezweifelt werden muß, ob eine Auswertung der in
   den IP-Paketen enthaltenen Nutzdaten-Elemente rechtlich zulässig wäre,
   denn anhand der IP-Pakete läßt sich nicht eindeutig entscheiden, ob
   die beförderten Daten im Rahmen einer individuellen
   Kommunikationsbeziehung übermittelt wurden und daher gemäß § 85 Abs.3
   des inzwischen in Kraft getretenen Telekommunikationsgesetzes dem
   Zugriff durch Dritte entzogen sind.
   
                                    IV.
                                      
   Die Sperrung des Zugangs zu vermeintlich strafrechtswidrigen Seiten im
   WWW begegnet darüber hinaus auch praktischen Bedenken.
   
   Die von Ihnen begehrte Sperrung der URL oder gar einzelner Dokumente
   ist aus meiner Sicht technisch nicht darstellbar. Um dies zu
   erläutern, sind zunächst einige Ausführungen zu dem DNS (Domain Name
   Service) erforderlich. Das dem Internet zugrundeliegende Protokoll
   TCP/IP verwendet 4-Byte-Adressen (die beispielsweise die Form
   193.155.84.22 haben), womit ein Netzelement vollständig adressiert
   ist. Da sich der Umgang mit derartigen Adressen für den Anwender als
   schwierig darstellt, wurde mit dem DNS ein Namenssystem eingerichtet,
   welches alphanumerische Zeichenketten auf die technischen Netzadressen
   abbildet. Die Auflösung NameAdresse wird aber in der Regel bereits von
   den Clients der Internet-Teilnehmer durchgeführt, so daß der ISP nicht
   mehr erkennen kann, auf welche Domain bzw. auf welche URL sein Kunde
   zugreift. Als Alternative zur Sperrung der URL kommt daher lediglich
   die Sperrung eines Hosts, eines ganzen Netzes oder die Sperrung des
   WWW-Ports eines Hosts in Betracht. Mit einer derartigen Maßnahme läßt
   sich jedoch weder gewährleisten, daß vermeintlich strafrechtswidrige
   Dokumente nicht mehr abgerufen werden können (bei stark frequentierten
   WWW-Servern ist es nicht unüblich, ein Load-Ballancing durch
   Verwendung mehrerer Hosts durchzuführen), noch kann sichergestellt
   werden, daß unkritische Datenbestände nicht von der Sperrung betroffen
   werden. Letzteres wiederum stellt sich aber als Verletzung einer
   Hauptpflicht des zwischen dem ISP und seinen Kunden geschlossenen
   Provider-Vertrages dar.
   
   Anhand des von Ihnen auf Seite 2 Ihres Schreibens dargestellten
   Beispieles läßt sich die Problematik deutlich aufzeigen. Das
   vermeintlich strafrechtswidrige Dokument, das Sie erwähnen, stellt
   sich bei näherer Betrachtung als rechtlich kaum angreifbar dar. In der
   Fassung, die ich soeben abgerufen und zu meiner Akte genommen habe,
   schreibt der Autor ausdrücklich folgendes:
   
   "Aus aktuellem Anlaß wird hier die Erklärung zu den Durchsuchungen und
   dem Verbot der »radikal« wiedergegeben. Vor dem Betätigen des unten
   aufgeführten Links nach Amsterdam sollte diese unbedingt gelesen
   werden, um Mißverständnissen vorzubeugen. Der benannte Link ist als
   Hinweis auf die Seiten der »radikal«, als Möglichkeit der
   Meinungsbildung bezüglich gerade strittiger Texte in der Zeitschrift
   und als Protest gegen den Versuch, eine komplette Redaktion für
   abgedruckte Äußerungen einzelner verantwortlich zu machen, gedacht.
   Jede Auslegung in Richtung Gewaltverherrlichung, Aufforderung zur
   Militanz oder Vertrieb einer verbotenen Publikation ist nicht
   gerechtfertigt. Der Querverweis auf die »radikal« stellt keine
   inhaltliche Aussage zu einzelnen Passagen der publizierten Ausgabe
   dar. Er ist ein Beitrag gegen die Zensur in der Bundesrepublik
   Deutschland."
   
   Diese Ausführungen mag man aus politischer Sicht mißbilligen,
   strafrechtswidrig sind sie jedoch nicht. Auch der weitere Text ist aus
   meiner Sicht rechtlich nicht angreifbar. Selbst aus der Tatsache, daß
   ein Hyperlink zu der RADIKAL-Ausgabe gesetzt ist, die von Ihnen
   angegriffen wird, vermag ich keine strafrechtliche Verantwortung
   abzuleiten. Für einen ISP, dem Sie nicht mehr als eine Parallelwertung
   in der Laiensphäre zumuten können, gilt dies erst Recht.
   
   Selbst wenn man aber unterstellen wollte, daß das Dokument
   strafrechtswidrig wäre und daß einem ISP die Pflicht obläge, den
   Zugang zu diesem Dokument zu sperren, wäre das praktisch nicht
   darstellbar. Die URL "http://ourworld.compuserve.com", die den
   WWW-Server bezeichnet, auf dem das Dokument abgelegt ist, wird auf die
   Netzadresse 149.174.213.39 abgebildet. Ein ISP müßte den Zugang zu dem
   gesamten Host sperren, womit er im konkreten Fall zahlreiche andere
   Dokumente - darunter auch solche von völlig anderen Urhebern -
   erfassen würde. Es wäre sogar denkbar, daß der Zugang zu allen
   Dokumenten, die der Online-Dienst CompuServe im Rahmen seines
   Web-Housing-Angebotes im Internet verfügbar macht, für die Kunden des
   so handelnden ISPs nicht mehr erreichbar wären.
   
   Angesichts der nicht erkennbaren Strafrechtsrelevanz des Dokumentes
   wäre ein solches Vorgehen unverhältnismäßig und es würde auch einen
   Schadensersatzanspruch aus PFV gegen den ISP begründen.
   
                                     V.
                                      
   Nach alledem sehen wir uns nicht in der Lage, den ECO angeschlossenen
   ISPs die Sperrung der von Ihnen genannten URLs zu empfehlen, bevor uns
   nicht weitere Informationen vorliegen, welche die Vermutung einer
   strafrechtlichen Mitverantwortung begründen und die oben dargestellten
   Bedenken zerstreuen. In der Erwartung einer dazu geeigneten
   rechtlichen Stellungnahme Ihrer Behörde haben wir den ECO
   angeschlossenen ISPs jedoch nahegelegt, die für eine Sperrung der
   maßgeblichen Hosts erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.
   
     _________________________________________________________________
                                      
   Die in dem Schreiben an die Bundesanwaltschaft erwähnte Empfehlung an
   die bei ICTF angeschlossenen Provider enthielt folgenden Vorschlag:
   
    1. Bitte prüfen Sie, ob Sie den Zugriff auf die angegebenen Hosts
       "www.serve.com" und "www.xs4all.nl" oder auf den WWW-Port der
       Hosts sperren können. Hinsichtlich der erwähnten Compuserve-Seite
       sehe ich persönlich keine Möglichkeit, den Zugriff selektiv zu
       sperren; ich bitte Sie jedoch, auch das noch einmal mit Ihren
       Technikern zu überprüfen. Bereiten Sie sodann die erforderlichen
       Maßnahmen vor, um eine Sperrung durchzuführen.
    2. Ich selbst werde mich bemühen, mit dem Generalbundesanwalt
       schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen. Bis dies erfolgt
       ist, halte ich es für vertretbar, die Sperrung aufzuschieben. Um
       eine Rücksprache habe ich mich noch am 30.08. bemüht, allerdings
       konnte ich an diesem Tag keinen Kontakt mit dem zuständigen
       Dezernenten herstellen.
    3. Sobald ich detailliertere Informationen habe, werde ich mit
       denjenigen ISPs, die den ECO-Dienst "ICTF" abonniert haben,
       Kontakt aufnehmen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. ...
       
     _________________________________________________________________
                                      
   Zu einem Gespräch mit dem zuständigen Dezernenten kam es am Nachmittag
   des 03.09. Man teilte mir mit, daß die Bundesanwaltschaft eine
   grundlegend andere Rechtsauffassung vertritt, als die ICTF (eine kurze
   Zusammenfassung unserer Rechtsansicht findet sich [6]hier). Ein
   Internet-Service-Provider mache sich jedenfalls dann der Beilhilfe
   schuldig, wenn er untätig bleibe, nachdem man ihn über die URL eines
   strafrechtswidrigen Dokumentes informiert hat. Ermittlungsverfahren
   gegen die Provider seien bislang noch nicht eingeleitet worden, weil
   man sich darauf verlasse, daß die Provider eine Bestrafung abwenden,
   indem sie dem Wunsch der Bundesanwaltschaft nach Sperrung der
   maßgeblichen URLs nachkommen.
   
   Die Bundesanwaltschaft habe im vorliegenden Fall das Angebot der ICTF
   aufgegriffen, das Gespräch mit uns als Zentralstelle zu suchen,
   anstatt den sonst üblichen Weg zu gehen. Der "sonst übliche Weg" sei,
   die Landesjustizministerien zu kontaktieren und über diese zu
   veranlassen, daß polizeiliche Maßnahmen (Zwangsgeld, Ersatzvornahme)
   ergriffen werden. Auch weitergehende Maßnahmen seien in diesem
   Zusammenhang denkbar.
   
     _________________________________________________________________
                                      
   Die ICTF spricht daraufhin gegenüber den angeschlossenen Providern
   folgende Empfehlung aus:
   
    1. Die von der Bundesanwaltschaft angegriffenen Ausgaben der
       Zeitschrift "RADIKAL" sind nach einer gestern von uns
       durchgeführten Plausibilitätskontrolle in Teilen offensichtlich
       rechtswidrig. Aus diesem Grunde und aufgrund der nicht eindeutig
       bestimmbaren Rechtslage können sich deutsche
       Internet-Service-Provider einer Mitwirkung in dem laufenden
       Ermittlungsverfahren nicht völlig entziehen.
    2. Eine Sperrung der URL
       [7]http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
       ist aus unserer Sicht aber weder notwendig noch vertretbar. Wir
       hatten den Eindruck, daß unsere diesbezügliche Argumentation von
       der Bundesanwaltschaft verstanden wurde.
    3. Die URLs http://www.serve.com/spg/154/ und
       http://www.xs4all.nl/~tank/radikal//154/ bzw. die zugehörigen
       Hosts sollten mit sofortiger Wirkung, aber zeitlich begrenzt für
       die Dauer von 28 Tagen, gesperrt werden.
    4. Eine Löschung der entsprechenden Einträge auf Proxy-Servern ist
       erforderlich. Wir empfehlen, die Seiten dort - falls das im
       Einzelfall möglich ist - durch den Inhalt von
       [8]http://www.anwalt.de/ictf/p960901d.htm zu ersetzen.
       
   Mit freundlichen Grüßen
   
   - für den ECO e.V. -
   
   Michael Schneider
   (Rechtsanwalt)
   
   [9][LINK] Zurück zur [10]ICTF-Leitseite.
   
     _________________________________________________________________
                                      
  Kommentare und Anregungen senden Sie bitte an: [11]webmaster@anwalt.de.
              Copyright © 1996 Rechtsanwalt Michael Schneider
                   Letzte Änderung am 04. September 1996

References

   1. http://www.eco.de/
   2. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
   3. http://www.anwalt.de/normen/stgb129a.htm
   4. http://www.anwalt.de/normen/stgb_140.htm
   5. http://www.anwalt.de/normen/stgb130a.htm
   6. http://www.anwalt.de/ictf/ispwww27.htm
   7. http://ourworld.compuserve.com/homepages/angela1/radilink.htm
   8. http://www.anwalt.de/ictf/p960901d.htm
   9. http://www.anwalt.de/ictf/index.html
  10. http://www.anwalt.de/ictf/index.htm
  11. mailto:webmaster@anwalt.de