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Medienräte...
- To: debate@fitug.de
- Subject: Medienräte...
- From: Kristian Köhntopp <kris@koehntopp.de>
- Date: Fri, 4 Oct 96 19:16:56 +0200
- >Received: from black.koehntopp.de by white.koehntopp.de with smtp(Smail3.1.29.0 #3) id m0v9Ene-0008uEC; Fri, 4 Oct 96 19:16 MET
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
Unformulierte Gedankenfetzen zum Thema Medienräte in D. Brauchen wir Medienräte und wenn ja, wofür? Wo liegt der Eco-Bug genau?
Brauche dringend schnell weiteren Input in dieser Richtung, vielleicht kann jemand mit diesen Fetzen schon etwas anfangen, bevor ich einen richtigen Text daraus mache. Etwas textartiges muß ich bis Sonntag daraus haben, weil ich dann zu diesem Thema was erzählen können soll.
Kristian
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Kristian Koehntopp, Wassilystrasse 30, 24113 Kiel, +49 431 688897
"Linux - Come to where the code is." -- Idee von Michael Ohlhus
*** ==> New: kris@koehntopp.de <== ***
==> Update your killfile/auto-select <==
[ Fertigmachen bis Sonntag, 15.00 Uhr: HB kommt. ]
Regulierungswahn?
Derzeit eine Inflation von Regulierungsgremien für das Internet: ECOs ICTF, JMS indiziert Webseiten, deutscher Presserat warnt vor Inflation von Gremien und will sich selber zum Medienrat umdefinieren. Warum eine solche Inflation und welche Motive stehen dahinter? Soll man soetwas unterstützen?
Blick auf die Situation: In der Öffentlichkeit im letzten Jahr systematische Kampagne zum Thema Internet. Zum einen Schwerpunkt auf Trend zu neuen Medien gelegt: Es war kaum möglich, in irgendeinem Mag zu lesen, ohne dort auf das Thema Internet zu stoßen. Zum anderen aber punktuelle Fehlleistungen des Mediums aufgebauscht: In jedem Fall von Kinderschändung oder Nazipropaganda sofort das Internet ins Spiel gebracht, egal ob ein solcher Bezug vorhanden war oder nicht. Die Folge sind sehr publikumswirksame Sperraktionen von einzelnen Staatsanwälten gewesen, die jedoch keine effektive Wirkung haben zeigen können: Die betreffenden Seiten waren zu jedem Zeitpunkt verfügbar, ja die Verfügbarkeit war während und nach der Sperrung sogar besser als vorher. Stattdessen tausende Unschuldige betroffen, deren Seiten nicht mehr abrufbar waren.
Stellt sich die Frage:
- Ist das Internet ein Porno- oder Nazi-Netzwerk?
Probe aufs Exempel: Man nehme eine typische Schulaufgabe und versuche
sie im Internet zu recherchieren. Trifft man dabei versehentlich auf
Pornobilder oder Nazipropaganda? Test: Suche Seiten zum Thema "Deutsches
Requiem" von Brahms.
Gegenprobe: Suche aktiv im Netz nach (kinder-)pornographischen Bildern.
Beachte jedoch, daß es sich sich um echte Pornographie oder Kinder-
pornographie handeln muß und nicht um legale Nackt- oder Halbnackfotos
a la Playboy.
- Soll das Internet jugendfrei sein?
Antwort: Klares "Nein!". Ein weltweites Kommunikations- und
Produktionsnetzwerk kann sich nicht an den Bedürfnissen des
Jugendschutzes orientieren. Wenn Kinder Netzwerkkommunikation
erlernen und einüben sollen, dann können sie es nicht im wirklichen
Internet tun, sondern es muß ein geschütztes und gestaltetes
Kindernet sein. Ausschlußlisten wie sie von einigen Programmen
angeboten werden, sind keine Lösung, Positivlisten könnten akzeptabel
sein.
- Brauchen wir Gremien, die das Netz kontrollieren und verwalten?
"Das Netz" existiert nicht, der Ansatz muß fehlschlagen. Wir müssen
Dienste und Produkte im Netz trennen, um dies sauber diskutieren zu
können. Wir haben:
- Persönliche Kommunikation via Mail.
Briefgeheimnis, defaultmäßig verschlüsselt, rechtlich streng geschützt.
Sache zwischen Sender und Empfänger, Regelung nicht nur nicht möglich,
sondern auch nicht erwünscht, ja sogar verfassungswidrig!
- Halböffentliche Kommunikation in Mailverteilern
"Rundbriefe", Halböffentlichkeit mit sehr variabler Teilnehmerzahl,
zwischen 3 und 3000 Teilnehmern pro Verteiler, Zehntausende von
Verteilern. Gilt hier das Briefgeheimnis? Technisch ist es Mail!
Diese Frage auch durch die aktuelle Gesetzgebung nicht geklärt.
Jeder Verteiler hat eine zentrale Stelle, an der er installiert ist
und an der er gewartet wird. Viele Verteiler werden archviert,
Kommunikation ist trotzdem eine Konversation.
- Öffentliche Kommunikation in den USENET News und in öffentlichen
Foren im WWW
Zehntausende von Gruppen, Hunderttausende von Autoren. Produktion
von Texten im Vorbeigehen. Autoren keine publizistische Ausbildung,
Texte haben oft den Charakter einer Konversation, Autoren nicht
organisiert, Dienst nicht zentral organisiert. Texte auf den meisten
Servern mit stark beschränkter Lebensdauer gespeichert
=> Dies ist nicht die Presse. Hier gelten vollkommen andere Regeln.
=> Hier vergleichsweise hoher Grad der Gruppenorganisation und
der Kooperation. Beispiele aus Deutschland:
- Moderatoren der moderierten Listen
- Zentrale Pflege des Gruppenangebotes durch Lutz Donnerhacke
- Pflege und Erstellung von Einfuehrungstexten durch die
Gemeinschaft der Stammleser einer Gruppe: FAQ.
- Wartung von Archiven für einige Gruppen.
- Bildung von formalen Regeln zur Erzeugung und Löschung von
Foren auf der Basis von basisdemokratischen Abstimmungen.
- Bildung von Gruppen zur Ausbildung der Netzteilnehmer:
mentoren@dana.de.
- Bildung eines offenen, ständig tagenden Rates in de.admin.*,
in dem jeder interessierte aktuelle Probleme zur Selbstverwaltung
der Diskussionsforen zur Sprache bringen kann.
- Bildung von ethischen Kriterien zur Nachzensur von Inhalten:
Fremdcancel-FAQ.
=> Existierende und leistungsfähige Sozialstruktur
=> Schwache Exekutive, Umsetzung von Beschlüssen nur über
sozialen Druck und Aufklärung, keine direkte Bestrafung von
Abweichlern
Gelegentlich bewaffnete Konflikte (Mailbomben),
die jedoch von den Betreibern der betroffenen Systeme meist
unter sich bereinigt werden. Im globalen Netz gelegentlich
Versagen dieses Systems, wenn auch die Systemverwaltung eines
Systems diese Regeln nicht anerkennt - Handlungsbedarf?
=> Kultur partiell inkompatibel mit den lokalen RL Sozialstrukturen,
weniger soziale Tabus (alt.tasteless, alt.evil, alt.sex.*,
alt.religion.*)
- bidirektionale Kommunikation im World Wide Web
Ungezählte Seiten mit Inhalten der unterschiedlichsten Art. Stark
kommerzialisiert.
Oft nicht betrachtete Aspekte:
- WWW ist kein Broadcastmedium. Seiten können für den Abrufer tailored
sein (und sind es zunehmend auch).
- WWW ist nicht zwangsläufig bidirektional: Anbieter kann Abruferinput
ignorieren oder abwürgen.
- WWW ist nicht zwangsläufig polydirektional: Es ist nicht möglich,
Links auf fremden Seiten zu erzwingen.
Autoren von Seiten teilweise lokal organisiert (Angehöriger einer
Firma, einer Institution, einer Vereinigung), meist nicht journalistisch
ausgebildet, idR kaum Zusammenhang zwischen Serverbetreiber und
Seitenautor.
Kaum Bildung von Strukturen:
- WWW Malls und Umbrellas
- Suchmaschinen
- Linkzentralen
Dies sind technische Strukturen, keine wertenden Strukturen. Allerdings
auch kaum Bedarf, da nur schwache soziale Interaktion im WWW und kaum
Rückwirkungen des schwachen Diskurses auf die Inhalte der Seiten.
Zusammenfassung:
Gesetzgeber:
- kaum "Nothandlungsbedarf". Das Netz ist nicht nazi- oder pornoverseucht.
- kaum Schutzbedarf. Das Netz soll kein jugendfreies Medium sein.
Bedarf nach der Schaffung eines Kindernet oder einer Kindernet-Positivliste?
Ja!
- Regulierungsbedarf Mail?
Klärung von rechtlichen Grenzfragen: Wo beginnt Öffentlichkeit?
Klärung von rechtlichen Grenzfragen: Unsolicited Commercial Email aka
Mailspam.
- Regulierungsbedarf News?
Nein! Hier intakte Sozialstruktur! Jede Regulierung muß entlang dieser
Strukturen arbeiten und nicht quer zu ihnen, wenn sie wirken soll!
Brennende Probleme: UCE (ECP/EMP) und Infrastrukturangriffe a la
$cientology. Nur partiell außerhalb der News lösbar (Gesetz gegen
Kettenbriefe/Pyramidenschemata und gegen UCE).
- Regulierungsbedarf WWW?
Technische Ansätze a la PICS sind "nice to have" Feature. Derzeit nicht
ausgereift, daher auch noch nicht juristisch faßbar.
Notwendigkeit von rechtlichen Regelungen auf dem Gebiet des (C): Klarstellung
(C) bei Seitenraub (Aufklärung, keine Gesetzesänderung). Klarstellung (C)
bei Verweis oder Verweis auf Parts unter Veränderung des Kontextes.
Klarstellung Recht auf Gegendarstellung oder Recht auf Einbau eines Links
auf Gegendarstellung.
Private Initiativen:
- Mail: %
- News: Haben wir schon in Massen. Noch ein Hoher Rath ist überflüssig.
- WWW: WWW-Seitenautoren organisieren und in einem Multimediarat vertreten?
Wie? Wozu? Wer?
WWW-Seiten zwangsraten und mit Altersfreigabe versehen? Wie die Masse
bewältigen? Wie Rating bei Änderungen oder Tailoring updaten?
Ausarbeitung ethischer Codex und Stellung eines Gremiums bei Streitfragen
a la "Regulierungsbedarf WWW" von oben? Nette Idee, sicher sinnvoller als
eine ICTF und Seitensperrungen. Fraglich, ob das akzeptiert wird oder ob
nicht gleich geklagt wird. WWW-Autoren sind Jedermenschen, kein Gildendenken
wie bei Anwälten, Ärzten und Journalisten vorhanden. Level der Arbeit ist
auch ein anderer, zu bewältigende Menge ist auch viel größer (Overload-
Problem!).
Bewertung von Initiativen ICTF, JMS, Presse/Medienrat nach o.a. Kriterien: Besetzung, Interessen, Ziele.
Bewertung von Inhaltskontrollmaßnahmen, Bezugnahme "Preis der Informationskriege I", Eingehen auf Verkürzung der Publishing Pipeline ("Jedermann publiziert", Brecht-Zitat aus fitug-Listen ausbuddeln) und sinkenden Ausbildungsstand und Organisationsgrad bei den Autoren, steigende Konsum- und Produktionsgeschwindigkeit ("der Wegwerftext") -> Presserecht sinnlos? Zumindest eingeschränkt sinnvoll.
Probleme in derzeitiger öffentlicher Debatte aufzeigen:
- Verzerrtes Bild des Netzes in der Öffentlichkeit (cf Mythos Pornographie im Netz, URL raussuchen).
- Verzerrte Zielvorstellung bei den Entscheidungsträgern (Video on demand, Teleshoppingphantasien vs. aktuelle Netzsituation).
- Verzerrte Wahrnehmung des Handlungsbedarfes.
Was könnten wir wirklich gebrauchen, wenn die RL-Öffentlichkeit sinnvoll mitarbeiten will?
- Mitarbeit erfahrener Journalisten/"Medienbewerter" bei der Findung von
Richtlinien zum Umgang in den News. *EXTREM* viel Fingerspitzengefühl
erforderlich.
- Presserat -> Medienrat und Entwicklung von Richtlinien zur kommerziellen
Betätigung im Netz. Lösung des UCE-Problems, Erarbeiten von Kritierien
zum Dialog mittels WWW-Seiten (Beispielkonflikt etwa Zündel vs. Nizkor,
beispielhaft auch, weil Lösung produktiv!).
- Verleihung von Exekutivrechten an so einen Rat extrem sensibles Thema!
Standesrecht im Bereich WWW/News undenkbar: Autorenmasse!