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Pressespiegel /taz (fwd)
- To: debate@fitug.de
- Subject: Pressespiegel /taz (fwd)
- From: Lutz Donnerhacke <lutz@as-node.jena.thur.de>
- Date: Sun, 13 Oct 1996 12:45:00 +0000
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- Sender: owner-debate@fitug.de
---------- Forwarded message ----------
Date: 12 Oct 96 20:45:00 +0200
From: Juergen Wieckmann <J.WIECKMANN@NADESHDA.gun.de>
To: WAU@OLN-273.OLN.comlink.apc.org
Subject: Pressespiegel /taz
## Nachricht vom 11.10.96 weitergeleitet
## Ursprung : WAU@OLN-273.OLN.comlink.apc.org
## Ersteller: J.WIECKMANN@NADESHDA.gun.de
Datum:10.10.1996, Quelle:TAZ-TAZ, Seite:12;
Niklaus Hablützel
Die neue Weltordnung der Internetprovider
Staatliche Gesetze fehlen, an die vielbeschworene Netiquette
glaubt niemand mehr: In Europa greifen jetzt private
Interessenverbände zur Selbsthilfe gegen Pornographie und andere
möglicherweise strafbare Dokumente im Internet
Jon Katz, Medienkritiker des Onlinemagazins Hotwired, malt
zunehmend düstere Visionen in seine Kolumnen. +Die Bedrohung
kommt von innen+, überschreibt er seine neuste Warnung vor der
bevorstehenden Fundamentalkrise des Internet (http://www.netizen
..com/netizen/). Der Zusammenbruch wäre selbstverschuldet. Denn
es könnte sein, meint Katz, daß sich zwar Gerichte und
Regierungen für die freie Rede im Internet aussprechen, im
Internet selbst aber niemand mehr mehr zu Wort kommt, weil jede
abweichende Meinung mit Beschimpfungen bestraft wird.
+Ironischerweise+, schreibt der Kolumnist, der sonst lieber mit
den schreibenden und filmenden Kollegen ins Gericht geht, +ist
im Web immer nur dann von Zensur die Rede, wenn nebulöse
Außenstehende sagen, was wir tun oder lassen sollten. Wenn wir
selbst dagegen bösartig und brutal Leute daran hindern, frei zu
sprechen, dann glauben wir, damit unsere gute alte Liebe zur
Redefreiheit zu beweisen.+
Neben Mailbombardements gehört inzwischen im Usenet offenbar
auch das Aussenden von Computerviren an unliebsame
Briefschreiber zum Arsenal der +selbsternannten Revolutionäre+
(Katz). Die vielgerühmte Selbstkontrolle des Netzes jedenfalls
scheint gründlich versagt zu haben. Einigermaßen resigniert
fragt Katz, ob wir nur noch dazu da sind, Meinungen von jungen
zornigen Männern zu verbreiten?
Die Netzgemeinde löst sich in der Usermasse auf
Doch nicht nur der liberale Kolumnist des immer noch
meinungsbildenden Magazins, auch biedere Geschäftsleute haben
keine Lust mehr, sich für die schrankenlose Freiheit beliebiger
Schaumschläger und Sexualphantasten prügeln zu lassen. In Europa
greifen Internetprovider zur Selbsthilfe - bevor Staatsanwälte,
Medien und Zensurgesetze der Staaten ihnen das Geschäft
verderben.
Noch hat der oberste Gerichtshof der USA nicht über den
Revisionsantrag des Justizministeriums gegen das Urteil von
Philadelphia entschieden, das den sogenannten Communications
Decency Act für verfassungswidrig erklärt hat. Niemand rechnet
jedoch ernsthaft damit, daß dieses Zensurgesetz in seiner
jetzigen Form noch eine Chance hat. Zur Ironie der
Netzgeschichte, von der Katz spricht, gehört auch, daß
staatliche Zensurversuche außerhalb Amerikas eine neue Form der
Netzkontrolle hervorgebracht haben. Nicht mehr die Gemeinde der
User, sondern die kommerziellen Firmen erheben den Anspruch, zu
entscheiden, was im Netz zulässig ist. Onlinedienste wie
CompuServe oder AOL haben ihren Kunden ohnehin schon immer
rigorose Anstandsregeln in die Zugangsverträge geschrieben. AOL
ermuntert seine Mitglieder sogar zur Denunziation, unterhält
einen eigenen Überwachungsdienst und behält sich das Recht vor,
im Verdachtsfall auch den Mailverkehr zu überprüfen. Solche
Praktiken waren im Internet bisher verpönt, jetzt aber greifen
auch reine Internetprovider zu ähnlichen Mitteln. Sowenig wie
Jon Katz mögen sie weiterhin an die heilsamen Wirkungen der
Netiquette glauben. Staatliche Gesetze sind in Europa noch kaum
über das Stadium von Entwürfen hinausgelangt, die Provider
versuchen, die Lücke selbst zu füllen. Es geht ihnen nicht nur
um Rechtssicherheit und Schutz vor Ermittlungsbehörden, wie im
Falle der deutschen Internet Content Task Force, die auf einen
rechtlichen Hinweis der Bundesanwaltschaft hin gleich einen
ganzen Webserver gesperrt hat. In Deutschland hat der
Providerverband +eco+ darüber hinaus einen Medienrat gebildet,
der +ausgewogene Empfehlungen und Richtlinien+ entwikkeln will,
um das +Internet sozialverträglich in die Gesellschaft zu
integrieren+, wie es in der Gründungsresolution heißt.
Sehr viel deutlicher formuliert dieses Ziel die britische
+Internet Service Providers Association+ (ISPA), die Ende
September eine 36 Punkte umfassende Selbstverpflichtung
veröffentlicht hat (http://www.ispa.org.uk/safetypa .html).
Einer der Kernsätze des Programms +Safety Net+ lautet:
+Internetprovider tragen Verantwortung für ihre
Dienstleistungen. Sie müssen vernünftige, praktikable und
angemessene Maßnahmen gegen die Nutzung des Internets zu
illegalen Zwecken ergreifen und dafür sorgen, daß gegen
Materialien oder Aktivitäten vorgegangen werden kann, die als
illegal identifiziert worden sind.+
Das Papier, das auch der Betreiber des Londoner Internet-
Zentralknotens +LINX+ unterschrieb, zählt im Detail die
Maßnahmen britischer Provider auf. Dazu gehört ein sogenannter
Rating- Dienst, der den +normalen Inhalt+ von Newsgroups und
Websites nach den Kriterien der +Platform for Internet Content
Selection+ (PICS) bewertet. Dieses Regelwerk, das einen den
technischen Internet-Standards vergleichbaren Status haben soll,
wird zur Zeit noch von der Computerindustrie erarbeitet - die
neuste Version des Microsoft-Browsers +Explorer+ enthält schon
eine Menüoption, mit der Websites gefiltert und mit Paßwörtern
vor Kindern abgeschirmt werden können. Britische Moral für den
Rest der Netzwelt Doch der britische Providerverband will nicht
nur strafbare Produkte von seinen Rechnern verbannen, sondern
auch mithelfen, die Täter zu finden. Diesem Zweck dient eine
sogenannte +Hotline+, auf der Internet-User mutmaßliche Verstöße
gegen Recht und Gesetz melden können. Der Dachverband will die
Hinweise überprüfen und seine Mitglieder gegebenenfalls
anweisen, die strafbaren Dokumente zu löschen. Damit die Quellen
auch tatsächlich gefunden werden, wird die ISPA außerdem das
Protokollsystem des Datenverkehrs verbessern: Zumindest in
Großbritannien sollen anonyme Adressen nicht mehr zugelassen
werden, und Pseudonyme nur, solange sie auf den tatsächlichen
Autor zurückführbar bleiben.
Nationale Verbote, von wem sie auch immer ausgesprochen werden,
können bisher im Internet leicht unterlaufen werden. Doch die
ISPA hofft, daß ihr Beispiel in anderen Ländern Schule macht.
Der Sprecher des Verbands erwartet sogar, daß Großbritannien mit
dieser Initiative eine +weltweite Führungsrolle+ im
Internetgeschäft einnehmen werde. Die Hoffnung ist begründet.
Anfang dieser Woche haben in der Schweiz 24 Provider eine
+Arbeitsgruppe Recht und Internet+ gebildet, die Gründung eines
formellen Dachverbands steht bevor. Die Arbeitsgruppe hat schon
mal zwölf +Grundsätze+ formuliert, die unter anderem vorsehen,
daß die Mitgliedsfirmen keine +strafrechtlich relevanten
Internetangebote+ akzeptieren und sich gegenseitig über mögliche
Verstöße informieren. Dokumente, die nach Meinung der Provider
strafbar sind, werden von Schweizer Servern gelöscht, die
Urheber, soweit bekannt, den Ermittlungsbehörden mitgeteilt.
Die Zeiten der Netzanarchie sind vorbei. Mit den Maßregeln der
britischen Provider verglichen, nimmt sich die deutsche Internet
Task Force eher bescheiden aus. Rechtsanwalt Michael Schneider,
in der Newsgroup +de.soc.zensur+ mittlerweile auch mal als
+tapferes Schneiderlein+ apostrophiert, sitzt noch an der
Klageschrift gegen die Bundesanwaltschaft, die dem
Providerverband +eco+ Ermittlungen wegen der auf dem
niederländischen Server +xs4all+ abrufbaren Zeitschrift radikal
angedroht hatte. Die Sperrung des Rechners, die Schneider
daraufhin empfohlen hatte, erwies sich als weitgehend
wirkungslos, seit Anfang letzter Woche ist sie wieder
aufgehoben: Die Betreiber von xs4all haben mitgeteilt, daß die
radikal- Ausgabe entfernt worden sei, jedenfalls bis auf
weiteres. Auch die Bundesanwaltschaft sah ein, daß damit der
Anfangsverdacht auf Beihilfe zu Straftaten nach den Paragraphen
129a und 130a nicht mehr haltbar sei, und versprach, von
Ermittlungen abzusehen ebenfalls bis aufweiteres.
Also gestärkt wies Schneider umgehend Claudia Nolte in die
Schranken (http://www.anwalt.de/ ictf/index.htm). Die Bonner
Familienministerin ließ letzte Woche die sattsam bekannten
Websites des Neonazis Ernst Zündel auf den Index setzen,
verbunden mit dem Hinweis, Internetprovider sollten verhindern,
daß dieses Material Jugendlichen zugänglich werde. Dafür bestehe
sogar +dringender Handlungsbedarf+ erläuterte ein Sprecher die
Meinung der Ministerin. Die +Indizierung von WWW- Seiten+ sei
jedoch +nach geltendem Recht unzulässig+, schrieb Schneider
knapp zurück, eine +Empfehlung für die der Internt Content Task
Force angeschlossenen Provider+ sei daraus +einstweilen nicht
abzuleiten+.
Niklaus Hablützel (niklaus(a)taz.de)