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Re: ECC: "Filtern & Lenken"



On 16 May 97 at 1:59, Ulf Möller wrote:

[...]

> Im Zeitungsausschnitt geht es auch gar nicht um Routing, sondern um
> "Wichtiges und Unwichtiges" und um "Filtern und Lenken". Die Rede
> ist also nicht von der Netzinfrastuktur, sondern eigentlich von der
> Anwendungsschicht -- beziehungsweise von einem kruden Durcheinander,
> das unter den europõischen Telekommunikationsb³rokraten eigentlich
> seit der Einf³hrung der Offenen Systeme nach ISO/OSI ³berwunden sein
> sollte.
>
> F³r mich klingt das nach Leuten, die das Internet nicht verstanden
> haben (und es auch gar nicht verstehen wollen), und die gerne
> F÷rdermittel der EU erhalten m÷chten.

In der Ausgabe der "Global Online" 05-06/97 findet sich auf den
Seiten 70-72 ein Beitrag von Roland Keller ueber das ECC unter dem
Titel "Europa-Netz - Transatlantische Abnabelung / DasEuropean
Communication Council fordert die Politiker in Bruessel auf, sich bei
der Entwicklung des Internet von den USA zu loesen. [...]"

Die Autoren des ECC-Reports sind:

- Philip Schlesinger (Professor fuer Oekonomie und
  Massenkommunikation an der FU Berlin), Projektleiter
- Axel Zerdick
- Percy Tannenbaum
- Alessandro Silj

Auftraggeber der Schose war offenbar Michael Woelfle von der Media
Gruppe Muenchen (MGM).

Die "Global Online" veroeffentlicht 10 Thesen aus dem ECC-Bericht:

--------------------------------- BEGIN QUOTE
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1. Die Medien-Revolution steht noch bevor

Mitte 1996 nutzen nur 1 bis 2,5 Prozent der Europäer das Internet, im
Vergleich zu 5 Prozent in den USA. Die MedienNutzung in Europa ist
noch sehr traditionell. Einerseits stellt dies ein Wettbewerbsproblem
für Europa dar, andererseits gibt es in Europa ein breites
Entwicklungspotential.


2. Das traditionelle Internet wird implodieren

Das Internet ist nicht dafür geschaffen, sämtliche neuen Service-Arten
zu bedienen, wie etwa Rundfunk oder Telefon. Um ein Implodieren zu
vermeiden, müssen neue Backbones, Overlay-Networks, Intranets und eine
neue Gebührenordnung geschaffen werden.


3. Europäisches Extranet

Wir brauchen ein effizientes europäisches Extranet, das den
zunehmenden Datenverkehr bewältigt und ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen regionalem und internationalem Datenverkehr sicherstellt. Die
EU soll in gespiegelte InternetServer und dezentrale Datenbanken mit
lokalen, regionalen, nationalen und regionalen Inhalten investieren,
um die Online-Nutzung in Europa zu erleichtern und zu beschleunigen.


4. Europäische Medien brauchen europäische Anbieter

Die US-Dominanz auf dem Gebiet der neuen Kommunikationstechnik hat zu
einer Umkehrung des "Kolonialkomplexes" geführt: Die europäischen
Länder befinden sich in der Gefahr einer zunehmenden kulturellen
Abhängigkeit von den USA. Europäische Dienste mit europäischen
Inhalten müssen von der EU unterstützt werden, um die
gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt in Europa zu stärken.


5. Telekommunikationsleistungen in Europa zu teuer

Die Engpässe der Kommunikationsindustrie in Europa sind wirtschaftlich
und politisch bedingt. Zudem wurde die erforderliche Deregulierung
künstlich verzögert. Die hohen Gebühren quasi monopolartiger
Unternehmen sind ein Hemmnis für die rasch wachsende Nachfrage nach
Online

Verbindungen. Der integrierte Ansatz der Fernseh- und
Telekommunikationsregulierung in den USA kann auch ein Modell für
Europa sein.

6. Der Multimedia-Markt wird nicht limitiert durch das Medien-Budget
der
   Verbraucher

Anschaffungen für PCs zuhause und die Kosten für private
Internet-Zugänge und -Nutzung fallen beim Verbraucher nicht unter die
Limits seines klassischen Medienbudgets.


7. Zukunft interaktives Fernsehen

Die Bedüfnisse nach Interaktion bei zukünftigen Fernsehprogrammen
werden zunehmen. Ihnen muß Rechnung getragen werden.


8. Multimedia-Technik kann das Problem Arbeitslosigkeit nicht lösen

Durch zu langsame Entwicklungen im Multimedia-Bereich werden positive
Arbeitsmarkteffekte verhindert oder reduziert. Neue Arbeitsplätze -
auch in der Multimedia-lndustrie - lassen sich durch "Value Added
Services" schaffen.


9. Verbraucherschutz - virtuelle Pleiten

Die Nutzer müssen die Chance haben, ihre Budgets ständig zu überprüfen
und vor der unkontrollierten Ausgabe von "Micropayments" im Netz
geschützt werden, um virtuelle Pleiten zu vermeiden.


10. Chancen für neue Player

Newcomer und Nobodies haben bisher sehr stark den Markt der
Multimedia- Kommunikation entwickelt. Die traditionelle
Medienwirtschaft sieht sich schwierigen unternehmerischen
Entscheidungen gegenüber: Es ist nicht klar, was die Nutzer wollen;
man weiß nicht, welcher Service in Zukunft von den Komsumenten genutzt
wird; offen ist auch, welche Angebote genutzt werden. Allianzen, um
potentielle Risiken zu teilen, genügen nicht, um den gegenwärtigen
Einfluß traditioneller Medienhaeuser zu erhalten.

---------------------------------- END QUOTE
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Obwohl die ECC-Leute als "die vier ECC-Weisen" apostrophiert werden,
ist aus dem Thesen-Text dieser Anspruch nicht ableitbar. Man will das
bisher sich den etablierten Grossunternehmen widerborstig sperrende
Internet endlich auf die Beduerfnisse der "Global Player" zurichten
(so interpretiere ich den Punkt 10) und hofft dabei auf Unterstuetzung
aus Bruessel. Was dabei herauskommen soll, ist eine Mischung aus
interaktivem Fernsehen und BTX.

An der Eigendynamik des Internet haben sich schon ganz andere Leute
verhoben.

Dazu - ohne direkten Bezug zum ECC, aber im delben Heft der "Global
Online" auf Seite 21 - aus einem Interview mit Ulrich Neuert von
Bertelsmann:

Frage: "Der Mediennutzer ist an Komfort gewoehnt. Er findet seine
Zeitung auf dem Schreibtisch oder im Briefkasten. Beim Fernseher
reicht es, irgendeinen Knopf zu druecken. Der PC ist komplizierter."

Antwort: "Das ist ein wunder Punkt des Internet. Sie muessen vielfach
Fachmann sein, um Software zu installieren, und Klimmzuege machen, bis
sie es geschafft haben, sich anzumelden und zu registrieren. Den
Fernseher schalte ich einfach an und zappe zwischen den Kanaelen. Das
ist die ideale Nutzungsform. An der Stelle wird aber die Push-Technik
helfen. Ich loese michdann vom klassischen Browser, von der
komplizierten Anmeldeprozedur, und kann meinen Channel auf dem Desktop
haben."

Das, was der Bertelsmann-Mensch da sagt, duerfte so ungefaehr auch auf
der Linie des ECC liegen.

Axel H. Horns