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Re: Stellungnahme zum Medienrat



On 10 Oct 97 at 14:35, Lutz Donnerhacke wrote:

> Jedoch ist sie an jeder Stelle von dem Grundgedanken, eine
> Sperraufforderung sei rechtens, solange sie nur von Vater Staat kommt,
> zu spüren. Dem ist allerdings nicht so.
> [...]
> Dieser Bias ist unerträglich. Diese Stellungnahme suggeriert -ohne
> es zu schreiben- das der Sperrung nur ein formales gesetzgeberisch
> lösbares Problem gegenübersteht.

Diese Bemerkung trifft den Kern des Problems.

Fast jeden Monat werden neue Gesetzesinitiativen zur Beseitigung
von rechtliche Barrieren, die einstmals zum Schutz der Vertraulichkeit
von Kommunikation bestimmt waren, angedacht, ausformuliert oder schon
durch die Gremien gebracht. Vorgestern hatten wir im Bundestag die
sog. "akustische Wohnraumueberwachung" auf der Tagesordnung, und Stefan
Felixberger weist heute in seinem Beitrag "Ohr des Gesetzes" in der
neuesten c't auf ein paar schoene Stellen im "Entwurf fuer ein
Begleitgesetz zum TKG" hin. Und an anderer Stelle wird heftig darueber
nachgedacht, wie unerwuenschte Inhalte dem Zugriff des Einzelnen
entzogen werden koennen.

Natuerlich gibt es den von Lutz beschriebenen Bias: In den durch
CDUCSUSPDFDP repraeasentierten Bevoelkerungsschichten gibt es
verbreitet die Meinung, das Leben sei noch nie so unsicher wie heute,
und wenn der Staat nur genuegend in Gestalt der Staatsgewalt
auftrete, werde man die schuldigen boesen Buben schon unschaedlich machen
koennen. Dieses herbeigesehnte Taetigwerden des Staates verwirklicht
sich teils als Lauschangriff, teils als Inhaltsregulierung, und
vielleicht auch sonst noch auf andere Art und Weise.

Dass diese Auffassung gegenueber der tatsaechlichen Problemlage
unangemessen ist, braucht hier wohl nicht weiter ausgefuehrt zu werden.
Aber da die Parteien heute nicht mehr eherne, fuer richtig gehaltene
Prinzipien vertreten, sondern ihre Funktion in einer Sprachrohrfunktion
fuer ihre jeweiligen als Klientel ausgemachten gesellschaftlichen Schichten
und Gruppen sehen, sollte man sich nicht allzusehr ueber das wundern, was
da derzeit in Bonn und anderswo ablaeuft.

Der entscheidende Punkt ist die Machtfrage. Wer die gegenwaertig von
starken Stroemungen im absteigenden Buergertum gewollte oder hingenommene
Big-Brother-Rolle des Staates nicht akzeptieren will, muss sich dies
klarmachen. Darueber ist bislang viel zuwenig nachgedacht worden.

Und: Die Machtfrage haengt eng zusammen mit dem Akt des Identifizierens
des politischen Gegners (nicht: Feindes(!)) und der Suche nach politischen
Verbuendeten. Auch mit dem Vollzug bestimmter, in einer Demokratie
legitimer Schritte, die geeignet sind, die Interessen der als politische
Gegner identifizierten Kreise zu schaedigen und die der Verbuendeten zu
staerken.

Im Gegensatz zu manchen frueheren Debatten scheint die
Auseinandersetzung um die "unbeobachtete Kommunikation" nicht
wesentlich von Besonderheiten der deutschen Geschichte, namentlich
Nazi-Zeit und Kriege, bestimmt zu sein. Der Konflikt tritt in den USA
ebenso und im wesentlichen in gleicher Gestalt zutage (z.B. Mr. Freeh
und seine mandatory GAK-Traeume) wie in Grossbritannien (Stichwort: MI5)
und eben auch in der Bundesrepublik.

Hueten sollte man sich vor Scheuklappen bei der Wahl potentieller
Buendnispartner. Die Tatsache, daß es in der Bundesrepublik
Deutschland derzeit noch kein restriktives Krypto-Gesetz gibt,
verdankt sich einer massiven Einflussintervention der Wirtschaft.
Dies heisst nicht, dass die Privatwirtschaft immer und ueberall als
Buendnispartner zur Verfuegung steht; das Versagen der
Provider-Branche in der Zensurdebatte macht dies deutlich.

Die Informationsgesellschaft heisst Informationsgesellschaft, weil in
ihr die staatliche Kontrolle von Informationen zu einer zentralen Frage
wird.

Axel H. Horns