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Das Schwert und die Scheide (was: Re: [FYI] terre des hommes e.V. alsHubbert-Fanclub?)



Hartmut zu
>Holger Veit zum Datenschutz, dessen Sinn ich anzweifelte:
(...)
>> Prima. Dann verstehe ich dich also richtig. Alle Information soll frei sein,
>
>"Alle Information" heisst hier all die Information, die in Behoerden unter
>Aufsicht von Datenschutzbeauftragten (angeblich) unter Verschluss gehalten
>wird.
>
>> z.B. aber nicht ausschliesslich:
>> - sexuelle Vorlieben und Probleme (kriegt keinen mehr hoch; die Story von
>>   den 1000 Frauen war uebertrieben, es waren nur drei, naemlich: (Namen) )?
>
>Welche Behoerde verwahrt solche Daten?

Ein Beispiel aus dem Innenleben des Strohhirn^H^H^Hauses in Hamburg.
Da ist die Polizei drin. Um 1980 gab es ein recht gross angelegtes
Projekt, alle oeffentlichen Maennerklos mit Videos zu ueberwachen.
Das kam raus und dann begannen ein paar, die halbdurchsichtigen Spiegel
einzuschlagen ueber dem Waschbecken, hinter denen die Kameras hingen.

Aus diffusen Kreisen erfuhr ich, dass eine bei der Polizei befindliche
aus diesen Bildsammlungen erstellte Datensammlung "irgendwie geloescht"
war samt aller Backups. In der Folge kursierte polizeiintern ein interner
Gefuehlsmix zwischen Wut und Freude. Denn jeder wusste, dass der Versuch,
den Vernichter einer rechtswidrig erstellten Datensammlung polizeiintern
zu ermitteln, war irgendwie...
Weiterdenken kann da ja jeder selber ;-)
Wichtig ist, dass diese Aktion "polarisierte". Denn man konnte einen Beamten,
der davon wusste, fragen, was er davon hielt. Und seine Antwort sagte mehr
aus ueber seine Vorstellung dieses Staatswesens als ein Aufsatz von 1000
Worten. Das war keine ideologische "Freund-Feind-Kennung", aber ein
praezises Einnorden, wie einer drauf ist und welche Gespraechsebene ok.

(...)
>> Oder wo ist die Grenze bei "gewissen Dingen"? Es darf jeder wissen, was
>> ich verdiene, aber nicht, was ich mir dafuer gekauft habe, oder darf man das
>> auch bekannt machen, oder vielleicht nur, dass ich bei Aldi eine Dose
>> Bohnen gekauft habe, aber schon nicht mehr, dass ich auf der Reeperbahn
>> ein paar hundert Mark..., oder vielleicht gerade das, weil die Dose Bohnen
>> niemanden interessiert?
>
>Von unseren jetzigen Gewohnheiten aus betrachtet ist das eine
>erschreckende Vorstellung.  Gesamtgesellschaftlich gesehen koennte es aber
>der bessere Weg sein.  Ich glaube aber nicht, dass die Reeperbahnlokale
>ihre Daten ohne weiteres bekanntgeben wuerden.  Ich wuenschte sie
>wuerden es, denn das wuerde ihr Geschaeft ruinieren.

Meine Geschichte, was denn eigentlich "Daten" sind und wie sie entstehen,
stammt von der Reeperbahn.
Es war einmal, in der Fruehzeit des Automatenbanking bei der
Verbraucherbank in Hamburg. Wenn man wusste, wie Hacker denken,
dann war klar, dass sie sich in den Raeumen der Bank trafen.
Und zwar in einem definierten Zeitfenster, der Nacht von Sonntag
auf Montag. Denn dann waren die Papierkoerbe voller einfach in der
Mitte durchgerissener Kontoauszuege. Die Bank betrieb keine
Kundenaufklaerung ueber den Unterschied zwischen dem haeuslichen
Muelleimer mit Restmuellmischung, wo man sich die Finger schmutzig
macht und der Verlockung einer Bueroatmosphaere mit dem Zweiwege-
Papierkorb. Daher hatten wir schon unseren Eindruck ueber die Kunden,
die sowas modernes ueberhaupt benutzten.

Noch zehn Jahre spaeter, als der Laden NORIS-Bank hiess, haben
Baenker auf der lokalen Fuehrungsebene zumindest damals in
Mannheim die Wichtigkeit eines Shredders nicht begriffen.
Denn als ich da sagte "Oh toll, Colani-Design. Und der
Shredder ist integriert - aber wo ist er hier in Mannheim?"
kam als Antwort "Das ist doch nicht wichtig". Ich sah am Gesicht,
als ich die obige Geschichte erzaehlte, dass er begriff.
Trotzdem dauerte es noch ein halbes Jahr, bis der Shredder kam.
Die Langsamkeit des Hierarchenmanagements eben.

Die Bargeldautomaten wurden unterschiedlich benutzt damals.
Wenn man die Nutzung statistisch betrachtete, konnte man
fragen, welcher Automat am haeufigsten "leer" war.
Es gab exakt einen solchen Bargeldautomaten in Hamburg.
Er stand in der City Nord und war deshalb "immer zuerst leer",
weil er der damals einzige war, der mit dem Auto erreichbar
und bei heruntergekurbelter Scheibe bedienbar war.

Mit dem ueblichen, durch hierarchische Strukturen des
Geldwesens bedingten Verzoegerungen wurde dies Problem geloest.
Es gab aber auch die "zweitoft" leeren Geldautomaten.

Ein derartiger Automat bereitete einer Bank damals grosse Sorgen.
Sie konnten keinen Grund finden, warum dieser Automat so oft
benutzt wird und warum er so oft leer ist.
Man vermutete betruegerische Manipulationen, erstellte Listen
aller Geldbewegungen. Doch man kam nicht weiter, es blieb unklar.
Denn alle Geldbewegungen waren - dem Anschein nach - korrekt.
Man erstellte auch eine Liste aller Kunden, die am Automaten
"auffielen", weil sie "oft" da waren. Auch das half nicht weiter.

Die Bank beschloss in ihrer Not, einen Privatdetektiv einzuschalten.
Der bekam den Auftrag, kuemmerte sich um die Beobachtung des
Automaten und war recht schnell mit der Arbeit fertig.

Sie laesst sich in einem Satz zusammenfassen:
Der Automat stand nicht (!) direkt an der Reeperbahn, aber so guenstig,
dass jeder, der in den Puff wollte, genau diesen nahm.

Es ist klar, dass man sich beruhigt zuruecklehnen koennte, weil sich
jeder amuesiert: es ist verstaendlich, dass das "nicht direkt an" eben
nicht bei der Standortplanung bedacht wurde: it just happens.
OK, man denkt also das naechste mal daran, gewisse mikrogeografische
Situationen zukuenftig so vorzuplanen, dass ein geographischer
"Sicherheitsabstand" bei der Standortwahl des Automatens geplant wird.
Soweit, so gut.

Ich besitze bei manchen Geschichten die Gemeinheit, erst weit
auszuholen und dann zuzuschlagen.
So auch hier.

Denn nachdem diese Meute von Bankfuehrungskraeften  erst zufrieden
war, daemmerte ihnen  so ganz langsam, wie ein langes Messer, dass
zentimeterweise bei vollem Bewusstsein in den Bauch dringt, dass sie
ein Problem hatten: nun existierten Listen mit Namen von Kunden,
ueber denen eine ganze Reihe von Mitarbeitern ploetzlich "Bescheid"
wusste: sie waren zwar reingewaschen vom Verdacht des
Automatenmissbrauchs. Aber dafuer haben sie ein anderes Etikett
an der Backe: die Reeperbahnbesuche.

Familienvaeter, gestandene Geschaeftsleute, ...
Ein paar "unschuldige" werden natuerlich auch dazwischen gewesen sein.

Vor allem: der Begriff der "Schuld" ist Unfug, denn die sozialhygiensiche
Funktion der Reeperbahn fuer verkorkste Adenauererziehungsprodukte,
auf die die Pilchschen Stimmviehbetrachtungen zutreffen, ist jedem
nachdenklichen Betrachter klar. Doch diese Liste in den Haenden einer
Zeitung ist etwas anderes.

(Rahmen)
*** Fazit: selbst bei sorgfaeltiger Planung laesst sich versehentliches
*** Entstehen brisanter Daten NIE 100% voraussehen und NIE 100% verhindern.
(/Rahmen)

Wer die letzten beiden Zeilen liest, der moege sich fragen: haette er sie
als praezise und korrekt akzeptiert ohne die Geschichte vorher?
Oder haette er rumgemaekelt und gemeint "bei gruendlicher Ueberlegung
laesst sich alles vorausplanen und verhindern"? Das frage er sich.

Den Beweis, dass die Zensur im Internet nicht nur unmoeglich, sondern
dumm ist, kennen etliche auf der Liste. Er ist jedoch etwas komplexer.
Ich sehe ein Problem in der Haeppchenkultur der Infobreikonsumenten,
fuer die ein McInfoburger im TV von 1min30 schon "hart zu kauen" gibt.

(...)
>Monarchie kann zur Tyrannis werden, Demokratie zur Ochlokratie.  Auf der
>Fitug-Liste, wie ueberall sonstwo bei uns, ist das Wertesystem der
>Ochlokratie geradezu heilig.

Mein boesartig-gemeines Prinzip lautet:
Das, was Du sagtst, gilt in erster Linie fuer Dich selbst - egal was Du sagst.

Natuerlich gelingt es mir nicht immer, diese Prinzip auf mich selbst anzuwenden
und mich in dieser Art aus der Warte von anderen zu sehen; aber ich
versuche es...

Trotz meiner sechs Jahre Griechisch kenne ich "Ochlokratie" nicht. Ich hatte in
Griechisch eine 5 und einen tumben verheirateten Autoritaeren als Lehrer, dem
ich jedoch unterstelle, an Ochlokratie zu glauben und von dem ich einen
einzigen,
aber praezisen Satz aus seinem widerlichen Wertesystem in Erinnerung habe:

Auto, Fueller und Freundin verleiht man nicht.

Das  reicht, um Dir zu widersprechen:
als Wertesystem auf der fitug-Liste schaetze ich das Schwert des Geistes,
das Dir schon ein paar Mal in die Rippen gestoszen wurde ;-)

Fuck off griechisch: der deutsche Begriff "Scheide" ist auf anstoessige
Weise genau.
Das Schwert scheidet.
Moegen die Fetzen fliegen.
Wenn es zu einem beidseitigen IQ++ fuehrt, ist das gut.
Es muss ja nicht immer IQuadrat sein, Brosamen reichen manchmal.

Die Bereitschaft, sich auf Gedankengebaeude einzulassen auf die Gefahr hin,
dass dabei die komplette eigene Welt zusammenbricht, ist IMHO das wichtigste
fuer die Teilnahme an einer Veranstaltung wie fitug. Da ist es in der Ideologie
wie bei  den Hackern: SbO ist Unfug, Offenheit allein schafft Stabilitaet.

Die Gedankengebaeude hier sind keine Kathedralen des Geistes, wie sie Eric R.
am Beispiel Linux beschreibt. Bei denen genuegt ein kleiner Wurm, der den
Stoepsel zieht (architektonisch den Schluszstein des Gewoelbes) und das Ding
bricht zusammen. Die Ideologiemethode "Bazaar" ist anders und IMHO fitug.

Grumpf. Das musste raus.
wau

--
Gert: Der IQ eines Kollektivs ist der niedrigste Einzel-IQ
      dividiert durch die Anzahl der Beine.
Wau: Wurstkaese-IQ. Hunde einbeziehen in Gesamtrechnung.
     Hebt der Hund ein Bein, dann steigt der IQ.