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Re: Computersteuer?



> 
> > Du willst das Peer-Review-System aus der Wissenschaft etablieren. Das geht
> > schon in der Wissenschaft in die Hose, obwohl da ein oeffentliches Interesse
> > besteht/bestehen sollte, wie mit Forschungsgeldern umgegangen wird. Zunaechst:
> 
> Eher umgekehrt: die in der Hackerwelt bewaehrte Praxis
> institutionalisieren und der Wissenschaft zeigen, wie es gehen koennte.
> Im uebrigen: schlechter als das Privatfernsehen arbeitet auch die
> Wissenschaft nicht.
> 
> > welches oeffentliche Interesse koennte darin bestehen, die Entwicklung eines
> > C++-Compilers zu sponsern, wenn man fuer PCs z.B. Borland C 3.1 fuer DM49.95
> > hinterhergeworfen bekommt? Damit faengt es an, es geht weiter beim EU-Wasserkopf:
> 
> Deshalb klappt hier keine massendemokratische Enscheidungsweise.  Die
> Alternative heisst aber nicht eine Hierarchie von Gremien sondern eine
> durch ein Pruefungssystem qualifizierte, intern demokratische und offen
> zugaengliche Peer-Gruppe. 

Eine Peer-Gruppe ist eine Hierarchie von Gremien mit der Tiefe 1, und damit
im Prinzip dasselbe. Wer bestimmt diese Peers, und wie wird man sie ggf.
wieder los (bekanntes Problem bei Newsgroup-Moderatoren)? Benenne RMS in die
Peer-Gruppe, und die ganze Welt sieht ploetzlich wie ein Emacs aus. Benenne
einen Vertreter von FreeBSD, und du pinkelst damit allen Linuxern ans Bein.
Vice versa. Damit haettest Du schon auf simpelste Weise das Proporz-Problem 
am Hals. Sorry, aber die Suche nach neutralen, erfahrenen Peers aus der
Free-SW-Szene ist ebenso schwierig wie die Suche nach Jungfrauen im Puff.

> > Da wird vielleicht politisch entschieden, dass man eine Alternative zu
> > MS-Word benoetigt, und es werden z.B. 1E6 Euro dafuer bereitgestellt. Schoen
> 
> Typische Kathedralen-Vorgehensweise also.

Alternativ: Giesskannenprinzip. Was moeglicherweise Erfolg verspricht, wird
gefoerdert? Okay: es ist ein halbes Jahr vergangen, seit Netscape die Sourcen
freigelassen hat; wo ist denn der earthshaking free Mozilla/Netzilla/Warpzilla/Gnuzilla?
Wie lange war die Vorlaufphase von GIMP und KDE, bis etwas da stand, das etwas
hermacht?

> Das wichtigste sind zunaechst nicht Werkzeuge sondern Schnittstellen.
> Es wird auch nicht ein Betrag bereitgestellt sondern es werden
> Anforderungen spezifiziert und der guenstigst bietende bekommt den
> Zuschlag, nachdem er die Zusagen eingehalten und termingerecht geliefert
> hat.  Sonst geht der Zuschlag moeglicherweise an die Konkurrenz, die ja
> im Bereich der freien Software nicht einfach deshalb schlaeft, weil kein
> Geld fliesst.

Aehnelt durchaus einigen EU-Research-Projekten, in denen ich mich schon
rumgeaergert habe. Spezifikation bis zur Vergasung, Potemkinsche Millionen-
metropolen, und gegen Projektende hochintelligente Entschuldigungen, warum
da dann doch nix bei rumgekommen ist.

> 
> > den Zuschlag. Dann werden erstmal grossspurige Planungen verbreitet, ein 
> > Konzept erstellt, ein Prototyp gemacht; es kommen Peers vorbei, die den
> > Fortgang des Projekts begutachten, und am Ende ist das Geld versickert
> > fuer Hardware, Hilfsmittel, Reisen (trotz Internet), Anwerbung von Programmierern,
> 
> nettes Szenario, aber eben fuer den Wissenschaftsbetrieb herkoemmlicher
> Art.
> 
> > etc. Und man stellt dann fest, dass auch ein Piece of Code herausgekommen ist,
> > allerdings eins, welches man unbedingt GPL machen muss, weil man es anders auch
> > nicht losschlagen koennte. Die Programmierer haben sich gegenseitig zerfleischt,
> 
> An Universitaeten sind mitunter schon wesentlich bessere Sachen
> entstanden.  Kuth, Ousterhout, Stallman, ...  
               Knuth?

Ich bestreite ja garnicht, dass da auch mal was rauskommen kann, aber gerade
die Beispiele, die Du anfuehrst, sind weniger auf externer Foerderung gewachsen,
denn mehr auf persoenlichem Engagement. Genau wie so ziemlich alles, was im
freien Softwarebereich Rang, Namen und GPL-License hat. Und das willst Du jetzt
durch Sponsoring institutionalisieren? Ich stelle mir da jetzt den Hacker vor,
der frueher fuer Ruhm, Ehre und Gotteslohn ein wahnwitziges Tool gebastelt hat,
und der jetzt Proposals statt C++-Klassen schreibt.

> Das wird jetzt immer doller ...

ACK.

> GNU/Linux/BSD verkoerpern moralische Werte, mit denen sich DFG und
> EU-Gremien nicht messen koennen.  Wo im Bereich der Wissenschaftsszene
> gibt es so etwas wie den Debian-Gesellschaftsvertrag?  das GNU-Manifest?

Es besteht der allgemeine Konsens, dass die Gesellschaft, aus was fuer Motiven
auch immer, "Wissenschaft" haben will, genauso wie sie Krankenhaeuser und
die Muellabfuhr will. Die Leistung, die die damit betrauten Personen liefern,
besteht in dem Versuch, neues Wissen zu schaffen, was immer das genau ist, und
ohne eine Garantie, dass das auch gelingt.
Das ist der "Debian-Gesellschaftsvertrag" der Wissenschaft, aufkuendbar zu jeder
Zeit von jeder Seite. Die Folgen sind von beiden Seiten zu tragen.

> Ein zynischer Blick ist gegen Euphorie und Blauaeugigkeit heilsam,
> macht die Welt aber ansonsten nicht besser.

Brillen aus rosa Glas und Utopien, wie schoen die Welt sein koennte, wenn
sie nicht so waere, wie sie ist, auch nicht.

> > Was demnaechst? Noch ein halbes Prozent zur Unterstuetzung der notleidenden
> > deutschen Schuhindustrie (Lurchi-Abgabe), ein Prozent Atomenergie-Pfennig zum
> > Abbezahlen des Einstiegs in den Ausstieg, 2 Prozent fuer die Petro-Industrie,
> > wenn tatsaechlich das 3-Literauto massive Konsumeinbrueche beim Spritverkauf
> > verursacht, etc.pp. Soviele Prozente wie moegliche Interessenten an Subventionen
> > existieren gar nicht. 
> 
> Unter Subventionen versteht man die staatliche Mitfinanzierung
> kommerzieller Unternehmen.  Z.B. Stuetzungszahlungen an SuSE zum Erhalt
> der deutschen Arbeitsplaetze, die durch Debian bedroht werden.  Ich habe
> nichts annaehernd vergleichbares gefordert.

Zwangsabgabe fuer ein Produkt, welches kaum ein Computeruser nutzen will,
und Weitergabe an eine bestimmte Interessengruppe, ist Subvention.

> Oder ist oeffentlicher Strassenbau etwa als "Subvention an die
> Bauindustrie" zu verstehen? 

Wenn ich mir so manche oeffentliche Bauruine und Bruecke ohne Auffahrten
in der Landschaft so ansehe, koennte ich durchaus auf diesen Gedanken kommen.
Dann faellt mir zum Beispiel noch die geplante Transrapid-Trasse und das
Freizeitcenter Kalkar (a.k.a. Schneller Brueter) ein. Ich bin sicher,
dass *das* alles voellig im oeffentlichen Interesse war...

> Sollen wir lieber alle "Subventionen" streichen und das Strassennetz
> Privatfirmen ueberlassen, die dann so lange an jeder Strassenecke Zoll

Ja. Das nennt sich freier Markt. Ich bin da durchaus fuer radikalen
Darwinismus - es wird auf jeden Fall wahnsinnig lehrreich fuer alle sein.

> erheben, bis der groesste Fisch die kleinen aufgefressen hat, alle

Von Kartell und Monopol war nicht die Rede. Soweit funktioniert unser Gemein-
wesen noch, dass es dieses verhindert, insbesondere, wenn es alle betrifft.

> Landkarteninformationen zurueckhaelt und uns stattdessen
> Navigationssysteme anbietet, die beim Einsteigen fragen:  "Where do you
> want to go today?" ... "Please insert your credit card" ...

Ja. You get what you pay for. 

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