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Re: Welt(un)ordnung



On Tue, 6 Apr 1999, Dr.Horst-Walter Schwager wrote:

> >Fragen a la "warum nicht zuerst in XXX?" sind m.E. sowieso nicht
> >ernstzunehmen. Jede Organisation muss Schwerpunkte setzen und eine Sache
> >nach der anderen tun.  Einer der Gruende, warum China und Russland so
> >gegen die Aktion der Nato sind, ist, dass sie befuerchten, dass die USA
> >eine Weltgendarmen-Position aufbauen, die Stueck fuer Stueck, ueber das
> >Vehikel der Minderheitenrechte und Menschenrechtsideologie, die Staaten
> >auseinanderreisst und eine Pax Americana aufbaut.  
> 
> ja, halte ich fuer moeglich. Wobei ich denke, sie wissen genau, dass
> sie Dreck am Stecken haben und sie fuerchten die Moral der freien
> Welt. 

Ich wuerde eher sagen: sie wissen genau, dass die Stabilitaet ihres Landes
oft nur mit dubiosen Mitteln aufrechterhalten werden kann und sie
fuerchten den Einfluss der westlichen Ideologie, die in ihrem
Entwicklungsstadium zwangslaeufig zur Zersplitterung und Schwaechung
fuehrt. 

Die chinesische "Volkszeitung" (Renmin Ribao) hatte kuerzlich einen
schoenen Leitartikel ueber Jugoslawien, der mit folgender "Moral von der
Geschicht" ganz im Geiste Deng Xiaopings schloss:  "Wer in der
Wirtschaftsentwicklung zurueckbleibt, bekommt Schlaege ab". 

M.a.W.: machen wir, dass wir unsere Wirtschaft schnell vorwaertsentwickeln
und leisten wir derweil den amerikanischen Hegemoniebestrebungen passiven
Widerstand, wo die Mittel dies ohne allzu grosse Kosten erlauben (z.B. im
Weltsicherheitsrat). Nur von einer Stellung der wirtschaftlichen Macht aus
koennen wir uns spaeter ernsthaft schuetzen.  Also beeilen wir uns.

Von Russland kann man noch schlechter als von China behaupten, es gehoere
zur "unfreien Welt".  Aber das politische Empfinden sehr vieler Russen ist
heute genau so wie der von der Volkszeitung zum Ausdruck gebrachte
Gedanke.  

Wir haben es also hier nicht einfach mit Moral und Unmoral, freier und
unfreier Welt zu tun, sondern mit zweierlei Ordnungsvorstellungen, von
denen jede einiges an Berechtigung fuer sich anfuehren kann.  

> Russland haben Angst vor der Moral der freien Welt - sie wissen genau,
> dass sie Dreck am Stecken haben. Und sie haben Angst hauptsaechlich
> deswegen, weil Moral immer auch nach innen auf die eigenen Buerger
> wirkt und das ist toedlich fuer einen Diktator.

Wiegesagt: das passt nicht mehr.  In Russland und China sind weitgehend
die eigenen Buerger gegen die NATO eingestellt.  Zu Zeiten des
Irak-Krieges war das noch anders.  Damals jubelten viele Chinesen den
Amerikanern zu, weil sie der eigenen Regierung das fuerchten lehrten.
Heute ist dieser Antagonismus zwischen Volk und Regierung weitgehend
verflogen.
 
> >Ich habe eher den Eindruck, dass Serbiens Bevoelkerung ziemlich
> >geschlossen hinter Milosevic steht, und dass es sich nicht um einen
> >Tyrannen sondern um den (auch von der einigermassen frei agierenden
> >Opposition akzeptierten) Fuehrer in einer (z.T. von ihm selbst zu
> >verantwortenden) Krisensituation handelt. 
> 
> er macht jede ernsthafte Opposition (nicht nur mund_)tot, schaltet die
> freie Presse aus...die Bevoelkerung im Irak "steht" auch hinter ihrem
> Fuehrer, so ist das in totalitaeren Staaten.

Vom Beispiel China weiss ich, dass unsere Presse falsche Klischees pflegt. 
Deshalb habe ich den Verdacht, bei Serbien koennte es genauso sein, weiss
es aber nicht. Warum gab es vor ein paar Jahren einen Monat lang
Grossdemonstrationen in Belgrad, die mit einem Buendnis zwischen einigen
Oppositionsfuehrern und Milosevic endeten? 
 
> >Er hat auch nicht viele Handlungsalternativen.  
> 
> oh doch! Er braeuchte nur von seinen Eroberungsstrategien (zb.
> bosnisches, albanisches durch serbisches Erbgut zu ersetzen) lassen!

Um Erbgut geht es sicher nicht.  Schon eher um kulturelle Assimilation
und um den Zusammenhalt Serbiens.

> ER ist der Agressor, niemand Anderer. Einer UCK ihr Sichverteidigen
> zur Last zu legen, ist absurd.

Wir sprachen schon vorher vom "Rausekeln" der Serben durch die Albaner,
vom Missbrauch der Autonomierechte zur Albanisierung des Kosovo, der ...
 
> >sein Ueberleben als Staat, und im Kosovo herrscht seit den 80er
> Jahren
> >eine Situation des gegenseitigen Vertreibens, die kein
> >rumpf-jugoslawischer Politiker leicht reparieren koennte.
> 
> M. hat 1990 dem Kosovo seine Teilautonomie unter Bruch des
> Voelkerrechts weggenommen, einseitiger Akt.

... schliesslich zur Gegenreaktion, dem Aufheben des Autonomiestatus,
fuehrte.  Das war wohl eine unumgaengliche Notbremse vor dem voelligen
Zerfall.  Du beurteilst ja auch, wie ich, nicht immer alles nur nach dem
Buchstaben des Voelkerrechts.

> >Es wird moeglicherweise nicht genuegen, den Kosovo zu
> >erobern. 
> 
> stimmt. Der Kosovo wird aus Grosserbien (den Begriff "Jugoslawien" der
> mit Tito verbunden ist, sollten wir vergessen) herausgeloest werden
> muessen ...

Der Kosovo ist das Herzstueck Kleinserbiens.  Kosovske Pole, das
"Amselfeld" ist das Gebiet, auf dem sich der Unabhaengigkeitskampf der
Serben zutrug.  Die Albaner waren urspruenglich eine Minderheit, die durch
Geburtenueberschuss, Autonomiestatus u.a. die Serben verdraengten.  Das
sind alles Vorgaenge, fuer die das Voelkerrecht und die
Menschenrechtskataloge etc keine befriedigenden Regelungsmechanismen
anbieten.  Es waere zu ueberlegen, ob man nicht Minderheiten als Preis
fuer ihre Autonomie eine Pflicht zur Integration/Assimilation auferlegen
sollte.

> >Falls die NATO nicht schnell siegt, wird sie in einem langen schmutzigen
> >Krieg landen, und wir werden das Wehklagen von Muettern, die ihre Soehne
> >verloren haben, gemischt mit Pazifismus-Predigten und der Panikmache von
> >Leuten, die einen 3. Weltkrieg sehen, staendig in den Ohren haben. 
> 
> ja, dies ist leider das Risiko und weite Teile unserer verweichlichten
> (*) und 50 Jahre unter einem so schoen bequemen Schutzschild
> aufgewachsenen Bevoelkerung werden nicht bereit sein, Verantwortung zu
> uebernehmen. 

In den 80er Jahren weigerte sich ein Grossteil unserer Bevoelkerung,
Verantwortung fuer die *eigene* Freiheit zu uebernehmen.  Heute geht es um
die Freiheit der Kosovo-Albaner.  Umso mehr wundert mich der Wandel der
SPD. 
 
> >frage mich wirklich, ob die Nato, insbesondere die Deutschen, ueberlegt
> >haben, auf was sie sich da einlassen.  Gibt es irgendwo Verlautbarungen,
> >die daraufhindeuten? 
> 
> wer bei -5 Grad C. in den Main springt, um einen Ertrinkenden zu
> retten, philosophiert vorher auch nicht ueber
> Auskuehlungskoeffizienten und Stroemungsverhaeltnisse...

Wenn eine Organisation (Staat, Buendnis) etwas entscheidet, darf das keine
Affekthandlung sein. 
 
> (*) im Sinne von nicht_wissen+nicht bereit_sein fuer unser Wohlleben
> und unsere Sicherheit (ab und zu) auch einen Preis zahlen zu muessen!
> Komisch: ausgerechnet im Medienzeitalter mit der allabendlichen
> Lieferung der Weltkatastrophen+Kriege frei Haus scheint das Gefuehl
> dafuer, dass es uns Deutschen im Vergleich mit dem weit ueberwiegenden
> Teil der Menscheit unverschaemt gut geht, abhanden gekommen zu
> sein....und auch das Wissen, dass all dies nicht umsonst zu haben ist.

Schliesslich kommt auch das Fernsehen werbefinanziert kostenlos ins Haus
und der Kunde / Stimmberechtigte ist nicht umsonst Koenig.  Koenige sind
immer von Schmeichlern umgeben, die ihnen erzaehlen, dass sie nur Rechte
und keine Pflichten haben.
 
Ausserdem kommen so viele Horrorbilder, dass man sich schwer entscheiden
kann, wo wirklich eigener Einsatz gefragt ist.  Der Standard-Vorwurf "... 
und die freie Welt hat untaetig zugesehen ..."  zieht dann nicht mehr so
richtig.  Besonders in so unueberschaubaren Gebieten wie dem Balkan, fuer
die schon einem Bismarck die "Knochen eines pommerschen Musketiers" zu
schade waren.

--
phm