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Re: Urheberrecht: Ganz und gar boese?



>Ein Urheberrecht, das auf den Einzelnen
>(und sei es auf die Firma) zurechnen muss, verharrt auf einem bloss
>handwerklichen Niveau, was fuer die Entwicklung einer
>Industriegesellschaft nur kontraproduktiv sein kann. (Wie immer kann
>man hier auf die Entwicklung von Linux verweisen als Beispiel dafuer,
>wie produktiv der andere Weg sein kann.)

Linux funktioniert, weil Red Hat usw. vom Service leben. Die meisten Leute, 
die Linux geschaffen haben, leben davon, dass sie weisungsgebundene Arbeit 
fuer die Leute verrichten, die sie bezahlen koennen. Kuenstler koennen 
sowas nicht. Ich glaube, dass derjenige, der kreative Arbeit als 
Programmierer, Werber, Kuenstler usw. leistet, urheberrechtlichen Schutz 
braucht, um seine Arbeit kommerziell vermarkten zu koennen. Linux kommt 
auch nicht ohne Urheberrecht aus: Es muss Leute geben, die entscheiden, ob 
z. B. der Internet Explorer, ActiveX oder J++ zu Linux gehoeren soll, oder 
nicht. Wenn MSOffice fuer Linux rauskommt, haette MS sicher gern Linux mit 
ActiveX. Diese Problematik wird sich - aehnlich wie in der Vergangenheit 
bei Java zu beobachten - intensivieren, wenn Linux in naher Zukunft 
staerkeren oekonomischen Kraeften unterliegt.
Aus Laendern mit niedrigem urheberrechtlichen Schutzniveau (China, Indien) 
kommen meines Wissens keine eigenstaendigen Softwarefirmen bzw. -produkte 
im nennenswerten Umfang. Vgl. den Artikel aus dem Tagesspiegel, der eben 
ueber die Liste ging: Die einheimischen chinesischen Softwareproduzenten 
brauchen offenbar saatliche Subventionen im erheblichen Ausmass; sie werden 
damit zu abhaengigen Dienstleistern fuer den Staat. Der fehlende Schutz 
verhindert meiner Einschaetzung nach dort das Entstehen einer 
selbstaendigen Softwarebranche. Die Programmierer, die es dort durchaus 
gibt, arbeiten meist als Dienstleister fuer westliche Firmen, die ihre 
Produkte auf den wichtigen westlichen Absatzmaerkten (urheberrechtlich) 
schuetzen lassen: Ohne Urheberrecht bleibt nur die Existenz als Dienstle  
ister fuer die wirtschaftlich Maechtigen, man kann nicht selbst auf den 
Markt gehen. Diese Existenz als Dienstleister kann innovationshemmend sein: 
In Museen finde ich die Bilder aus dem Mittelalter am langweiligsten, auf 
denen man nur die Maezene/Pfaffen/Fuersten sieht. Moderne Bilder finde ich 
spannender. Deshalb glaube ich, dass nicht die Abschaffung des 
Urheberrechts, sondern die richtige Balance zwischen Kontrolle und Freiheit 
innovationsfoerdernd ist.

Man kann natuerlich sagen, Eigentum ist boese, also ist Urheberrecht boese. 
Von diesem grundsaetzlichen Standpunkt aus kann man es kritisieren, wobei 
die Alternativen utopisch-schwammig bleiben, und von den Leuten, die sie 
vertreten, meist selbst nicht gelebt werden. Solange es materielles 
Eigentum gibt, braucht man Urheberrecht, um geistig-produktive Leistung in 
materiell-produktive Leistung umrechnen zu koennen und so die geistig 
Produktiven an der materiellen Produktion zu beteiligen. Ausserdem hat das 
Urheberrecht nicht nur materielle, sondern auch ideelle Komponenten wie z. 
B. das Recht des Urhebers auf Anerkennung seiner Autorenschaft.

>Jede Idee basiert auf einer nicht explizierbaren Anzahl
>vorausliegender Ideen und ist in einem gewissen Sinne in diesen
>vorausliegenden Ideen auch schon ein bischen enthalten.

Ja, aber nur ein bisschen. Dem traegt das Urheberrecht z. B. durch freie 
Benutzung, Schutzfristen usw. uebrigens auch Rechnung. Und die meisten 
vorherigen Ideen unserer Kultur- und Techniktradition wurden teilweise 
durch kommerzielle Chancen stimuliert, die das Urheberrecht eroeffnet. Zu 
sagen, dass jeder Kuenstler nur noch als Dienstleister fuer Reiche oder aus 
rein idealistischen Gruenden taetig sein soll, finde ich - anders als z. B. 
Barlow -eine eher spiessige Vorstellung. Die oekonomische Seite von Kunst 
wegzuleugnen kommt mir wie ein realitaetsferner moralischer Imperativ vor: 
Alle Menschen sollen nur noch gut sein und kein bisschen egoistisch.

>Ja sicher. Was heisst denn hier "sinnvoll"? Sinnvoll fuer eine Firma
>ist eine optimale eigene Vermarktung und eine optimale eigene
>Machtsicherung. An wen adressiert Du "sollte"?

Sinnvoll ist es aus der egoistischen Sicht der Firma oder des einzelnen 
Kuenstlers, die Kontrolle teilweise durch Freiheit zu ersetzen, um so 
Werbung zu betreiben, wie z. B. bei Shareware-Versionen oder Radiomusik. 
Linux wird derzeit von IBM usw. aus egoistischen Motiven heraus 
unterstuetzt.

>Dass das Recht nach einem langen historischen Prozess, in dem das
>nicht der Fall war, nun endlich vor allem in den Haenden von
>Experten, den Juristen, liegt, dafuer bin ich ueberaus dankbar.

Ich meine nicht, dass das gesunde Volksempfinden die Gesetze ersetzen 
sollte. Ich meine, dass das Recht weniger wissenschaftlich und mehr 
pragmatisch sein sollte. Ich persoenlich finde es immer wieder schade, dass 
so eine grosse Kluft zwischen den realen gesellschaftlichen Prozessen und 
dem Weltbild der juristischen Dogmatik ist. Man sieht beispielsweise sehr 
schoen, wie der Trend Internet erst mit 2-3 Jahren Verspaetung in der 
juristischen Diskussion angekommen war.
Meiner Meinung ist Recht niemals objektiv richtig, sondern immer ein 
subjektiver Gestaltungsversuch von einer bestimmten Position innerhalb der 
Gesellschaft aus und man sollte als Jurist ruhig sagen, von welcher 
Position aus man wertet, anstatt eine scheinbar-uebergeordnete-objektive 
Warte zu beziehen. Jura ist zwar eine Wissenschaft, aber eine 
Geisteswissenschaft.
Auch beim Urheberrecht wuerde ich mir wuenschen, dass die Kreativen, die 
damit zu tun haben, es aktiv selbst in die Hand nehmen und es als ein 
Mittel fuer ihre jeweiligen Ziele benutzen, anstatt dies den Profis der 
grossen Medienfirmen zu ueberlassen. Anstattdessen wird es von ihnen zu 
ihrem eigenen Nachteil daemonisiert.

Bin aber gerne bereit, mich von der Sinnlosigkeit des Urheberrechts 
ueberzeugen zu lassen, da es ja durchaus auch einige Argumente dafuer gibt 
und an einer Diskussion ueber das Thema sehr interessiert, deshalb danke 
fuer die Muehe der Replik.