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Deutomat (was: Re: FFII 1999 Woche 22: Gruendung von EuroLinux etc)



On Thu, Jun 10, 1999 at 02:16:22PM +0200, Holger Veit wrote:
> On Thu, Jun 10, 1999 at 11:59:55AM +0200, PILCH Hartmut wrote:
> > On Thu, 10 Jun 1999, Holger Veit wrote:
> > 
> > > Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wie die Menschen die Sprache gebrauchen,
> > > ist *ihre eigene* Sache. Wenn das dazu fuehrt, dass jedes zweite Wort ein
> > 
> > es gibt einen Gebrauch in privater und einen in oeffentlicher,

Eine Mailingliste liegt irgendwo zwischen privat und offentlich.

> > sprachpraegender Mission.  Freiheit klappt nur, wenn dazu die jeweils
> > angemessenen Auflagen kommen.  Natuerlich mit klaren, einhaltbaren und
>   ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
> 
> IMHO Unfug. Du verwechselst Freiheit und Anarchie. Freiheit klappt gerade

ACK.
Historisches Beispiel: Luther hat dem Volk in erster Linie
aufs Maul geschaut und nicht aufs Maul gehaut.

> dann nicht, wenn sie reglementiert wird. Ein Grossteil der Literatur beruht
> gerade auf dem Spiel mit Worten und Grammatik. Wo reglementiert wird,
> entstehen gerade die schlimmsten Vergewaltigungen der Sprache - siehe
> Behoerdensprache.

Der Begriff "Telefon" hat sich durchgesetzt, obwohl Heinrich von Stephan,
ein Sprachpfleger des Kaisers, den Begriff "Telefon" nicht zuliess,
sondern "Fernsprecher" anordnete. Die Deutsche Fernsprech AG, vulgo
TELEKOM, hat aus dem FTZ (Fernmelde-Technisches Zentralamt) das FTZ
gemacht, deren Langform ich mir nicht merken kann: irgendwas wie
"Forschungsanstalt fuer Techno und Zinnober" o.ae.

...
> > das klappt manchmal.
> 
> Und wenn nicht? Welcher Schaden entsteht? Das Problem hat doch wohl nicht
> die breite Bevoelkerung, sondern die Jargonisten - etwa Behoerden, bei denen
> eh schon ein eigener Sprachgebrauch gepflegt wird. Letztere greifen ohnehin 

Die Langwortbildungsfaehigkeit der deutschen Sprache ist enorm.

> nicht die gerade aktuellen Wortschoepfungen auf, dafuer produzieren sie
> genug eigenen Mist (aus "Handy" wird so eine "bewegliche, drahtlose Fernsprech-
> einrichtung").

In einer Redaktion hatten wir die Debatte, was die Mehrzahl von Handy ist:
Handys oder Handies. Da Handy ein "deutsches" Wort ist, sind es Handys.
Doch auch wenn ich in der Zeitung "Babys" lese, habe ich ein komisches
Gefuehl; und doch schreibe ich "Babys" und "Handys" in deutschen Texten.

> > > Das Ziel der VWDS, aehnlich der Dudenredaktion die Sprache in Beamten-
> > > manier zu verwalten und den Sprachgebrauch zu kontrollieren, ist ueber-
> > 
> > ich bin nicht sicher, ob das das Ziel des VWDS ist.
> 
> Es ist eine Interessengruppe, welche ihren Senf zur Gestaltung der deutschen
> Sprache hinzugeben will und die mir und anderen meinen individuellen
> Sprachgebrauch vorschreiben will. Das lehne ich kategorisch ab.

Think positive.
Wenn VWDS ein "freies Woerterbuch" schaffen will, begruesse ich das
auf das allerschaerfste.
Aaaaaaaaaaber: aehnlich wie bei einem Programmquellcode-Baum ist bei
der Schaffung des Woerterbuchs das Recht auf Eintrag von Begriffen
notwendig, die andere "Aeste" ablehnen (siehe signature ;-)

Anders formuliert: jedes Aestchen darf sich "Stamm" nennen, denn
es wird - wie bei Software - nie gelingen, einen allgemeingueltigen
Stamm zu definieren.
Beispiel: seit dem heutigen Donnerstag erscheint die ZEIT in der
"neuen" Rechtschreibung mit eigenen Variationen.
Damit gibt es einen weiteren Sprachast, der ebenso "gueltig" ist
wie viele andere.

Schon vor einem halben Jahr sprach ich mit Freunden darueber,
dass dpa als Agenturdienst mehr Einfluss auf die deutsche
Rechtschreibung hat als der Duden oder die "neue" Rechtschreibung,
weil die dpa-Meldungen durch die ADV (automatische DV, ein Begriff
der Polizei von ca. 1984) _automatisch_ von Zeitungen zum Abdruck
uebernommen werden und deshalb hat ein Sprachpfleger zuallererst
den Begriff EDV auszumerzen und durch ADV zu ersetzen. Oder es
heisst dann PDV/FDV, Ph/Fotonische DV wegen der Glasfasern :-)))

...
> > so erbaermlichen Konstrukten wie "logiciel" fuer Software ? "ordinateur"
> > fuer computer ? "fichier" fuer "file" ? "h\'eberger" fuer "Hosting"?

Ordinateur finde ich ok. Ich nenne Computer nicht Rechenmaschine,
sondern Symbolverarbeitungsmaschine oder kurz: Deutomat.

...
> so nicht (man sagt dort mobile phone oder mobile). Sprachplanende Sesselfurzer
> machen sich hingegen Gedanken ueber die Konstruktion eines Wortes fuer
> "nicht durstig", in Analogie zum Wortpaar "hungrig - satt". Die Vorschlaege

In der Kneipe heisst das: abgefuellt.

...
> identifiziert. Es sind ausschliesslich die Aussenseiter, welche eine
> Uebersetzung oder "Eindeutschung" eines Jargons einfordern. Das demonstriert
> recht klar die Position des VWDS.

NACK zu "ausschliesslich" - ausser Du pauschalisierst mehrsprachige
Menschen automatisch zu "Aussenseitern". Ein Onkel, der spaeter den
Dolmetscher in verschiedenen Sprachen hatte, konnte sich schon als
Kind im Wohnzimmer auf hochdeutsch unterhalten und "zeitgleich" mit
anderen Kindern auf der Strasse durchs offene Fenster auf thueringer
Platt. Dabei ist der Begriff "Platt" interessant, denn platt ist das
Platt eher nicht. Dabei habe ich auch den Verdacht, dass die kleinen
Unterschiede einer Dorfgemeinschaft zum Nachbardorf oft gerade darin
bestehen, dass ein lokal "wichtiger" Begriff (Kartoffel in Thueringen
oder auch "regnen") von Dorf zu Dorf signifikant verschieden
ausgesprochen wird.

...
> wenn wir statt "englischer" Software das Kunstwort Logikalien einfuehren, 
> welches vom Stamm her auf das Griechische zurueckgeht. Nur haben wir
> inzwischen "Logik" so vereinnahmt, dass wir es nicht mehr als Fremdwort
> ansehen.

Logikalien ist zumindest besser als Bitplanetarien.

PLANKALKUEL war der Name der Programmiersprache von Konrad Zuse.
Er hat damit einen begrifflichen Wurf gelandet ;-)

...
> > Es geht dem VWDS m.E. um ein fruehzeitiges Vorgreifen, um eine Verbreitung

"fruehzeitig vorgreifen" ist echt gut.

> > von Empfehlungen, wie man uebersetzen koennte, und zwar in dem Moment, wo
> > sich die schlechten Praktiken noch nicht eingebuergert haben.  

Hinzu kommt die Bedeutungsveraenderung in der Zeit: der Begriff WEIB
war bei Luther noch "neutral", heute ist dieses deutsche Stammwort
negativ besetzt und wenn ich in meinem Sprachgebrauch "Weib" verwende,
kommt es vor, dass das einer von mir so genannten lieben Frau auch dann
nicht gefaellt, wenn ich erklaere, dass ich den Begriff im Sinne der Zeit
von Luther verwende und "weiblich" ja auch nicht negativ belastet ist.

Umgekehrt hat der CCC vor ca. zehn Jahren versucht, den "negativ"
gemachten Begriff "Hacker" durch "Datenreisende" zu ersetzen und wir
registrierten amuesiert, dass einige amerikanische Medien danach
"data traveller" schrieben.

Ich bin neugierig, wie meine Umgebung auf "Deutomat" reagiert.
 
...
> > Komm doch am Sonntag in Koeln vorbei.  OS/2-XFree86 wird dort auch
> > vorgestellt.
> 
> Ich bin gerade in Umzugsaktivitaeten begriffen, mal sehen, ob ich Zeit finde.

Dito ;-)
wau

-- 
Deutomat, der -en. Automatische universelle programmgesteuerte
Symbolverarbeitungsmaschine, frueher: Computer; siehe ADV.
ADV, Abk. f. Automatische Daten-Verarbeitung, siehe Deutomat.