[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
FFII 1999 KW 23: Kongress, Dialog mit NRW
- To: debate@fitug.de
- Subject: FFII 1999 KW 23: Kongress, Dialog mit NRW
- From: PILCH Hartmut <phm@a2e.de>
- Date: Tue, 15 Jun 1999 21:09:25 +0200 (CEST)
- Comment: This message comes from the debate mailing list.
- Sender: owner-debate@fitug.de
_________________________________________________________________
FFII-Nachrichten 1999 Woche 23: 1. FFII-Kongress
* NRW-Regierungsvertreter verteidigt Zusammenarbeit mit Microsoft
* Prof. Krämer: Wörterbuch-Projekt VWDSLEX
* J.P. Smets zu EU-Patentgefahr und EuroLinux
* RTLinux, IPBox, OS/2
NRW-Regierungsvertreter verteidigt Zusammenarbeit mit Microsoft
Der Kongress stand im Zeichen des vom FFII geforderten öffentlichen
Dialoges über die am 4. Februar von der Staatskanzlei NRW angekündigte
gemeinsame Initiative des Landes NRW mit Microsoft, die auf dem Kölner
Medienforum am 13.-16. Juni auf den Weg gebracht werden soll.
Gegen Ende der letzten Woche fragten Journalisten verschiedener Medien
bei dem für die Clement-Gates-Initiative zuständigen Ministerialrat,
dem Leiter Arbeitsbereiches Medienkompetenz Herrn Dr. Lossau, nach,
was es mit jener Initiative auf sich habe und was er zu den
Forderungen des FFII sage.
Daraufhin meldete Dr. Lossau kurzfristig seine Teilnahme zur
FFII-Jahrestagung an, und wir räumten dafür an Stelle zweier
angekündigter Referate 1 Stunde Rede- und Diskussionszeit ein.
In seiner Rede kritisierte Dr. Lossau zunächst scharf die
FFII-"Verbandspolitik" als destruktiv und unsachlich und verteidigte
dann das Abkommen mit Microsoft als eine Maßnahme zur beschleunigten
Heranführung kleiner und mittlerer Unternehmen an den strategisch
wichtigen EKommerz-Markt, der ins Ausland abzuwandern drohe, wenn man
nicht schnell präsent sei.
Dr. Lossau sagte, die Staatskanzlei stehe über jeglichen Fragen nach
technischen Inhalten. Welche Technologie besser sei, müsse der Markt
entscheiden. Das Land sorge lediglich dafür, dass in
öffentlich-privater Partnerschaft Schulungszentren für den Mittelstand
gebaut werden, und suche nach Firmen, die sich dort aus eigener Kraft
engagieren. Jeder sei dort willkommen, der die Miete zahle, nicht nur
Microsoft. Microsoft bekomme vom Land nichts geschenkt. Das sei bei
der Presseerklärung vom Februar "falsch rübergekommen" und der
Eindruck solle noch während des kommenden Medienforums korrigiert
werden.
Das Tagungspublikum erhob dagegen u.a. folgende Einwände:
* Die Presseerklärung vom 4. Februar[1] klingt ganz anders.
* Microsoft ist nicht eine Firma wie jede andere.
* Durch gemeinsames Auftreten von Microsoft setzt das Land ein
Signal für ein Monopol und schränkt damit den Wettbewerb ein.
Statt die unsicheren Mittelständler zu echter Internet-Mündigkeit
zu führen, veränstigt es sie nur noch stärker und nimmt ihnen den
Mut dazu, die besseren Techniken um ihrer technischen Vorzüge
willen zu wählen. Die Abhängigkeit von Microsoft setzt dann auch
das Land in Zugzwang, in großem Umfang Steuergelder für
M$-Lizenzen auszugeben.
* Das Land sollte sich nicht darauf beschränken, Kapital anzulocken,
sondern, ähnlich wie Japan und Frankreich, eine echte
Industriepolitik für eine nachhaltige Entwicklung betreiben.
Jean-Paul Smets spannte den Bogen zu der gerade von Schröder und
Blair in London veröffentlichten, aber von Jospin abgelehnten
gemeinsamen Erklärung zum "Dritten Weg" und fragte Dr. Lossau, ob
auch er die Aufgabe des Industriepolitikers im wesentlichen darin
sehe, anreisende Geschäftsleute wie Popstars zu feiern.
* Information muss ein Grundressource in jeder
wirtschaftspolitischen Überlegung sein. Die informationelle
Infrastruktur ist noch wichtiger als die physikalische
Infrastruktur, auf die allein das Land sein Augenmerk zu setzen
scheint. Das größte Kapital des Landes sind mündige,
medienkompetente Bürger. Schon heute kann der Markt die Nachfrage
nach echten informationstechnischen Könnern gar nicht decken. Die
informationelle Monokultur, auf die NRW zusteuert, führt zu
Unmündigkeit, Inkompetenz, Armut und Arbeitslosigkeit.
Dr. Lossau zeigte wenig Verständnis für diese Argumente. Uns blieb
auch kaum genug Redezeit, um sie vorzutragen. Dennoch stellten sich
einige mögliche Ansatzpunkte heraus, an denen man mit der
NRW-Staatskanzlei vielleicht konstruktiv zusammenarbeiten kann:
* Beide Seiten wollen Medienkompetenz fördern
* Beide Seiten wollen kleineren und mittleren Unternehmen helfen
* Beide Seiten sehen den Einsatz von Linux in Schulen positiv
* Dr. Lossau äußerte Verständnis für unsere Forderung, amtliche
Stellen in NRW sollten ihre Informationen in offenen (nicht
M$-abhängigen) Formaten zur Verfügung stellen.
Dr Lossau bot uns zum Schluss an, einmal ein Chat-Treffen zu
vereinbaren, lehnte aber einen öffentlichen Diskurs über Webseiten
zumindest so lange ab, wie wir unsere öffentliche Vorwürfe in ihrer
derzeitigen Form aufrechterhalten.
Bei den Tagungsteilnehmern zeigte sich nachher wenig Neigung, diese
Vorwürfe zurückzunehmen. Es kann künftig nur darum gehen, sie immer
fundierter zu begründen und durch immer mehr positive Projekte zu
ergänzen.
Prof. Krämer: Wörterbuch-Projekt VWDSLEX
Der 1. Vorsitzende des Vereins zur Wahrung der Deutschen Sprache, der
Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Prof.Dr. Walter Krämer erklärte den
Zuhörern, warum er sich für die deutsche Sprache stark macht, und
kündigte an, der VWDS wolle in Zusammenarbeit mit dem FFII eine frei
verfügbare (GPL) Wörterbuch-Datenbasis schaffen, um damit wirksam
insbesondere denjenigen Leuten eine Hilfestellung zu geben, die nach
einem guten deutschen Ersatz für neue englische Begriffe suchen.
Dank seiner Mitgliederstärke (1.5 Jahre nach Gründung bereits 7000)
ist der VWDS in der Lage und bereit, zunaechst etwa 10000 DM für dieses
Projekt zur Verfügung zu stellen. Der VWDS beschließt über die
Verwendung der Mittel, FFII wird die informatischen Vorgaben
erarbeiten. Ein WWW-Server vwdslex.ffii.org und eine Diskussionsrunde
vwdslex@ffii.org werden gerade eingerichtet.
Langfristiges Ziel ist die Schaffung einer Basis für vielsprachige
freie Sprachapplikationen wie Schreibhilfen und Übersetzungsprogramme.
Das Projekt ist von der Hoffnung getragen, dass auch in diesem Bereich
ähnlich wie bei GCC und Apache eines Tages freie Informationswerke die
Qualitätsführerschaft erringen können.
J.P. Smets zu EU-Patentgefahr und EuroLinux
Jean-Paul Smets, führender Lobbyist gegen die von der EU-Kommission
und den europäischen Patentorganisationen geplante Einführung
Patentierbarkeit von Programmiertechniken, hielt einen langen und
spannenden Vortrag, zu dem die Schaubilder[2] Mitte der KW 24 auf
freepatents.org erscheinen werden.
Smets erklärte seinen Zuhörern, wie die EU argumentiert und wie man
sie widerlegen und in Bedrängnis bringen kann. Die EU-Argumentation
ist laut Smets volkswirtschaftlich falsch und gründet sich im
wesentlichen auf traditionelle angelsächsische Wertvorstellungen, nach
denen Eigentum an sich ein förderungswürdiger Wert sei. Das
EuroLinux-Bündnis sei als eine Allianz von idealistisch motivierten
Lobbyisten und durch die EU-Vorhaben bedrohten Softwareunternehmen zu
verstehen. Die Patentbefürworter müssten hingegen ein Interesse daran
haben, ähnlich wie im Falle des Streites um die Patentierbarkeit von
Lebewesen geschehen, moralisch argumentierende Fundamentalisten
finanziell zu unterstützen, um dann später die gesamte Opposition als
"ideologisch" abstempeln zu können. Ideologisch seien in diesem Falle
jedoch die EU-Entscheider motiviert, und das müsse man nutzen.
Smets stellte seine volkswirtschaftliche Argumentation anhand von
Blockdiagrammen und Kurven dar, die anschaulich machen, wo durch
Patentierbarkeit volkswirtschaftlicher Nutzen und wo Schaden entstehen
kann.
Derweil hat der FFII Kontakt zum Bundesjustizministerium aufgenommen
und die Namen und Telefonnummern der deutschen Delegierten der Pariser
Konferenz erfragt. In den nächsten Tagen wollen wir den Kontakt durch
wohlüberlegtes Vorgehen intensivieren. Bitte nehmt daran teil!
RTLinux, IPBox, OS/2
Der Stuttgarter RTLinux-Anwendungsentwickler und angehende Unternehmer
Roland Welker demonstrierte, wie man mit freier Software
anwendungsgerechte Lösungen programmiert, um Industrieanlagen in
Echtzeit zu steuern.
Die Kölner IPM GmbH stellte eCommerce-Server dar, die mittelständische
Unternehmen von jeglichen proprietären Schnittstellen unabhängig
machen und auf Linux-Basis alles bieten, was ein professioneller
Internet-Vertrieb benötigt.
Sehr beeindruckend war auch die Präsentation des TeamOS/2. Es liefen
gleichzeitig auf einem OS/2-System Applikationen von Win16 und XFree
(z.B. Gimp) und sonstige freie Software aus der Unix-Welt ebenso wie
Win32-Applikationen, deren Systemaufrufe von neu entwickelter freier
Software in OS/2 Systemaufrufe übersetzt werden, ohne dass dazu die
Kenntnis des Quelltextes notwendig wäre.
In seinem OS/2-Vortrag stellte Christian Langangke die Macht der
Workplace-Shell vor und sonstige Vorzüge dieses (im Gegensatz zu
M$-Technik) sehr soliden, aber nicht mehr von IBM sondern nur noch von
einer technisch sehr versierten freien Entwicklergemeinde
vorangetriebenen Betriebssystems dar. Abschließend stellte er fest,
dass diese Entwicklung nur dank einer noch relativ offenen IT-Umgebung
möglich ist und warnte vor immer stärkeren Gefährdungen der
Systempluralität durch neue proprietäre Microsoft-Erweiterungen von
bisher offenen Protokollen wie Kerberos, die künftig dafür sorgen
werden, dass Windows-Clients auf der Serverseite nur noch mit NT
kommunizieren können.
_________________________________________________________________
Anmerkungen
[1] ursprünglicher URL: http://www.nrw.de/pm99/pl99-069.htm,
inzwischen entfernt
[2] Als Tribut an den Genius Loci hat Smets die Schaubilder mit dem
Präsentationsprogramm eines der wenigen Microsoft-Konkurrenten, des
von deutschen Landesregierungen so gerne ignorierten Hamburger
Herstellers StarOffice, auf Linux erstellt.
_________________________________________________________________
http://www.ffii.org/news/j1w23de.html
1999-06-15 © PILCH Hartmut