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FFII 1999 KW 23: Kongress, Dialog mit NRW



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               FFII-Nachrichten 1999 Woche 23: 1. FFII-Kongress
                                       
     * NRW-Regierungsvertreter verteidigt Zusammenarbeit mit Microsoft
     * Prof. Krämer: Wörterbuch-Projekt VWDSLEX
     * J.P. Smets zu EU-Patentgefahr und EuroLinux
     * RTLinux, IPBox, OS/2
       
NRW-Regierungsvertreter verteidigt Zusammenarbeit mit Microsoft

   Der Kongress stand im Zeichen des vom FFII geforderten öffentlichen
   Dialoges über die am 4. Februar von der Staatskanzlei NRW angekündigte
   gemeinsame Initiative des Landes NRW mit Microsoft, die auf dem Kölner
   Medienforum am 13.-16. Juni auf den Weg gebracht werden soll.
   
   Gegen Ende der letzten Woche fragten Journalisten verschiedener Medien
   bei dem für die Clement-Gates-Initiative zuständigen Ministerialrat,
   dem Leiter Arbeitsbereiches Medienkompetenz Herrn Dr. Lossau, nach,
   was es mit jener Initiative auf sich habe und was er zu den
   Forderungen des FFII sage.
   
   Daraufhin meldete Dr. Lossau kurzfristig seine Teilnahme zur
   FFII-Jahrestagung an, und wir räumten dafür an Stelle zweier
   angekündigter Referate 1 Stunde Rede- und Diskussionszeit ein.
   
   In seiner Rede kritisierte Dr. Lossau zunächst scharf die
   FFII-"Verbandspolitik" als destruktiv und unsachlich und verteidigte
   dann das Abkommen mit Microsoft als eine Maßnahme zur beschleunigten
   Heranführung kleiner und mittlerer Unternehmen an den strategisch
   wichtigen EKommerz-Markt, der ins Ausland abzuwandern drohe, wenn man
   nicht schnell präsent sei.
   
   Dr. Lossau sagte, die Staatskanzlei stehe über jeglichen Fragen nach
   technischen Inhalten. Welche Technologie besser sei, müsse der Markt
   entscheiden. Das Land sorge lediglich dafür, dass in
   öffentlich-privater Partnerschaft Schulungszentren für den Mittelstand
   gebaut werden, und suche nach Firmen, die sich dort aus eigener Kraft
   engagieren. Jeder sei dort willkommen, der die Miete zahle, nicht nur
   Microsoft. Microsoft bekomme vom Land nichts geschenkt. Das sei bei
   der Presseerklärung vom Februar "falsch rübergekommen" und der
   Eindruck solle noch während des kommenden Medienforums korrigiert
   werden.
   
   Das Tagungspublikum erhob dagegen u.a. folgende Einwände:
   
     * Die Presseerklärung vom 4. Februar[1] klingt ganz anders.
     * Microsoft ist nicht eine Firma wie jede andere.
     * Durch gemeinsames Auftreten von Microsoft setzt das Land ein
       Signal für ein Monopol und schränkt damit den Wettbewerb ein.
       Statt die unsicheren Mittelständler zu echter Internet-Mündigkeit
       zu führen, veränstigt es sie nur noch stärker und nimmt ihnen den
       Mut dazu, die besseren Techniken um ihrer technischen Vorzüge
       willen zu wählen. Die Abhängigkeit von Microsoft setzt dann auch
       das Land in Zugzwang, in großem Umfang Steuergelder für
       M$-Lizenzen auszugeben.
     * Das Land sollte sich nicht darauf beschränken, Kapital anzulocken,
       sondern, ähnlich wie Japan und Frankreich, eine echte
       Industriepolitik für eine nachhaltige Entwicklung betreiben.
       Jean-Paul Smets spannte den Bogen zu der gerade von Schröder und
       Blair in London veröffentlichten, aber von Jospin abgelehnten
       gemeinsamen Erklärung zum "Dritten Weg" und fragte Dr. Lossau, ob
       auch er die Aufgabe des Industriepolitikers im wesentlichen darin
       sehe, anreisende Geschäftsleute wie Popstars zu feiern.
     * Information muss ein Grundressource in jeder
       wirtschaftspolitischen Überlegung sein. Die informationelle
       Infrastruktur ist noch wichtiger als die physikalische
       Infrastruktur, auf die allein das Land sein Augenmerk zu setzen
       scheint. Das größte Kapital des Landes sind mündige,
       medienkompetente Bürger. Schon heute kann der Markt die Nachfrage
       nach echten informationstechnischen Könnern gar nicht decken. Die
       informationelle Monokultur, auf die NRW zusteuert, führt zu
       Unmündigkeit, Inkompetenz, Armut und Arbeitslosigkeit.
       
   Dr. Lossau zeigte wenig Verständnis für diese Argumente. Uns blieb
   auch kaum genug Redezeit, um sie vorzutragen. Dennoch stellten sich
   einige mögliche Ansatzpunkte heraus, an denen man mit der
   NRW-Staatskanzlei vielleicht konstruktiv zusammenarbeiten kann:
   
     * Beide Seiten wollen Medienkompetenz fördern
     * Beide Seiten wollen kleineren und mittleren Unternehmen helfen
     * Beide Seiten sehen den Einsatz von Linux in Schulen positiv
     * Dr. Lossau äußerte Verständnis für unsere Forderung, amtliche
       Stellen in NRW sollten ihre Informationen in offenen (nicht
       M$-abhängigen) Formaten zur Verfügung stellen.
       
   Dr Lossau bot uns zum Schluss an, einmal ein Chat-Treffen zu
   vereinbaren, lehnte aber einen öffentlichen Diskurs über Webseiten
   zumindest so lange ab, wie wir unsere öffentliche Vorwürfe in ihrer
   derzeitigen Form aufrechterhalten.
   
   Bei den Tagungsteilnehmern zeigte sich nachher wenig Neigung, diese
   Vorwürfe zurückzunehmen. Es kann künftig nur darum gehen, sie immer
   fundierter zu begründen und durch immer mehr positive Projekte zu
   ergänzen.
   
Prof. Krämer: Wörterbuch-Projekt VWDSLEX

   Der 1. Vorsitzende des Vereins zur Wahrung der Deutschen Sprache, der
   Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Prof.Dr. Walter Krämer erklärte den
   Zuhörern, warum er sich für die deutsche Sprache stark macht, und
   kündigte an, der VWDS wolle in Zusammenarbeit mit dem FFII eine frei
   verfügbare (GPL) Wörterbuch-Datenbasis schaffen, um damit wirksam
   insbesondere denjenigen Leuten eine Hilfestellung zu geben, die nach
   einem guten deutschen Ersatz für neue englische Begriffe suchen.
   
   Dank seiner Mitgliederstärke (1.5 Jahre nach Gründung bereits 7000)
   ist der VWDS in der Lage und bereit, zunaechst etwa 10000 DM für dieses
   Projekt zur Verfügung zu stellen. Der VWDS beschließt über die
   Verwendung der Mittel, FFII wird die informatischen Vorgaben
   erarbeiten. Ein WWW-Server vwdslex.ffii.org und eine Diskussionsrunde
   vwdslex@ffii.org werden gerade eingerichtet.
   
   Langfristiges Ziel ist die Schaffung einer Basis für vielsprachige
   freie Sprachapplikationen wie Schreibhilfen und Übersetzungsprogramme.
   Das Projekt ist von der Hoffnung getragen, dass auch in diesem Bereich
   ähnlich wie bei GCC und Apache eines Tages freie Informationswerke die
   Qualitätsführerschaft erringen können.
   
J.P. Smets zu EU-Patentgefahr und EuroLinux

   Jean-Paul Smets, führender Lobbyist gegen die von der EU-Kommission
   und den europäischen Patentorganisationen geplante Einführung
   Patentierbarkeit von Programmiertechniken, hielt einen langen und
   spannenden Vortrag, zu dem die Schaubilder[2] Mitte der KW 24 auf
   freepatents.org erscheinen werden.
   
   Smets erklärte seinen Zuhörern, wie die EU argumentiert und wie man
   sie widerlegen und in Bedrängnis bringen kann. Die EU-Argumentation
   ist laut Smets volkswirtschaftlich falsch und gründet sich im
   wesentlichen auf traditionelle angelsächsische Wertvorstellungen, nach
   denen Eigentum an sich ein förderungswürdiger Wert sei. Das
   EuroLinux-Bündnis sei als eine Allianz von idealistisch motivierten
   Lobbyisten und durch die EU-Vorhaben bedrohten Softwareunternehmen zu
   verstehen. Die Patentbefürworter müssten hingegen ein Interesse daran
   haben, ähnlich wie im Falle des Streites um die Patentierbarkeit von
   Lebewesen geschehen, moralisch argumentierende Fundamentalisten
   finanziell zu unterstützen, um dann später die gesamte Opposition als
   "ideologisch" abstempeln zu können. Ideologisch seien in diesem Falle
   jedoch die EU-Entscheider motiviert, und das müsse man nutzen.
   
   Smets stellte seine volkswirtschaftliche Argumentation anhand von
   Blockdiagrammen und Kurven dar, die anschaulich machen, wo durch
   Patentierbarkeit volkswirtschaftlicher Nutzen und wo Schaden entstehen
   kann.
   
   Derweil hat der FFII Kontakt zum Bundesjustizministerium aufgenommen
   und die Namen und Telefonnummern der deutschen Delegierten der Pariser
   Konferenz erfragt. In den nächsten Tagen wollen wir den Kontakt durch
   wohlüberlegtes Vorgehen intensivieren. Bitte nehmt daran teil!
   
RTLinux, IPBox, OS/2

   Der Stuttgarter RTLinux-Anwendungsentwickler und angehende Unternehmer
   Roland Welker demonstrierte, wie man mit freier Software
   anwendungsgerechte Lösungen programmiert, um Industrieanlagen in
   Echtzeit zu steuern.
   
   Die Kölner IPM GmbH stellte eCommerce-Server dar, die mittelständische
   Unternehmen von jeglichen proprietären Schnittstellen unabhängig
   machen und auf Linux-Basis alles bieten, was ein professioneller
   Internet-Vertrieb benötigt.
   
   Sehr beeindruckend war auch die Präsentation des TeamOS/2. Es liefen
   gleichzeitig auf einem OS/2-System Applikationen von Win16 und XFree
   (z.B. Gimp) und sonstige freie Software aus der Unix-Welt ebenso wie
   Win32-Applikationen, deren Systemaufrufe von neu entwickelter freier
   Software in OS/2 Systemaufrufe übersetzt werden, ohne dass dazu die
   Kenntnis des Quelltextes notwendig wäre.
   
   In seinem OS/2-Vortrag stellte Christian Langangke die Macht der
   Workplace-Shell vor und sonstige Vorzüge dieses (im Gegensatz zu
   M$-Technik) sehr soliden, aber nicht mehr von IBM sondern nur noch von
   einer technisch sehr versierten freien Entwicklergemeinde
   vorangetriebenen Betriebssystems dar. Abschließend stellte er fest,
   dass diese Entwicklung nur dank einer noch relativ offenen IT-Umgebung
   möglich ist und warnte vor immer stärkeren Gefährdungen der
   Systempluralität durch neue proprietäre Microsoft-Erweiterungen von
   bisher offenen Protokollen wie Kerberos, die künftig dafür sorgen
   werden, dass Windows-Clients auf der Serverseite nur noch mit NT
   kommunizieren können.
   
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   [1] ursprünglicher URL: http://www.nrw.de/pm99/pl99-069.htm,
   inzwischen entfernt
   [2] Als Tribut an den Genius Loci hat Smets die Schaubilder mit dem
   Präsentationsprogramm eines der wenigen Microsoft-Konkurrenten, des
   von deutschen Landesregierungen so gerne ignorierten Hamburger
   Herstellers StarOffice, auf Linux erstellt.
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    http://www.ffii.org/news/j1w23de.html
    1999-06-15 © PILCH Hartmut