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Re: OT: DDR-Auflösung (war: Mehr Ueberwachungskameras...)



On 29 Aug 99, at 22:51, Holm Landrock wrote:

> ((Vorsicht, die folgenden Antworten sind aufgrund einer mail-üblichen
> Kompaktheit nicht ganz vollständig, jedoch "vollinhaltlich" zutreffend.
> Auch kann die Kürze beim einen oder anderen den Eindruck von Sarkasmus
> auslösen. Das ist beabsichtigt. ))
>
> At 22:46 Uhr +0200 27.8.1999, Arne Haeckel wrote:
> >Hallo Holm, hallo Liste,
> >Warum hat das Volk der DDR seine Regierung wegdemonstriert?
>
> Hat es nicht. Wie die einschlägigen Dokumentationen und die Aussagen der
> DDR-Bürgerrechtler in bestätigen, ging es darum, eine bessere DDR zu
> schaffen, das vorhandene Regime zur Vernunft zu bringen, Glasnost und
> Perestroika auch in der DDR lebendig zu machen. Die meisten wollten nicht
> die DDR abschaffen, sondern die verfassungsmäßig zustehenden Rechte
> einklagen. Daß dies bei Montagsdemos geschah, lag daran, daß die
> Bürgerrechtler Gesetzeslücken bzgl. der Versammlungsfreiheit recht schamlos
> und frech ausgenutzt haben und so die Stasi(und letztlich auch die von
> Widerspruch völlig überforderte Regierung) überrumpelt haben.
So, ja die einschlägige Dokumentation. So wie es unterschiedliche
Dokumentationen dazu gibt, gab es "damals" unterschiedliche
Menschen, die demonstriert haben. Die paar (inzwischen) Ex-DDR-ler,
mit denen ich gesprochen habe, waren alle auf den
Montagsdemonstrationen, weil sie die DDR nicht mehr wollten. Und
insbesondere auch wollten sie nicht mehr überwacht werden. Gerade ist
das "RTL Nacht Journal" mal wieder zuende gegangen, wo über die in
der Öffentlichkeit aufgestellten Kameras der Städte Halle, Leipzig,
Dresden und Magdeburg berichtet wurde. Da wurden auch Menschen
dieser Städte zu ihrer Meinung zu den Kameras befragt. Und diese
Menschen bestätigten meine Ansicht, daß gegen die DDR-Regierung
demonstriert wurde, weil viele diese Überwachung nicht mehr wollten.
Natürlich gab es weitere Gründe für den Sturz der DDR-Regierung. Aber
das Eingesperrt Sein und der Wille nach Freiheit und Recht war ein
wichtiger Faktor.

>
> >Warum gab es die Montagsdemonstration?
> siehe Antwort 1.
>
> >Warum sind so viele 1989 über Ungarn nach Österreich und dann in die
> >BRD geflohen und haben alles zuhause gelassen?
>
> Weil sie keine Ahnung vom real existierenden Kapitalismus hatten, weil die
> DDR ihnen keinen Pass/Visum für Mallorca, Amerika und Afrika gegeben hat,
> weil sie schöne Westautos haben wollten und in der DDR nach 30 Jahren
> Automobilproduktion immer noch Trabant die Norm war.
> Wer glaubt, höhere Ziele nach Menschenrechten, Demokratie etc. hätte die
> Wende ausgelöst, irrt bzw. er verallgemeinert die Motive der evtl. 5
> Prozent der tatsächlich Geflohenen auf alle.
Sicherlich hatten viele falsche Vorstellungen über die tatsächlichen
Verhältnisse im Westen. Aber andererseits haben noch zu DDR-Zeiten
meine Verwandten "drüben" auch so realistische Sätze gesagt wie
"Sooo einfach wird das bei Euch sicherlich auch nicht sein." Ich glaube
nicht, daß es wirklich nur 5% gewesen sein sollen. Ich würde die DDR-
Bürger nicht für dumm halten wollen und nicht alle für blind vor
Materialismus....


>
> >Warum trafen sich die Menschen vor der Maueröffnung in den
> >ostdeutschen Kirchen?
>
> Weil die Kirchen sich als Deckmantel für "staatsfeindliche" und für
> verändernde, reformierende Kräfte gleichermaßen hergegeben haben. Ein
> Zustand, der vielen Pfarrern Sorgen machte.
>
> >Warum konnten wir bei unseren Besuchen bei unseren "Ostdeutschen
> >Verwandten" auf der Straße nicht offen miteinander reden?
>
> Konnte man, ich konnte sogar auf offener Straße mit ganz fremden
> Bundesbürgern oder mit Menschen aus der Partnergemeinde reden. Ich habe
> mich auch in Gaststätten und im Urlaub ganz unverblümt mit Bundis, verwandt
> oder fremd, unterhalten. Ganz lustig war eine Debatte mit einem DKPler -
> der wollte nicht mehr weiterdiskutieren, als ich einlud, in Dresden zu
> leben (er hatte vorher aber den DDR-Sozialismus sehr! gelobt, das muß so
> 1980 gewesen sein).
Naja, Du vielleicht. Aber ich habe einige Menschen in der DDR
kennengelernt, die sich offensichtlich anders verhielten als Du. Sobald
sie die Wohnung verlassen hatten, war da ein Schleier von Vorsicht und
Mißtrauen über jedem Schritt. Und selbst heute noch kann man von
einigen mir bekannten ehemaligen Ostlern Sprüche hören wie "Man
muß einfach einiges wegstecken können" und bei näherem Nachfragen
stellt sich heraus, daß damit ein Unterdrücken von Widerstand wegen
des Nichtauffallenwollens gemeint ist. Die erklärte Wurzel sind
Erlebnisse zu DDR-Zeiten. Nein ich wiederspreche Dir, Holm. Nicht alle
waren so stark wie Du und haben sich getraut auf der Straße offen zu
sprechen.

>
> Möglicherweise war die Situation in den 50er und 60er Jahren, vor allem
> kurz nach dem Mauerbau, anders, vielleicht war die Situation auch 68/69
> anders - das kann ich nicht einschätzen.
OK, dabei kann ich auch nicht mitreden.
>
> mfG
> Holm
>
> P.S.: Wenn jetzt wieder einer aus der Liste daherkommt und mir unterstellt,
> ich wüßte nicht, wovon ich rede, dann kann ich nur sagen, daß er mir leid
> tut. Ich war jedenfalls recht bewußt dabei und bin mit dem personell -
> nicht informationell - durchgeführten Überwachungsstaat oft genug angeeckt,
> nur eben nicht so prominent wie Biermann, Boley und Co.
Ich glaube Dir, daß Du das so erlebt hast. Aber nicht alle haben das so
erlebt. Sorry.
>
> --
> Holm Landrock, Muenchen, holm@cube.net, http://www.cube.net/~holm
> "Honni soit qui pense!"
>
>
>


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