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Re: [FYI] FR: Gesetz zum Erhalt der französischen Sprache soll jetzt auch auf das Internet angewendet werden



On Sun, Oct 03, 1999 at 10:14:19AM +0200, PILCH Hartmut wrote:
> Jeder Informatiker, der ein System pflegt, bemueht sich, solche
> Zweideutigkeiten, unnoetige Konfiguarationsoptionen und Ueberladungen zu
> eliminieren und das System staendig schlank und effizient zu machen.

Sprachen werden durch Eindeutigkeit langweilig und verlieren an
Maechtigkeit. Mehrdeutigkeit gibt Ausdrucks- und
Interpretationsmoeglichkeiten, mehrere Moeglichkeiten zum
Ausdruck desselben Sachverhaltes geben Vielfalt und Nuancen

Letzteres sogar bei Computersprachen: Perl zum Beispiel scheint
die "Gesetze" zum guten Design von Computersprachen mit den
Fuessen zu treten und hat sich sein Vokabular auch aus
Lehnworten und uebernahmen bei mehr als einem halben Dutzend
anderen zusammengeklaut (und ist noch stolz drauf und
erfolgreich damit!). Aber Perl hat trotz des Zusammenklauens der
Konzepte nicht nur einen eigenen Character, sondern ist sogar
eine der maechtigsten und reichsten Computersprachen, die wir
kennen und eine mit den wenigsten "Beruehrungsaengsten", was die
Integration in andere Systeme angeht (Perl versteht sich als
"glue language", was ich fuer eines der lustigsten
Understatements ueberhaupt halte).

Viele der Konzepte von Perl hat Larry Wall als Linguist bewusst
den gesprochenen Sprachen entnommen. Perl ist an einigen Stellen
bewusst "asystematisch", es hat absichtlich unnoetige
Konfigurationsoptionen und es hat _jede_ _Menge_ baroke
Sprachfeatures. Das Motto und die Kultur von Perl sind "There is
more that one way to do it" und waehrend Perl-Programme
sicherlich auch schlank, effizient oder sogar elegant sein
koennen, legt die Kultur von Perl primaer Wert darauf, dass sie
den Job erledigt bekommen. Schoenheit ist sekundaer,
Minimalismus ("Schlankheit") ist - was die Sprache angeht -
verpoent (aber es gibt den One-Liner Contest).

Bei gesprochenen Sprachen gilt dies noch mehr. Sie nehmen neue
Konzepte auf und dienen der Vermittlung dieser Konzepte. Um neue
Konzepte erfassen zu koennen, muessen gelegentlich neue Worte
her. Wo diese Worte urspruenglich herstammen ist erstmal egal:
Es koennen als bekannten Worten zusammengesetzte Begriffe sein,
es koennen mit den Konzepten zusammen importierte Worte sein
oder es koennen Kunstworte sein. Wichtig ist, dass die Sprache
hinterher den Job erledigt bekommt und das bedeutet - um wieder
auf das Ausgangsthema Internet zurueck zu kommen - dass es
wichtiger ist, dem globalen Character des Konzeptes Internet
Rechnung zu tragen, um das Konzept Internet korrekt zu erfassen
und ihm angemessen Rechnung zu tragen, als irgendwelche internen
Systematiken zu befriedigen oder die Sprache minimal zu halten.
Wenn die Mehrzahl der Nutzer des Internet einen Browser
"Browser" nennt, dann tue ich gut daran, einen Browser auch
"Browser" zu nennen und nicht "Navigationsprogramm".

Letzteres ist eine Grenzziehung, die mich unnoetig isoliert:
Obwohl ich dasselbe Konzept Internet verwende wie der Rest der
Welt, habe ich Probleme damit, mich mit diesen Leuten
auszutauschen, weil ich einen unnoetigen und automatisch nur
unbefriedigend zu bewaeltigenden Level of Indirection in meine
Kommunikation mit eingebaut habe: Ich muss meine Begriffe
uebersetzen (lassen), oder ich werde nicht gelesen und damit
erreiche ich nur unbefriedigende Mindshare-Anteile. In Zeiten
des Internet ist das ein evolutionaer toedlicher Nachteil.

> Genau dies versuchen die Sprachwahrer Frankreichs und Deutschlands, ebenso
> wie Esperantisten, Lojbanisten usw in ihrem Bereich.

Viel Glueck. Mir persoenlich koennen Sprachbewahrer den Buckel
runterrutschen. Ich will mit Leuten reden, nicht meine Sprache
bewahren. Wenn die Sprache dazu nicht taugt, baue ich sie um bis
das geht. Mache ich mit meinen Programmen ja auch, auch mit
meinen Programmiersprachen - ich bin ein Mensch, der
Werkzeugmacher unter den Tieren, und Sprache ist nur das, mehr
nicht.

Aber ich glaube auch nicht an Planung. Ich glaube an Patches,
die ich von meinen Usern nicht wieder um die Ohren gehauen
bekomme. Auch bei meiner Wortwahl.

Kristian