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Bayerische Richter entscheiden über die Zukunft des deutschen Internets



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Bayerische Richter entscheiden über die Zukunft des deutschen Internets

Ab Montag beginnt der Revisionprozeß gegen den ehemaligen 
Compuserve-Geschäftsführer Felix Somm. Die Verurteilung Somms hatte 
international große Resonanz ausgelöst. Fast alle Betroffenen reagierten 
mit Entsetzen auf das Ausnahmeurteil.

Droht Deutschland der Rückschritt in die multimediale Steinzeit? Um nicht 
weniger geht es aus Sicht der deutschen Online-Anbieter ab Montag vor dem 
Landgericht München im Revisionsverfahrern gegen den früheren 
Compuserve-Chef Felix Somm. Zwei Jahre Haft auf Bewährung, dazu 100.000 
Mark Geldstrafe: Das hatte der Münchner Amtsrichter Wilhelm Hubbert im 
Mai vergangenen Jahres Somm aufgebrummt, weil der wissentlich 
Kinderpornografie und Nazi-Propaganda verbreitet haben soll. Kunden von 
Compuserve hatten über das Internet in sogenannten Newsgroups freien 
Zugang zu dem verbotenen Material. Die Online-Dienste T-Online, AOL, 
Compuserve und germany.net hatten nach dem Richterspruch gemeinsam 
erklärt, dass sie durch das Urteil ihre Geschäftsgrundlage in Deutschland 
gefährdet sähen.

Mit Hochspannung wartet die Multimedia-Branche deshalb nun darauf, wie 
der Fall in der nächsten Instanz entschieden wird - und vor allem wie 
dann die Begründung ausfällt. Denn nicht das Ergebnis, sondern die 
Argumente des Gerichts seien für die Branche interessant, sagt Sabine 
Köster-Hartung, Rechtsreferentin des Deutschen Multimediaverbands (DMMV). 
Weil es sich um eine obergerichtliche Entscheidung handle, könnten 
erstmals `wichtige Leitlinien" für die Kontrolle der Internetinhalte 
vorgegeben werden. Das 1997 von der damaligen Regierung verabschiedete 
Teledienstegesetz werde damit juristisch im Detail definiert.

In seiner Urteilsbegründung hatte Hubbert geschrieben, der Angeklagte und 
Compuserve wußten und wollten, dass die `harte Pornographie" öffentlich 
zugänglich gemacht werden sollte. `Bis ins letzte Kinderzimmer" habe Somm 
aus Geschäftsinteressen den deutschen Kunden Kinder-, Tier und 
Gewaltpornografie zugänglich gemacht. Der heute selbständige Somm war bis 
1997 Geschäftsführer bei Compuserve Deutschland in Unterhaching bei 
München. Das inzwischen von AOL übernommene Unternehmen stellte die 
Verbindung deutscher Compuserve-Mitglieder mit den Computern der 
US-Zentrale her, hatte kaum Einfluss auf die gespeicherten Inhalte.

Im November 1995 durchsuchten Polizisten die Compuserve-Geschäftsräume 
und zeigten Somm Newsgroups aus den USA mit eindeutigen Namen wie 
`alt.sex.pedophilia" oder `alt.sex.incest". Hubbert befand, Somm habe von 
den Inhalten wissen müssen und sei, obwohl die Seiten in den USA 
entstanden waren, als Geschäftsführer einer deutschen Firma für die 
Inhalte verantwortlich. Dagegen beruft sich die Verteidigung auf einen 
Paragraphen im Teledienstegesetz, nach dem Dienstanbieter für fremde 
Inhalte nur haftbar sind, wenn sie davon wissen und `es ihnen technisch 
möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern." An der Definition 
der `Zumutbarkeit" wird sich der Prozess möglicherweise entscheiden, 
wobei Experten klar sagen, eine Überwachung der Internetinhalte sei nicht 
leistbar und damit unzumutbar.

Der Schuldspruch in dem Pilotprozeß hatte 1998 weltweit Unverständnis 
ausgelöst. Das `hinterwäldlerische und erzkonservative Bayern" machte in 
der Weltpresse die Runde und obwohl sich die Politik aus der 
Rechtssprechung 'raushalten sollte, regten sich diesmal Politiker aller 
Couleur gemeinsam auf. CSU und Grüne forderten unisono, die Urheber 
strafbarer Inhalte zu belangen, und nicht den Lieferanten, der damalige 
Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) sah die Entwicklung des 
Internets gefährdet und selbst die EU-Kommission tat aus Brüssel ihr 
Erstaunen kund.

Die schlimmste Ohrfeige für den Richterspruch kam aber aus dem eigenen 
Hause: Die Staatsanwaltschaft legte entgegen aller üblichen 
Verhaltensweisen Einspruch ein. Sie hatte schon im Prozess genau wie die 
Verteidigung den Freispruch Somms gefordert. Die Beteiligten rechnen für 
Mittwoch mit einer Entscheidung.

AFP, den 12.11.1999
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