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Bayerische Richter entscheiden über die Zukunft des deutschen Internets
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- Subject: Bayerische Richter entscheiden über die Zukunft des deutschen Internets
- From: "Gunnar Anzinger" <a@gksoft.com>
- Date: Fri, 12 Nov 1999 20:05:27 +0100
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Billiger Telefonieren - Der Newsticker
Bayerische Richter entscheiden über die Zukunft des deutschen Internets
Ab Montag beginnt der Revisionprozeß gegen den ehemaligen
Compuserve-Geschäftsführer Felix Somm. Die Verurteilung Somms hatte
international große Resonanz ausgelöst. Fast alle Betroffenen reagierten
mit Entsetzen auf das Ausnahmeurteil.
Droht Deutschland der Rückschritt in die multimediale Steinzeit? Um nicht
weniger geht es aus Sicht der deutschen Online-Anbieter ab Montag vor dem
Landgericht München im Revisionsverfahrern gegen den früheren
Compuserve-Chef Felix Somm. Zwei Jahre Haft auf Bewährung, dazu 100.000
Mark Geldstrafe: Das hatte der Münchner Amtsrichter Wilhelm Hubbert im
Mai vergangenen Jahres Somm aufgebrummt, weil der wissentlich
Kinderpornografie und Nazi-Propaganda verbreitet haben soll. Kunden von
Compuserve hatten über das Internet in sogenannten Newsgroups freien
Zugang zu dem verbotenen Material. Die Online-Dienste T-Online, AOL,
Compuserve und germany.net hatten nach dem Richterspruch gemeinsam
erklärt, dass sie durch das Urteil ihre Geschäftsgrundlage in Deutschland
gefährdet sähen.
Mit Hochspannung wartet die Multimedia-Branche deshalb nun darauf, wie
der Fall in der nächsten Instanz entschieden wird - und vor allem wie
dann die Begründung ausfällt. Denn nicht das Ergebnis, sondern die
Argumente des Gerichts seien für die Branche interessant, sagt Sabine
Köster-Hartung, Rechtsreferentin des Deutschen Multimediaverbands (DMMV).
Weil es sich um eine obergerichtliche Entscheidung handle, könnten
erstmals `wichtige Leitlinien" für die Kontrolle der Internetinhalte
vorgegeben werden. Das 1997 von der damaligen Regierung verabschiedete
Teledienstegesetz werde damit juristisch im Detail definiert.
In seiner Urteilsbegründung hatte Hubbert geschrieben, der Angeklagte und
Compuserve wußten und wollten, dass die `harte Pornographie" öffentlich
zugänglich gemacht werden sollte. `Bis ins letzte Kinderzimmer" habe Somm
aus Geschäftsinteressen den deutschen Kunden Kinder-, Tier und
Gewaltpornografie zugänglich gemacht. Der heute selbständige Somm war bis
1997 Geschäftsführer bei Compuserve Deutschland in Unterhaching bei
München. Das inzwischen von AOL übernommene Unternehmen stellte die
Verbindung deutscher Compuserve-Mitglieder mit den Computern der
US-Zentrale her, hatte kaum Einfluss auf die gespeicherten Inhalte.
Im November 1995 durchsuchten Polizisten die Compuserve-Geschäftsräume
und zeigten Somm Newsgroups aus den USA mit eindeutigen Namen wie
`alt.sex.pedophilia" oder `alt.sex.incest". Hubbert befand, Somm habe von
den Inhalten wissen müssen und sei, obwohl die Seiten in den USA
entstanden waren, als Geschäftsführer einer deutschen Firma für die
Inhalte verantwortlich. Dagegen beruft sich die Verteidigung auf einen
Paragraphen im Teledienstegesetz, nach dem Dienstanbieter für fremde
Inhalte nur haftbar sind, wenn sie davon wissen und `es ihnen technisch
möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern." An der Definition
der `Zumutbarkeit" wird sich der Prozess möglicherweise entscheiden,
wobei Experten klar sagen, eine Überwachung der Internetinhalte sei nicht
leistbar und damit unzumutbar.
Der Schuldspruch in dem Pilotprozeß hatte 1998 weltweit Unverständnis
ausgelöst. Das `hinterwäldlerische und erzkonservative Bayern" machte in
der Weltpresse die Runde und obwohl sich die Politik aus der
Rechtssprechung 'raushalten sollte, regten sich diesmal Politiker aller
Couleur gemeinsam auf. CSU und Grüne forderten unisono, die Urheber
strafbarer Inhalte zu belangen, und nicht den Lieferanten, der damalige
Forschungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) sah die Entwicklung des
Internets gefährdet und selbst die EU-Kommission tat aus Brüssel ihr
Erstaunen kund.
Die schlimmste Ohrfeige für den Richterspruch kam aber aus dem eigenen
Hause: Die Staatsanwaltschaft legte entgegen aller üblichen
Verhaltensweisen Einspruch ein. Sie hatte schon im Prozess genau wie die
Verteidigung den Freispruch Somms gefordert. Die Beteiligten rechnen für
Mittwoch mit einer Entscheidung.
AFP, den 12.11.1999
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