FITUG e.V.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft

Gundolf S. Freyermuth ueber die Entstehung des Internet

http://www.welt.de/cgi-bin/out.pl?url=/990515/0515lw2052.htm


Die Welt geht nach Sex Erst fleischliche Begierden setzen neue Technologien und Medien im Alltag durch

Von Gundolf S. Freyermuth

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Am Anfang aller Forschung, die uns in die digitale Epoche katapultierte, standen zwar militärische Interessen und staatliche Gelder. Nur große hierarchische Organisationen verfügten bis in die Siebziger über das Kapital und wissenschaftliche Know-how, um Mainframes zu betreiben. Zu ihnen hatten nur technische Spitzenkräfte direkten Zugang, eine Elite von hochqualifizierten Mathematik-Mandarinen und High-Tech-Hohepriestern in antiseptisch-weißen Kitteln. Am vorläufigen Ende dominieren jedoch der Markt und das Massenvergnügen.

Die üppigste Ausstattung mit leistungsfähigen Servern, die fortgeschrittenste Software zur Bild- und Tonkomprimierung, die avanciertesten Datenbanken zur Bild- und Kundenverwaltung, die verbraucherfreundlichsten Verfahren zum Online-Geldeinzug - das alles prägt nicht die Webauftritte der staatlichen Verwaltungen oder der etablierten Großkonzerne und erst recht nicht die Sites des Pentagon oder des Bonner Verteidigungsministeriums. Wer etwa nur über eine durchschnittlich langsame Internet-Verbindung verfügt und sich im Internet schnell und unaufwendig ein paar Bilder oder Videos ansehen möchte, wird - zumindest technisch - am besten bei Anbietern von Erotika bedient. ,Wir sind an der vordersten Front von allem", schwärmte ein Designer der Internet Entertainment Group, des größten US-Online-Sexunternehmens, mit Recht. Seit das Netz graphisch und damit populär wurde, investierten Sexhändler großzügig, entwickelten eigenständig neue Software und holten aus der bescheidenen Bandbreite heraus, was herauszuholen war. Auf den Wegen, die die Porno-Pioniere bahnten, folgten andere Anbieter erst mit Abstand.

Computer wie Internet dienen zunehmend nicht ernster Arbeit, sondern dem Massenvergnügen. Die hierarchische Arbeitsethik wurde, wie Alluquere Rosanne Stone in ,The War of Desire and Technology at the Close of the Mechanical Age" beschreibt, durch eine Spielethik ersetzt, das ökonomische Effizienzprinzip der kollektiven Organisationen durch das Lustprinzip des Individuums. Der Computer wandelte sich vom kühlen Werkzeug, einem Machtmittel im militärischen und ökonomischen Überlebenskampf, zum Objekt, das lustvolle soziale Erfahrungen ermöglichte.

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