FITUG e.V.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft

Bedeutet MP3 das Ende der westlichen Eigentumsordnung?

http://www.nzz.ch/online/01_nzz_aktuell/beilagen/el_medien/02_el_medien.htm


Freitag, 4. August 2000

Datenpakete im Netz der Paragraphen

Bedeutet MP3 das Ende der westlichen Eigentumsordnung?

Von Martin Kretschmer*

In zahlreichen Gerichten wird derzeit über Urheberrechtsverletzungen im Internet verhandelt.

[...]

Warum gibt es solche Ausnahmen im Urheberrecht? Moderne Gesellschaften haben ein Interesse an einer vielfältigen Kultur, die kreativ und kritisch genutzt werden kann. Dies soll nicht durch unnötige ausschliessliche Ansprüche des Urheberrechts verhindert werden. Informationsfluss ist zugleich ein Motor innovativer wirtschaftlicher Tätigkeiten. Dieses Grundprinzip hat sich jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren, als industrielle Interessen das Urheberrecht in ein Eigentumsschema zu drücken begannen. Ein besonders flagranter Augenblick war die Verlängerung der Schutzfrist u. a. für die amerikanische Kategorie «work for hire» im Oktober 1998 auf 95 Jahre. Mickey Mouse, erstmals geschützt im Jahr 1928 als Steamboat Willie, wäre unter altem Recht im Jahr 2004 in die Domaine public gefallen. Acht der zwölf Kongressleute, die die Verlängerung einbrachten, hatten Spenden von Disney erhalten, die etwa 8 Milliarden Dollar pro Jahr an der Verwertung von Mickey Mouse verdient.

Komplexe Fragen

Aus wirtschaftlicher Sicht zeigt Eigentum drei wesentliche Charakteristika: (1) Eigentum ist ausschliesslich, d. h., wer etwas besitzt, kann andere daran hindern, es zu benutzen; (2) Eigentum ist übertragbar, d. h., wer etwas besitzt, kann entscheiden, dass seine ausschliesslichen Ansprüche in Zukunft einem neuen Eigentümer zukommen sollen, und (3) Eigentum ist universal und permanent, d. h., innerhalb einer Rechtsdomäne kommen allen Eigentümern diese Rechte zu; keine willkürliche Bevorzugung oder Enteignung findet statt. Vorläufer der marktkapitalistischen Eigentumsordnung entstanden mit dem Ende des Feudalismus, als bedingte Lehen zu individualisierten Rechten wurden. Handel und Investitionen wurden dadurch berechenbar; Preise konnten sich bilden; knappe Ressourcen wurden effizienter zugeteilt.

Geistige Güter scheinen nun aber nicht so recht in diese Eigentumsordnung zu passen. Geistige Güter sind nicht knapp, d. h., sie können von mehreren Leuten zugleich verwendet werden. Daraus folgt noch lange nicht, dass Kopieren zum kommerziellen Schaden der Autoren oder Produzenten unbeschränkt erlaubt werden muss. Die Rechtsordnung der Informationsgesellschaft sollte jedoch nicht allein durch Lobbyisten der Rechte-Inhaber gestaltet werden. Der Gesetzgeber sollte vielmehr fragen: Gibt es eine florierende Industrie, die mit geistigen Gütern handelt? Wird der Bedarf an vielfältigen Informationsgütern befriedigt? Werden Autoren, Erfinder und Künstler angemessen entlohnt? Komplexe Fragen verlangen komplexe Antworten.

Zunächst müsste dazu der Schutz von Investitionen in Informationsgüter (auch Amortisationsrecht genannt) vom Vergütungsanspruch der Autoren (auch Alimentationsrecht) getrennt werden. Das westliche Regime, sowohl in der angelsächsischen Variante des Copyright wie in der kontinentaleuropäischen des Droit d'auteur, verwirrt beide, indem es die Schutzfrist von der Lebensspanne des Autors (plus 70 Jahre) ableitet, diese Schutzfrist aber exklusiv und übertragbar gestaltet. Diese begriffliche Konstruktion ist so skandalös inkohärent, dass man sich fast schämt, sie darzustellen. Für den Investitionsschutz ist eine Frist von 20 Jahren mehr als ausreichend. Für die Vergütung der Autoren wiederum sind langfristige exklusive Rechte unnötig, die zudem meist an Produzenten wie Disney oder Universal übertragen werden. Hier wäre ein nicht übertragbarer Vergütungsanspruch auf Lebenszeit wertvoller.

Ausblick

Es scheint derzeit kein gesellschaftlicher Wille zu bestehen, die Grundlagen des geistigen Eigentums neu zu überdenken. Protektionistische Interessen sind in internationale Konventionen und - paradoxerweise - durch die TRIPS-(Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights-)Vereinbarung auch in die globale Freihandelszone der WTO eingebettet. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich Gesetzgeber und Richter bei der Ausgestaltung grauer Zonen nicht von der Rhetorik der Schallplattenfirmen leiten lassen, die durch MP3 nichts weniger als «law, justice and civilisation» gefährdet sehen. Übrigens: Die Umsätze der amerikanischen Musikindustrie sind während der letzten zwei Jahre um 20 Prozent gestiegen.

* Dr. Martin Kretschmer ist Co-Direktor des Centre for Intellectual Property Policy and Management der Bournemouth University in England. Neue Zürcher Zeitung, 4. August 2000


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