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RA Weinknecht zu RPS: "Damit wäre der Gedanke des Internet als weltweite Kommunikationsplattform zerstört."

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SPIEGEL ONLINE - 09. Juni 2000, 13:24 URL: http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,79731,00.html

Recht virtuell Elektronische Grenzen im Internet?

Von Jürgen Weinknecht

Die IFPI-Initiative und das Urteil gegen AOL brachten wieder einmal "Grenzen für das Internet" ins Gespräch. Entgegen der ersten Wahrnehmung, meint Rechtsanwalt Jürgen Weinknecht, ermögliche auch die neue E-Commerce-Richtlinie der EU weiterhin eine Zensur ganzer Web-Adressen. "Damit wäre der Gedanke des Internet als weltweite Kommunikationsplattform zerstört."

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Die deutsche Landesgruppe der Internationalen Vereinigung der Tonträgerhersteller IFPI hat diese Entscheidung benutzt, um das von ihr gewünschte Right Protection System (RPS) zum Schutz vor Internet- Missbrauch und Urheberrechtsverletzungen zu propagieren. Diese Software, die den gezielten Zugriff von Internetbenutzern auf bestimmte URLs (Internet-Adressen) unterbinden kann, soll nach dem Willen der IFPI auf allen Rechnern derjenigen rund 50 bis 70 Internet- Provider installiert werden, die eine Auslandsverbindung herstellen und damit quasi das deutsche mit dem weltweiten Internet verbinden.

Dadurch ließe sich der Zugriff auf solche Server unterbinden, auf denen sich Raubkopien befinden. Die IFPI sieht die gesetzlichen Grundlage für eine solche Maßnahme in Paragraf 5 Absatz 4 Teledienstegesetz (TDG) und den Paragrafen 97 (Unterlassungsanspruch) und 111a (Grenzbeschlagnahme) Urhebergesetz (UrhG).

Die am 4. Mai 2000 vom Europäischen Parlament verabschiedete, so genannte E-Commerce Richtlinie macht das Vorhaben der IFPI entgegen der Ansicht vieler Kommentatoren nicht unmöglich. Zwar ist in Absatz 1 des Artikels 12 der Richtlinie vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht dafür sorgen müssen, dass Provider für die reine Durchleitung von Daten nicht verantwortlich sind. Allerdings kann gemäß Absatz 3 des Artikels 12 jedes Gericht und jede Verwaltungsbehörde in einem Mitgliedsstaat nach dem nationalen Recht von jedem Provider verlangen, eine Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern; Entsprechendes gilt für das Caching nach Artikel 13 der Richtlinie.

Diese Regelungen entsprechen denen in den Absatz 3 und 4 des deutschen Teledienstegesetzes. Die von der IFPI angesprochenen Provider mit Auslandsverbindung vermitteln nur den Zugang zu fremden Inhalten, sie halten sie nicht selbst bereit. Die grundsätzliche Verantwortung als so genannter "Mit-Störer" nach den allgemeinen Gesetzen bleibt daher auch nach der EU-Richtlinie erhalten.

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Unzutreffend ist in einigen Beiträgen auch, dass die EU-Richtlinie in Artikel 15 den Einsatz solcher Filtersysteme, wie zum Beispiel des RPS, verbietet. Denn Artikel 15 verbietet lediglich, den Providern eine allgemeine, anlasslose Überwachungs- und eine eigene, aktive Ausforschungspflicht aufzuerlegen.

Das verlangt die IFPI aber auch gar nicht. Sie will den Providern vielmehr eine aufgrund ihrer eigenen Nachforschungen entstandene Negativliste mit URLs zur Verfügung stellen. Nach Artikel 12 Absatz 3 der EU-Richtlinie müsste die IFPI allerdings jede URL zuvor von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde absegnen lassen, sobald die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt ist.

Der IFPI-Vorschlag eines RPS könnte allerdings aus einem anderen Grund scheitern: Paragraf 5 Absatz 4 TDG verpflichtet zur Sperrung rechtswidriger Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen. Nach Ansicht der IFPI wäre ein solches Gesetz Paragraf 97 UrhG (Anspruch auf Unterlassung bei Urheberrechtsverletzung). Der Anspruch könnte im Wege einer "virtuellen" Grenzbeschlagnahme durchgeführt werden. Allerdings sieht der dafür einschlägige Paragraf 111a UrhG vor, dass diese durch die Zollbehörde durchgeführt werden muss, innerhalb der EU allerdings nur, wenn tatsächlich Kontrollen durch Zollbehörden stattfinden. Es würde sicher der weitgehenden Abschaffung solcher Kontrollen und damit dem Grundgedanken des Schengener Abkommens widersprechen, wenn elektronische Grenzkontrollen eingeführt würden.

Die Gefahr solcher virtuellen Grenzen wäre zudem, dass auch alle anderen Inhaber immaterieller Rechte, wie zum Beispiel die Inhaber von Marken- und Kennzeichenrechten (beispielsweise Firmennamen, Buchtitel) ebensolche Grenzen verlangen würden. Dies könnte faktisch dazu führen, dass nur noch ein Bruchteil der weltweiten Internet- Adressen in Deutschland abrufbar wären. Damit wäre der Gedanke des Internet als weltweiter Kommunikationsplattform zerstört.

Der Rechtsanwalt Jürgen Weinknecht ist Spezialist für Medien- und Internetrecht. Für SPIEGEL ONLINE kommentiert er exklusiv aktuelle Entwicklungen des Webs aus juristischer Perspektive.


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