FITUG e.V.

Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft

Stellungnahme von Dr. Hans-Werner Moritz (Verteidiger) zu den schriftlichen Urteilsgründen des Amtsgerichts München (Urteil vom 28.05.1998 gegen Felix Somm)

Vorbemerkung

Das Urteil ist mit dem Ziel geschrieben, bei einer breiten Öffentlichkeit Zustimmung für eine scharfe strafrechtliche Verfolgung von Verbreitern von Kinderpornographie zu finden. Dies wird besonders erkennbar daran, daß die Liste der 282 Newsgroups, die teilweise strafrechtlich relevante Inhalte enthielten, vollständig veröffentlicht wird. Damit soll Stimmung gegen den Angeklagten gemacht werden.

Gleichzeitig will der Richter auf diese Art und Weise davon ablenken, daß sich bei einem reflektierten Leser das Bewußtsein dafür schärft, daß hier ein Versuch unternommen wird, abscheuliche Verbrechen an einem untauglichen Subjekt strafrechtlich zu ahnden. Mit der ganzen Härte des Strafgesetzes verfolgt werden müssen die Kinderschänder und diejenigen, welche Kinderpornographie in Form von Bildern und Videos über Netzwerke verbreiten, d.h. aus Datenspeichern in diesen Netzwerken abrufbar machen. Zu diesem Täterkreis gehört jedoch der Angeklagte nicht. Er hielt in Deutschland lediglich die Einwählknoten und Telekommunikationsleitungen bereit, über welche die deutschen Nutzer des amerikanischen Online-Dienstes Compuserve Incorporated Zugang zu den Tausenden von Datenbanken mit verschiedenen Informationen erhielten, welche die Compuserve Incorporated anbot.

Das Urteil setzt somit die Taktik der Anklageschrift fort, welche darin bestand, die Ermittlungsakten durch teilweise sich wiederholende Sequenzen von Bildern mit harter Pornographie zu füllen, um damit den Betrachter für die eigene Causa einzunehmen und gleichzeitig die erheblichen Defizite der kriminalistischen Ermittlungsarbeiten zu überdecken. Die seitenfüllenden Beschreibungen der im Netz gefundenen harten Pornographie sowie die Veröffentlichung der Liste mit den 282 Newsgroups dienen jedenfalls primär dazu, die relevanten juristischen Fragestellungen zu verschleiern und sie dann nur unvollkommen abzuhandeln.

Die Einordnung von § 5 TDG in das deutsche Rechtssystem

Zunächst ist anzumerken, daß das Gericht einen methodischen Fehler begeht, indem es in einem ersten Schritt den Sachverhalt unter das allgemeine Strafrecht subsumiert und danach in einem zweiten Schritt prüft, ob die seit 01.08.1997 geltenden neuen Regelungen des § 5 TDG nicht zugunsten des Angeklagten wirken müssen. Ein solches methodisches Vorgehen birgt die Gefahr in sich, Begriffe und Wertungen des allgemeinen Strafrechts auf den Teledienstebereich anzuwenden, ohne zu hinterfragen, ob § 5 TDG eine solche Anwendung zuläßt. Nach dem Sinn und Zweck dieser Norm sollte eine Reduzierung des Haftungsrisikos der Diensteanbieter erreicht werden.

Die allgemeinen Gesetze finden daher auf Diensteanbieter nur Anwendung, wenn - gewissermaßen als Vorfilter - die §§ 5 Abs. 1, 5 Abs. 2 und 5 Abs. 4 TDG "passiert" werden konnten. Liegen die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 TDG vor, entfällt eine Verantwortlichkeit nach den allgemeinen Gesetzen gänzlich.

Erst ab Seite 43 setzt sich das Gericht mit § 5 TDG auseinander und lehnt die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 3 TDG zugunsten des Angeklagten mit einer rechtlich unzutreffenden Begründung ab.

Falsche Auslegung des § 5 Abs. 3 TDG

Gemäß § 5 Abs. 3 TDG sind Diensteanbieter für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich. Das Gericht meint nun, die deutsche Compuserve GmbH sei kein Zugangsvermittler im Sinne von § 5 Abs. 3 TDG gewesen, weil die Compuserve GmbH keine eigenen Kunden gehabt und auch nicht den Zugang zum Netz vermittelt habe. Die Telekommunikationsinfrastruktur der Compuserve GmbH in Deutschland sei von der amerikanischen Compuserve Inc. eingerichtet worden, um Kunden in Deutschland einen möglichst nahegelegenen Einwahlknoten zu bieten. Diese Begründung ist jedoch mit dem Wortsinn, wie er sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt und dem Sinnzusammenhang der Vorschriften des TDG schlichtweg nicht vereinbar.

Gemäß § 3 TDG sind Diensteanbieter u.a. juristische Personen, die eigene oder fremde Teledienste zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln. Die Compuserve GmbH hielt zwar weder einen eigenen, noch einen fremden Teledienst zur Nutzung bereit. Sie vermittelte aber den Zugang zur Nutzung eines fremden Teledienstes, nämlich den der amerikanischen Compuserve Incorporated. Für die Compuserve GmbH war der Teledienst der Compuserve Incorporated ein fremder Teledienst. Die Telediensteeigenschaft der Dienste der amerikanischen Compuserve Incorporated ergibt sich u.a. aus § 2 Abs. 2 Ziffer 3 TDG, weil die amerikanische Compuserve Incorporated den deutschen Nutzern die Nutzung des Internet und weiterer Netze anbot.

Nirgends steht im TDG geschrieben, daß ein Vermittler des Zugangs zur Nutzung eines fremden Teledienstes eigene Kunden in Deutschland haben muß. Nutzer sind in § 3 Ziffer 2 TDG definiert als natürliche oder juristische Personen oder Personenvereinigungen, die Teledienste nachfragen. Die deutsche CompuServe GmbH stellte für die amerikanische CompuServe Incorporated über ihre Einwahlknoten und Telekommunikationsleitungen für deren deutsche Kunden den Zugang zum Online-Dienst der amerikanischen CompuServe Incorporated her. Es ist nicht bezweifelbar, daß die deutschen Kunden der amerikanischen CompuServe Incorporated Nachfrager von Telediensten waren, nämlich denen der amerikanischen CompuServe Incorporated. Damit erfüllte die CompuServe GmbH alle gesetzlichen Voraussetzungen eines "Diensteanbieters" im Sinne der §§ 3, 5 TDG.

Unrichtig ist auch die Behauptung des Gerichts, die deutsche Compuserve GmbH vermittle den deutschen Nutzern nicht den Zugang zum Netz. Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, daß gemäß § 3 Ziffer 1 TDG die Diensteanbietereigenschaft dann besteht, wenn der Zugang zur Nutzung fremder Teledienste vermittelt wird. Daß die amerikanische Compuserve Incorporated in bezug auf die deutsche Compuserve GmbH fremde Teledienste anbot, steht außer Frage. Die Telediensteeigenschaft der Dienste der amerikanischen Compuserve Incorporated ergibt sich daraus, daß die amerikanische Compuserve Incorporate den deutschen Nutzern die Nutzung des Internet oder weiterer Netze anbot, was in § 2 Abs. 2 Ziffer 3 TDG als Beispiel für einen Teledienst besonders genannt ist.

Schlicht falsch ist es schließlich, die der deutschen Compuserve GmbH gehörenden Einwahlknoten und Telekommunikationsleitungen in Deutschland als Infrastruktur der amerikanischen Compuserve Incorporated anzusehen. Die Einwahlknoten und die Telekommunikationsleitungen in Deutschland standen unstreitig im Eigentum der deutschen Compuserve GmbH.

Es ist auch unzutreffend, wenn das Gericht an mehreren Stellen der Urteilsbegründung von einer "Standleitung" zwischen der deutschen Compuserve GmbH und der amerikanischen Compuserve Incorporated redet. Jeder Netzknoten der Compuserve GmbH verfügte über 60 bis mehrere hundert asynchrone, analoge Telefoneinwahlmöglichkeiten, teilweise über (mindestens 30 bis über hundert) ISDN-Einwahlmöglichkeiten. Die Geräte wurden über Mietleitungen der Deutsche Telekom AG an mindestens zwei bestehende Compuserve-Knoten angeschlossen. Große Knoten, wie z. B. München oder Frankfurt, waren direkt international mit entsprechend großen Knoten in USA, London, Paris oder Zürich verbunden. Kleinere deutsche Knoten waren direkt oder indirekt (über andere kleine Knoten) auf mindestens zwei völlig getrennten Wegen mit den großen deutschen Knoten verbunden. Ziel dieser Vermaschung war es, daß ein Netzknoten auch bei Ausfall einer Zubringerleitung weiter verfügbar bleibt und daß auch der internationale Datenverkehr bei Ausfall z. B. eines Überseekabels weiter funktioniert. Das Netz war so angelegt, daß es zwischen zwei Knoten im Netz (nicht nur zwischen benachbarten Knoten, sondern z. B. auch zwischen Nürnberg und Seattle) immer mindestens zwei physisch völlig getrennte Übertragungswege gab.

Nach alledem hätte das Gericht die Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 TDG als gegeben ansehen müssen und alleine schon deswegen den Angeklagten freisprechen müssen.

Falsche Auslegung des § 5 Abs. 2 TDG

Das Gericht prüft schließlich die Voraussetzungen von § 5 Abs. 2 TDG und sieht diese als erfüllt an. Gemäß § 5 Abs. 2 TDG sind Diensteanbieter für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nur dann verantwortlich, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern.

Die Kenntnis leitet das Gericht zunächst schlicht aus § 15 StGB ab. Dort ist jedoch von "Kenntnis" nicht die Rede, sondern von "Vorsatz". Der Begriff der Kenntnis bezieht sich aber nur auf das positive Wissen um eine Tatsache als einen Bestandteil des Vorsatzes. Pflichtbezogene oder voluntative Elemente im Sinne eines "als-möglich-Erachten" sind diesem Begriff, wie er beispielsweise in § 852 BGB verwandt wird, nicht immanent (vgl. Spindler, NJW 1997, 1193, 1196).

Nach herrschender Meinung (vgl. Spindler, NJW 1997, 1193, 1196) setzt "Kenntnis" im Sinne von § 5 Abs. 2 TDG positive Kenntnis von den fremden Inhalten voraus. Allgemeine, unspezifizierte Mitteilungen an den Anbieter, daß sich in seinem Angebot verschiedene, rechtswidrige, schädigende fremde Inhalte befinden, können die Kenntnis im Sinne von § 5 Abs. 2 TDG nicht begründen (so ausdrücklich Spindler, NJW 1997, 1193, 1196).

Angesichts dieser Rechtslage ist es unstatthaft, daß das Gericht die Kenntnis des Angeklagten daraus herleitet, daß diesem am 08.12.1995 von der Kriminalpolizei eine Liste mit den 282 Newsgroup-Namen übergeben worden ist. Aufgrund der Hauptverhandlung steht fest, daß diese Liste von der Kriminaldirektion München I für die Staatsanwaltschaft lediglich als Argumentationshilfe dafür angefertigt worden ist, daß sich Gruppen mit dem Thema Sex auseinandersetzen und darüber diskutieren. Es ist unstreitig, daß die Kriminalpolizei seinerzeit nicht untersucht hat, ob sich in den Newsgroups strafrechtlich relevante Inhalte befanden. Aus der Übergabe der Liste kann daher eine Kenntnis des Angeklagten unter keinen Umständen hergeleitet werden.

Im übrigen ist zu der Liste anzumerken, daß diese offensichtlich nach Suchbegriffen, wie "sex", "gay", "pedophilia" etc., erstellt wurde. So ist es auch nicht verwunderlich, daß in der Liste z. B. auch die Gruppe des Senators Exxon enthalten war, dem bekanntesten Gegner von Kinderpornographie in den USA. Ferner waren dort Aids- und Gesundheitsecken aufgeführt sowie mehrere Gruppen, die gezielt Kinderpornographie bekämpften. Es ist aufgrund dessen unerfindlich, wie das Gericht dieser Liste erhebliche Bedeutung für die Kenntnis und den Vorsatz des Angeklagten beimessen konnte.

Das Gericht verkennt deshalb den Sinn und Zweck von § 5 TDG ganz eindeutig, wenn es vom Angeklagten verlangt, daß dieser wegen der übergebenen Liste mit den 282 Newsgroups die einzelnen Newsgroups auf dieser Liste auf harte Pornographie habe überprüfen müssen. Ein solches proaktives Verhalten will § 5 Abs. 2 TDG gerade einem Diensteanbieter nicht auferlegen. Erst wenn positive Kenntnis über einen konkreten strafrechtlich relevanten Inhalt gegeben ist, besteht die Handlungspflicht des Diensteanbieters. Weder die Kriminalpolizei noch die Staatsanwaltschaft haben jedoch dem Angeklagten im tatrelevanten Zeitraum darüber informiert, daß sich in bestimmten, auf der Liste genannten Newsgroups strafrechtlich relevante Inhalte befanden. Erst auf eine solche konkrete Mitteilung hin hätte der Angeklagte die Mitteilung an die amerikanische Compuserve Incorporated weiterleiten und diese zur Sperrung auffordern müssen. Er selbst hatte ja bekanntlich über die Inhalte keinerlei Herrschaftsmacht und konnte selbst eine Sperrung nicht durchführen.

Völlig abwegig erscheint die Begründung, mit welcher das Gericht es bejaht, daß es dem Angeklagten technisch möglich war, die strafrechtlich relevanten Inhalte zu sperren. Zwar gesteht das Gericht zu, daß es dem Angeklagten nicht möglich war, auf den Datenspeicher der amerikanischen Compuserve Incorporated einzuwirken. Es meint jedoch, durch ein Abstellen auf die Gesamtorganisation begründen zu können, daß die der Muttergesellschaft technisch mögliche und angeblich zumutbare Nutzungsverhinderung dem Angeklagten zuzurechnen sei. Dafür wendet das Gericht folgenden Trick an:

Das Gericht stellt zunächst richtig fest, daß die deutsche Compuserve GmbH, isoliert betrachtet, keine fremden Inhalte zur Nutzung bereithält. Damit wäre eigentlich eine Verantwortlichkeit und damit eine Strafbarkeit (... nur dann verantwortlich ...) ausgeschlossen. Dieses Ergebnis ist jedoch für das Gericht offensichtlich nicht hinnehmbar. Die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 2 TDG wird daher durch ein Abstellen auf die Gesamtorganisation von Mutter und Tochter erreicht. Die Tochter sei angeblich arbeitsteilig für die Mutter tätig geworden. Dem Angeklagten wird dadurch die Nutzungsbereithaltung der Muttergesellschaft auf deren Newsservern zugerechnet. Gleichzeitig wird ihm umgekehrt auch die der Muttergesellschaft angeblich technisch mögliche Nutzungsverhinderung zugerechnet. Der nächste Schritt ist dann ganz einfach: Das Gericht muß dann nur noch feststellen, daß es der amerikanischen Compuserve Incorporated tatsächlich technisch möglich war, die strafrechtlich relevanten Inhalte zu sperren.

Letzteres ist im übrigen nicht bewiesen. Der Sachverständige hat nicht ausgesagt, daß es der amerikanischen Compuserve Incorporated technisch möglich war, strafrechtlich relevante Inhalte in Newsgroups auf ihren Servern zu sperren. Er hat lediglich ausgesagt, daß es für ihn auf dem Newsserver seines Instituts möglich ist, nur ca. 50 relevante Newsgroups anzubieten. Eine solche Situation bestand jedoch für die amerikanische Compuserve Incorporated nicht. Hier konnte es nicht darum gehen, alle Newsgroups zu sperren und nur wenige ausgewählte zuzulassen. Vielmehr mußte sie angesichts ihres heterogenen Kundenstamms in über 185 Ländern eine negative Auswahl treffen. Aufgrund der oben beschriebenen Untauglichkeit der Liste für diesen Zweck konnte sie nicht einfach alle Newsgroups auf der Liste sperren. Um sicher zu sein, hätte sie alle 15000 Newsgroups untersuchen müssen, was unmöglich und wegen der schnellen Veränderung der Newsgroups-Inhalte auch unsinnig war.

Schließlich bejaht das Gericht auch die Zumutbarkeit, indem es wiederum auf die amerikanische Compuserve Incorporated abstellt. In bezug auf den Angeklagten selbst wird die Zumutbarkeit gar nicht geprüft. Die Interessenabwägung bei der amerikanischen CompuServe Incorporated fällt nach Meinung des Gerichts zu Lasten der amerikanischen Compuserve Incorporated aus. Dabei hat das Gericht jedoch nicht die besonderen Umstände berücksichtigt, die für die amerikanische Compuserve Incorporated galten.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der von der amerikanischen Compuserve Incorporated angebotene Online-Dienst in 185 Ländern dieser Erde gleichzeitig und unterschiedslos über 5 Millionen Kunden angeboten wurde. Eine länderspezifische Sperrung ließ sich im tatrelevanten Zeitraum technisch nicht durchführen.

Völlig unberücksichtigt geblieben ist bei der Interessenabwägung des Gerichtes aber auch, daß nach US-amerikanischem Verfassungsrecht kommunikative Inhalte die Vermutung der Rechtmäßigkeit haben. Eine Sperrung aller 282 auf der von der Kriminalpolizei übergebenen Liste aufgeführten Newsgroups wäre demnach nach US-amerikanischem Recht eine Zensur gewesen, was nach der zuvor geschilderten Untauglichkeit der Liste für die Bestimmung strafbarer Inhalte wohl kaum in Zweifel gezogen werden kann. Diesem Vorwurf, welcher bereits zu Recht bei der Sperrung dieser Newsgroups vom 22.12.1995 bis zum 13.02.1996 in den USA erhoben worden ist, wollte sich die amerikanische Compuserve Incorporated nicht nochmals aussetzen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß alle am 13.02. wieder entsperrten Newsgroups zu diesem Zeitpunkt völlig leer waren. Aufgrund der Automatik des Newsdienstes im Internet füllten sie sich erst danach wieder allmählich mit Inhalten. Mangels Mitteilung über konkrete strafrechtliche Inhalte in diesen Newsgroups im tatrelevanten Zeitraum hatte jedoch die amerikanische Compuserve Incorporated über die strafrechtlich relevanten Inhalte keinerlei Kenntnis. Dies galt gleichermaßen für den Angeklagten.

Nach alledem hätte das Gericht - auch beim Abstellen auf die "Gesamtorganisation" - die Voraussetzung von § 5 Abs. 2 TDG verneinen und damit die fehlende Verantwortlichkeit bzw. Straflosigkeit des Angeklagten begründen müssen.

Falsche Auslegung von § 5 Abs. 1 TDG

In bezug auf die drei indizierten Computerspiele hat das Gericht eine Verantwortlichkeit gemäß § 5 Abs. 1 TDG angenommen. Dafür mußte es die unstreitig von Dritten hergestellten Spiele als eigene Inhalte der amerikanischen Compuserve Inc. qualifizieren. Ohne daß dies im Urteil ausdrücklich ausgeführt wird, hat das Gericht auch diese Inhalte dem Angeklagten wohl aufgrund der "Gesamtorganisation" zugerechnet.

Nach Ansicht des Gerichts wurden die von Dritten hergestellten Inhalte zu eigenen Inhalten, weil die amerikanische Compuserve Inc. die Spiele - ohne einen distanzierenden Hinweis auf die Dritten - angeboten hatte. Diese Wertung des Gerichts ist nicht nachzuvollziehen. Für die deutschen Nutzer war jederzeit anhand des Impressums erkennbar, daß es sich insoweit um Inhalte der Spielehersteller handelte. Irgendwelche Indizien dafür, daß sich die amerikanische Compuserve Inc. und die deutsche Compuserve GmbH diese fremden Inhalte zu eigen gemacht hätten, lagen nicht vor.

Nach alledem ist die Verneinung der Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 TDG und die Bejahung der Voraussetzung von § 5 Abs. 2 TDG und § 5 Abs. 1 TDG rechtlich unhaltbar.

Mittäterschaftskonstruktion rechtlich unhaltbar

Die gleiche Bewertung trifft auch für die Mittäterschaftskonstruktion des Gerichtes zu. Das Gericht ist davon ausgegangen, daß die Tathandlung des Verbreitens pornographischer Schriften von dem Angeklagten gemeinschaftlich mit der amerikanischen Compuserve Inc. begangen worden sei.

Mittäter ist, wer aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses im Rahmen eines gemeinsamen Tatplanes einen Beitrag zur Durchführung derselben Tat leistet. Nach alledem kann die Frage der Mittäterschaft nur aufgrund aller, von den Vorstellungen der Beteiligten umfaßten Umstände in wertender Betrachtung beurteilt werden. Dabei ist wesentlicher Anhaltspunkt für diese Wertung das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft.

Den Tatbeitrag der amerikanischen Compuserve Inc. sieht das Gericht in einem Unterlassen. Die amerikanische Compuserve Inc. habe es unterlassen, die Newsgroups, die angeblich eindeutig Gewalt-, Kinder- und Tierpornographie erkennen ließen, aus ihrem Datenspeicher herauszunehmen. Die Garantenpflicht wird aus der Sachherrschaft über eine Gefahrenquelle hergeleitet, was mangels eines gegenüber den Nutzern eines Online-Dienstes bestehenden Vertrauens bezüglich der Kontrolle durch den Online-Dienst im konkreten Fall nicht überzeugen kann (vgl. Sieber, CR 1996, 494, 501).

Völlig unstatthaft ist es jedoch, wenn das Gericht den gemeinsamen Tatentschluß des Angeklagten und der amerikanischen Compuserve Inc. damit begründet, daß beide wußten und wollten, daß die auf dem News Server der amerikanischen Compuserve Inc. unter eindeutigen Newsgroup-Namen gespeicherten strafrechtlich relevanten Inhalte öffentlich zugänglich gemacht werden sollten. Hierzu ist im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nichts ermittelt worden und auch in der Hauptverhandlung nichts vorgetragen, geschweige denn darüber Beweis erhoben worden. Die insoweit - zum Beweis des Gegenteils - hilfsweise eingebrachten Beweisanträge der Verteidigung hat das Gericht dagegen mit unhaltbarer Begründung abgelehnt.

Beispielsweise wurde folgender Beweisantrag der Verteidigung abgelehnt:

"Der Angeklagte hatte im tatrelevanten Zeitraum keine Kenntnis von den in der Anklage genannten Bildern, Texten und News sowie von den Newsgroups oder Speicherorten dieser Daten. Er konnte diese Inhalte auch nicht kennen. Mit dem Newsreader der Zugangssoftware der Firmen Compuserve GmbH und Compuserve Incorporated konnte er sich diese Bilder auch gar nicht anzeigen lassen. Die Existenz eines Spieleforums "Hot Games" kannte er nicht und konnte er in der Masse der Zehntausenden in den Foren der Compuserve Incorporated gespeicherten Spiele auch nicht kennen; Entsprechendes gilt für die in der Anklageschrift Ziffer II. 2 und 3 genannten Spielenamen. Er ging davon aus, daß bei der amerikanischen Compuserve Incorporated alle strafbaren Inhalte sofort nach Bekanntwerden gelöscht und gesperrt wurden und daß die amerikanische Compuserve Inc. alle technisch möglichen Maßnahmen zur Verhinderung rechtswidriger Inhalte unternahm. Er hatte keinen Anlaß zu weitergehenden Sperraufforderungen an die amerikanische Compuserve Incorporated als von ihm vorgenommen, und er hatte insbesondere keinen Anlaß zum Aufbau eines eigenen Parallelrechenzentrums mit Newsservern in Verbindung mit entsprechenden Firewalls zwecks Behinderung eines Zugriffs auf strafbare Inhalte. Erst im Jahr 1997 entstanden bei dem Angeklagten - vor allem aufgrund der Einsicht in die Akte des vorliegenden Strafverfahrens - Zweifel an der erfolgreichen Sperrung strafbarer Inhalte durch die amerikanische Compuserve Incorporated. Er wiederholte daraufhin sein Drängen auf wirksame Schutzmaßnahmen gegen rechtswidrige Inhalte und kündigte schließlich seinen Arbeitsvertrag mit der deutschen Compuserve GmbH."

Zum Beweis wurde die Zeugenvernehmung eines ehemaligen Mitarbeiters der deutschen Compuserve GmbH sowie ehemaliger Mitarbeiter der amerikanischen Compuserve Incorporated angeboten. Zur Begründung des Beweisantrags wurde schriftlich vorgetragen, daß die Beweistatsache belege, daß der Angeklagte keinen Vorsatz bezüglich einer rechtswidrigen Handlung eines Mitarbeiters der amerikanischen Compuserve Incorporated sowie bezüglich einer entsprechenden Unterstützungshandlung hatte und ihm auch kein entsprechender Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden konnte.

Das Gericht hat diesen Beweisantrag - sowie 19 weitere - im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, daß der Antrag nicht den Erfordernissen eines Beweisantrags entspreche. Es fehle an der Bezeichnung bestimmter Beweistatsachen, die geeignet seien, das Nichtvorhandensein von ihren Tatsachen zu belegen. Andere Beweisanträge wurden mit der Begründung abgelehnt, die Beweistatsachen seien schon erwiesen oder ohne Bedeutung, obwohl sich das Gericht mit diesen Beweistatsachen ständig auseinandersetzt.

Das Gericht versucht demgegenüber einen gemeinsamen Tatentschluß mit Indizien (Liste der 282 Newsgroups etc.) zu beweisen. Nachdem jedoch nicht einmal nachgewiesen ist, daß der Angeklagte oder die amerikanische Compuserve Inc. konkrete Kenntnis von den strafrechtlich relevanten Inhalten hatten und nachdem zum Beweis des Gegenteils Beweis angeboten worden ist, muß die auf Indizien ruhende Beweisführung des Gerichts in sich zusammenfallen.

Ausblick

Das Urteil versucht suggestiv, den Leser für die Sache der harten Bestrafung der Verbreiter von Kinderpornographie einzunehmen. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden, wenn sich das Urteil gegen die wahren Täter, nämlich diejenigen, welche Kinder sexuell mißbrauchen und kinderpornographische Inhalte im Netz zum Abruf speichern, richtet. Die kürzlich in Holland entdeckten Pornophotos und ihre mutmaßlichen Urheber sollten daher das primäre Ziel der Strafverfolgungsbehörden sein. Das Internet ist nicht die Ursache für diese Verbrechen. Es erleichtert es lediglich Händlern, mit ihren Angeboten einen größeren potentiellen Kundenkreis zu erreichen, und ferner ermöglicht es Pädophilen, die Computerbegeisterung von Kindern und Jugendlichen auszunutzen und über das Internet mit ihnen Kontakt aufzunehmen (vgl. Der Spiegel 30/1998, S. 106, S. 108). Dies rechtfertigt es jedoch nicht, einen reinen Zugangsvermittler wie den Angeklagten mit fragwürdigen rechtlichen Konstruktionen strafrechtlich zu verfolgen. Dies nährt den Verdacht, daß mit der Verfolgung und Bestrafung des Angeklagten nur eine Alibiveranstaltung durchgeführt wird, um in Wahlzeiten Entschlußfreudigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates zu demonstrieren.

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