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Re: Telekommunikationsfreiheit



Kristian meinte am 08.05.00 in /ML/FITUG
zum Thema "Re: Telekommunikationsfreiheit":

> Ich kann denjenigen Leuten, die ich identifizieren kann (gleich
> wie und gleich wie sicher) massgeschneiderte Inhalte liefern,
> die ihren Erwartungen entsprechen. Das Web ist kein
> Massenmedium, sondern es besteht aus massenhaften individuellen
> Abrufen, die ich nach meinen Beduerfnissen und denen der Abrufer
> individualisieren kann - je nachdem, wieviel Aufwand ich in
> diese Individualisierung hineinstecken moechte. Das Internet ist
> nun einmal ein System, das auf technischer Ebene fundamental auf
> Individualkommunikation basiert und nur fuer einige unbedarfte
> Juristen wegen schlampiger Individualisierung durch einige
> Anbieter voruebergehend den optischen Eindruck eines
> Massenmediums erweckt.

Das erstaunliche am Web ist aber doch gerade, dass das Prinzip der  
Öffentlichkeit funktioniert und nicht nur einige unbedarfte Juristen davon  
ausgehen, dass es sich um ein Massenmedium handelt. Wenn ich die Spiegel- 
Homepage aufrufe, erwarte ich, dass mir auf dem Bildschirm im wesentlichen  
das angezeigt wird, was vielen tausend Anderen auch angezeigt wird. Wenn  
beim Aufruf von www.xs4all.nl/~radikal/ mal abgeschossene Moorhühner zu  
sehen, mal klassische Musik zu hören und nur ab und zu mal Hakenkrallen- 
Bauanleitungen zu sehen wären, dann wäre diese Adresse nicht so  
interessant, dass man sich vor Gericht darum streiten müsste, ob das  
Verlinken nun strafbar ist oder nicht. Es existiert im Internet ein  
breites Vertrauen in das Konstrukt 'Öffentlichkeit', das zwar  
gewissermaßen auf eine massenhafte Individualkommunikation aufmoduliert  
ist. Aber nur durch diesen öffentlichen Charakter der Veranstaltung wird  
das Ganze erst interessant. Wenn der auf individuellen Abruf übermittelte  
Inhalt (einmal abgesehen von der Werbung) von www.spiegel.de wesentlich  
anders wäre, in Abhängigkeit z.B. von der IP-Adresse der Abfragenden, dann  
hätte das mit Öffentlichkeit nur noch wenig zu tun.

Denkbar wäre doch folgendes Szenario (du hattest ein anderes in Bezug auf  
Jugendschutz.net formuliert):
Gesetzt den Fall, von einem IP-Nummernraum ist bekannt (wir blenden hier  
einmal aus, wie dieses Wissen zustandegekommen ist), dass aus diesem sich  
die Leute besonders oft Webseiten der Grünen und der Antiatom-Bewegung  
anschauen, jedenfalls deutlich öfter als die von CDU, FDP, RWE. Man könnte  
ja auf die Idee kommen, dass Abrufende aus diesem IP-Bereich einen leicht  
anders formulierten Spiegel-Leitartikel zum Thema Atomausstieg zu Gesicht  
bekommen, als andere. Das muss zunächst nicht einmal großartig auffallen,  
man muss das mit den inhaltlichen Unterschieden ja nicht gleich  
übertreiben. Was würde passieren, wenn eine solche Praxis bekannt würde?  
Wer würde sich aufregen? Zurecht?

Was wäre, wenn es von vorneherein bekannt wäre, dass der Spiegel so  
verfahren würde? Was würde passieren, wenn der Spiegel hinsichtlich eines  
bestimmten Themas sowohl seine üblichen Leser, d.h. grob vereinfacht  
"Linke", mit einem entsprechenden Kommentar bedient, als auch gleichzeitig  
das nach herkömmlicher Auffassung "rechte Spektrum" (z.B. solche die  
eigentlich Focus lesen) mit entsprechendem Honig ums Maul versieht?  
Profilverlust? Beliebigkeit? Wenn jeder auf der Spiegel-Homepage nur das  
angezeigt bekommen würde, was er sehen wollte, wäre sie nicht mehr  
sonderlich interessant. Dabei gibt es innerhalb des von der Redaktion  
vorgegebenen Web-Angebots selbstverständlich die Möglichkeit zur Auswahl  
einzelner Artikel, aber das ist bei Zeitungen ja auch so, man kann einen  
Artikel eben lesen und einen anderen nicht. Auf die Universalität des  
Gesamtangebots kommt es an, damit man von Öffentlichkeit sprechen kann.

Um den Gegensatz zwischen öffentlicher Kommunikation und  
Individualkommunikation und den himmelweiten Unterschied in ihrer Relevanz  
zu verdeutlichen: Paperball und andere sind zwar genial zum Recherchieren  
(individueller Abruf), sie werden aber nie die öffentliche Bedeutung  
bekommen, wie die Publikationen, auf denen ihr Dienst aufsetzt. Gerade in  
Bezug auf Paperball wird klar, dass so etwas wie Öffentlichkeit zuerst  
einmal überhaupt vorhanden sein muss.

> Aber in seinem Wesenskern ist es eben immer und ueberall
> staendig Individualkommunikation und daher kann ich die
> "Oeffentlichkeit" jederzeit zusammenbrechen lassen, wenn es mir
> opportun scheint.

Höre ich da den Administrator: "weil mein starker Arm es will ..." ?

Solche Praktiken - das Vertrauen "zusammenbrechen lassen" - sollte der  
Anbieter nur anwenden, wenn er sich der Konsequenzen bewußt ist. Es ist  
durchaus denkbar, dass der Anbieter dadurch den Schutz des Art.5 GG  
weitgehend verliert bzw. selbst aufgibt, weil sein Handeln nicht mehr in  
den Schutzbereich fällt. (Hinsichtlich seiner Geschäfte, die er machen  
will, kann er sich selbstverständlich immer noch auf Art. 12 und 14  
berufen, aber das ist dann halt deutlich weniger.)

Damit sind wir wieder in der Debatte um die Abgrenzung von Tele- und  
Mediendiensten und die dahinterstehenden Grundrechte sowohl der Anbieter  
als auch der Nutzer. Teledienste sind dem Bereich der Wirtschaft  
zuzuordnen (Gesetzgebungskompetenz des Bundes), bei Mediendiensten geht es  
um die öffentliche, mediale Kommunikation (GG-Kompetenz der Länder).

Zum Beispiel kommen als Rechte der NutzerInnen von Internetangeboten die  
Informations- und die Zensurfreiheit in Betracht. Allerdings ist bei  
individualisierten Web-Angeboten höchst fraglich, ob es sich überhaupt  
noch um "allgemein zugängliche Quellen" i.S.v. Art. 5 I 2.HS GG handelt.  
Nicht allgemein zugänglich sind nach einer Entscheidung des BVerfG z.B.  
Postsendungen an bestimmte Personen (BVerfGE 18, 315). Unter "allgemein  
zugängliche Quellen" fällt jede Informationsquelle, "die ihrem Wesen nach  
für die Öffentlichkeit bestimmt ist" (Hesselberger in GG-Kommentar  
f.d.polit. Bildung). Das dürfte bei individualisierten Telediensten - wenn  
überhaupt - weniger der Fall sein, als bei den polizeifesten  
Mediendiensten, sprich Teledienste sind leichter zu "zensieren", eben weil  
es sich nicht um Zensur von an die Öffentlichkeit gerichteten Inhalten  
handelt. Es kommt eben auch im Internet drauf an, was man als Anbieter  
will: Geschäftemachen mit individualisierten Inhalten oder politische  
Meinungsbildung in der Öffentlichkeit.

Wenn man das ganze in eine rechtspolitische Forderung münden lassen will,  
könnte man an den Schutz der Öffentlichkeit vor Manipulation denken. Um  
Gefahren von der Öffentlichkeit abzuwenden, sollte bei Diensten der  
Kommunikationsgesellschaft sofort ersichtlich sein, ob es sich um einen  
Mediendienst oder nur um einen Teledienst handelt. Vielleicht ein  
Qualitätssiegel für Mediendienste, das die Einhaltung von Standards für  
Öffentlichkeit (z.B. keine in Abhängigkeit vom Abrufenden wechselnden  
Inhalte hinter URLs) belohnt?


In diesem Sinne -
gegen die "Tyrannei der Intimität" !


Gruß,
Mario
-- 
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