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Re: Ihre Website gegen rechte Gewalt



On 2000-08-24 15:56:25 +0200, Horst-Walter Schwager wrote:

> einen Filter für einen selber halte ich für ein Märchen. 

HWS: Du verkürzt.  Filter für mich selbst sind durchaus sinnvoll,
zum Beispiel in Form von Killfiles, oder, wie von Herrn Scholz
geschrieben, zum Ausblenden von Werbung.  Sie dienen allerdings
gewöhnlich dem Ausblenden von unerwünschtem Rauschen, denn, wie Du
richtig bemerkst:

> Ich selbst brauche mich nicht zu filtern, denn der Filter sitzt
> ja bereits zwischen meinen beiden Ohren. Mit anderen Worten, wenn
> ich beispielsweise Porno-Seiten nicht sehen will, dann suche ich
> sie erst garnicht auf! Sollte ich zufällig darauf stoßen (und das
> ist auch bei "rechten" Seiten ziemlich unwahrscheinlich), dann
> kliche ich eben weg!

So ist es.


Tatsächlich erscheint mir aber gerade im Zusammenhang mit
Rechtsextremismus ein Filtern von Inhalten auch aus einem anderen
Grund der ganz und gar falsche Weg zu sein: Filter und
Veröffentlichungsverbote sind (1) im Netz nur höchst begrenzt
wirksam.  Sie tabuisieruen (2) die Diskussion über bestimmte Themen
und geben diesen Themen (3) den besonderen Reiz des Verbotenen.
Gerade bei Jugendlichen sollte die fatale Anziehungskraft des
Arguments: "Wenn das alles (Auschwitz-Leugnung z.B.) falsch und
offensichtlicher Blödsinn ist, warum haben DIE dann so eine Angst
davor, daß sie es verbieten?" nicht unterschätzt werden.

Da ist es mir doch immer noch lieber, wenn ein Jugendlicher
"revisionistischen" Thesen offen ausgesetzt ist und an ihrem
Beispiel kritisches Denken lernen kann - natürlich stelle ich damit
hohe Ansprüche an Lehrer und Erzieher, von denen ich eine sachliche,
konkrete und unter Umständen sehr detaillierte Auseinandersetzung
mit diesem Thema erwarten muß.

Übrigens kann ich nur den Kopf schütteln, wenn Vertreter von Staat,
Parteien, Verbänden und Medien - bis hin zu den Herren Stolpe und
Beckstein - sich öffentlich (ARD-Sondersendung vor einigen Wochen)
darüber ereifern, daß etwa Internetsuchmaschinen bei einschlägigen
Stichworten wie Holocaust u.ä. überaus schnell auf rechtsextreme
Seiten führten. Hieraus sollte man nicht den Schluß ziehen, es gebe
zu viele rechtsextreme Inhalte im Netz - umgekehrt wird ein Schuh
daraus: Es gibt viel zu wenige Inhalte im Netz, die sich auf einem
vernünftigen Niveau und in seriöser Form mit diesem Thema
auseinandersetzen.  Warum eigentlich?  Soll ich wirklich glauben,
daß es den politischen Stiftungen, den Parteien, dem Bundespresse-
und Informationsamt, der versammelten Hochschul-Intelligenz nicht
möglich ist, was eine Handvoll faschistischer Freizeitfanatiker
anscheinend ohne weiteres schafft?  Man wäre versucht, zu lachen,
wenn es nicht so traurig wäre.

Das Nizkor-Projekt, das HWS erwähnte, kann an dieser Stelle übrigens
hilfreich sein: Es setzt sich detailliert mit dem Phänomen des
Revisionismus auseinander und stellt dazu auch umfangreiches
Quellenmaterial ins Netz.  Auch revisionistisches Quellenmaterial,
übrigens: Unter anderem findet man dort detailliert kommentierte und
widerlegte Versionen von Standard-Texten der revisionistischen
Szene.

Wenn die CDU und andere ein wirklich sinnvolles Engagement zum Thema
"Radikalismus im Netz" wollen, wäre eine Unterstützung dieses
Projektes und das Auflegen eigener Projekte von ähnlicher Qualität
sicherlich eine deutlich bessere Möglichkeit für Investitionen als
die Erstellung von Alibi-Filtern, die keine reale Wirkung haben, als
die, daß man etwas getan und ein Zeichen gesetzt hat.


Schließlich möchte ich noch daran erinnern, daß Joseph Goebbels (!)
das (vielleicht apokryphe) Zitat in den Mund gelegt wird, er sei
heilfroh, daß kaum jemand "Mein Kampf" gelesen habe, denn dann wäre
man wohl nie an die Macht gekommen.

Will sagen: Anstatt die braune Soße auszublenden und ihr damit
zugleich den Reiz des "Gefährlichen" und "Ansteckenden" zu verleihen
(und gleichzeitig eine offene Auseinandersetzung zu erschweren),
sollten Sie lieber versuchen, die Absurdität und Dummheit hinter
diesen Ideologien ans Licht zu zerren.  Die offene Präsenz von
Rechtsextremen im Netz kann dabei ungemein hilfreich sein, liefert
sie doch erstklassiges Anschauungsmaterial, das ungenutzt zu lassen
eine echte Unterlassungssünde sein dürfte.

Mir fallen in diesem Zusammenhang immer wieder die Romane von Lion
Feuchtwanger ein, in denen er in den zwanziger und dreißiger Jahren
ein luzides und manchmal prophetisches Bild der Nazis zeichnet,
häufig mit bitterer Ironie gewürzt - Beispiele: "Erfolg" [lief
unlängst in einer exzellenten Verfilmung auf 3sat], die "Oppermanns"
und die "Lautenbachs".  So sind etwa die verschiedenen Hitler-Szenen
in den "Gebrüdern Lautenbach" ausnehmend lesenswert, allein schon
der genialen und entlarvenden Parodie der hitlerschen Rhetorik
wegen.

Es ist bedauerlich, daß eine Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus auf diesem geistigen Niveau heute zumindest in
einer breiteren Öffentlichkeit nicht stattfindet, und man sich
stattdessen mit wohlmeinender Entrüstung und dem wirklungslosen
Setzen von "Zeichen" begnügt.

-- 
Thomas Roessler                         <roessler@does-not-exist.org>