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Re: IBM-Patent auf Algorithmenklasse? / war: GI



> > Beim vorliegenden Patentanspruch frage ich mich sogar allen ernstes, ob
> > die wesentliche "Erfindungs"-Arbeit nicht vom Patentanwalt Teufel
> > geleistet wurde.  Jenem oblag es, vorhandene Werke von IBM-Programmierern
> > auszuwerten und daraus in hoechst kreativer Weise patentierbare
> > Algorithmen-Oberklassen zu formulieren.  Diese Oberklassenbildung ist
> > nicht naheliegend.
> 	[Dr. Swen Kiesewetter-Koebinger       1.53       Tel.: 3198]

Hallo Herr Dr. Kiesewetter-Koebinger,

> 	Das was Sie als Oberklasse bezeichnen ist auch eine konkrete Lösung,
> allerdings nur eine die unter Zuhilfenahme der menschlichen
> Verstandestätigkeit ausführbar ist (quasi mit Bleistift und Papier). Die
> Lösung der Teilaufgabe "wie bringe ich es meinem Computer bei" (oder im
> Originalanspruch "zur computergestützten") ist überhaupt nicht angegangen
> worden. das einzige weitere Merkmal, das in diese Richtung weist, ist "in
> einem digital gespeicherten Text". Für die Bearbeitung mit einem Computer
> ist dieses Merkmal aber platt selbstverständlich.

was bedeutet das denn nun konkret für den Gültigkeitsradius des
Patentes? Sie schreiben, daß die Umsetzung des beschriebenen Verfahrens
in ein ablauffähiges Computerprogramm nur mit zusätzlicher Verstandes-
tätigkeit möglich ist. Die eigentliche *Implementierung* und damit die
Suche und Realisierung effizienter technischer Verfahren ist also etwas,
was zur Komplettierung dieses Patentanspruches benötigt wird.

Aber ist nicht gerade der Weg der Implementierung die einzige Stelle in
der logischen Argumentationskette, an der überhaupt die Technik und damit
patentierungsfähiges Gut zum Einsatz kommt?

Strukturierte Software-Entwicklung in großen Unternehmen wird in der
Regel mehrschrittig durchgeführt. Ich möchte hier einmal grob einen
häufig gegangenen Weg vorstellen:

1. Schritt, Anforderung: Formulierung der Problemstellung in Umgangssprache.

2. Schritt, Lösungsstudie: Umgangssprachliche Formulieruung, wie die
   Anforderung grundsätzlich umgesetzt werden kann. Auftrennung des
   Gesamtproblems in mehrere Teilprobleme.

3. Schritt, Schnittstellenspezifikation: Identifikation der Ein- und
   Ausgabeparameter für das zu entwickelnde Gesamtprogramm sowie die
   in 2. identifizierten einzelnen Bausteine, die verschiedene Teilprobleme
   lösen.

4. Schritt, Komponentenentwurf: Detaillierte Ausarbeitung des Programm-
   ablaufes der einzelnen in 2. und 3. schnittstellentechnisch beschrie-
   benen einzelnen Software-Module.

5. Schritt, Implementierung: Implementierung der einzelnen Software-Module
   in einer EDV-technisch verarbeitbaren Form.

Der Patentanspruch des "IBM-Patentes" könnte dabei bezogen auf den
Gesamtprozeß der Software-Entwicklung aus der Dokumentation zu
Schritt 1. oder 2. entnommen worden sein. Er enthält hingegen keine
für die technischen Ausführung relevanten Details, d. h. er genügt
nicht den Anforderungen, die man gemeinhin an eine Schnittstellen-
spezifikation oder einen Komponentenentwurf stellen würde, und bezogen
auf die eigentliche Implementierung haben Sie selbst bemerkt, daß
ein Programmtext, anhand dessen eine weitere Überprüfung des Anspruches
hätte erfolgen können, gar nicht vorgelegen habe.

> Aber
> für den BGH kommt es auf die programmtechnischen Merkmale ja noch nicht an
> (Logikverifikation und Sprachanalyse).

Und hier liegt das Problem: Nimmt man den mehrschritten Software-
entwicklungsprozeß wie oben beschrieben und greift man dann aus 
der Lösungsstudie Textblöcke heraus, um sie zum Patent anzumelden,
dann bekommt man allenfalls eine halb-technische umgangssprachliche
Formulierung einer Problem*klasse*. Das ist zwangsläufig so, da
eine Lösungsstudie den Implementationsweg nicht einengen soll, sondern
die Lösungsstudie dient zur Identifikation eines implementatorischen
Zieles und Beschreibung grundsätzlich möglicher Wege, wie man zu
diesem Ziel kommen kann. Das Weg wird aber - außer durch grobe
Charakterisierung des Ein-/Ausgabeverhaltens - noch nicht genau
festgelegt. Die eigentliche Algorithmenfindung, also die besondere
geistige Leistung, die die resultierende technische Lösung charakteri-
siert, wird erst in den Schritten 4. und 5. gefunden.


Dazu vielleicht noch ein paar Worte aus dem realen Leben, wie sich
die Aufwände zwischen den einzelnen Projektphasen bei obigem Schema
verteilen. Die Werte sind realistische Schätzwerte bezogen auf den
Gesamtaufwand in einer größeren Software-Entwicklung.

1. Anforderung: 0 % (zu Beginn bereits vorhanden)
2. Lösungsstudie: 15 %
3. Schnittstellenspezifikation: 20 %
4. Komponentenentwurf: 20 %
5. Implementierung: 30 %
(6. Test/Dokumentation: Rest)

Die Lösungsstudie dient in größeren Software-Entwicklungsprozessen dazu,
eine Aufgabenstellung überhaupt erstmal an ein größeres Team zur Bearbeitung
geben zu können. D. h. eine Person oder ein kleines Team setzt sich mit
der Aufgabenstellung hin, schaut sich die Ziele scharf an und formuliert
dann gangbare Wege in einer Form, so daß dann in einem Team (welches größer
ist als das Team, welches die Lösungsstudie schreibt) die weiteren Schritte
überhaupt erst bearbeiten kann.

Es ist nicht Aufgabe der Autoren einer Lösungsstudie, konkrete technische
Algorithmen vor Augen zu haben, wohl aber wird von den Autoren ein
technisches Grundverständnis erwartet, damit nur Anforderungen an den
Implementierungsprozeß gestellt werden, die mit den zur Verfügung stehenden
technischen Mitteln auch tatsächlich umgesetzt werden können.


Nochmal zurück zum Patentanspruch: Anhand obiger Aufzählung läßt sich sehen,
daß

- die Lösungsstudie nur die Spitze des implementatorischen Eisbergs
  darstellt.

- auf Basis einer bestimmten Lösungsstudie eine Vielzahl verschiedener
  algorithmisch-implementatorischer Ansätze denkbar ist, da Schritte 3.-5.
  noch nicht erfolgt sind.

- daß eine "konkrete Technizität" erst ab Schritt 3. in den Software-
  Engineering-Prozeß hineingebracht wird. Vorher wird lediglich mit der
  *Annahme* gearbeitet, daß sich bestimmte technische Problemklassen mit
  implementatorischen Mitteln nach Stand der Technik lösen lassen.


Man kann ferner ableiten, daß

- zum Zeitpunkt der Lösungsstudie die Formulierung konkreter technischer
  Abläufe nicht im Vordergrund steht, sondern vorrangig die Vorstrukturie-
  rung eines Problems mit Blick auf eine leichter mögliche technische
  Umsetzbarkeit in einer späteren (Projekt-)Phase.


Und genau das ist das Problem in bezug auf viele fragliche "Software-Patente",
wie z. B. das IBM-Patent.


Mal eine Frage an die mitlesenden DPMA-Mitarbeiter: Ist eigentlich
in München Wissen über gängige Software-Engineering-Prozesse vorhanden,
d. h. ist man eigentlich beim Patentamt in der Lage, zwischen Strukturie-
rungsleistung im Rahmen eines Software-Projektes und konkreter technischer
Realisierung zu unterscheiden? Wie sieht der Kriterienkatalog aus?

Daniel



-- 
Daniel Roedding                                       phone: +49 5252 9838 0
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