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Re: [FYI] Historikertag: Verbandschef warnt vor Fixierung auf das Internet




Hi!

> Welchen Vorteil hat die "konservative Buchausstattung" gegenueber
> PDF-Dateien?

Daß die Menschen ohne jede Hardware, die spinnen kann, die Probleme
haben kann, alte Formate korrekt zu interpretieren etc. die Bücher
lesen können :-)

Ich habe gerade das ausgesprochen zweifelhafte Vergnügen, nach für
mein Projekt wichtigen wissenschaftlichen Daten zu suchen, die im
Bereich 1982 auf irgendwelche Bänder geschrieben wurden, ohne sie
wenigstens *einmal* auszudrucken. Das sind Daten von rund 600 Mann-
Tagen, die sich noch nicht mal neu aufnehmen lassen würden, weil es
sich um historische Vegetationsdaten von 1980 handelt.

Wie es aussieht, wurde das letzte Gerät, was diese Bänder lesen und
dann in einem menschenwürdigeren Format ausgeben kann, 1992 von der
Univerwaltung ausgemustert. Genau genommen weiß das aber niemand so
recht, sprich, es ist eigentlich noch nicht mal bekannt, wer wann
die Daten in welchem obskuren Format abgespeichert hat. Vielleicht
gäbe es in Europa oder wo auch immer jemand, der noch ein Gerät hat,
was das Zeug lesen kann - aber das Geld dafür wäre eh nicht da. Ob
sich aber noch jemand erinnert, wie man aus irgendwelchen Riesen-
Tabellen mit Zahlen wieder interpretierbare Ergebnisse macht, ist
noch viel fraglicher. Schon *jetzt* treten also immer wieder echte
Probleme auf mit Daten, die jünger sind als ich selbst! Und @home
habe ich auch noch zwei 8"-Disketten aus meiner Schulzeit, mit den
ersten selbstgeschriebenen Programmen (ELAN, kennt vermutlich fast
niemand mehr ;-) Lesen kann ich die schon lang nicht mehr.

Die ganze elektronische Archivierung ist in Relation zu der Praxis,
die schon die Ägypter entwickelt hatten, ein einziges Armutszeugnis.

Nicht, das es keine Lösungen gäbe, aber niemand hat Lust, sich damit
auseinanderzusetzen. Es wird doch zum Teil vollkommen willkürlich
archiviert. Zudem beruht sehr viel Geschichtswissenschaft auf durch
Zufall überlebten Daten - elektronische Daten, die alle 5 Jahre in
ein neues Format konvertiert werden müssen, sind ein Garant dafür,
daß fast nur Daten überleben, die gewollt archiviert werden. Unsere
Geschichtswissenschaft wird eine andere werden - allein das wäre ja,
wenn ich Historiker und nicht Biologe wäre, ein spannendes Projekt
für die Zukunft...

> Fortschritt muss nicht zwingend *Abloesung* heissen.  Es kann auch
> *Ergaenzung* und *Erweiterung* beinhalten.

Eben, genau das sehe ich auch so. Es ist toll, Texte über Netze rasch
verfügbar zu machen - aber das ersetzt nicht die Notwendigkeit, daß
sie irgendwo auch auf Papier o.ä. vorhanden sind und sich jemand für
den Text verantwortlich fühlt, ihn überleben zu lassen. Säurefreies
Papier ist übrigens *sehr* langlebig. In jedem wissenschaftlichen
Buch, das halbwegs etwas auf sich hält, steht auf der dritten oder
fünften Seite links der Satz, daß säurefreies Papier verwendet wurde.

Übrigens, um mal ein wenig Geschichte zu wälzen: Vor rund 15 Jahren
haben sich die Historiker auch über die zunehmende Durchsetzung von
Recyclingpapier besorgt gezeigt, weil nun immer mehr Kassenbons und
Alltags-"Dokumente" nicht mehr "archivierbar" sind. Bleibt nur noch zu
fragen, ob die Lösung der ökologischen Frage nicht doch essentieller
ist als die der Archivierung ;-)

Viele Gruesse,

Silvan

--
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Dipl.-Biol. Silvan Kindt, D/CH, [SAK17-RIPE]