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Re: AW: FTD portraetiert Wolfgang Tauchert



> 	[Tauchert Wolfgang]  Wie schon früher gesagt, eine Erfindung ist
> kein Nobelpreis. Über das Niveau kann man diskutieren. Nach den von der
> Rechtsprechung (BPatG und BGH) erarbeiteten Maßstäben handelt es sich
> jedenfalls um Erfindungen. Von den Anträgen führen ca. 2/3 zu einem Patent,
> natürlich nach entsprechender Einschränkung gegenüber dem im Verfahren
> ermittelten Stand der Technik. In der Regel sind es eben nicht nur
> Problemstellungen, sondern technische Lösungen, die geschützt werden. Gerade
> bei Smartcards geht es in der Regel eben nicht um verkleidete
> Software-Patente, das "und" ist also genau richtig. Generell ist es Ihem
> Anliegen nicht förderlich, wenn Sie ohne Kenntnis der Fakten Behauptungen
> aufstellen. 

Z.B. in der Patentschrift EP 0908855 finden Sie Patentansprueche, die sich
auf rein logische Konstruktionen beziehen, die keine Lehre zum
unmittelbaren Einsatz von Naturkraeften darstellen.  Um zu beurteilen, ob
diese Konstruktionen funktonieren, bedarf es keines Experimentierens mit
Naturkraeften.

> > Tauchert hat eine klare Meinung zu dem Thema: "Gerade Startups 
> > brauchen den Schutz von Patenten", sagt er. Und weiter: "Die Gegner 
> > der Patente verfolgen eigene Interessen, nämlich den unbeschränkten 
> > Zugriff auf das geistige Eigentum anderer."  
> > 
> 	[Tauchert Wolfgang]  Den Eindruck habe ich in der Tat. Wenn ich die
> Dabatte verfolge, so geht es doch weniger um die immer wieder bemühten
> "Trivial-Patente" (one-click u.s.w.), mit denen sich sicherlich ganz gut
> Stimmung machen läßt, auch gerade im Hinblick auf die Verhältnisse in USA.

One-Click ist noch nicht einmal uebermaessig trivial oder breit.  Dieses
Beispiel wird nur deshalb immer wieder aufgegriffen, weil die meisten
Diskutanten die vom EPA/DPMA gewaehrten Massen von Patenten nicht kennen
und, falls sie sie kennen wuerden, nicht so leicht in einem kurzen Artikel
augenfaellig erklaeren koennten.

> Viele davon dürften einer ernsthaften Überprüfung, gerade durch
> Opensource-Entwickler, kaum standhalten. Was die Szene wirklich stört, sind
> technische Verfahren wie  z. B. das Kompressionsverfahren MP3, das auch nach
> Ihrer Ansicht patentwürdig ist (so habe ich Sie jedenfalls verstanden).

MP3 ist ein Grenzfall.  Bei MP3 hat man wenigstens einen Anhaltspunkt, um
ueber Technizitaet und Nicht-Trivialitaet zu diskutieren:  Wenn auch das
Ergebnis -- die Kompression von Informationen -- nicht technisch ist, so
liegt dem Verfahren wenigstens experimentelles Wissen aus
psychoaukustischen Forschungen liegt dem Verfahren zugrunde. Allerdings
war dieses Wissen, soweit ich gehoert habe, zum Zeitpunkt der Patentierung
laengst veroeffentlicht, und das darauf aufbauende Rechenverfahren war
somit wiederum ein reines mathematisches Verfahren, das aufzufinden
vielleicht so aufwendig gar nicht war.

Problematisch ist die Patentierung der mit MP3 zusammenhaengenden
Rechenverfahren vor allem auch deshalb, weil ein Standard betroffen ist
und ueber Netzwerkeffekte Monopolwirkungen erzielt werden, denen auch mit
dem Wettbewerbsrecht nicht unbedingt beizukommen ist.  Allein der von
Lizenzvereinbarungen ausgehende Zwang, ein Kartell bilden und das
normalerweise unbeschraenkt fliessende Gut Information kuenstlich zu
verhaerten und zu verknappen, verursacht sehr viel spuerbare Schmerzen.  
In diesem Falle sogar ganz konkret: Opensource-Entwickler wurden von der
Firma Thomson bereits direkt mit Prozessen bedroht, was sonst noch nicht
so haeufig vorgekommen ist.

Bei freier Software geht es bekanntlich um Freiheit, nicht um den Preis.
Es ist nicht so, dass die Entwickler nicht gerne den Urhebern der Idee
Gebuehren zukommen liessen.  Aber das Gut Information ist so beschaffen,
dass dies nur unter Opferung von viel Freiheit moeglich ist.  Hier bietet
das Urheberrecht in Kombination mit anderen Investitionsschutzmechanismen
(Betriebsgeheimnis, Humankapital, Zeitvorsprung, Netzwerkeffekte) einen
besseren Kompromiss zwischen den beiden Werten "Freiheit" und "Belohnung
der Urheber".  Sogar einen beneidenswert gut funktionierenden Kompromiss,
wie wir ihn uns fuer viele ebenso wichtige Gebiete der geistigen
Schoepfung kaum zu ertraeumen wagen.  Deshalb auch die Aussage der
Siemens-Telekommunikationsleute:  das Geschaeft bietet ohne Patente genug
und sogar besseren Investitionsschutz.

> Diese sind durch Urheberrecht nicht zu schützen, durch Patent auf das
> Verfahren (das einen Algorithmus verwendet), aber sehr wohl. Der Schutz
> dieser technischen Verfahren ist eben Ziel des Patents. Ein Verfahren zur
> Datenkompression ist nach meinem Verständnis ebenso technisch wie das dem
> ABS zugrundeliegende (Brems)-Verfahren. Denn es handelt sich - im Sinne der
> Technik-Definition des BGH - um "planmäßiges Handeln unter Einsatz
> beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs
> ohne Zwischenschaltung der menschlichen Verstandestätigkeit".      

Nein:  es liegt keine Lehre zum unmittelbaren Einsatz von Naturkraefte
vor, allenfalls Rudimente in Form eines psychoakustischen Modells, s.
oben, s. auch Gert Kolles unerreicht differenziertes Traktat zum
Technikbegriff

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/grur-kolle77de.html

in dem schon 1977 die spaeteren Diskussionen und irrtuemer alle
vorweggenommen und aufgeklaert wurden.

> 	[Tauchert Wolfgang]  Wie gesagt, ein Patent ist kein Nobelpreis,
> über die erfinderische Tätigkeit läßt sich diskutieren. Entscheidend dafür
> ist der ermittelte Stand der Technik. Damit ist z.B. das als technisch
> beurteilte ABS-Verfahren wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit
> zurückgewiesen worden. 

Wohl auch deshalb, weil die Erfindung vom BPatG/BGH auf den wirklich
technischen Bereich zurueckgestuzt wurde, bevor dann erneut ueber dessen
Erfindungshoehe befunden wurde.
 
> > widerfuhr, dass ihre Innovation in ein "Niemandsland des geistigen
> > Eigentums" (Kolle) fiel.  Unter dem Chor dieser Stimmen knickte der BGH
> > ein und nutzte die rechtstechnischen Moeglichkeiten zur Verbiegung des
> > Gesetzes, vor deren Nutzung Kolle 1977 vorausschauend gewarnt hatte.
> > 
> > 
> 	[Tauchert Wolfgang]  Der BGH ist nicht "eingeknickt", er hat nur den
> von ihm entwickelten Technik-Begriff konsequent angewandt. 

Eben nicht:  er hat nur die von Kolle vorausgesagten Fehler begangen.

> Wie gesagt, MP3 ist ebenso technisch wie ABS, es macht keinen Sinn,
> das eine Verfahren für technisch zu bewerten und das andere nicht.

Nein.  Das ABS-Patent lehrt eine neue Art, Gleit- und Haftreibungskraefte
und Materialeigenschaften zu nutzen, um eine physikalische Wirkung zu
erzielen.  In so weit war es eine technische Erfindung, auch im Sinne der
von Kolle im Anschluss an den Dispositionsprogramm-Beschluss entwickelten
Theorie.  Ob das ABS-Verfahren mit einem Computerprogramm oder auf andere
Weise umgesetzt wird, spielt keine Rolle.  Selbstverstaendlich kann ein
Patentanspruch eine Rechenformel enthalten.  Damit wird aber nicht diese
Formel als solche patentiert.  Eine Formel oder ein Computerprogramm
koennen immer frei weitergegeben werden.

Bei den MP3-bezogenen Anspruechen ist es anders:  da liegt ausser der
Formel / dem Algorithmus / dem Programm nichts vor, was beansprucht werden
koennte.  Es gibt keinen materiellen Prozess, der ueber das rechnerische
Verfahren hinausgeht und von diesem getrennt patentiert werden koennte. 

> Damit gäbe es in der Tat ein "Niemandsland des geistigen Eigentums".

Ganz genau das gibt es und muss es geben, wie auch Kolle immer wieder
betont.  Es ist an der Zeit, dieses Niemandsland klar zu definieren und
vor Uebergriffen zu schuetzen.

Man koennte m.E. auch ein System von Verguetungsrechten fuer dieses
Niemandsland einrichten.  Das sollten aber nicht Ausschlussrechte sondern
eher GEMA-aehnliche Tantiemen sein, wie in

	http://swpat.ffii.org/stidi/basti/

vorgeschlagen.

> "Eingeknickt" sind schon eher einige
> Politiker, als im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatentgesetz die
> Streichung der "Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche" vom
> Europäischen Parlament ausdrücklich verlangt wurde. 

Die Europarl-Entscheidung von 1998 laesst kaum treffend als "Einknicken"
beschreiben.  Ich habe den Eindruck, die Parlamentarier wussten, nicht,
was sie taten.  Wie in der Politik leider ueblich.  Die BGH-Richter
hingegen haetten es wissen muessen.  Sie kannten den Art 52, den
Dispositionsprogramm-Beschluss, den Kolle-Artikel, den Benkard-Kommentar
uvm.

> Jetzt knicken sie möglicherweise wieder ein, wenn EPÜ die
> entsprechende Revision verschoben wird. Dies bleibt aber ohne
> Konsequenz für die Praxis der Ämter, dafür ist ohnehin die auf dem
> bisherigen Gesetzestext beruhende Rechtsprechung von BGH und BPatG
> entscheidend.

Genau.

Vielleicht besinnen sich die Gerichte spaeter allmaehlich wieder auf die
urspruengliche Rechtsauslegung zurueck und finden Wege, das "Niemandsland
des Geistigen Eigentums" bewusster und systematischer zu schuetzen -- und
vielleicht auch mit neuen Formen von nicht-exklusiven Rechtstiteln zu
beackern.

Viele Gruesse

-phm